Der modernen Welt geht der Weitblick verloren. Kurzsichtigkeit ist inzwischen die häufigste Augenveränderung in den Industrienationen, und so auch in Österreich: Von den Unter-30-Jährigen ist bereits jeder Vierte betroffen. Was dahintersteckt und was dagegen hilft.
Von Mag. Sabine Stehrer
Morgens gibt es das Frühstücksfernsehen, auf dem Weg zur Arbeit fesseln Smartphone & Co den Blick, tagsüber wird stundenlang am Computer gearbeitet, und abends werden die Augen auf TV- oder PC-Bildschirm gerichtet: Was heute vor allem für junge Leute zum Leben dazugehört, ist für die Sehorgane die reinste Tortur. Für den Wechsel zwischen dem Schweifen in die Ferne und dem Schauen in die Nähe geschaffen, bleiben die Augen in der modernen Welt viel zu lang auf den Nahbereich fixiert. Währenddessen werden die Lichtstrahlen immer direkt vor der Netzhaut gebündelt, und um die knappe Distanz zwischen Brennpunkt und Netzhaut auszugleichen, wächst der Augapfel in die Länge – mit dem Resultat der Kurzsichtigkeit.
„Viel Naharbeit begünstigt die Entstehung von Kurzsichtigkeit, und mit der Zunahme der Naharbeit in den Industrienationen ist in den vergangenen Jahrzehnten die Zahl der Kurzsichtigen gestiegen“, sagt Prim. Univ. Prof. Dr. Günther Grabner, Vorstand der Universitätsaugenklinik an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg. In manchen Ländern hat sich die Zahl der Betroffenen seit den 1960-er Jahren verdreifacht, heute ist auch hierzulande bereits jeder vierte Unter-30-Jährige kurzsichtig.
Meist beginnt es mit zehn Jahren
Gleich nach der Naharbeit der zweitgrößte Risikofaktor für Kurzsichtigkeit ist laut Grabner das Erbe: Sind beide Eltern kurzsichtig, werden ihre Kinder mit 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit ebenfalls früher oder später kurzsichtig sein. Grabner: „Meistens zeigt sich die Kurzsichtigkeit um das zehnte bis zwölfte oder um das 20. Lebensjahr, manchmal schon bei der Geburt, selten, aber doch erst um den 50. Geburtstag oder sogar noch später.“ Einige Jahre nach der beginnenden Verschlechterung des Sehvermögens bleibt das Ausmaß der Fehlsichtigkeit meist konstant. Rund 40 Prozent der Kurzsichtigen sind dann leicht kurzsichtig und haben bis zu minus drei Dioptrien. Für die Betroffenen bedeutet das, dass sie z. B. Titel von Büchern, die in einem Meter Entfernung liegen, nicht lesen können. Weitere 40 Prozent sind moderat kurzsichtig und haben bis zu minus sechs Dioptrien – was mit sich bringt, dass sie Texte sehr nah an das Gesicht halten müssen, um sie lesen zu können. Wenige Prozent sind mit mehr als minus sechs Dioptrien stark kurzsichtig – ohne Sehhilfen ist der Alltag für sie nur schwer bewältigbar.
Bei ersten Unschärfen zum Augenarzt
Die Augen zukneifen, damit die Schärfentiefe zunimmt und die Bilder schärfer gesehen werden, so versuchen die meisten Kurzsichtigen ihrem Leiden anfangs zu trotzen. Wenn auch das Kneifen und damit einhergehende Blinzeln der Kurzsichtigkeit ihren medizinischen Namen gab – Myopie ist griechisch und kommt von „myein“ für „blinzeln“ – das allein reicht freilich nicht. „Man sollte unbedingt so bald wie möglich zum Augenarzt“, sagt Grabner. Denn zum einen kann nur der Facharzt erkennen, ob eine Krankheit hinter der am weitaus meisten verbreiteten Form der Fehlsichtigkeit steckt (siehe unten: „Kurz mal kurzsichtig“), oder ob es sich doch um die klassische, nicht krankhafte Art von Kurzsichtigkeit handelt, die durch Gene begünstigt wird und/oder Folge von zu viel Naharbeit ist. Zum anderen ist der Augenarzt die beste Adresse für einen Sehtest, mit dem das Ausmaß der Fehlsichtigkeit bestimmt wird. Dieses wird in Dioptrien gemessen, dem Wert für die Brechung, den eine Linse haben muss, um die Fehlsichtigkeit ausgleichen zu können. „Ab wie vielen Dioptrien man etwas gegen die Kurzsichtigkeit unternehmen bzw. Sehhilfen tragen sollte, hängt davon ab, was die Person macht und welche Bedürfnisse sie hat“, sagt Grabner. Erfahrungsgemäß liegt die Grenze aber bei minus 0,75 bis minus einer Dioptrie. Bei Werten von minus vier Dioptrien und darüber ist, so der Experte weiter, eine Operation überlegenswert, bei jüngeren Menschen kann eine Korrektur ab einer Myopie von 0,5 Dioptrien sinnvoll sein.
