Im Prinzip weiß heute jedes Kind, dass Rauchen in der Schwangerschaft schädlich für das Baby ist. Und doch können hierzulande 20 bis 30 Prozent der werdenden Mütter auf den Glimmstängel noch weniger verzichten, als auf das Essiggurkerl. Eine wissenschaftliche Analyse zeigt, dass Tabakrauch beim Ungeborenen weit mehr Schäden anrichtet als landläufig bekannt.
Von Bettina Benesch
Es ist Sonntag, irgendwo in Österreich. Der Dorfwirt macht ein gutes Geschäft: Hier fünf Schnitzel, dort drei Bier, immer wieder ein paar Päckchen Zigaretten, die flugs in die Luft verpuffen. Kinder huschen in der Raucherstube umher, eine Schwangere plaudert mit ihrem Nachbarn.
„Kindesmisshandlung“ würde OA. Priv. Doz. Dr. Angela Zacharasiewicz dazu sagen. Sie ist Oberärztin an der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde der Kinderklinik Glanzing in Wien und weiß, wie dramatisch sich Tabakrauch auf die Gesundheit von Kindern auswirkt – besonders auf die der Allerkleinsten: „Nehmen wir zum Beispiel Nikotin. Das Ungeborene nimmt es über die Plazenta auf und scheidet es ins Fruchtwasser aus. Dort bleibt es dann, und das Kind schwimmt regelrecht im Gift. Rauchen in der Schwangerschaft und in Gegenwart von Kindern ist für Zacharasiewicz daher fahrlässig, „denn Kinder werden wissentlich bekannten Risiken ausgesetzt und geschädigt. Man kann daher von Kindesmisshandlung sprechen.“
Tabakrauch enthält neben Nikotin weitere 4000 Chemikalien, die für Menschen potenziell giftig sind. Gesichert schädlich sind 250 Substanzen, davon sind mindestens 50 krebserregend. Raucht die Mutter, gelangen die Giftstoffe des Tabakrauchs ungefiltert zum Ungeborenen und zur Plazenta („Mutterkuchen“). Die Plazenta hat u. a. die Aufgabe, das Kind mit Nährstoffen und Sauerstoff zu versorgen. Die Substanzen aus dem Tabakrauch beeinträchtigen Wachstum und Funktion des Mutterkuchens: Er wird schlecht durchblutet, entwickelt sich nicht richtig – und kann daher das Kind nicht ausreichend versorgen. Dazu kommt, dass Tabakrauch auch das Kind direkt durch die Giftstoffe schädigt. Dabei hat das direkte Rauchen der Schwangeren die stärkste Wirkung – aber auch Passivrauch bedeutet ein messbares Risiko für das Kind.
Frühgeburt, Lungenprobleme, Fehlbildungen
Die Folgen für die Mutter und vor allem für das Kind sind vielfältig und oft schwerwiegend, zeigen Angela Zacharasiewicz und weitere Experten in ihrer Analyse „Das Fetale Tabaksyndrom“. So kommt es bei rauchenden Schwangeren eher zur vorzeitigen Plazentalösung oder zur sogenannten Placenta praevia, bei der der Mutterkuchen den inneren Muttermund teilweise oder vollständig verdeckt. Beides erhöht das Sterblichkeitsrisiko sowohl des Kindes als auch der Mutter.
Insgesamt kommt es bei Schwangerschaften von Raucherinnen häufiger zu Komplikationen als bei Nichtraucherinnen. Kinder von Raucherinnen kommen häufiger zu früh auf die Welt als Kinder von Nichtraucherinnen. Sie haben außerdem ein erhöhtes Risiko für ein geringes Geburtsgewicht und eine beeinträchtige Lungenfunktion. Auch das Risiko für den plötzlichen Kindstod (SIDS) steigt deutlich: Tabakkonsum der Mutter ist für bis zu 33 Prozent der SIDS-Fälle verantwortlich. Es gibt darüber hinaus einen Zusammenhang zwischen dem Rauchen der Schwangeren und der Entwicklung von Übergewicht und Diabetes Typ II beim Kind – unabhängig von sozialem Status oder Geburtsgewicht. Raucht die Mutter ein Jahr vor der Schwangerschaft und während des ersten Schwangerschaftsdrittels, ist das Risiko für eine Lippenspalte erhöht.
Kinder eher auffällig und hyperaktiv
Auch die geistige Entwicklung des Kindes wird durch den Tabakkonsum der Schwangeren beeinträchtigt: Die Kinder haben ein um 90 Prozent erhöhtes Risiko, später im Leben verhaltensauffällig zu werden, sie haben im Vergleich zu „Nichtraucher-Kindern“ eher Lernstörungen und erkranken häufiger am Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätssyndrom (ADHS). Schwangere, die mehr als 20 Zigaretten am Tag rauchen, riskieren eine verminderte intellektuelle Entwicklung ihrer Kinder.
