Auf in den Wald!

September 2016 | Leben & Arbeiten

Geht es nach Studien, die sich mit der Gesundheitswirkung von Waldlandschaften beschäftigen, könnte es den Wald schon bald auf Rezept geben: Warum Sie sich der Gesundheit zuliebe auf in den Wald machen sollten, erklären Experten für MEDIZIN populär.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

„Die natürlichste und gesündeste Umwelt des Menschen ist die Natur. Daher ist es wichtig, Ausgleich in der Natur, im Gebirge und im Wald zu finden. Jeden Monat muss Zeit für drei oder vier längere Wanderungen oder größere Ausflüge in gebirgige und waldreiche Gegenden sein. Außerdem entfallen von vier Sommerurlauben drei auf solche Gegenden.“
So Bundespräsident a.D. Heinz Fischer auf die Frage von MEDIZIN populär nach dem Stellenwert, den der Wald für ihn hat. Mit seiner Vorliebe für diese Naturlandschaft ist er nicht allein. Hierzulande ist man generell gern im Wald: Fast drei Viertel der Österreicher, 73 Prozent, stehen auf Waldaufenthalte, 42 Prozent davon besuchen sogar mehrmals pro Woche oder täglich einen Wald. Das ergab eine aktuelle Umfrage des SORA-Instituts im Auftrag der Österreichischen Bundesforste unter knapp mehr als tausend über 14-Jährigen. Dass Waldaufenthalte derart beliebt sind, ist auch gut so. Denn immer mehr Studien, mehrheitlich aus Japan, aber auch aus Südkorea, den USA, der Schweiz und neuerdings aus Österreich, belegen aufgrund von vergleichenden Untersuchungen in Städten eindeutig: Waldlandschaften sind gesundheitsfördernd, und Wald wirkt auf äußerst vielfältige Art und Weise. Experten erklären, wie die Wirkung zustande kommt.

Wald hebt die Stimmung

Sie hatten gerade erst einmal den Waldrand erreicht und den Wald im Blick, da hob sich schon die Stimmung von Teilnehmern an einer Studie zur Wirkung von Waldaufenthalten auf die Gesundheit. Dem nicht genug: Das Hochgefühl nahm noch einmal zu, als sie den Wald betreten hatten.
Wie dies erklärbar ist, weiß Univ. Prof. Dr. Maximilian Moser vom Institut für Physiologie der Medizinischen Universität Graz, der auch Leiter des Human Research Institutes in Weiz ist: „Die Wiege von uns Menschen liegt in Gegenden mit Waldlandschaften, wir sind an den Wald angepasst, und daher geht es uns gut, wenn wir einen Wald sehen oder uns in einem Wald aufhalten.“ Zu den Schlüsselreizen des Waldes, die unsere Stimmung heben, zählen laut Moser das Grün des Pflanzenkleids, das besondere Licht- und Schattenspiel der Sonne, seine Geräusche, Gerüche – und auch die Luftzusammensetzung. „Durch die Verdunstung des Wassers auf den Blättern und Nadeln der Bäume entstehen elektrisch negativ geladene Sauerstoffionen, die, sobald wir sie einatmen, günstig auf unseren gesamten Organismus wirken, ihn anregen, unseren Körper und Geist erfrischen.“ Dieser Effekt des Waldes dient nicht nur psychisch Gesunden: Nachgewiesen ist auch, dass er sogar Depressiven hilft.

Wald hilft den Atemwegen

Sie waren nur eine Stunde durch den Wald gegangen, doch bereits in der kurzen Zeit hatte ihre Lungenkapazität deutlich zugenommen, war größer als vor dem Waldspaziergang: Die Rede ist von 43 älteren Frauen, die an einer Studie teilnahmen.  
Wieso die Waldluft eine derart große Hilfe für die Atemwege ist, dass sich die Lungenfunktion bereits durch Kurzbesuche des Walds verbessert, erklärt Univ. Doz. Dr. Arnulf Hartl, Leiter des Instituts für Ecomedicine an der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg: „Die Luft im Wald ist viel reiner als die Luft in der Stadt, da die Bäume Kohlendioxid aufnehmen, Sauerstoff abgeben, die Luft anfeuchten und die Schadstoffe über die Blätter und Nadeln aus der Luft herausfiltern.“ Vor allem mit dem hohen Anteil an Phytonziden und Terpenen in der Luft, Substanzen, die die Bäume bilden, um sich vor Schädlingen   zu schützen und die beim Menschen entzündungshemmend wirken, ist laut Hartl erklärbar, dass die Waldluft nicht nur gesunden Atemwegen gut tut, sondern sogar bereits angeschlagenen: Nachgewiesen wurde auch, dass Menschen mit COPD, der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, nach einem Waldaufenthalt weniger Beschwerden, weniger Stress und weniger Entzündungserscheinungen hatten.  

