Johanna Rachinger

November 2016 | Prominente & Gesundheit

„Ich gehe leidenschaftlich gern zu Fuß!“
 
Seit 15 Jahren leitet sie mit der Österreichischen Nationalbibliothek die größte Bibliothek des Landes. Unter ihrer Direktion hat sich das Haus von der traditionellen Gelehrtenbibliothek zu einem modernen Informations- und Forschungszentrum entwickelt. Im Gespräch mit MEDIZIN populär erzählt die 56-Jährige, welches Buch unter den fast vier Millionen Büchern in der Bibliothek ihr liebstes ist, was in der Bibliothek jeder Österreicher einmal gesehen haben sollte, warum das Buch ihrer Meinung nach Zukunft hat, wie sie sich nach einem langen anstrengenden Arbeitstag erholt, und warum ihr auch Kochbücher wichtig sind.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

MEDIZIN populär
Frau Generaldirektorin Rachinger, in der Österreichischen Nationalbibliothek lagern knapp vier Millionen Bücher. Welches davon ist Ihr Lieblingsbuch?


Johanna Rachinger

Insgesamt sind es über 11,5 Millionen Objekte, die wir verwahren. Darunter auch Handschriften, Manuskripte, Papyri, Karten, Globen, Fotografien, Plakate und Noten. Bücher und Zeitschriften haben wir rund 3,8 Millionen. Wenn ich mich für ein besonderes Buch unter den vielen Büchern entscheiden müsste, wäre es wohl eine der wundervoll illuminierten Handschriften des Mittelalters, beispielsweise das Evangeliar des Johannes von Troppau aus dem Jahr 1368. Es ist zugleich der symbolische Gründungscodex der Österreichischen Nationalbibliothek, die 2018 ihr 650-jähriges Bestehen feiern wird.    

Was in der Bibliothek sollte jeder Österreicher unbedingt einmal gesehen haben?

Zum Beispiel unsere aktuellste Neuerung, auf die wir sehr stolz sind, das Literaturmuseum. Es bietet einen eindrucksvollen multimedialen Rundgang durch die letzten 200 Jahre österreichischer Literatur. Gesehen haben sollte man aber auch den barocken Prunksaal, zählt er doch zu den schönsten Bibliotheksräumen der Welt. Und in ihrer Art faszinierend und einzigartig sind alle unsere historischen Sammlungen: die weltgrößte Sammlung an antiken Papyri, ein faszinierender Bestand an Musikautografen von Mozart bis Bruckner, wertvollste alte Karten und Globen, usw.

In Ihren 15 Jahren als Generaldirektorin der Bibliothek ist das Haus wesentlich benützerfreundlicher geworden…

Ja, bei unserer Entwicklung der vergangenen Jahre haben wir den Fokus auch auf die Benützer und ihre Bedürfnisse gelegt. So haben wir beispielsweise die Öffnungszeiten unserer Lesesäle ausgedehnt, sie sind nun täglich, von Montag bis Sonntag, von 9 bis 21 Uhr geöffnet. Das wird sehr gut angenommen und ist europaweit einzigartig. Außerdem haben wir die Online-Recherche erleichtert. Und wir setzen große Digitalisierungsprojekte um, wie ANNO, was für Austrian Newspapers Online steht, bei dem wir mittlerweile über 15 Millionen Zeitungsseiten digital im Internet zugänglich gemacht haben. Unser zweites großes Digitalisierungsprojekt ABO für Austrian Books Online läuft im Rahmen einer Public-Private-Partnership mit Google. Diese ermöglicht uns, als eine der weltweit ersten Nationalbibliotheken, unseren kompletten historischen Buchbestand vom 16. bis zum 19. Jahrhundert zu digitalisieren und online zu stellen. Mehr als die Hälfte der 600.000 Werke sind bereits online benutzbar.

Wird im Zeitalter der Digitalisierung das Buch Zukunft haben?

Bücher und Druckschriften haben unsere Kultur rund ein halbes Jahrtausend lang dominiert, heute gibt es zusätzlich Computer und Internet. Das Buch wird so wenig wie das Theater nach der Erfindung des Films oder die Malerei nach der Verbreitung der Fotografie verschwinden. Überall, wo es sinnvoll ist, werden Bücher überleben, denn sie sind handlich, praktisch, haltbar und können auch ein haptisches Erlebnis sein. In einigen Bereichen aber, etwa bei Nachschlagewerken, werden sie wohl durch Online-Publikationen abgelöst, weil diese rationeller sind.

