Spielsucht: Beim nächsten Mal gewinne ich!

April 2007 | Gesellschaft & Familie

Die Zahl der Spielsüchtigen in Österreich steigt. Immer mehr Menschen können ohne den besonderen Kick nicht mehr leben, den ihnen das Gewinnen und Verlieren gibt. Spielsucht ist deswegen so fatal, weil sie meist andere Süchte nach sich zieht, unweigerlich in die Schuldenfalle führt und allzu oft auch in die Kriminalität. In MEDIZIN populär spricht Primar Univ. Prof. Dr. Michael Musalek über Merkmale, Ursachen und Heilungsmöglichkeiten der Spielsucht.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

INTERVIEW
mit Prim. Univ. Prof. Dr. Michael Musalek
Leiter des Anton-Proksch-Instituts für Suchtkranke in Wien,
Facharzt für Neurologie und Psychiatrie

MEDIZIN populär
Herr Primar Musalek, wann hört sich der Spaß auf, wann wird das Spielen zur Sucht?

Prim. Musalek
Wenn das Leben nur noch darin besteht, zu spielen oder es auszuhalten, nicht zu spielen. Wenn man die Kontrolle verliert, man also selbst nicht in der Lage ist, zu steuern, wie oft man spielt. Dazu kommt der innere Drang, immer schneller zu spielen, also zum Beispiel möglichst an mehreren Automaten oder Spieltischen gleichzeitig und zwar mit immer höherem Einsatz. Ganz spezifisch für Spielsüchtige ist das so genannte magische Denken: Ein Spielsüchtiger ist jedes Mal von Neuem davon überzeugt, beim nächsten Spiel den ganz großen Gewinn zu machen.

Was passiert, wenn man einen Spielsüchtigen davon abhält, zu spielen?
Das ist von Fall zu Fall verschieden. Es kann zu Angstzuständen und Depressionen kommen, aber auch zu körperlichen Entzugserscheinungen wie Schweißausbrüchen oder Zittern.

Wenn der Süchtige dann spielen darf, vergehen die Ängste und das Zittern plötzlich?
So ist es. Während des Spielens tritt die Erleichterung ein, der Spieler entspannt sich, wird ruhig und fühlt sich gut, ganz egal, ob er gewinnt oder verliert.

Welche Menschen sind besonders gefährdet, spielsüchtig zu werden?
Das sind Jugendliche, die altersbedingt dauernd damit beschäftigt sind, ihre Grenzen auszuloten, aber auch alle anderen Grenzgänger, also Menschen mit psychischen Problemen und/oder einer Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit.

Weiß man, wie viele Menschen in Österreich spielsüchtig sind?
Es gibt keine verlässlichen Zahlen. Wir wissen nur, dass wir Zuwachsraten haben, seit die Zahl der Internet-Anschlüsse gestiegen ist und es immer mehr Automatencafes und Wettbüros gibt. Dort und im Worldwideweb ist der Zugang zum Spielen ja leicht, und je leichter der Zugang zu einem Suchtmittel ist, desto mehr Süchtige gibt es.

Was kann man gegen die Spielsucht tun?
Der Weg in die Sucht ist lang und komplex. Um die Sucht zu heilen, sind deshalb auch komplexe Hilfestellungen notwendig, die über einen langen Zeitraum hinweg gegeben werden müssen, manchmal sogar lebenslang. Man muss die Familien und Freunde der Süchtigen miteinbeziehen, muss darauf schauen, dass die Betroffenen ihre Schulden abbauen und ihr Leben insgesamt neu gestalten. Diese Menschen haben ja unendlich viel Zeit in die Sucht investiert, diese Zeit muss mit anderen Inhalten gefüllt werden.

Darf ein geheilter Spieler nie mehr spielen?
Wenn er wirklich glücksspielsüchtig ist, sollte er auf keinen Fall mehr um Geld spielen.

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Sucht mit Folgen

  • 43,5 Prozent der Spielsüchtigen sind mehrfach abhängig (Alkohol, Drogen, Internet, Medikamente)
  • 36,6 Prozent haben psychiatrische Krankheiten (Depressionen, Persönlichkeitsstörungen)
  • 28,9 Prozent kommen aus einer Suchtfamilie
  • 26,7 Prozent begehen kriminelle Delikte
  • 13,7 Prozent begehen Selbstmordversuche


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Wege aus der Sucht

KrankheitseinsichtDie meisten Spielsüchtigen sehen nicht ein, dass sie unter einer schweren Krankheit leiden. Beim Erreichen der Krankheitseinsicht sollte man sie möglichst unterstützen. BehandlungDie Behandlung von Spielsüchtigen ist in zweifacher Hinsicht schwierig. Erstens lassen sie sich meist erst dann behandeln, wenn es bereits zur finanziellen Katastrophe oder zur Straffälligkeit gekommen ist. Zweitens muss die Hilfestellung nicht nur psychotherapeutische, sondern auch sozialtherapeutische Maßnahmen beinhalten. Das heißt: Auch Familie und Freunde des Betroffenen müssen in die Behandlung mit einbezogen werden.LebensumstellungDer Weg aus der Spielsucht kann nur dann gefunden werden, wenn die Betroffenen ihr Leben vollkommen umstellen und sich einen gesunden Ersatz für die Sucht suchen, also etwa ein Hobby ausüben oder Sport betreiben.