Wald schützt vor Herz-Kreislauf-Problemen

Sie waren an zwei Tagen mehrere Stunden im Wald unterwegs, und schon das trug dazu bei, dass ihr Puls niedriger wurde, sich ihre Blutdruckwerte verbesserten, sich ihre Herzfrequenzvariabilität optimierte – also gleich dreifach dem Herz-Kreislauf-System geholfen war. Diesen Effekt stellten Forscher an 48 Studienteilnehmern fest.  
Den schützenden Effekt des Waldes vor Herz-Kreislauf-Problemen führt Moser auf die evolutionär bedingte besondere Wirkung des Waldes auf unser unwillkürliches vegetatives Nervensystem zurück. Bestehend aus Sympathikus, Parasympathikus und Darmnervensystem. „Durch die Waldaufenthalte wird vor allem der wichtigste Nerv des Parasympathikus, der Vagusnerv, aktiviert, der Entspannung und Erholung fördert.“ Und das bringt mit sich, dass Herzfrequenz, Blutdruck und Puls in einen ruhigeren, gesünderen Modus wechseln.

Wald stärkt das Immunsystem

Sie waren an zwei Tagen im Wald unterwegs, einmal zwei Stunden, am zweiten Tag zweimal zwei Stunden: Das wirkte sich auf Männer mittleren Alters so aus, dass der Anteil der Lymphozyten im Blut deutlich stieg.
Lymphozyten, die weißen Blutzellen, sind Bestandteil des Immunsystems und machen Viren unschädlich, die zu verschiedenen Erkrankungen führen, wie beispielsweise Erkältungen oder der Grippe, auch Darmerkrankungen. Womit sich dieser Effekt des Waldes erklärt, weiß man nicht genau, sagt Hartl. „Vermutet wird, dass auch hierbei vor allem Phytonzide und Terpene in der Waldluft eine Rolle spielen.“ Jene Substanzen also, die Bäume absondern, um Schädlinge abzuwehren. Aber auch Mikroorganismen, die in der Waldluft schwirren, Mikroben, Pilzsporen und die negativ geladenen Luftionen helfen. Die Stärkung des Immunsystems durch insgesamt nur sechs Stunden andauernde Waldaufenthalte an zwei Tagen erwies sich darüber hinaus als überaus nachhaltig: Der Effekt hielt 30 Tage an.

Wald aktiviert Krebs-Killerzellen

Sie hielten sich während eines dreitägigen Aufenthalts in einem Waldgebiet täglich zwei bis vier Stunden im Wald auf und unternahmen dort auch Spaziergänge: Im Lauf einiger Jahre waren es etliche Hundert Testpersonen verschiedenen Alters und Geschlechts, die dieses Programm absolvierten. Das Ergebnis war immer, dass im Blut der Studienteilnehmer Proteine, Eiweißstoffe, aktiviert wurden, die antikanzerogen wirken, also Krebszellen killen und vor Krebs schützen können.
Wie diese Wirkung des Waldes zustande kommt – auch darüber gibt es laut Hartl nur Vermutungen. „Angenommen wird, dass dies ebenfalls am waldspezifischen mikrobiotischen Umfeld, dem Einatmen der  Phytonzide und negativ geladenen Luftionen liegt.“ Was aber aufgrund von Messungen sicher ist: Die Aktivierung der Krebs-Killerzellen durch den Wald blieb 30 Tage lang aufrecht.

