Das A und O des Orgasmus

September 2010 | Partnerschaft & Sexualität

Was tun, wenn der Höhepunkt Probleme bereitet?
 
Entweder kommt er zu früh, oder stark verzögert, selten, gar nie oder bleibt ohne Gefühl der Befriedigung: Der Orgasmus bereitet oft mehr Leid als Freud. Für MEDIZIN populär erläutert eine Expertin die Tiefpunkte des Höhepunkts und gibt Tipps, wie Mann und Frau sie überwinden können.
 
Von Bettina Benesch

Oft sind es die einfachsten Dinge des Lebens, die die größten Probleme bereiten: Zeit haben für sich und den Partner, Sexualität genau so leben, wie sie gerade daherkommt, dabei den einen oder anderen Orgasmus haben – und all das genießen als gäbe es kein Morgen. Genau an diesem Punkt hakt es oft. Betroffen sind vor allem Frauen: Studien zufolge hat etwa jede fünfte Frau Orgasmusprobleme, das heißt, sie erreicht den Höhepunkt nur sehr schwer oder nie – und das selbst dann, wenn sie zuvor ausreichend stimuliert wurde und erregt war. Bei den Männern sieht die Sache etwas anders aus: Studien zufolge berichten zwei bis acht Prozent der Männer aller Altersgruppen von Orgasmusproblemen, bei Männern bis zum mittleren Alter liegen die Zahlen bei drei bis vier Prozent.
Nicht jedes Orgasmusproblem ist gleich eine Orgasmusstörung, in der Fachsprache Anorgasmie genannt, erklärt Dr. Elia Bragagna, Sexualmedizinerin sowie Gründerin der Akademie für Sexuelle Gesundheit: „Sehr viele Frauen erreichen höchstens alle vier oder fünf Mal einen Orgasmus, wenn sie mit ihrem Partner schlafen. Aber für den Großteil ist das nicht unbedingt ein Problem.“ Ein Problem entsteht demnach erst dann, wenn ihr Mann von ihr immer einen erwartet und wenn die Frau nicht weiß, wann und wie sie dazu kommt. „Dann beginnen die Frauen zu grübeln; sie haben diese Selbstverständlichkeit im Umgang mit ihrem Körper nicht“, erklärt die Ärztin, die erst dann von einer echten Orgasmusstörung sprechen würde, wenn die Betroffenen selbst unter dem Orgasmusproblem leiden.

Alkohol, Krankheiten, Konflikte

Zu den Orgasmusstörungen gehören bei Mann und Frau der selten oder nie erreichte Orgasmus, der verzögert auftretende Orgasmus und der Orgasmus ohne Befriedigung. Für sie alle gibt es mehrere Ursachen: Medikamente können ebenso eine Rolle spielen wie Drogen, körperliche Erkrankungen ebenso wie psychische oder partnerschaftliche Konflikte. Mitunter ist es eine Kombination von mehreren Faktoren, die eine Orgasmusstörung auslöst.
Eine mögliche Ursache ist Alkoholmissbrauch oder die Einnahme von Psychopharmaka. Fällt die Droge Alkohol weg oder verschreibt der Arzt andere Medikamente, kann sich der Orgasmus wieder einstellen.
Auch einige Krankheiten wirken sich negativ auf die Orgasmusfähigkeit aus. Dazu gehören beispielsweise Erkrankungen von hormonbildenden Organen wie Schilddrüse, Nebenniere oder Hirnanhangdrüse. Auch Diabetes mellitus oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen mischen mit: Diabetes kann Nerven oder Blutgefäße an den Geschlechtsorganen schädigen, Herz-Kreislauf-Leiden können die Durchblutung der Genitalien stören. Wichtig ist daher, Krankheiten wie diese erst zu behandeln. Liegt die Orgasmusstörung dann immer noch vor, gilt es die möglichen auslösenden Faktoren zu ergründen.

