Rund um das 50. Lebensjahr läuten die Wechseljahre eine neue Lebensphase ein – und bringen oft gesundheitliche Probleme mit: Von Bluthochdruck bis zu Gelenkschmerzen, von erhöhten Cholesterinwerten bis zu trockenen Augen reicht die Palette der Beschwerden, die viele Frauen plötzlich plagen. Wie groß der Einfluss der Hormone dabei ist, wird bis heute unterschätzt.
Von Mag. Karin Kirschbichler
Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, das sind die allseits bekannten Beschwerden, die zwei Drittel der Frauen in den Wechseljahren mehr oder weniger stark zusetzen. Schließlich gerät im weiblichen Organismus einiges durcheinander, wenn die Eierstöcke sukzessive die Produktion der Geschlechtshormone einstellen und die fruchtbare Lebensphase zu Ende geht.
Weit weniger bekannt ist: So manche Frau, die vor der Menopause über niedrigen Blutdruck klagte, misst plötzlich viel zu hohe Werte; ein Cholesterinspiegel, der jahrzehntelang in Ordnung war, gerät im Klimakterium unvermutet aus den Fugen; nie gekannte Gelenkschmerzen machen auf einmal jeden Schritt zur Qual; und die Seele sinkt in eine tiefe Traurigkeit, obwohl ins Familien- und Berufsleben gerade jetzt eine vielleicht lang ersehnte Ruhe einkehrt.
Kritische Lebensmitte
Die Statistik wirft ein Schlaglicht auf die kritische gesundheitliche Situation der Frau in der Lebensmitte: „Ab 50 steigen die Verschreibungen von Blutdruck- und Lipidsenkern, Antirheumatika und Antidepressiva rapide an“, kennt Univ. Prof. DDr. Johannes Huber, Gynäkologe in Wien und Vorstandsmitglied der Österreichischen Menopausengesellschaft, die Fakten. Woran das liegt? „Bis heute wird unterschätzt, dass es im großen hormonellen Konzert der Frau etwas gibt, das für Bluthochdruck, erhöhte Cholesterinspiegel, psychische Probleme, Gelenkschmerzen und anderes mehr verantwortlich ist“, kritisiert der Hormonexperte. Dabei zeigen jüngere Erkenntnisse der Gynäkologie deutlich: „Die Geschlechtshormone dienen nicht nur der Fortpflanzung, sondern tragen wesentlich zur verbesserten Gesundheit und Befindlichkeit der Frau bei.“ Wird die Produktion von Östrogenen, Progesteronen, Androgenen in den Wechseljahren heruntergefahren, so kann gleichsam auch die weibliche Gesundheit vor einem Wechsel stehen.
- Blutgefäße, Cholesterinspiegel
Der ganz besondere Schutz der Hormone, der dem Körper der Frau in der Zeit der Geschlechtsreife zuteilwird, zeigt sich etwa beim Blutdruck: „Das Östrogen erweitert die Blutgefäße und hält so den Blutdruck niedrig“, erläutert Huber. Sinn und Zweck dieser „Weitstellung“ der Gefäße ist, die Gebärmutter und mit ihr den heranwachsenden Embryo optimal mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. „Von dieser von der Natur für die Gebärmutter gedachten Schutzmaßnahme profitieren auch alle übrigen Gefäße des weiblichen Körpers“, so Huber.
Die Gefäße schützt das Östrogen auch, indem es den (LDL-)Cholesterinspiegel auf natürliche Weise senkt. Mit diesem Trick der Natur soll sichergestellt werden, dass im Rahmen einer Schwangerschaft ausreichend Cholesterin für das Ungeborene zur Verfügung steht; schließlich ist die Substanz wesentlich am Aufbau der Zellen beteiligt.
Fällt der Östrogenspiegel in den Wechseljahren ab, steht die Frau nicht mehr unter dem besonderen Schutz dieses Hormons. Nicht selten treten dann Bluthochdruck und erhöhte Cholesterinwerte auf, obwohl weder die Ernährung noch andere Gewohnheiten verändert wurden. Damit steigt das Risiko für Gefäßverkalkungen (Arteriosklerose), Schlaganfall und Herzinfarkt: „Frauen, die vor ihrer Menopause, also während der rund drei bis vier Jahrzehnte ihrer Fruchtbarkeit, einen Herzinfarkt erleiden, sind – verglichen mit gleichaltrigen Männern – ausgesprochen selten“, zitiert Huber weitere Fakten aus der Statistik.