„Viele Komplikationen unterliegen einer Dosis-Wirkungs-Abhängigkeit“, erklärt Zacharasiewicz: „Je mehr geraucht wird, desto schlimmer ist die Wirkung.“ Wer relativ wenig raucht, ist aber nicht aus dem Schneider, denn jede Zigarette bringt Giftstoffe zum Kind und ist daher gesundheitsgefährdend (siehe auch „Falsch gedacht“ unten).
Noch vor der Schwangerschaft aufhören
Es ist also am besten, den Zigaretten zu entsagen. Raucherinnen, die eine Schwangerschaft planen, sollten das Thema Entwöhnung frühzeitig mit ihrem praktischen Arzt oder Gynäkologen besprechen und eine passende Therapie auswählen, rät Zacharasiewicz. Auch das „Rauchertelefon“ sei hier sehr hilfreich. Insgesamt sei die Entwöhnung vor der Schwangerschaft einfacher, da man dann Nikotinersatzpräparate oder andere hilfreiche Medikamente noch einnehmen kann. Während der Schwangerschaft wird das nicht mehr empfohlen, weil die Mittel das Kind schädigen könnten.
Raucherinnen, die ungeplant schwanger geworden sind, rät die Kinderärztin, sofort aufzuhören. „Weil jede Zigarette dem Kind Sauerstoff entzieht und Giftstoffe zuführt.“ Es ist wichtig, die Entwöhnung auch nach Rückschlägen wieder in Angriff zu nehmen. Aufhören ist in jedem Stadium der Schwangerschaft gut – selbst dann, wenn man während der ersten drei Schwangerschaftsmonate schon geraucht hat. Wichtig ist es, das Umfeld einzubeziehen, also vor allem den Mann oder Lebensgefährten – aber auch Oma, Opa, Tanten… „Wenn sie Raucher sind, müssen sie eigentlich alle mit dem Rauchen aufhören“, sagt Zacharasiewicz. Nicht nur aus Solidarität der Mutter gegenüber, sondern auch und besonders für den neuen Erdenbürger – schließlich ist Passivrauchen auch nach der Saure-Gurkerlzeit für Kinder kein Zuckerschlecken.
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Junge Schwangere:
Fast jede Zweite raucht
Vielen rauchenden Schwangeren ist nicht bewusst, welchen Gefahren sie sich und vor allem ihr Kind aussetzen: Studien zufolge rauchen etwa 15 bis 25 Prozent der Schwangeren. Österreich setzt dem noch eines drauf, denn hierzulande sind es 20 bis 30 Prozent. Insgesamt sinkt die Zahl der schwangeren Raucherinnen zwar, aber bei den Jungen liegt die Kombination „Glimmstängel und Gurkerl“ offenbar im Trend, denn Zahlen aus Skandinavien zeigen: Die Rate der rauchenden Schwangeren insgesamt ist in den vergangenen Jahrzehnten auf unter zehn Prozent gesunken – die der Unter-19-Jährigen stieg dagegen auf über 40 Prozent.
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Falsch gedacht
Immer noch denken viele Frauen, dass ein paar Zigaretten dem Ungeborenen nicht schaden, oder dass der Rauchstopp dem Baby unerträgliche Entzugserscheinungen beschert. Warum diese und andere Annahmen Humbug sind, erklärt OA. Priv. Doz. Dr. Angela Zacharasiewicz von der Kinderklinik Glanzing in Wien.
„Bis zu fünf Zigaretten am Tag schaden weder mir noch dem Baby.“
Zacharasiewicz: „Das ist Unfug. Es gilt: Je mehr Gift, desto schlechter – dabei gibt es keine Untergrenze, ab der Rauchen nicht schlecht ist.“
„Wenn ich während der Schwangerschaft mit dem Rauchen aufhöre, bekommt mein Kind Entzugserscheinungen.“
Zacharasiewicz: „Die Entzugserscheinungen werden nach der Geburt noch viel schlimmer sein. Häufig sind die Kinder sehr unruhig und man sieht, dass sie körperlich leiden. Mit jedem Tag, den ich früher mit dem Rauchen aufhöre, erspare ich meinem Kind diese Erfahrungen.“
„In der Schwangerschaft aufhören bringt nichts mehr, denn die Gifte sind eh schon im Körper.“
Zacharasiewicz: „Das ist Unsinn, denn jede neue Zigarette bringt neue Giftstoffe in den Körper und damit zum Kind.“
„Sogar mein Arzt hat mir erlaubt, ein paar Zigaretten zu rauchen.“
Zacharasiewicz: „So eine Aussage darf nach heutigem Wissenstand wirklich kein Arzt mehr treffen. Jede einzelne Zigarette senkt die Durchblutung in der Plazenta und bringt Gifte zum Kind.“
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Infotipp:
Beratung und Information zu allen Themen rund um die Tabakentwöhnung bietet das „Rauchertelefon“: 0810 810 013.
Österreichweit Montag bis Freitag von 10.00 bis 18.00 Uhr.