Kopf und Seele spielen mit

Mitunter liegt die Ursache für Anorgasmie im Kopf: Wer sich beim Sex nicht fallen lassen und Kontrolle abgeben kann, dem bleibt der Orgasmus oft verwehrt. „Manche Menschen können das letzte Bisschen nicht mehr loslassen, sie schaffen es nicht, sich dem anderen anzuvertrauen“, erklärt Bragagna. Auch die Art der Stimulation entscheidet darüber, ob der Orgasmus erlebt wird oder nicht. Ist ein Orgasmus durch Selbstbefriedigung möglich, jedoch nicht gemeinsam mit dem Partner oder der Partnerin, kann es sein, dass es bei der Stimulation hakt. Jeder hat Vorlieben; diese dem Partner, der Partnerin, mitzuteilen gehört auch zum Liebesspiel.
Bleibt noch der Orgasmus ohne Befriedigung: Diese Störung zeichnet sich dadurch aus, dass den Betroffenen das satte Gefühl nach dem Orgasmus fehlt. „Ich erlebe das oft bei Männern, die häufig Sex haben – und zwar häufig mit verschiedenen Frauen. Diesen Männern hat es früher sehr viel bedeutet, mit einer Frau zu schlafen und einen Orgasmus zu haben. Sie beschreiben mir dann oft, dass es jetzt schal und leer ist. Sie merken, dass allein das Sammeln von sexuellen Erlebnissen nicht befriedigt“, sagt Bragagna.

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Fünf Hilfen für den Höhepunkt

1) Geben Sie dem Leistungsdruck keine Chance. Menschen müssen nicht immer Lust haben – und nicht immer zum Orgasmus kommen.

2) Der Weg ist das Ziel: Genießen Sie das Liebesspiel, ohne auf den Höhepunkt zu warten.

3) Finden Sie heraus, was Sie als sexuelles Wesen ausmacht und teilen Sie dies mit.

4) Ist ein Problem in Ihrer Partnerschaft der Grund für Ihre Orgasmusprobleme, versuchen Sie es anzusprechen und zu klären.

5) Hinterfragen Sie Glaubenssätze, die uns sagen wollen, was richtig und was falsch ist

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„Niemand kann erahnen, was der andere braucht“

Sexualmedizinerin Dr. Elia Bragagna über Verantwortung, Vertrauen und falsche Vorbilder rund um die schönste Nebensache der Welt

MEDIZIN populär
Frau Dr. Bragagna, Sie sagen, dass es für viele Frauen kein Problem darstellt, wenn sie beim Geschlechtsverkehr mit ihrem Partner keinen Orgasmus erleben. Sind es die Männer, die damit ein Problem haben?

Dr. Elia Bragagna
Genau. Das ist ein Überbleibsel von früher: Der Partner ist verantwortlich für den Orgasmus der Frau, und dementsprechend fühlt er sich mies, wenn er es nicht schafft, ihr einen zu besorgen. Mir gefällt es gar nicht, dass man dem anderen Geschlecht die Verantwortung für das eigene Wohlbefinden übergibt. Dafür ist man selbst verantwortlich.

Das scheint aber nicht immer zu funktionieren: Studien zufolge haben rund 20 Prozent der Frauen Orgasmusprobleme.
Schauen Sie sich doch an, welches Vorbild den jungen Leuten in den Medien gezeigt wird: die ewig rollige, junge Frau. Das ist doch Quatsch. Die Frauen wollen sexuell attraktiv sein, sie richten sich in ihrem Tempo nach dem Mann und vergessen, dass eine Erektion noch nicht heißt: „Ich will sofort Sex“, sondern: „Ich fühl mich wahnsinnig wohl“.

Es geht also auch um fehlende Kommunikation. Tun sich junge Frauen damit leichter als ältere?
Nein. Das ist noch keine Selbstverständlichkeit. Es hängt an den Partnerschaften, wie sehr das zum Thema gemacht werden kann.

Was raten Sie Frauen und Männern mit Orgasmusproblemen oder -störungen?
Männer können sich oft nicht fallen lassen. Sie schaffen es nicht, sich dem anderen anzuvertrauen. Hinschauen ist da schon mal das Wichtigste. Und sich fragen: Was brauche ich denn, um ganz loslassen zu können? Im Zweifelsfall sollte Mann sich Hilfe holen. Das gilt auch für alle Frauen, die sich nicht wirklich fallen lassen können. Wenn organische Gründe vorliegen, müssen sie bei beiden Geschlechtern natürlich behandelt werden.
Bei der Frau ist das Allerwichtigste, dass sie guten Kontakt zu ihrem Körper hat, dass sie Vertrauen hat, und weiß, dass es kein „richtig“ gibt. Es gibt nur sie, und sie richtet sich nach dem, was sie braucht. Je mehr sie sich kennt und auch Selbstbefriedigung lernt, desto besser kennt sie ihre Tricks, wie sie zum Orgasmus kommt. Und das muss sie mitteilen. Das kann kein Mann wissen. Niemand kann erahnen, was der andere braucht.

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