Kampfsportarten liegen im Trend. Mit gutem Grund, können sie doch weit mehr als die körperliche Gesundheit stärken. MEDIZIN populär informiert, wie Sie mit Karate, Judo, Taekwondo & Co die Angriffe des Alltags besser abwehren lernen.
Von Bettina Benesch
Wie trüb das Wetter auch sein mag, an ein paar Orten scheint die Sonne – obwohl auf den ersten Blick gar nichts für Sonnenschein spricht: Hier boxt der eine dem anderen gerade gegen den Kiefer, dort wirft die Erste die Zweite über die Schulter. Alltag im Kampfsport. Was brutal klingt, ist nichts weiter als die Vorbereitung auf die Fährnisse des Lebens; ein Training für den Ernstfall sozusagen. Denn Kampfsport bereitet vor auf das alltägliche Kräftemessen im Beruf und zu Hause. Kampfsportler stehen da wie dort auf der Sonnenseite: Sie sind selbstbewusst, gelassen, fit. Sie wissen, was sie wollen und finden den Weg zum Ziel.
Die eigenen Ziele verfolgen
Ziele sind das Um und Auf im Leben: Sie motivieren und machen unser Tun sinnvoll. Wer ein Ziel hat und es erreichen möchte, der kämpft gemeinhin. Kampfsport kann dabei hilfreich sein – oder sogar der erste Anstoß, endlich einmal Ernst zu machen. „Man kann für alles im Leben kämpfen, ohne mit den Fäusten hinzuschlagen“, sagt der Sportpsychologe und Kampfsporttrainer Mag. Thomas Bencsik. Dennoch sind es die Fäuste, die dabei helfen können, Kampfsport als Training für das Leben zu begreifen.
Bencsik trainiert Profisportler, Manager, Väter, Mütter – und auch arbeitslose Jugendliche: Sie lehrt er das faire Kämpfen. Gleichzeitig betreut er die Jugendlichen in psychologischen Gesprächen. „Ich kann zum Beispiel eine Bewerbung als Kampf betrachten: Wenn ich etwas erreichen möchte, dann muss ich selbst etwas dafür tun. Und wenn ich etwas tue, dann mache ich es für mich – und werde immer besser. Mein Handeln hat also eine Wirkung“, erklärt Bencsik. Jugendliche lernen so, für ihre Ziele zu kämpfen und Rückschläge als neuen Startpunkt zu erkennen. Und es sind bei weitem nicht die Jugendlichen allein, die von Kampfsport jeglicher Disziplin profitieren.
Stark gegen Mobbing
Kampfsport stärkt Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen. „Wer Kampfsport trainiert, der lernt, aufrecht zu gehen“, sagt Prim. Univ. Prof. DDr. Josef Niebauer, MBA, Vorstand des Instituts für Sportmedizin des Landes Salzburg und selbst aktiver Taekwondo-Sportler seit über 30 Jahren. „Man hat eine gewisse Art aufzutreten, ist nicht mehr Opfer.“
Täter suchen sich Opfer. Im Arbeits- und auch im Schulalltag treffen beide Typen immer wieder aufeinander: Es kommt zu psychischen Angriffen, also zu Mobbing, und/oder zu körperlicher Gewalt. Wer in diesem Strudel nicht untergehen möchte, muss sich wehren. Und genau hier setzt der Kampfsport an: „Man lernt, sich zu verteidigen und Grenzen zu setzen“, schildert Bencsik. Auf wundersame Weise scheint sich das körperliche Training wie von selbst vorteilhaft auf die Psyche auszuwirken.