Wald hemmt schleichende Entzündungen

Sie ruhten sich im Wald aus und flanierten ein wenig darin herum, taten dies an zwei aufeinanderfolgenden Tagen für je zwei Stunden vormittags und nachmittags: Hunderte Versuchspersonen für die Wissenschaft.
Das Ergebnis: Die Herzratenvariabilität verbesserte sich, was darauf hindeutet, dass der Ruhe bringende parasympa­thische Vagusnerv aktiver war. „Eine ausreichende Aktivität des Parasympa­thikus beziehungsweise des Vagus stellt ­sicher, dass schleichende, chronische Entzündungsprozesse im Körper ge­or­tet und durch den Vagusstoff Acetyl­cholin gehemmt werden“, sagt Moser. Außerdem bremst ein aktiver Vagus ein überaktives Immunsystem. „Das ist bei chronischen Entzündungserkrankungen wie beispielsweise Neurodermitis, Diabetes oder Multipler Sklerose besonders wichtig.“

Wald macht Sport effektiver

Sie übten einen Monat lang den gewohnten Sport  in der gleichen Intensität, aber in verschiedenen Umgebungen aus, im Fitnessstudio, in der Stadt und im Wald: 319 Mitglieder eines Fitnessstudios. Diese Studie sollte zeigen, ob es beim Sport umgebungsbedingte Effekte gibt. Heraus kam: Nach dem Joggen, Radfahren, Ballsport und flotten Gehen im Wald hatten die Untersuchungsteilnehmer das Gefühl, mehr für ihre Gesundheit getan zu haben, als nach dem Sport in der Stadt oder im Studio, waren zudem ausgeglichener, fühlten sich stärker von täglichen Ärgernissen befreit.
Hartl dazu: „Das ist zum einen mit der entspannungsfördernden Wirkung des Waldes erklärbar, zum anderen mit den erhöhten Anforderungen, die sich durch den Sport im Wald ergeben.“ Wer auf unebenem Waldboden beispielsweise joggt oder wandert, fordert den gesamten Bewegungsapparat, die Koordinationsfähigkeit und Reaktionsfähigkeit mehr, als wenn er das auf Asphalt oder auf einem Laufband tut.

Wald sorgt für Entspannung

Sie saßen an zwei Tagen für einige Stunden im Wald und betrachteten die Naturlandschaft, gingen auch ein wenig darin spazieren: Über die Jahre machten das Hunderte Frauen und Männer für die Forschung. Vor und nach dem Waldaufenthalt wurden ihr Puls, ihr Blutdruck, der Pegel des Stresshormons Cortisol im Blut und die Herzfrequenzvariabilität gemessen, die Auskunft über die Aktivität des Ruhenervs Parasympathikus gibt. Das Ergebnis: Bereits nach den kurzen und körperlich eher passiven Waldaufenthalten war bei den Untersuchungsteilnehmern der parasympathische Vagusnerv aktiver als vor dem Waldbesuch. Sie hatten weniger Cortisol im Blut, der Blutdruck war im Normbereich, der Puls niedriger – kurzum: Sie waren deutlich entspannter. Forschungen mit Testpersonen, die sich gleich lang in einer Stadt aufhielten, bewiesen, dass die entspannende Wirkung auf den Wald zurückzuführen ist. Moser dazu: „Dies ist vor allem mit der positiven Wirkung des Waldes auf uns Menschen insgesamt erklärbar, allein die Reize für unsere Sinnesorgane und die gute Luft aktivieren und stärken die Vagusfunktion.“ Und ist der Vagus aktiv, sind wir entspannt und schlafen auch viel besser.

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So wirkt Wald im Mühlviertel

