Chronisch, nicht tödlich

Juni 2018 | Medizin & Trends

Galt eine Infektion mit dem HI-Virus, dem Humanen Immun­defizienz-Virus, früher als ­sicheres Todes­urteil, hat man diese heute dank ­moderner Medi­­ka­men­te gut im Griff. Was Sie sonst über HIV und AIDS wissen sollten.
 
– Von Mag. Alexandra Wimmer

Unser Immunsystem versucht stets, eingedrungene Er­reger zu bekämpfen. Manchmal gelingt ihm das problemlos, in anderen Fällen muss es sich irgendwann geschlagen geben: „Bei einer HIV-Infektion ist das Immunsystem nicht in der Lage, das Virus auszulöschen“, informiert der Facharzt für Interne Medizin, Priv. Doz. Dr. Alexander Egle, der am Uniklinikum Salzburg unter anderem die HIV-Ambulanz leitet. Das HI-Virus ist ein besonders schwieriger Gegner: Während es sich vermehrt, greift es verschiedene Körperzellen, insbesondere die Immunzellen, an. Unter besonderen Beschuss geraten die CD4-Helferzellen, die als zentrale Schaltstelle eine Schlüsselposition im Immun­system einnehmen.

Angriffe auf Immunzellen
Je stärker das Virus sich vermehrt, umso mehr Schaden richtet es an – das lässt sich auch im Blut messen: Die CD4-Helferzellen werden immer weniger, bis es zum zunehmend schwereren Immundefekt – und letztlich zu AIDS (Aquired Immune Deficiency Syndrome), dem erworbenen Immunmangelsyndrom, kommt.
Ist man an AIDS er­krankt, kann man sich gegen an sich harmlose Infektionen nicht wehren und erkrankt meist in kurzer Zeit schwer. Früher sind praktisch alle HIV-Patienten an einer solchen Erkrankung gestorben: Die HIV-Infektion war ei-  ne unheimliche und todbringende Erkrankung. Heute hat sich die Situation der Erkrankten dank moderner Medikamente dramatisch verbessert. Statt 100 Prozent tödlich ist die Infek­tion heute fast null Prozent tödlich.

Hochwirksame Medikamente
Die Wende kam in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre mit der Entwicklung neuer, antiretroviraler Medikamenten-Kombinationen, die das HI-Virus stoppen können. HIV-Infizierte, die vor Auftreten eines Immundefekts mit der Behandlung beginnen und diese durchhalten, haben „praktisch kein Risiko mehr, irgendwann an AIDS zu erkranken“, informiert Egle. Sie haben dieselbe durchschnittliche Lebenserwartung wie die restliche Bevölkerung. „Die The­rapie besteht in der Regel aus einer Kombination von drei Medikamenten, die das Virus einkreisen und dadurch verhindern, dass es sich vermehrt“, erläutert der Facharzt. Derart umzingelt hört es auf, sich zu vermehren und kann keinen Schaden mehr anrichten. Meist repariert der Immundefekt sich sogar nach einer gewissen Zeit. Die Therapie war anfangs recht kompliziert – die Patienten mussten bis zu 30 Tabletten am Tag schlucken. Heute sind es ein bis zwei Tabletten täglich.

Therapietreue wesentlich
Für den Behandlungserfolg ist entscheidend, dass die Medikamente täglich wie vorgeschrieben eingenommen wer­den. „Menschen, die beispielsweise un­ter einer psychiatrischen Erkrankung leiden, haben damit unter Umständen Schwierigkeiten“, weiß Egle. Wenn man immer wieder auf die Tabletten vergisst, steigt das Risiko, dass das Virus durch Mutationen eine „Lücke“ in der Therapie findet, sich vermehrt und verändert. Diese Mutationen führen dazu, dass die Medikamente wirkungslos werden – solche Resistenzen erschweren die Kontrolle der Infektion massiv.
Daneben sind Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten – bestimmten Antibiotika oder pflanzlichen Mitteln wie Johanniskraut – möglich. Die Leber beginnt dann, die HIV-Medikamente intensiver zu verstoffwechseln, sodass im Körper nicht genügend Wirkstoffe erhalten bleiben. „Bei den regelmäßigen Untersuchungen der behandelten Patienten wird kontrolliert, ob die Virusvermehrung wirklich gestoppt ist“, präzisiert der Arzt. Ist die Virusmenge nicht mehr nachweisbar – liegen die Werte also unter der „Nachweisgrenze“ – können Viren nicht nur keinen Schaden mehr anrichten, auch die Wahrscheinlichkeit einer Übertragung ist praktisch nicht mehr gegeben.

Gesundes Leben, „Safer Sex“
Besonders wichtig neben der Therapietreue ist ein gesunder Lebensstil.?Dazu zählt eine ausgewogene Kost, höchs­tens moderater Alkoholkonsum und der Verzicht auf Nikotin. Die Patienten sollten zudem auf sichere Sexualpraktiken, insbesondere auf die Verwendung von Kondomen beim Geschlechtsverkehr, achten. Wem das nicht gelingt, sollte sich regelmäßig auch auf ande-   re sexuell übertragbare Erkrankungen  (= STD) wie Syphilis und Gonorrhoe ­testen lassen. Dass diese heute wieder auf dem Vormarsch sind, dürfte die Kehrseite der modernen HIV-Therapie sein: Weil durch diese die HIV-Infek­tion ihren Schrecken etwas verloren hat, wird ein sicheres Sexualverhalten wieder vermehrt außer Acht gelassen.

