Sie sind die größten und waren schon zu Urzeiten die am meisten belasteten Gelenke des Menschen. Doch die Hauptsünden des aktuellen Lebensstils – Übergewicht und Bewegungsmangel – gehen den Knie-, Hüft- und Schultergelenken erst recht an die Substanz. Inzwischen bereiten die sechs Knackpunkte des Körpers fast jedem irgendwann einmal Beschwerden, vielen machen die Schmerzen das Leben zur ständigen Qual. Für MEDIZIN populär zeigen Experten auf, was unseren anfälligsten Gelenken zu schaffen macht, und wie man sie schützen und stärken kann.
Von Mag. Sabine Stehrer
360 Gelenke finden sich im Körper, die meisten in der Wirbelsäule, die kleinsten in den Ohren, die größten in den Knien, Hüften und Schultern. Gelenke heißen sie, weil sie unsere Knochen lenken und wie etwa die Knie-, Hüft- und Schultergelenke das Bewegen von Armen und Beinen ermöglichen. Die sechs Steuerelemente unserer Extremitäten sind aber nicht nur größer als alle anderen Gelenke des Skeletts, sie sind auch für weitere Superlative gut: Wir belasten sie am meisten, weshalb sie die anfälligsten von allen Gelenken sind. Bei fast jedem werden irgendwann im Lauf des Lebens die Knie-, Hüft- oder Schultergelenke zu Problemstellen, nahezu alle haben früher oder später mit mehr oder weniger ausgeprägten Schmerzen zu kämpfen. Was unseren größten Gelenken so zu schaffen macht?
Knie: Faustgrosse Schwerstarbeiter
Die Kniegelenke arbeiten nicht nur schwer, sondern auch viel: „Gehen, Stehen, Sitzen und andere Bewegungen werden hauptsächlich durch die Knie ermöglicht“, gibt Dr. Thomas Hofstädter von der Universitätsklinik für Orthopädie an den Salzburger Landeskliniken einen Einblick in die lange Aufgabenliste. Dabei werden die allergrößten, etwa faustgroßen, Gelenke unseres Körpers meist stärker als alle übrigen Gelenke belastet: So haben sie auf Schritt und Tritt in der Ebene wechselweise unser gesamtes Körpergewicht zu tragen. Und gleich auf ein Vielfaches dessen, was wir wiegen, erhöht sich die Belastung, wenn wir eine Stiege hinaufsteigen oder einen Berg hinuntergehen. „Am allermeisten, nämlich 17 bis 24 Mal so viel wie das Körpergewicht, haben die Knie abzufedern, wenn wir nach einem Sprung nach unten auf dem Boden landen“, weiß Hofstädter.
Dass die Kniegelenke in der Zeit grassierenden Übergewichts umso mehr Kilos zu schleppen haben, macht sie umso anfälliger. Doch nicht nur wegen der vergleichsweise sehr hohen Belastungen kommt es zu Problemen, sondern auch wegen der eingeschränkten Beweglichkeit des Kniegelenks: Das verbindende Element zwischen Oberschenkel, Kniescheibe und Schienbein lässt wie andere Scharniergelenke des Körpers nur Bewegungen in einer Ebene und leichte Drehbewegungen zu. Und das fordert Bänder, Sehnen, den Meniskus sowie andere Bestandteile des Gelenksknorpels ganz besonders.
Ungesunde Belastungen
Die hohen Anforderungen, die an die Kniegelenke gestellt werden, machen sie zudem sehr verletzungsanfällig. „Vor allem bei sogenannten Stop-and-go-Sportarten wie Tennis, Squash oder Badminton kommt es oft zu Rissen des Meniskus oder der Kreuzbänder und in weiterer Folge zu Knorpelschäden“, weiß Facharzt Hofstädter. Gift für Bänder und Knorpel sind zudem ungünstige Drehbewegungen, wie sie beispielsweise beim Skifahren, Fußballspielen oder beim Ausrutschen etwa auf Glatteis passieren können.
Reißt ein, was die Kniegelenke zusammenhält, ist das nicht nur schmerzhaft. Oft werden die Gelenke dadurch auch instabil und greifen nicht mehr wie vorgesehen ineinander. „So kann es dazu kommen, dass Knochenflächen aufeinander reiben und sich entzünden. Solche Entzündungen bilden wiederum die Basis für eine Arthrose“, warnt Thomas Hofstädter vor möglichen Folgen. Auch wenn die Schmerzen, die bei Drehbewegungen, Sprüngen oder Ausrutschern aufgetreten sind, nach einiger Zeit wieder nachlassen, sollte man daher die Knie untersuchen und gegebenenfalls behandeln lassen, um die Gefahr von frühzeitigem Gelenksverschleiß zu minimieren.