Beratung und Hilfe
Das AS Beratungs- und Therapiezentrum für Glücksspielabhängige und deren Angehörige in Wien bietet kostenlos und auf Wunsch auch anonym Beratung und Hilfe an. Träger ist der Verein „Anonyme Spieler“, Telefon 01/544 13 57, Internet: www.as-wien.com

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Betroffene berichten

Dann war plötzlich Liebe im Spiel
Stephan W.*, 48, erzählt, wie er sich von der Spielsucht befreit hat
Ich bin schon mit 16 Jahren spielsüchtig geworden. Damals war ich noch Lehrling und in der Berufsschule und habe mit meinen Schulkollegen Karten gespielt. Tarock, Schnapsen, alles Mögliche, und immer um Geld.
Die Beträge, um die es gegangen ist, waren zuerst klein, sind dann aber immer größer geworden. Mein Lehrlingsgehalt hat schließlich nicht mehr gereicht, um mitspielen zu können. Ich habe dann mit kleinen Betrügereien begonnen, habe unter der Hand Waren aus meiner damaligen Firma verkauft. Das ist dann immer schlimmer geworden, ich war dann schon richtig kriminell, habe Geld unterschlagen.
Ich habe aber jeden Tag große Summen gebraucht. Das waren damals schon so 200.000 bis 300.000 Schilling, die ich in einer Nacht gewonnen, verloren, wieder gewonnen und wieder verloren habe. Natürlich habe ich viel öfter verloren als gewonnen.

Nach einigen Jahren habe ich nicht mehr nur Karten gespielt, sondern war auch fast jeden Tag an den Automaten. Auf der Suche nach Geld habe ich immer wieder Frauen um ihr Vermögen gebracht und bin dann in einer Nacht- und Nebelaktion verschwunden. Das ist 29 Jahre so dahin gegangen.
Dann habe ich wieder eine Frau kennen gelernt, und es war Liebe im Spiel. Ich habe zwar auch sie betrogen, aber ich habe mich damals zum ersten Mal gefragt: Was mache ich da eigentlich? Ich habe das erste Mal Reue empfunden, bin zum Staatsanwalt gegangen, habe Selbstanzeige erstattet und Hilfe beim Verein für anonyme Spieler gesucht.

Seit drei Jahren, drei Monaten und ein paar Tagen spiele ich nun nicht mehr, außer hin und wieder Lotto. Ich habe auch eine neue Partnerschaft, die mich glücklich macht, und einen neuen Job, in dem ich erfolgreich bin. Auch sonst habe ich mein Leben total umgestellt. Ich betreibe mehr Sport, gehe wieder boxen wie früher und helfe im Verein für anonyme Spieler anderen Betroffenen dabei, den Weg aus der Sucht zu finden. Außerdem nehme ich noch immer auch selbst psychologische Hilfe in Anspruch. Ob ich dem Spielen dauerhaft widerstehen kann, weiß ich nicht. Wer wirklich ein Spieler war, bleibt immer ein Spieler, sagt man ja, und es ist schon so, dass meine Vergangenheit immer wie ein Damoklesschwert über mir hängt.

Es war nach dem Ende einer Beziehung
Elfriede R.*, 52, erzählt, wie sie in die Spielsucht geschlittert ist
Ich spiele, seit ich 30 bin. Damals war eine Beziehung in die Brüche gegangen, eine liebe Freundin hat mich dann mit ins Casino genommen, um mich abzulenken. Es war alles so schön dort, ich habe mich gleich wohlgefühlt, habe auch eine kleine Summe gewonnen und den Gewinn mit einem Flascherl Schampus gefeiert. Ich war dann immer öfter dort, irgendwann auch allein und schließlich jeden Tag. Ich konnte mich nur mehr schwer auf den Job konzentrieren, habe nur noch an das Spielen gedacht, viel zu viel Alkohol getrunken und mich auch von meinen Freunden und Bekannten abgekapselt. Als ich dann ein Jahr später zu Weihnachten, zu Silvester und an meinem Geburtstag niemanden mehr hatte, der mit mir feiern wollte, habe ich mir gedacht, so geht’s nicht weiter, das kann nicht dein Leben sein.

Ich habe Hilfe bei den anonymen Spielern gesucht. Jetzt gehe ich ganz gezielt und nur mehr einmal im Monat spielen. Das ist schon sehr viel, und eigentlich bin ich mit mir zufrieden, weil ich auch wieder weniger trinke. Ich denke aber, wenn ich einmal den ganz großen Gewinn mache, wandere ich aus, baue mir mit dem Geld eine neue Existenz auf und höre total mit dem Spielen auf.

*) Namen sind der Redaktion bekannt

     

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