Von Mag. Sabine Stehrer
„Es ist wirklich schlimm. Ich werde bei jedem Kontakt mit Menschen, die ich noch nicht so gut kenne, nervös und fühle mich unsicher. Ich denke, dass die anderen mich beobachten und anschließend schlecht über mich reden oder über mich lachen. Das hindert mich auch daran, einen beruflichen Neustart zu wagen. Wie kann ich diese Gedanken loswerden, wie werde ich endlich selbstbewusster?“ fragt eine 27-Jährige in einem Online-Forum. Er kenne das auch, schließt sich ein 35-Jähriger der Frage an. „Bei Präsentationen oder in wichtigen Diskussionen mit Kunden ringe ich gedanklich darum, in ausgeglichener Verfassung zu bleiben, mich nicht verunsichern zu lassen, nicht nervös zu werden, ins Stottern zu geraten oder rot zu werden.“
Es sind quälende, oft lähmende Begleiter im Leben vieler Menschen: das Gefühl der Unsicherheit im Umgang mit anderen, die Vorstellung, ständig beurteilt zu werden, und die permanente Angst, negativ aufzufallen. Und wer von uns hat sich nicht schon einmal selbst in einer Situation wieder gefunden, in der er sich gefragt hat, wohin seine Selbstsicherheit verschwunden ist? Schließlich kommt der Erfolg, den Wolfgang Ambros in den 1980er Jahren mit seinem Song über das Selbstbewusstsein erzielte, nicht von ungefähr. „Des Selbstbewusstsein is a Hund“, singt er da, beschreibt, wie es „hoch fliagt wie da Wind“, wie es geht, wie es wieder kommt, und endet mit dem Wunsch: „Selbstbewusstsein ist, wos i wü, Selbstbewusstsein is a G’fühl.“
Ein forsches, sicheres Auftreten wird angesichts der wachsenden Anforderungen unserer Zeit im Beruf immer wichtiger, und es macht auch im Privatleben vieles leichter. Nur wie kann man zu mehr Selbstbewusstsein kommen? Einer, der diese Frage beantworten kann, ist Dr. Günther Possnigg, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie in Wien. Er sagt: „Wenn jemand sein Selbstbewusstsein stärken möchte, um im Beruf und im Privatleben selbstsicherer agieren und reagieren zu können, bieten sich drei Schritte an, die jeder ausprobieren kann.“
Die drei Schritte zu innerer Stärke
1 Schritt: Erfolgsanker setzen
Den ersten und einfachsten der drei Schritte nennt Possnigg „Erfolgsanker setzen“. Und das funktioniert so: „Immer wenn man vor einer Situation steht oder schon in einer Situation ist, in der man meint, gleich eine auf den Deckel zu kriegen, und auch schon nervös wird, denkt man an Situationen der Vergangenheit, die zwar auch nicht einfach zu bewältigen waren, aus denen man aber als Sieger hervorgegangen ist.“ Das könnte, so der Experte weiter, ein erfolgreich verlaufenes Bewerbungsgespräch genauso sein wie der Heiratsantrag oder die Matura. „Manchen reicht es schon, nur kurz an das zurückliegende Ereignis zu denken, um selbstsicher zu werden. Andere üben sich am besten darin, die Gedanken an die Erfolgserlebnisse mit einer Bewegung zu verknüpfen, sie fahren sich zum Beispiel mit der rechten Hand an das linke Handgelenk und rufen die guten, stärkenden Gedanken über die Bewegung ab.“ Das sei unaufwändig, unauffällig und höchst wirksam, sagt Possnigg.
2 Schritt: Verhalten trainieren
Was tun, wenn die großen Erfolgserlebnisse lange zurückliegen und die Erinnerung daran schon verblasst ist, die Gedanken an diese Erlebnisse also nicht mehr zum „Erfolgsanker“ taugen? Dann biete sich der zweite Schritt zu mehr innerer Stärke an, sagt Possnigg. Man begebe sich in Situationen, die man als unangenehm und verunsichernd empfindet, um diese schlechten Gefühle zu überwinden.
Wenn einem zum Beispiel zuwider ist, sich vor versammelter Menge über etwas zu beschweren, übt man, Beschwerden auszusprechen. Natürlich nur, wenn sie berechtigt sind, es geht ja nicht darum, sich über ein „schwächeres Opfer“ stärker zu fühlen.