Erkrankungen mit Folgen
Rheuma und Gicht können den Knien ebenfalls gehörig zu schaffen machen, weiß Hofstädter. Denn sowohl die Systemerkrankung Rheuma als auch die Stoffwechselerkrankung Gicht führen zu Entzündungen in den Gelenken: „Dadurch kommt es entweder zu Verdickungen von Gelenksbestandteilen oder zum Abbau von Knochenmasse.“ Beides ist Gift für die Knie, denn dadurch wird verfrüht ein Prozess in Gang gesetzt, der sonst erst mit dem Alter beginnt: Das Gelenk gerät aus den Fugen, Knochen reiben aneinander, Arthrose entsteht, und irgendwann tut fast jede Bewegung weh.
Problem X- und O-Beine
Den Knien zu schaffen machen oft bereits von Geburt an auch Fehlstellungen wie X- und O-Beine: „Wenn diese beiden Achsenfehlstellungen bestehen, werden die Gelenke falsch belastet“, erklärt Hofstädter. Wachsen sie sich bis zur Pubertät nicht aus, sollte man handeln, appelliert der Mediziner. Denn die fortdauernde Fehlbelastung ist insofern Gift für die Knie, als sie zu frühzeitiger Arthrose führt.
X- und O-Beine geradezustellen, gelingt bei Kindern sehr gut mit einer einfachen Operation, weiß Thomas Hofstädter: „Dabei werden in die Wachstumsfugen der Knie Metallplättchen eingesetzt.“ Die Plättchen stoppen das Knochenwachstum auf einer Seite und bleiben so lange im Knie, bis die Beinachsen wieder gerade sind. Auch im Erwachsenenalter können X- und O-Beine noch behoben werden. Dann allerdings nur mehr durch eine aufwändigere Umstellungsoperation.
Hüften: Sensible Kraftpakete
Aufrecht gehen und stehen, sich setzen und wieder aufstehen: Ohne Hüftgelenke wäre all das nicht möglich. Freilich erledigen die Hüften diese und andere Aufgaben im Zusammenspiel mit weiteren Gelenken, doch ähnlich wie auf den Knien lastet auch auf den Hüften bei vielen Bewegungen wesentlich mehr Gewicht als auf den anderen Verbindungselementen zwischen den Knochen unseres Körpers. Entsprechend sind auch die Hüftgelenke am meisten belastet, wenn wir bergab gehen oder etwa von einem Sessel hinunter springen. Und so wie die Knie werden auch die Hüften bei Übergewicht umso stärker strapaziert.
Für Probleme anfällig machen die Hüfte aber nicht nur derartige Belastungen, sondern auch ihre Beweglichkeit: „Da die Hüfte dort, wo der Oberschenkelknochen mit dem Hüftkopf in die Hüftgelenkspfanne mündet, ein Kugelgelenk ist, können wir damit den Oberschenkelknochen in nahezu allen Ebenen bewegen“, veranschaulicht Thomas Hofstädter. Und dabei kann einiges passieren.
Tückische Scherkräfte
Die zweitgrößten Gelenke des Körpers sind für Verletzungen besonders anfällig: „Vor allem bei Sportarten, die mit sich bringen, dass große Scherkräfte auf das Gelenk ausgeübt werden“, verdeutlicht Experte Thomas Hofstädter. „Dazu zählen zum Beispiel Skifahren, Eislaufen und Fußball.“ Doch auch Stop-and-go-Sportarten wie Tennis und verschiedene andere Ballsportarten können die Hüftgelenke schon in jüngeren Jahren schädigen. „Durch die Belastung des Oberschenkelhalses können Knochen aufgebaut werden“, so Hofstädter. Einklemmungen oder Einrisse der Hüft- und Gelenkslippe, eines knorpelartigen Verstärkungsrings, sind dann oft die Folge. Diese sind zwar schmerzhaft, können aber durch eine Operation behoben werden, bei der das Überbein abgetragen wird. Unbehandelt führen sie zu frühzeitiger Arthrose.
