Von Mag. Alexandra Wimmer & Mag. Karin Kirschbichler
Regelmäßiger Sport, richtige Ernährung, ausreichend Schlaf: Der Treibstoff, den der Körper für ein starkes Immunsystem braucht, ist der Wissenschaft längst bekannt. Indessen zeigen immer mehr Studien, wie wichtig die seelische Befindlichkeit für robuste Abwehrkräfte ist. Neu im Visier der Forschung ist die Haltung, die wir gegenüber Gott und der Welt haben. Die Fähigkeit, sich vertrauensvoll auf das Leben einzulassen, gilt dabei als wesentlicher gemeinsamer Nenner für verschiedene gesundheitsfördernde Einstellungen, die Experten unter dem Begriff „eudaimonisches Wohlbefinden“ zusammenfassen. MEDIZIN populär hat daraus sieben Wohlfühl-Gebote abgeleitet, mit deren Hilfe das Immunsystem widerstandsfähig werden kann. Wie das funktioniert, erläutert Univ. Prof. DDr. Christian Schubert, der sich als Psychoneuroimmunologe intensiv mit den Zusammenhängen zwischen Psyche und Immunabwehr beschäftigt, anhand konkreter Beispiele:
1. Du sollst gute Beziehungen pflegen!
Bei der kleinen Feier für ihre Lieben ist Claudia ganz in ihrem Element. Kaum etwas beschwingt die knapp 50-Jährige so sehr, wie in Kontakt mit den für sie wichtigsten Menschen – Familie, Freunden, Arbeitskollegen – zu sein. Mit den Gesten der Freundschaft tut sie auch sich selbst viel Gutes: Positive soziale Kontakte gelten als regelrechtes Lebenselixier; das konnte man etwa am Beispiel älterer Menschen zeigen. „Bei jenen, die in soziale Beziehungen eingebettet sind, konnte man eine Verringerung an Interleukin 6 im Plasma feststellen, das ist ein Zytokin, also ein bestimmtes Eiweiß, das mit Entzündungsaktivität verbunden ist“, erklärt Christian Schubert, der das Labor für Psychoneuroimmunologie an der Universitätsklinik für Medizinische Psychologie in Innsbruck leitet. Im Vorteil sind jene, die positive soziale Kontakte „als einen wesentlichen Aspekt des Seins sehen“, beschreibt es der Experte. „Sie genießen es, mit anderen Menschen emotional warme, vertrauensvolle Beziehungen zu pflegen.“ Diese Menschen sind fähig, sich mitfühlend in andere hineinzuversetzen. „Und es liegt ihnen auf gesunde Weise daran, dass es auch den anderen gut geht“, ergänzt Schubert.
2. Du sollst deinen Alltag im Griff haben!
Daniel ist das Paradebeispiel eines „Lebenskünstlers“: Dem erfolgreichen Musiker gelingt es fast spielerisch, die vielen Anforderungen des Alltags auszutarieren – Arbeit, Zeit für sich, seine Familie und die betagte Mutter. „Ich habe gelernt, keine überhöhten Ansprüche an mich und andere zu stellen und mich nicht mit Unwichtigem zu verzetteln“, verrät er sein Geheimnis – und damit ein weiteres Wohlfühl-Gebot für robuste Abwehrkräfte: „Es geht dabei darum, Anforderungen der Umwelt in kompetenter Weise zu begegnen und nicht in ein Gefühl der Überforderung zu geraten“, sagt Experte Schubert.
Natürlich wird jeder hin und wieder in eine schwierige Situation geraten, aber wer Gebot Nummer zwei beherzigt, ist eher davor gefeit: Der musische Typ mit Höhenangst etwa sucht sich seinen Freundeskreis dann nicht unter Bungee-Jumpern. „Man hat die Fähigkeit, sich Bedingungen zu wählen oder zu schaffen, in denen man sich gut zurechtfindet“, betont Schubert. Eine Fähigkeit, die nicht nur das Selbstbewusstsein, sondern auch das Wohlbefinden – und damit die Gesundheit stärkt.
3. Du sollst nach einem Sinn suchen!
Es war eine schwierige Zeit, nachdem die 65jährige Sonja ihre Arbeit als Köchin in einem Landgasthaus quittieren und in Pension gehen musste; nach einer Sinnkrise fand sie schließlich ein neues Betätigungsfeld: Heute gibt sie bei sich zuhause im kleinen Rahmen Kochkurse und zieht die frischen Zutaten für die köstlichen Gerichte selbst. Ob es sich um ein Hobby handelt, einen erfüllenden Beruf, bereichernde Freundschaften, ein glückliches Familienleben: Was immer unserem Leben Sinn gibt, stärkt Psyche, Geist und Körper.
Eine zentrale Rolle nimmt dabei Spiritualität ein – „jeder von uns ist spirituell“, sagt Christian Schubert. Dabei ist Spiritualität bzw. der Glaube an etwas Höheres für jeden etwas anderes: Gott, die Kraft der Natur, der Liebe, Musik. Längst nicht immer geht es um die Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft, obwohl Gläubige ganz besonders zu profitieren scheinen: „Studien zufolge leben Menschen, die regelmäßig in die Kirche gehen, um beinahe 30 Prozent länger“, berichtet der Mediziner aus der Forschung.