Die Epidemie kontrollieren
Bevor es die modernen effektiven Therapien gab, haben sich viele auch dehalb nicht testen lassen, weil man gegen die Infektion ohnehin wenig tun konnte. „Mittlerweile gibt es für die Patienten einen Grund, sich testen und behandeln zu lassen“, sagt der Arzt.
Um die Epidemie zu kontrollieren hat die UNO in ihrem Aids-Programm UNAIDS die „90-90-90“-Ziele verankert, die man bis 2020 erreicht haben will:?Demnach sollten weltweit 90 Prozent der Infizierten diagnostiziert und von diesen wiederum 90 Prozent mit antiretroviralen Medikamenten behandelt sein. Und bei 90 Prozent der Behandelten soll die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegen, sodass das Reservoir, aus dem man sich neu anstecken kann, schrumpft.
   
Stigma belastet enorm
Obwohl die HIV-Infektion heute gut  zu behandeln ist, haftet ihr als sexuell über­tragbarer Erkrankung immer noch ein Stigma an. „Das Stigma leistet einen Beitrag dazu, dass Patienten mit einem Risikoverhalten sich nicht testen lassen“, bedauert der Mediziner. Die Mehrheit der Patienten habe ein Prob­lem damit, die Erkrankung preiszugeben. Und jene, die ihre HIV-Infektion bekannt gemacht haben, erfahren „beträchtliche Ausgrenzung“, bedauert Egle. Durch Stigmatisierung und Diskriminierung wird die Infektion zusätzlich zu einer schweren psychischen Belastung. Das beginne bereits bei der Diagnosestellung, weiß die Gesundheitspsychologin Mag. Irene Barrientos aus Wien. „Die Diagnose löst mitunter einen schweren krisenhaften Zustand aus, der von verschiedenen Symptomen begleitet sein kann“, sagt sie. „Obwohl viele gut informiert sind, gibt es Befürchtungen und Unwissenheit bezüglich ihrer Rechte. Speziell die  Angst vor Zurücksetzung im sozialen Gefüge und dem Verlust von Freundschaften ist immer noch groß.“

Individuellen Umgang finden
Entsprechend schwer fällt vielen die Entscheidung, ob sie die In­fektion bekannt machen oder nur im engs­ten Kreis davon erzäh­len sollen. „Wichtig ist zu wissen, dass man das Recht hat, es für sich zu behalten“, betont die Psychologin. In Österreich ist AIDS, nicht aber eine HIV-Infektion meldepflichtig. Man sollte sich die Zeit geben, um abzuwägen, was für einen selbst richtig ist: Was brauche ich, um gut mit der ­Dia­g­nose leben zu können? Welche Verantwortung trage ich generell im Umgang mit der Infektion? Barrientos rät außerdem dazu, sich gut zu vernetzen und die verschiedenen An­laufstellen zu nutzen: spezialisierte Ambulanzen, Selbsthilfegruppen, AIDS-­Hilfen, Internetforen. „Besonders wichtig ist, einige Vertrauenspersonen zu haben, die einem zuhö­ren“, betont die Expertin. Auch sollte sich keinesfalls alles um die Infektion drehen – man darf und soll ein gutes Leben haben.   

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Kennen Sie Ihren Status?

Bei keiner anderen Erkrankung wurde die Behandlung in den letzten 20 Jahren so dramatisch verbessert wie bei der HIV-Infektion. Die effektive Therapie setzt eine frühzeitige Diagnose voraus. Den eigenen Status zu kennen, ist deshalb  das Um und Auf.

Stigma als Risikofaktor
Der Prozentsatz jener, die nichts von ihrer Infektion wissen, ist immer noch relativ hoch: Von den weltweit 36,7 Millionen HIV-positiven Menschen kennen 30 Prozent ihren Status nicht, heißt es bei UNAIDS. Zu den Gründen zählen die Stigmatisierung und Diskriminierung der Erkrankten, sodass viel ihren Status nicht wissen wollen. „Dabei ist ein Patient unter der Nachweisgrenze bezüglich HIV mit Sicherheit ein weniger gefährlicher Sexualpartner als jemand ohne bekannten HIV-Status, der infiziert sein könnte“, betont der Salzburger Internist Priv. Doz. Dr. Alexander Egle. Um seinen Status herauszufinden, könnte man auch einen Selbsttest machen. „Selbsttests haben allerdings grundsätzlich eine höhere Fehlerrate“, warnt Egle. Am besten wendet man sich an spezialisierte Ambulanzen oder an die AIDS-Hilfen, die auch anonym Tests durchführen.

HIV-Test und Vorbeugung
Speziell Menschen mit riskantem Sexualverhalten sollten sich regelmäßig testen lassen. Wer zur Hochrisikogruppe zählt, könnte mit einer Präexpositionsprophylaxe (PrEP) vorsorgen: Eine Tablette täglich schützt Studien zufolge zu 86 Prozent vor einer HIV-Ansteckung, nicht aber vor anderen Geschlechtskrankheiten.
Fazit: Das größte Problem in der Praxis der HIV-Behandlung sind heute die „Late presenter“, jene Menschen, die sehr spät zur Diagnose kommen. Egle: „Diese sind oft schwerstkranke Menschen und eigentlich die einzigen, die heute noch an den Folgen einer HIV-Infektion und AIDS sterben können.“

Webtipps:
Die AIDS-Hilfen Österreichs bieten Beratung, Informationen und HIV-Tests: www.aidshilfen.at

Informationen zu HIV-Ambulanzen und spe­zialisierten Ärztinnen und
Ärzten in Österreich: www.gesundheit.gv.at/service/beratungsstellen/hiv-behandlung


Stand 06/2018

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