„So könnte man etwa im Fall des Falles im Restaurant beanstanden, dass der Wein korkt oder das Fleisch zu viele Flachsen hat. Der Kellner wird Ersatz bringen, und man hat erlebt, dass man sich beschweren kann und dabei auch noch Erfolg hat.“ Menschen, die aus Angst, abgelehnt zu werden, nie nein sagen können, üben laut Possnigg am besten in Boutiquen. „Sie lassen sich verschiedene Kleidungsstücke zeigen und probieren sie an. Wenn ihnen die Sachen nicht passen oder letztlich doch nicht gefallen, kaufen sie nichts und verlassen das Geschäft – die Verkäuferin wird höchstwahrscheinlich freundlich bleiben. So sehen sie, dass ihnen nichts passiert, was ihnen schadet, wenn sie etwas ablehnen, und haben ihr Erfolgserlebnis.“
3 Schritt: Hintergründe erforschen
Hat auch das Trainieren des Verhaltens nichts genützt, was dann? Dann helfe es laut Possnigg sehr gut, tiefer in sich zu gehen und darüber nachzudenken, welche Grundhaltungen man hat, was man von sich selber hält, und woher das kommt, das einen so unsicher macht. „In den meisten Fällen handelt es sich dabei um irgendetwas, das irgendjemand in der Kindheit oder Jugend zu einem gesagt hat und das haften geblieben ist.“ Beispiele aus der Praxis des Experten: „Da war die Frau, die sich trotz bester fachlicher Qualifikation keine Vorträge halten traute, und dann kam heraus, dass ihre Volksschullehrerin einmal meinte, sie solle den Mund nur aufmachen, wenn sie etwas wirklich Wichtiges zu sagen hat. Und da war der Mann, der sich gegenüber seinen Kollegen nicht durchsetzen konnte, und es stellte sich heraus, dass er als Bub von seiner Mutter des Öfteren mit den Worten ,Wer bist denn du schon?‘ in die Schranken gewiesen wurde.“ Sind die belastenden Sätze einmal gefunden, sei schon viel gewonnen, sagt Possnigg. „Die nun Erwachsenen werden sich der Unsinnigkeit des Gesagten schnell bewusst, müssen meistens sogar darüber lachen, und durch das Lachen löst sich die Verunsicherung auf.“
„Das Selbstbewusstsein ist, wie da Name scho sagt, a Sache, die nur aus dir söba entsteht“, singt Wolfgang Ambros. Egal, ob man nun durch das Erforschen der Hintergründe, durch das Üben in Testsituationen oder das Setzen von Erfolgsankern zu mehr innerer Stärke kommt, übrig bleibt die Frage: Wie entgeht man der Gefahr, das neu gewonnene Selbstbewusstsein wieder zu verlieren? Possnigg empfiehlt, ein Erfolgstagebuch zu führen, in dem man die Situationen festhält, die man gut bewältigt hat. „In dem Tagebuch sollte man auch immer wieder blättern und die Schilderungen der Erfolgserlebnisse lesen.“ Dies vor allem nach Rückschlägen, die man, so Possnigg, „nicht als Misserfolg, sondern als Feedback sehen soll“. Wie das geht? „Man sagt sich: Aha, jetzt weiß ich, dass die Art und Weise, wie ich in diese Situation gegangen bin, nicht gut für mich war. Das nächste Mal mache ich das anders.“
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Selbstbewusstsein
Wie es kommt?
Wer selbstbewusst ist, hat zunächst selbst wenig dazu getan: Diesen Schluss kann man aus den Ergebnissen von Forschungen ziehen, die sich mit der Frage beschäftigten, woher das Selbstbewusstsein kommt. Zum Großteil wird es nämlich vererbt und durch bestärkende Erfahrungen in der Kindheit bis zum Alter von fünf Jahren ausgebildet. In der Jugend bringen gute Beziehungen zu Freunden, zu Lehrern Selbstsicherheit. Im Erwachsenenleben tut eine gute Partnerbeziehung der inneren Stärke gut.
Wie es geht?
Die hauptsächlichen Killer des Selbstbewusstseins sind schlechte Grundhaltungen sich selbst gegenüber. Diese können sich aufgrund negativer, Stärke raubender Erfahrungen in der Kindheit gebildet haben, aber auch durch chronische Über- oder Unterforderung in der Schule oder im Beruf sowie mangelnde Wertschätzung seitens der Lehrer oder der Vorgesetzten oder Mobbing durch Kollegen. Auch eine Reihe von beruflichen oder privaten Misserfolgen, eventuell bedingt durch zu hohe Ansprüche, die man an sich selber stellt, können das Selbstbewusstsein rauben.