Angeborene Fehlstellung
Hüftprobleme kann es auch schon von Geburt an geben. Aufgrund einer speziellen Reifungsstörung des Embryos oder auch einer ungünstigen Lage im Mutterleib können Säuglinge mit fehlentwickelten Hüften, sogenannten Hüftdysplasien, auf die Welt kommen. „Dabei ist die Hüftgelenkspfanne nicht richtig ausgeformt“, erklärt Hofstädter, warum diese Fehlentwicklung schlecht fürs Gelenk ist. Um Betroffene vor späteren Schäden an der Hüfte bzw. programmierten frühzeitigen Hüftgelenksarthrosen zu bewahren, reicht aber eine relativ einfache Maßnahme: „Man zieht dem Säugling eine Spreizhose oder Bandage über, wodurch die Oberschenkel abgespreizt werden.“ Dies und das Wachstum bringen mit sich, dass sich die Form der Hüften oft schon nach einigen Wochen normalisiert. „Spätere Beeinträchtigungen sind kaum mehr zu befürchten“, erklärt Orthopäde Hofstädter. „Kommt es im Erwachsenenalter dennoch zu Problemen und Schmerzen, lassen sich diese durch eine Operation bekämpfen, bei der das Becken umgestellt wird.“ So kann auch dann noch eine frühzeitige Arthrose verhindert werden.
Leiden, die ans Gelenk gehen
So wie dem Knie können auch dem Hüftgelenk Grunderkrankungen zusetzen und für Schmerzen sorgen. Oft machen Rheuma, Gicht und der Knochenschwund Osteoporose die Hüften zu Problemstellen. Auch können sich Bakterien in den Hüften festsetzen und zu Infektionen führen, was genauso Gift für die Hüften ist wie die Eisenspeichererkrankung Hämochromatose. „Alle diese Erkrankungen führen meist zur frühzeitigen Hüftgelenksabnützung und machen die Implantation einer künstlichen Hüfte notwendig“, erklärt Thomas Hofstädter.
Im Frühstadium noch gut mit Infusionen behandelbar ist hingegen das sogenannte Knochenmarködemsyndrom. Dabei kommt es aufgrund verschiedener Ursachen, vor allem bedingt durch langjährigen überhöhten Alkoholkonsum oder längere Einnahme von Cortison, zu Wasseransammlungen im Hüftkopf. Orthopäde Hofstädter: „Das ist schmerzhaft und führt unbehandelt zum Absterben des Hüftkopfs, was einen künstlichen Gelenksersatz erforderlich macht.“
Schultern: Heikle Bewegungskünstler
Es ist ein Kugelgelenk mit besonders komplexem Aufbau und damit das beweglichste Gelenk des Körpers: „Wir können damit die Arme in alle Richtungen bewegen und darüber hinaus Dinge damit heben“, beschreibt Dr. Gundobert Korn von der Universitätsklinik für Orthopädie an den Salzburger Landeskliniken die wichtigsten Aufgaben des Schultergelenks. Beim Heben werden die drittgrößten Gelenke unseres Körpers besonders stark belastet – am stärksten, wenn wir etwas aufheben und den Arm auf Schulterhöhe seitwärts ausstrecken. „Die meisten Menschen schaffen es in dieser Position nur wenige Minuten, ein Gewicht zwischen fünf und zehn Kilo zu halten“, weiß Korn ebenso wie jeder, der das schon probiert hat. Insgesamt allerdings werden die Schultergelenke nicht so stark belastet wie Knie- und Hüftgelenke, weniger anfällig für Probleme sind sie deswegen nicht.
Schädliches Über-Kopf-Arbeiten
„Gift für die Schulter sind vor allem häufige, lang andauernde starke Belastungen, wie sie fast immer nur beruflich nötig sind“, erklärt Gundobert Korn. Besonders stark wird das Schultergelenk von Menschen in Berufen beansprucht, in denen viele Über-Kopf-Arbeiten zu erledigen sind. So haben etwa Maler, Maurer, Dachdecker und KFZ-Mechaniker häufig frühzeitige, schmerzhafte Verschleißerscheinungen an den Schultergelenken: „Durch die Belastungen bei der Arbeit kommt es oft zu Schäden an Bändern, Sehnen und am Knorpel, die wiederum dazu führen können, dass Gelenksknochen aneinander reiben und sich entzünden.“ So beginnt die frühzeitige Gelenksabnützung (Arthrose).
Gefährliche Stürze
Wie verletzungsanfällig die Bewegungskünstler unter den Gelenken sind, wissen vor allem Mountainbiker, Skifahrer und Snowboarder, denn: „Besonders häufig kommt es bei Stürzen zu Verletzungen der Schultergelenke“, warnt Orthopäde Korn. Das Missgeschick hat oftmals einen Bruch oder eine Ausrenkung zur Folge – beides ist gleichermaßen Gift für die Gelenke. Beim Ausrenken springt der Oberarmknochen aus der Schulterpfanne, was oftmals zu Zerrungen und Rissen der Muskeln, Kapsel und Bänder führt. Ob Ausrenkung oder Bruch: Bis das Gelenk wieder gesund ist, vergeht oft nicht nur viel Zeit – manchmal kommt es dadurch auch zu bleibenden Schäden.