Die Hilfen
- Brille
Bereits in der Antike wurde durch Kristalle geschaut, um damit die Brechung des Lichtes so zu verändern, dass Kurzsichtige auch Bilder in der Ferne scharf sehen konnten. Im 13. Jahrhundert wurde die Brille mit geschliffenen Gläsern erfunden, die nach demselben Prinzip wie die Kristalle für Weitblick sorgen. Die Nachteile der Brille liegen auf der Hand: Sie ist oft lästig und kann schmerzhafte Druckstellen bescheren.
- Kontaktlinsen
Die Idee für Kontaktlinsen stammt aus dem 17. Jahrhundert. 1946 wurden die ersten harten Kontaktlinsen entwickelt, 1961 die weichen. Sie funktionieren prinzipiell wie die Brille. Der Nachteil der Linsen: Sie sind oft mühsam zu positionieren und können nicht immer den ganzen Tag lang getragen werden, weil sie dann mitunter die Augen reizen, manchmal sogar zu Augenerkrankungen führen. Auch sind nicht alle Augen so geformt, dass sie linsentauglich sind. Mit zunehmendem Alter nimmt die Linsentauglichkeit sowieso bei jedem ab – denn dann sind die Augen trockener und durch Linsen rascher gereizt.
- Operation
Kontaktlinsen und Brillen korrigieren die Kurzsichtigkeit nicht dauerhaft, eine Operation hingegen in den allermeisten Fällen schon. Sie wird seit Mitte der 1990-er Jahre mit dem Laser durchgeführt, inzwischen sind die Methoden immer schonender geworden sowie nahezu schmerzlos und weitgehend risikoarm. Die modernste Methode besteht im Wesentlichen in der Verflachung bzw. der Bearbeitung der Hornhaut ausschließlich mit dem Laser. Ziel dabei ist, die Brechkraft zu reduzieren. Die Verwandlung von Kurzsichtigen in Normalsichtige findet meistens ambulant und unter lokaler Betäubung statt und dauert etwa eine Viertelstunde. Die Nachteile der Operation: Sie ist meist selbst zu finanzieren, die Kosten variieren. Außerdem ist das Risiko, im Alter eine Brille für das Sehen in die Nähe zu brauchen, nach dem Eingriff größer als davor. Denn so wie jeder Normalsichtige wird der ehemals Kurzsichtige dann auch alterssichtig. Der Trost: Auch dieser Fehler kann heutzutage durch den Einsatz von speziellen Implantaten operativ korrigiert werden.
Risiko für Augenerkrankungen groß
Egal für welche Hilfen sich Fehlsichtige entscheiden, eines sollte, so Grabner, für sie lebenslang einmal jährlich auf dem Programm stehen: eine Kontrolluntersuchung beim Augenarzt. Denn aufgrund der Verformung des Augapfels, die ja auch nach der Operation bestehen bleibt, ist das Risiko größer, bestimmte Augenerkrankungen zu bekommen. Dazu zählen etwa Netzhautablösungen, Glaskörpertrübungen, der Graue und Grüne Star. Je früher man diese Krankheiten erkennt, desto besser können sie behandelt werden: Mit einer Operation und entsprechenden Medikamenten. Medikamente gegen die Kurzsichtigkeit an sich wurden bislang im Übrigen auch schon erprobt, wann sie aber vor dem Verlust des Weitblicks bewahren werden, steht bislang in den Sternen.
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Gut für die Augen:
Fernblick und Tageslicht
Unter den Amazonas-Indiandern und Eskimos geht die Zahl der Kurzsichtigen gegen Null. Auch eine Studie, die mit zwei Gruppen von Kindern im Schuleintrittsalter gemacht wurde, zeigt eines deutlich: Die einzige Möglichkeit, Kurzsichtigkeit vorzubeugen, besteht darin, sich täglich möglichst lang im Freien aufzuhalten. Dabei tut nach Meinung von Forschern gleich zweierlei den Augen gut: Der Blick in die Ferne und das Tageslicht. Augentrainings verhindern Kurzsichtigkeit hingegen nicht und können auch ihr Fortschreiten nicht verzögern. Bei den Übungen lernt lediglich das Gehirn, die unscharfen Bilder besser wahrzunehmen.
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Kurz mal kurzsichtig:
Vorübergehend schlecht sehen
Kurzsichtigkeit kann auch eine vorübergehende Erscheinung sein. So fand man z. B. heraus, dass Normalsichtige nach stundenlanger Naharbeit am Computer oft eine Viertelstunde lang um bis zu eine Dioptrie schlechter in die Ferne sehen. Zu einer vorübergehenden Kurzsichtigkeit kann es auch in der Schwangerschaft kommen – Grund sind die Veränderungen im Hormonhaushalt.
Oft taucht Kurzsichtigkeit in Begleitung bestimmter Erkrankungen auf. Ist z. B. bei Diabetes der Blutzuckerspiegel aus dem Lot, sehen die Betroffenen schlecht in die Ferne, ist der Blutzuckerspiegel wieder reguliert, vergeht das Defizit. Genauso verhält es sich bei Grauem oder Grünem Star: Die damit oft einhergehende Kurzsichtigkeit verschwindet wieder, sobald die Operation vorbei ist.
Buchtipp:
Faschinger, Schmut, Brille – oder? Linsen, Laser & Co.
ISBN 978-3-902552-90-7, 176 Seiten, € 14,90
Verlagshaus der Ärzte 2011