Sind Sie so wie am Arbeitsplatz auch zuhause von vielen Büchern umgeben?

Mein Mann und ich haben eine private Bibliothek, die wohl rund 5000 Bände umfasst. Besonders geschätzte Bücher erhalten auch dort einen speziellen Platz, was sich insofern bewährt, als ich nur selten lange nach Büchern, die ich gern mag und öfter lese, suchen muss. Ein solches Buch ist zum Beispiel Turgenjews „Vater und Söhne“, ein Roman, der nicht nur aufgrund der Sprache fasziniert, sondern auch wegen der Schilderung des Generationenkonflikts, des Zusammenbruchs des zaristischen Reichs, der Öffnung in eine neue Zeit. Und aus den letzten Jahren gehört für mich etwa Marlene Streeruwitz’ außergewöhnlicher Roman „Nachkommen“ in diese Riege.

Lesen Sie viel?

In meiner Freizeit lese ich mit Vorliebe zeitgenössische Literatur, anspruchsvolle Krimis und politische Sachbücher – dies, je nach Situation übrigens auch gern auf meinem Tablet. Ich werde oft darauf angesprochen, ob ich am Arbeitsplatz, wo ich doch von Büchern umgeben bin, viel zum Lesen komme. Die Antwort ist aber ein klares Nein, denn ich übe eine Managementfunktion aus, die im Berufsalltag wenig Zeit für Muße lässt.

Wie entspannen Sie sich nach einem langen Arbeitstag?

Ich gehe leidenschaftlich gern zu Fuß, auch in die Arbeit und wieder nachhause. Das Gehen bringt mich auf neue Gedanken, und sofern ich Bekannte treffe, ist Zeit für ein kurzes Gespräch. Auch wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, habe ich immer Turnschuhe mit, um bei Gelegenheit spontan einen Spaziergang machen zu können. Und für das Wochenende plane ich so oft wie möglich kleinere oder größere Wanderungen ein. Ich bin sehr gern in der Natur und genieße die Ruhe und den Wandel der Jahreszeiten. Außerdem nehme ich mir bewusst Auszeiten, um zur Ruhe zu kommen und zu entspannen. Denn das und ein ausgewogenes Sozialleben, Treffen mit Freunden und der Familie, ist förderlich für die Gesundheit.

Wichtig für die Gesundheit ist auch die Ernährung…

Die wahre Kunst ist es, gesund zu kochen und trotzdem keine Abstriche beim Geschmack zu machen. Mein Mann ist ein begeisterter und guter Koch, und ich genieße es sehr, von ihm verwöhnt zu werden. Ich selbst koche nur sehr selten, und dann sind Kochbücher für mich immer wieder eine willkommene Inspirationsquelle.

‘Vision 2025’ nennt sich ein Papier, in dem Sie festgehalten haben, was bis 2025 in Sachen Modernisierung der ÖNB noch alles passiert sein soll. Welches der beschriebenen Projekte ist Ihnen besonders wichtig?

Die Vision 2025 wird in mehrjährigen Strategieplänen schrittweise umgesetzt, gegenwärtig arbeiten wir am Strategiekonzept 2017-2019. Wichtige Themen darin sind die Volltextsuche, Linked Open Data*, Crowd Sourcing* und neue Themenfelder wie Digital Humanities*.


* Linked Open Data.
Eine verbreitete Initiative, die versucht, mit standardisierten Protokollen Metadaten zum freien Gebrauch zur Verfügung zu stellen. Die Idee dahinter ist, möglichst viele Daten zu vernetzen und nutzbar zu machen.
* Crowd Sourcing. Auslagerung von Arbeitsleistungen auf externe Personen via Internet. Damit wird das Wissen der „crowd“ (Masse) nutzbar.
* Digital Humanities. Neuer Zweig der Geisteswissenschaften, der versucht, die bereits großen Mengen der vorliegenden digitalen Quellen für die Forschung nutzbar zu machen.

Webtipp:www.onb.ac.at

Stand 11/2016

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