- Gelenke, Knochen
Der Fortpflanzung nützt es auch, dass das Östrogen den weiblichen Körper vor autoaggressiven Tendenzen bewahrt: Durch seine antientzündliche Wirkung sorgt es dafür, dass der Embryo in der Gebärmutter bleiben kann und nicht als Fremdkörper abgestoßen wird. Der Östrogenmangel in den Wechseljahren wiederum kann Reaktionen hervorrufen, die sich auch gegen eigene Gewebsteile – etwa gegen Knorpel und Gelenkskapseln – richten: „Von Gelenkschmerzen sind viele Frauen in dieser Lebensphase betroffen. Vor ihnen liegt leider oft ein langer Leidensweg, weil die hormonellen Zusammenhänge ihrer Beschwerden vielfach nicht berücksichtigt werden“, plädiert Huber für eine fächerübergreifende Sichtweise in der Medizin.
Mit der abnehmenden Produktion von Östrogen, aber auch von Androgen in den Eierstöcken geht es auch den Knochen an die Substanz. Sinken die Hormonspiegel, steigt die Freisetzung von Kalzium aus den Knochen. Damit geht ein wichtiges Mineral verloren, das Risiko für Osteoporose steigt. „Vor allem in den ersten fünf Jahren nach der letzten Regelblutung verlieren Frauen massiv an Knochensubstanz“, verdeutlicht Huber das Problem.
- Auge, Scheide, Blase
Ebenfalls im Dienst der Fortpflanzung sorgt das Zusammenspiel der Eierstockhormone für ein feuchtes Klima in der Vagina. Auch dieses Geschenk von Mutter Natur kommt dem ganzen Körper der Frau zugute, und so stellt sich mit dem Absinken der Hormonspiegel von Kopf bis Fuß Trockenheit ein: Haut und Schleimhäute nicht nur in der Scheide werden in Mitleidenschaft gezogen. Dass sie gleichzeitig dünner werden, macht sie auch durchlässiger für Krankheitserreger. Entsprechend haben z. B. Harnwegsinfekte rund um die Wechseljahre Hochsaison, genauso wie das Trockene Auge (Sicca-Syndrom), an dem besonders viele Frauen im fünften Lebensjahrzehnt leiden. Nicht zuletzt haben die hormonellen Veränderungen auch einen Anteil an Gewebe- und Muskelschwächen, die z. B. dazu führen, dass der Beckenboden an Kraft verliert. Gebärmuttersenkung bis hin zu Blasenschwäche (Inkontinenz) sind mögliche Folgen.
- Gehirn, Psyche
Die Natur hat aber nicht nur an die optimalen körperlichen Voraussetzungen für Schwangerschaft und Geburt gedacht. Unter dem Einfluss der Eierstockhormone werden auch der Geist auf die Höchstleistungen der Fortpflanzung vorbereitet und die Seele dafür in Stimmung gebracht. So sind die Östrogene auch an zahlreichen Hirnfunktionen beteiligt. Sie setzen unter anderem Substanzen frei, die das Gedächtnis verbessern. „Entsprechend klagen viele Frauen mit dem abfallenden Östrogenspiegel in den Wechseljahren über Vergesslichkeit“, weiß Huber.
Mit dem sinkenden Progesteronspiegel wiederum steigt das Risiko für depressive Verstimmungen bzw. Depressionen. „Das Progesteron ist ein Psychopharmakon, das sich der weibliche Körper selbst bildet. Wie groß sein Einfluss ist, sieht man bei vielen Frauen nach der Geburt oder vor der Regel: Wenn die Progesteronausschüttung zu schnell nachlässt, wird nicht selten die Stimmung gleichsam mit in die Tiefe gerissen“, erklärt Huber. Drosseln die Eierstöcke in der Menopause die Produktion von Progesteron, so verliert die Frau ihren körpereigenen Stimmungsaufheller.