Frühzeitiger, meistens genetisch bedingter Knochenschwund, die Osteoporose, ist ebenfalls Gift für die Gesundheit der Schultern. Korn: „Wer von Osteoporose betroffen ist und stürzt, bricht sich besonders leicht die Schulter.“
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Was Knie, Hüfte, Schulter schützt und stärkt
In Bewegung bleiben
Gelenke, die nicht benützt werden, rosten regelrecht ein. Nur durch körperliche Aktivität werden die knochenschützenden Knorpel, Sehnen und Bänder gut mit Wasser und wichtigen Nährstoffen versorgt und bleiben elastisch und gesund. Dadurch sinkt die Gefahr für Entzündungen und Risse, sodass die Gelenke vor Schäden geschützt sind. Besonders gut für Knie und Hüften: Radfahren und Nordic Walking. Das flotte Gehen mit den Stöcken ist so wie das Schwimmen auch Balsam für die Schultern.
Die Muskeln kräftigen
Kräftige Muskeln stützen die Gelenke und schützen sie vor den schädlichen Folgen großer Belastungen. Aber Achtung: Sportanfänger sollten sich die richtige Ausführung der Übungen von einem Trainer zeigen lassen, denn beim Hantieren mit Gewichten oder bei Übungen mit dem eigenen Körpergewicht kann man viel falsch machen und sich schlimmstenfalls Verletzungen von Schultern, Hüften oder Knien einhandeln.
Vorsicht walten lassen
Bei Sportarten wie Tennis, Skifahren oder Fußball, die die Gelenke besonders belasten, vorsichtig sein. Auch hierfür gilt: Sich besser nicht aus einer Laune heraus als Torschützenkönig versuchen oder als Neuling ohne Unterricht auf die Skipiste oder den Tennisplatz gehen. Wer ein paar Trainingsstunden nimmt, kann durch das Erlernen der richtigen Technik eher Fehlbelastungen vermeiden, die zu schmerzhaften Gelenksschäden führen können.
Verletzungen gut auskurieren
Beim Fehltritt in den Bergen ist ein stechender Schmerz ins Knie gefahren, aber bald wieder verschwunden? Nach dem Sturz auf dem Gehsteig hat noch den halben Tag lang die Hüfte wehgetan? Der große Wurf beim Basketballmatch hat die Schulter schmerzen lassen, aber schon bei der Siegesfeier war nichts mehr davon zu spüren? Auch wenn Schmerzen in den Gelenken nach einiger Zeit nachlassen, sollte man zum Arzt gehen und sich untersuchen lassen. Eine Behandlung kann nötig sein, um späteren Gelenksschäden vorzubeugen.
Das Gewicht im Auge behalten
Wie sehr Übergewicht auf den Gelenken lastet, vor allem auf den Knien und Hüften, lässt sich bei jedem Großeinkauf, den man zu Fuß heimschleppt, gut nachvollziehen: Mit vollgefüllten Einkaufstaschen in den Händen fallen die Schritte deutlich schwerer, und das Treppensteigen strengt so richtig an. Was das Gewicht der Einkäufe bewirkt, zieht auch Übergewicht nach sich: Zu viele Kilos auf den Rippen belasten die Gelenke stark. Betroffene sollten daher Normalgewicht anstreben, Normalgewichtige das Gewicht (im Auge be-) halten.
Fehlhaltungen vermeiden
Wer permanent mit rundem Rücken am Schreibtisch sitzt, beruflich viel und womöglich in gekrümmter Haltung steht, wer oft schwer heben muss und immer wieder einmal vergisst, dafür korrekt in die Knie zu gehen, riskiert, sich allein aufgrund dieser Fehlhaltungen früher oder später Gelenksschäden einzuhandeln. Schließlich sind die Verbindungselemente zwischen unseren Knochen nicht für falsche Belastungen gebaut.
Knochengesund leben
Übermäßigen Alkoholkonsum und Rauchen sollte man auch den Gelenke zuliebe bleiben lassen, denn beides erhöht sehr deutlich das Risiko für frühzeitigen Knochenschwund (Osteoporose). Wie alle Knochen des Körpers sind bei Osteoporose auch die Gelenke besonders gefährdet, bei einem Sturz zu brechen.
Buchtipp:
Dorotka
Gesunde Gelenke. Hilfe bei Knorpelschäden & Arthrosen
ISBN 978-3-902552-87-7
124 Seiten, € 14,90
Verlagshaus der Ärzte
Stand 02/2015