30 Jahre lang war Gerald S. der Spielsucht verfallen, saß tage- und nächtelang an Automaten und am Pokertisch. Im Interview mit MEDIZIN populär erzählt der heute 48-Jährige, der von Beruf Vorarbeiter im Straßenbau ist, was er durch die Sucht verloren und wie er sich davon befreit hat.
Von Mag. Sabine Stehrer
MEDIZIN populär
Herr S., wie ist es dazu gekommen, dass Sie spielsüchtig wurden?
Gerald S.
Mit dem Spielen angefangen habe ich mit 14 Jahren. Damals habe ich in einer Gegend von Wien gelebt, wo es viele Automatencafés gibt, und irgendwann bin ich in so ein Café gegangen. Das Spielen an den Glücksspielautomaten hat mir gleich gefallen. Es hat mich fasziniert, wenn da zum Beispiel die Kirscherln dahergekommen und alle in einer Reihe stehen geblieben sind. Ich habe auch größere Beträge gewonnen, einmal mit einem Einsatz von 20 Schilling einen Tausender. So habe ich eine Liebe zu dem Spiel entwickelt, und einige Zeit später habe ich es schon nicht mehr ausgehalten, einmal länger nicht zu spielen.
Da haben Sie schon jeden Tag gespielt?
Jeden Tag nach der Arbeit. Und am Wochenende. Da habe ich mich oft am Samstagnachmittag hingesetzt und bis Sonntagfrüh durchgespielt. So mit 30 Jahren war ich dann so weit, dass ich am Abend nach der Arbeit losgelaufen bin, damit ich möglichst schnell ins Automatencasino oder zum Pokern komme. Mit 40 war ich ein regelrechtes Wrack. Da habe ich am Wochenende und im Urlaub die Tage und Nächte durchgespielt, dabei unendlich viel geraucht, viel Bier und dann wieder viel Kaffee getrunken, um munter zu bleiben. In dieser Zeit habe ich einmal in sieben Stunden 15.000 Euro verspielt, ein Wahnsinn!
Und das haben Sie sich leisten können?
Ich habe gut verdient, und auch immer wieder größere Summen gewonnen. Mein höchster Gewinn waren 100.000 Euro. Das Geld habe ich gleich wieder eingesetzt. Und wenn ich kein Geld mehr gehabt habe, habe ich immer wieder bei verschiedenen Banken Kredite aufgenommen, im Wert von bis zu 30.000 Euro. Das Geld habe ich dann auch wieder verspielt. Ich glaube, insgesamt habe ich in 30 Jahren drei Häuser und fünf Autos verspielt.
Wie hat Ihr Umfeld auf die Sucht reagiert?
Vor meiner ersten Frau und den Kindern habe ich die Sucht verheimlicht, vor meiner zweiten Frau auch. Ich hab’ halt gelogen und gesagt, ich muss arbeiten, wenn ich in Wahrheit zu den Automaten gegangen bin. Für die Frauen habe ich fast nie Zeit gehabt, die sind immer zu kurz gekommen. So ist die erste Ehe gescheitert, und die zweite auch. In der Arbeit hat auch niemand von meiner Sucht gewusst.
Wann haben Sie beschlossen, etwas gegen die Sucht zu unternehmen?
Irgendwann ist es finanziell so eng geworden, dass ich die Alimente nicht mehr bezahlen konnte. Als ich dann schon einige Zeit im Rückstand war, ist mein Lohn gepfändet worden. Und bei einer Lohnpfändung kriegt man auch bei den Banken keinen Kredit mehr. Da ist mir schlagartig bewusst geworden, wie ruinös das Spielen ist, und dass ich damit aufhören muss. Meine Schwester hat mir dazu geraten, in eine Selbsthilfegruppe zu gehen. Anschließend war ich ein Jahr in Einzel- und Gruppentherapie und habe eine Schuldenberatung bekommen.
Und jetzt spielen Sie nicht mehr?
Ich pokere hin und wieder im Internet, mache aber nur bei freien Turnieren mit oder setze Minimalbeträge. Das heißt, ich bin nicht gänzlich spielfrei, aber ich glaube, ich bin auf einem guten Weg dorthin. Und meine Finanzen habe ich auch einigermaßen im Griff. Ich weiß jetzt wieder, was zehn Euro wert sind.
Warum glauben Sie, dass Sie überhaupt so lang süchtig waren?
Das Spielen war für mich schon auch eine Flucht vor Problemen, vor allem vor Beziehungsproblemen. Oder auch vor Problemen mit mir selber, das weiß ich nicht so genau.
Was würden Sie anderen Spielsüchtigen raten?
Hilfe anzunehmen, dabei aber zu bedenken, dass man sich letztendlich nur selber helfen kann.