4. Du sollst selbst über dein Leben bestimmen!
Obwohl er genau weiß, dass seine Kolleginnen und Kollegen, die sich für ihn stark gemacht haben, das nicht goutieren, entscheidet Martin sich dagegen, Geschäftsführer im Architekturbüro zu werden. Immer schon hat er gern als Architekt gearbeitet, die neue Position wäre ihm dabei nur hinderlich. „Selbstbestimmtheit bedeutet, den roten Faden, der sich im eigenen Leben entwickelt, beizubehalten und sich nicht dem Druck anderer zu beugen“, verdeutlicht Schubert. Zu wissen, was einem wichtig ist und entsprechend zu handeln, hat nichts mit Egoismus zu tun, wenngleich jene, die sich selbst treu sind, mitunter selbstbezogen auftreten können. „Es geht vor allem darum, das Denken und Handeln von innen heraus bestimmen zu lassen und sich nicht durch andere vom Weg abbringen zu lassen“, erläutert der Experte. Dank dieser Einstellung empfindet man sogar in Anbetracht von Konflikten „eine gewisse Ruhe und Stabilität“, so Schubert. „Man weiß: Das, was ich denke und fühle, ist gut“ und fördert damit ganz nebenbei die Gesundheit.
5. Du sollst dich selbst wertschätzen!
Klaus, Juniorchef eines Softwareunternehmens, wusste schon als Bub, dass er seine Programmiertalente einmal beruflich nutzen will. Auf dem Weg musste er einige Hürden nehmen, weil ihm als „Jungspund“ jede Menge Fehler unterlaufen sind. Er hat aber nie aufgegeben und mit dem beruflichen Erfolg noch mehr an Selbstbewusstsein gewonnen. (Fort)Schritte wie diese basieren ganz wesentlich darauf, dass man sich selbst wertschätzt und akzeptiert. „Selbstakzeptanz bedeutet, sich in all seinen Facetten anzunehmen, auch die eigenen Fehler anzuerkennen und nicht zu hart mit sich ins Gericht zu gehen, wenn einer passiert“, erläutert Schubert. Die Wohlfühl-Formel inkludiert außerdem, dass man auch seine Grenzen akzeptiert. So wird sichergestellt, dass man sich nicht über die Maßen verausgabt – und gesund bleibt.
6. Du sollst an deinen Aufgaben wachsen!
Erst waren es diverse Marathons in Österreich, und jetzt erfüllt Eva sich ihren großen Traum: den New-York-City-Marathon. „Dafür trainiere ich schon seit Jahren“, freut sich die ehrgeizige Hobbysportlerin. Ziele – ob sportliche, berufliche oder private – leisten einen wesentlichen Beitrag zum persönlichen Wachstum: Mit den Aufgaben wachsen die Fähigkeiten, heißt es. „Mutige Menschen mit einem höheren Selbstwert sind punkto persönlichem Wachstum im Vorteil“, betont der Mediziner. „Denn es gehört zum Wachstum dazu, die Anforderungen der Umwelt als positiven Ansporn im eigenen Leben zu begreifen.“ Von Draufgängertum ist dabei keineswegs die Rede: Sich zu viele oder unrealistische Ziele zu setzen, wird eher negativen Stress als Wachstum nach sich ziehen. „Dort aber, wo man sich den Anforderungen gemäß entwickelt, findet persönliches Wachstum statt.“ Wer sich weiterentwickelt, stärkt damit nicht nur die Psyche, sondern indirekt auch das Immunsystem.
7. Du sollst viel lachen!
Niesend und hustend sitzt Clarissa vor dem Fernsehen, auch Tränen fließen. Letzteres nicht, weil der 18-jährige Maturantin der grippale Infekt so zusetzt, sondern weil sie die Krankheit auch mit Klamauk-DVDs „behandelt“ und sich vor Lachen kaum halten kann. Die Wissenschaft gibt der jungen Frau Recht: Gelächter und Humor – quasi als Folge des „eudaimonischen Wohlbefindens“ – helfen auch beim Gesundwerden. „Es gibt in der Psychoneuroimmunologie Studien, wonach Lachen eine positive Auswirkung auf die Gesundheit hat“, erklärt Christian Schubert. In Untersuchungen hat man Menschen mit lustigen Geschichten zum Lachen gebracht und danach festgestellt, dass das Immunsystem positiv darauf reagiert. Fazit: Frohsinn und eine lebensbejahende Haltung freuen auch Seele und Körper.
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„Eudaimonisches Wohlbefinden“:
Gesundheit ist auch eine Frage der Haltung
Im Gegensatz zum „hedonischen Wohlbefinden“, einer Lebensweise, die auf Lust, Vergnügen und Glück fokussiert ist, geht es beim „eudaimonischen Wohlbefinden“ um bestimmte psychosoziale Haltungen, die eine erfüllende Lebensgestaltung ermöglichen: um positive Beziehungen, einen Sinn im Leben, Autonomie, Selbstakzeptanz etc. Untersuchungen der amerikanischen Psychologin Carol Ryff zeigen, dass diese Einstellungen unsere Gesundheit fördern. Auch wenn die Zusammenhänge noch nicht bis ins kleinste Detail erforscht sind: „Studien zeigen, dass das eudaimonische Wohlbefinden einen positiven Effekt auf die Funktion des Immunsystems hat, weil in der Folge bestimmte Entzündungsfaktoren, pro-inflammatorische Zytokine, verringert sind“, erläutert der Psychoneuroimmunologe Univ. Prof. DDr. Christian Schubert.
Stand 02/2015