Weniger Aggressionen, weniger Stress
Und kommt es trotz starken Auftretens dennoch zum Konflikt, reagieren Kampfsportler gelassen. Sie warten ab. „Man lernt, zu beobachten und dosiert zu reagieren“, sagt der Sportarzt Josef Niebauer. In einer Situation, in der der Gegner auf körperliche Gewalt aus ist, hat der Kampfsportler durch seine besonnene Art Zeit zum Verhandeln. „Man ist nicht gezwungen, aus Angst gleich zuzuschlagen.“
Für das Zuschlagen ist die Trainingshalle der richtige Ort. Hier kann alle Aggression in Richtung Gegner oder Sandsack donnern – gleichzeitig wirbelt der Stress gleichsam zum Fenster hinaus. Dort gehört er hin. Kampfsportler brauchen keine Schulhöfe oder Discos, um ihre Kräfte zu messen: Sie kämpfen im Verein. „Kampfsportarten produzieren keine Schläger“, versichert Niebauer: „Viele Vereine haben einen klaren Kodex: Wer sich prügelt, der fliegt raus.“
Den Körper gesund halten
Bei allen positiven psychischen Effekten kommt ein weiterer wichtiger Aspekt im Kampfsport nicht zu kurz: die körperliche Gesundheit. Kampfsport steigert die Koordination, fördert das Gleichgewicht, verbessert Körperkontrolle und Gelenkigkeit. Im Grunde trainiert jede Kampfsportart die Kraft-Ausdauer, wobei das eine oder andere in manchen Disziplinen überwiegt: Der Kreislauf wird beispielsweise speziell durch Taekwondo trainiert, durch leichtfüßiges Boxen oder Karate. Sie alle halten den Körper fast ständig in Bewegung, „man ist immer am Springen“, sagt Josef Niebauer dazu. Kampfsportarten wie Judo oder Ringen trainieren eher die Kraft. Grundsätzlich aber ist Kampfsport für den ganzen Körper geschaffen. „Wenn ich sage: ‚Ich habe abends zwei Stunden Zeit und möchte in dieser Zeit meinen Körper auf Vordermann bringen‘, dann bin ich beim Kampfsport richtig“, erklärt Niebauer. Wer lediglich fit werden möchte, der geht laufen, macht Aerobic oder Zumba. Beim Kampfsport wird die Fitness natürlich verbessert, entscheidend ist aber das kämpferische Element.
Voraussetzung für einen guten Effekt ist regelmäßiges Training: Der Sportmediziner empfiehlt zwei bis drei Mal pro Woche. „Ein Mal ist besser als gar nichts, aber wenn man sich entwickeln möchte, muss man zwei Mal pro Woche trainieren.“ Wer das tut, hat seine Fitness nach einem halben Jahr sicher verbessert. Wer also jetzt mit dem Training beginnt, für den scheint im Winter sicher auch noch die Sonne.
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Welche Kampfsportart ist die richtige für mich?
Wer es mit Kampfsport versuchen möchte, muss sich fragen: Was will ich? Schnell Selbstverteidigung lernen oder im Training auch die Philosophie des Sports mitbekommen? Bin ich gelenkig oder nicht? Will ich zupacken oder auf Distanz bleiben? Eine kleine Entscheidungshilfe:
- Sich rasch verteidigen können: z. B. Jiu-Jitsu, Boxen, Kickboxen, Thaiboxen
- Fitness aufbauen: z. B. Boxen, Kickboxen, Thaiboxen, Taekwondo
- Die Muskeln kräftigen: alle
- Philosophie erlernen: z. B. Taekwondo, Karate, Judo, Jiu-Jitsu
- Körperkontakt, zupacken: z. B. Judo, Ringen
- Distanz: z. B. Taekwondo, Karate, Thaiboxen, Kickboxen
- Gelenkige Menschen sind vor allem bei Taekwondo, Karate, Thaiboxen oder Kickboxen gut aufgehoben.
Tipp für Unentschlossene: Die meisten Vereine bieten Schnuppertrainings an.
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Einstieg für Kinder und Erwachsene
Bei den meisten Kindern erfolgt der Einstieg in den Kampfsport mit Judo. Dabei lernen sie spielerisch, zu raufen und richtig zu fallen. Kraft und Ausdauer werden gleichermaßen geschult. Kampfsportarten wie Taekwondo oder Karatedo sind ab zehn Jahren empfehlenswert, da die Kinder ab diesem Alter mental besser mit Gewalt umgehen können als davor.
Für erwachsene Einsteiger ist ein sportmedizinischer Test sinnvoll, empfiehlt Sportmediziner Prim. Univ. Prof. DDr. Josef Niebauer. Im Grunde kann jeder Erwachsene Kampfsport betreiben, solange das Training dem Gesundheitszustand angepasst ist. Verletzungen können sowohl bei Anfängern als auch bei Fortgeschrittenen passieren, sind aber im Kampfsport nicht häufiger als bei anderen Sportarten.
Buchtipp:
Chen Yiquan, Der Weg zur Gesundheit – So trainieren Sie Körper und Geist
ISBN 978-3-902552-54-9, 160 Seiten, € 19,90
Verlagshaus der Ärzte