„Depressionen können natürlich viele Ursachen haben, die es im Einzelfall zu erheben gilt. Treten sie aber in den Wechseljahren auf, sollten sie auch mit den hormonellen Veränderungen in Zusammenhang gebracht werden“, sagt Huber und kritisiert: „Frauen in der Lebensmitte in inflationärer Weise Antidepressiva zu verschreiben, halte ich für problematisch.“
Kein Alkohol, mehr Sport
„Bei sämtlichen Schutzfunktionen der Geschlechtshormone schwebt der Natur ein einziges Ziel vor: Die Fortpflanzung der Spezies Mensch muss gewährleistet werden“, fasst Huber zusammen. Fällt der Schutz der Eierstockhormone im Lauf der Wechseljahre weg, muss sich die Frau das, was vorher ein Geschenk der Natur war, selbst „erarbeiten“: einen gesunden Blutdruck etwa, starke Knochen oder eine schlanke Silhouette. Obwohl sie weder Ernährungs- noch Bewegungsgewohnheiten verändern, nehmen viele Frauen im Klimakterium deutlich zu. Gerade in dieser Zeit können kleine Sünden große Auswirkungen haben: „Das betrifft insbesondere den Alkohol“, betont Huber. „Aufgrund der hormonellen Gegebenheiten in der Menopause wird jeder Tropfen Alkohol, und ich meine wirklich: jeder Tropfen, in Fett umgewandelt. Frauen, die zu Übergewicht neigen, können durch absoluten Alkoholverzicht in den Wechseljahren viel für ihre Figur tun.“Aber auch andere Lebensstilmaßnahmen gewinnen in der Zeit des hormonellen Umbruchs an Bedeutung. So lässt sich mit Sport auch der Hormonspiegel positiv beeinflussen. Und Umstellungen der Ernährung genügen oft, um etwa einen erhöhten Cholesterinspiegel in den Griff zu bekommen.
(Pflanzlicher) Hormonersatz
Reichen Veränderungen des Lebensstils allein nicht aus, können pflanzliche Hormone helfen. „Bei leichten bis mittelstarken Beschwerden kann man es damit versuchen“, empfiehlt Huber. Ob Rotklee, Mönchspfeffer, Yamswurzel oder Traubensilberkerze: Mit pflanzlichen Mitteln lässt sich etwa Östrogenmangel bis zu einem gewissen Grad ausgleichen. Bei starken Beschwerden raten Experten wie Huber aber zur Hormonersatztherapie (HRT). „Die Gefahren, die bis heute damit verbunden werden, wie ein erhöhtes Brustkrebs- oder Infarktrisiko, lassen sich ausschalten, wenn man die HRT richtig einsetzt“, versichert Huber und präzisiert: „Wir wissen mittlerweile, dass es nicht nur auf die richtige Hormonwahl und -dosierung ankommt, sondern vor allem auf den richtigen Zeitpunkt der Gabe. Und das ist so früh wie möglich nach der Menopause, also in den ersten fünf Jahren nach der letzten Regelblutung. Beginnt man die HRT später, dann kann sie mehr schaden als nützen. Darum gehört diese Therapie in kundige ärztliche Hände, wie ja etwa auch die Gabe des Hormons Insulin bei Diabetikern. Auch da riskiert man bekanntlich bei falscher Anwendung Nebenwirkungen.“ Östrogene, Progesterone, Androgene wiederum können in vielen Fällen bereits bei lokaler Anwendung hilfreich sein, indem sie als Salben oder Zäpfchen dort zugeführt werden, wo sich der Mangel in Beschwerden äußert (siehe unten). Im richtigen Zeitfenster könne die Hormonersatztherapie letztlich auch vorbeugend eingesetzt werden, etwa um krankhaften Knochenschwund und folgenschwere Gefäßverkalkungen zu verhindern. „Schließlich werden“, wie Huber betont, „in den Wechseljahren die Weichen gestellt für die Gesundheit danach. Wenn eine Frau aber keine Beschwerden hat, glücklich und zufrieden ist, dann wird man ihr keine Hormone geben. Der eigene Körper ist der beste Indikator, er weiß genau, was er braucht.“
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Welches Hormon fehlt?
So kann sich Mangel bemerkbar machen
Nicht jede Frau bekommt mit dem Absinken der Progesteron-, Östrogen- und Androgenspiegel in den Wechseljahren gesundheitliche Probleme. Wenn allerdings bestimmte Leiden just im Klimakterium auftreten, sollte man auch an mögliche hormonelle Ursachen denken, appelliert der Hormonexperte Univ. Prof. DDr. Johannes Huber und zeigt auf, welcher Mangel welche Beschwerden verursachen kann:
Progesteronmangel
depressive Verstimmungen, Wasserstau im Gewebe, Gewichtsprobleme, Venenschmerzen, Inkontinenz, Beckenbodenschwäche.
Östrogenmangel
hoher Cholesterinspiegel, labile Hypertonie (plötzlicher extremer Anstieg des Blutdrucks, der sich nach wenigen Stunden wieder normalisiert), Herzstolpern, Gelenkschmerzen, trockene Augen, trockene Schleimhäute (z. B. Scheidentrockenheit), Blasenprobleme.
Androgenmangel
Gewichtsprobleme, chronische Müdigkeit, Libidoverlust, Gewebeschwäche (Cellulite).
Stand 03/2014