Los ging es im September des Vorjahrs 2015: Dr. Martin Spinka, Allgemeinmediziner, Sportmediziner und Kneipparzt in Linz, suchte sich unter seinen Patienten aus dem Mühlviertel Versuchspersonen aus, die gesund, aber ein wenig erschöpft waren. Zusammen kam eine Gruppe von 20 Frauen und Männern im Alter von 40 bis 50 Jahren. Diese beauftragte er damit, insgesamt vier Stunden in der Woche in den Wald zu gehen und mit einem Spezialgerät täglich den Ruhepuls und die Herzratenvariabilität sowie regelmäßig den Blutdruck zu messen. Die Daten beobachtet Spinka seither. Zudem protokollieren die Probanden, wie es ihnen so geht. Auswerten wird Spinka die Ergebnisse zwar erst nach einem Jahr Untersuchungsdauer Ende September. Doch der Mediziner weiß bereits jetzt: „Die Kraft des Waldes entfaltet sich.“ Eine Studienteilnehmerin wurde durch die Waldaufenthalte sogar ihre chronischen Schlafstörungen los. Die Erkenntnisse aus der Studie wird der Mediziner dafür nützen, andere Patienten verstärkt zu Bewegung im Wald zu motivieren.

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So wirkt Wald in Wien

Über drei Jahre bis zum Vorjahr 2015 lief unter der Leitung von Assoc. Prof. Dr. Arne Arnberger von der Universität für Bodenkultur in Wien ein Forschungsprojekt mit rund 60 Schülern aus drei Wiener Schulklassen. Ziel des Projektes „Pause bitte!“ war, herauszufinden, wie sich verschiedene Erholungsräume auf den Grad der Erholung auswirken. Für das Projekt erholten sich die Schüler nach dem Unterricht wechselweise an städtischen Plätzen, in Parklandschaften und im Wald. Das Ergebnis: „Je mehr Grünfläche zur Verfügung stand, umso erholter, wohler und in besserer Stimmung fühlten sich die Jugendlichen“, informiert Arnberger und ergänzt: „Am besten und vor allem am längsten wirkte der Wald.“

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„Waldbaden“ in Japan

In Japan deklarierten Mediziner aufgrund der Ergebnisse ihrer Forschungen über die vielfältigen positiven Auswirkungen von Waldaufenthalten auf die Gesundheit des Menschen das „Waldbaden“  oder, wie sie es nennen, „Shinrin-yoku“ zur Therapie. In eigenen Waldtherapiezentren kümmern sich seither Waldtherapeuten um die Waldbesucher, die mit Waldtherapie-Pfadfindern Waldtherapiewege begehen können. „Waldbaden“ wirkt aber laut der Koryphäe unter den Waldmedizinern Dr. Qing Li von der Nippon Medical School in Tokyo freilich auch einfach so, ohne therapeutische Anleitung, in jedem beliebigen Wald. Für selbstständige „Waldbader“ hat Dr. Li folgende Ratschläge parat: „Wähle einen Wald, der dir gefällt. Schau dir die Farben der Bäume an, atme tief ein, höre die Blätter rauschen. Wenn du müde bist, darfst du dich ausruhen, wo und wann du willst. Wenn du durstig bist, darfst du etwas trinken, wo und wann du willst. Doch wenn du wirklich krank bist, besuche einen Arzt, keinen Wald.“

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Wie wirkt Waldersatz?

Auch Waldersatz, wie beispielsweise eine Parklandschaft, hat erwiesenermaßen positive Einflüsse auf die Gesundheit, weiß Univ. Doz. Dr. Arnulf Hartl. Aufgrund von verschiedenen Forschungen ist etwa bekannt: „Je mehr Parklandschaften sich in einer Stadt befinden, je grüner sie ist, desto höher ist die durchschnittliche Lebenserwartung der Bewohner.“
Eine Studie, für die Daten von über 40 Millionen Menschen in England, Schottland und Wales ausgewertet wurden, bewies, dass sich sogar soziale Unterschiede in der Lebenserwartung durch Zugang zu Grünraum bzw. Wald verringern.
Krankenhaus-Studien belegen außerdem, dass auch schon Bäume vor Fenstern eine positive Wirkung haben. Univ. Prof. Dr. Maximilian Moser: „Patienten, die eine Aussicht auf das Grün von Bäumen haben, fühlen sich besser, benötigen weniger Medikamente und werden schneller gesund.“

Buchtipp:

Moser, Thoma
Die sanfte Medizin der Bäume

Gesund leben mit altem und neuem Wissen
ISBN 978-3-7104-0001-8
176 Seiten, € 21,95
Verlag Servus

Webtipp: https://www.medizinpopulaer.at/https://
humanresearch.at

Stand 09/2016

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