Wenn Juckreiz nicht schlafen lässt

Oktober 2018 | Medizin & Trends

Neurodermitis-Betroffene kommen nachts oft nicht zur Ruhe – mit weitreichenden Auswirkungen.
 
– Von Mag. Silvia Feffer-Holik

Wenn der Stress in der Firma besonders arg wird oder bei Zorres mit dem Partner, reagiert die Haut sofort: „Sie wird rot, sie spannt, es kommt zu Ekzemen, die unerträglich jucken. Besonders in der Nacht“, erzählt Stefanie P.*, 26 Jahre. Nächtliches Schwitzen reizt die Haut zusätzlich, Hitze verstärkt die Schmerzen und das Jucken. Linderung bringen zumindest für einige Stunden kalte Duschen und Umschläge sowie Salben mit Kortison. Doch so richtig zur Ruhe kommt sie während eines akuten Neurodermitis-Schubes nicht, am nächsten Tag macht ihr der fehlende Schlaf sehr zu schaffen. Mit den Problemen der starken Müdigkeit, mangelnder Konzentration und Gereiztheit ist die junge Frau nicht allein. Forschungsergebnisse bei Erwachsenen haben gezeigt, dass Patienten mit Neurodermitis häufiger unter Schlafstörungen leiden als beschwerdefreie Erwachsene – und mit ihnen auch der Partner. Denn die Abfolge verschiedener Schlafstadien im Lauf der Nacht ist massiv gestört. Das beginnt bereits beim Einschlafen, das sehr lange dauern kann. Die Juckreiz-Attacken führen zu häufigem Aufwachen, erneutes Einschlafen fällt sehr schwer. In manchen Fällen kann die Schlafproblematik auch körperliche Beschwerden wie beispielsweise Magen-Darmprobleme hervorrufen, für ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung), mitverantwortlich sein oder Beeinträchtigungen im Hormonaushalt etwa bei den Wachstumshormonen auslösen. Bei Kindern mit Neurodermitis sind nach den nächtlichen Juckattacken häufig Wohlbefinden und Selbstbewusstsein beeinträchtigt. Sie sind müde, unkonzentriert, manchmal verhaltensauffällig – darunter leidet die ganze Familie.

Auch die Psyche ist betroffen
Noch dazu zieht die stark gerötete Haut ungewollte, oft verständnislose Blicke der Umgebung auf sich, wie Stefanie P. aus leidvoller Erfahrung weiß: „Neurodermitis ist nicht ansteckend, aber mein Sitznachbar in der U-Bahn glaubt offenbar das Gegenteil, wenn er sichtlich von mir abrückt. Jetzt kann ich besser damit umgehen, aber der seelische Druck, wegen der Ekzeme ausgegrenzt zu werden, war vor allem in meiner Kindheit enorm.“ Stefanie P. hatte schon als Kleinkind Neurodermitis, mit acht, neun Jahren verschwanden zwar die Beschwerden, die Neigung zu sehr trockener, rauer Haut blieb aber. „Diese Hauterkrankung kommt und geht, verändert sich mit dem Alter der Betroffenen, zeigt sich manchmal nur an wenigen Hautstellen, manchmal tritt sie großflächig auf“, erklärt der Linzer Dermatologe MR Dr. Johannes Neuhofer. Die Neurodermitis (atopische Dermatitis) wird vererbt. Bis zu 20 Prozent der Kinder und immerhin bis zu zehn Prozent der Erwachsenen betrifft diese Hauterkrankung, bei der die Barrierefunktion der Haut gestört ist. Ursache dafür ist ein überaktives Immunsystem. Typische Kennzeichen sind eine extrem trockene Haut, die Neigung zu stark juckenden Ekzemen und eine ausgeprägte Empfindlichkeit gegenüber Umwelteinflüssen, zum Beispiel Allergenen wie Pollen oder auch Hausstaubmilbenkot.
Die verschiedenen Hautareale sind auch unterschiedlich stark betroffen. Bis zum zweiten Lebensjahr herrschen meist Ekzeme im Gesicht, auf der Kopfhaut und an den Streckseiten der Extremitäten vor; später sind es oft Beugeekzeme – etwa im Bereich der Ellenbeugen oder Kniekehlen. Bei Erwachsenen kommt es – je nachdem wie stark die Haut belastet wird – zu Handekzemen. Dabei bilden sich zusätzlich stark juckende Knötchen.

Rückfettende Substanzen

Die Haut von Neurodermitis-Betroffenen hat es doppelt schwer: durch die defekte Hautbarriere können Krankheitserreger leichter eindringen. Noch dazu kommt, dass das Immunsystem Botenstoffe ausschüttet, die Entzündungen in der Haut auslösen – es kommt zum gefürchteten Juckreiz. „Die Stärkung der Hautbarriere auch  in beschwerdefreien Zeiten ist die Basis der Therapie“, betont Univ. Prof. Dr. Matthias Schmuth, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV). Dafür gibt es sehr gute rückfettende Cremen, die die Geschmeidigkeit der Haut fördern. Die Unterstützung der Hautbarriere kann viel bewirken. Schmuth: „Schmiert man Neugeborene, die erblich bedingt ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung der Neurodermitis haben, regelmäßig mit rückfettenden Cremen ein, so lässt sich der Ausbruch der Erkrankung bei der Hälfte der Kinder verhindern bzw. verzögern, wie aktuelle Studien zeigen.“
Bei einem akuten Entzündungsschub der Haut bringen Salben und Cremen mit Kortison Linderung bzw. gibt es bei Unverträglichkeit auch kortisonfreie Entzündungshemmer, sogenannte Calcineurin-Antagonisten. Auch hier ist es wichtig, nicht nur in der Phase des Schubes zu behandeln, sondern wenn sich die Haut wieder beruhigt hat, mit der rückfettenden Basistherapie weiter zu cremen – damit Neurodermitis-Schübe nicht so oft auftreten bzw. weniger stark ausfallen.

Schwere Neurodermitis
Reicht bei mittelschwerer bis schwerer Neurodermitis die lokale Behandlung nicht mehr aus, kommen Medikamente in Form von Tabletten bzw. Injektionen zum Einsatz. Bei den Tabletten dämpfen Wirkstoffe wie Cyclosporin, Azathioprin oder Methotrexat die Botenstoffe, die von der entzündeten Haut ausgeschüttet werden. Schmuth: „Mit diesen Medikamenten gibt es jahrelange Erfahrungen.“
Seit dem Vorjahr gibt es bei schwerer Neurodermitis zusätzlich eine gezielte Antikörpertherapie, die mit Injektionen verabreicht wird. „Durch die Injektion des Antikörpers alle zwei Wochen werden Entzündungsreaktionen und Juckreiz gelindert, die geschädigte Haut kann sich rascher erholen“, sagt Schmuth. Es wird weiter geforscht: So versucht man derzeit, an der Entzündung beteiligte Zellen genauer zu charakterisieren, um gezielte Behandlungen zu entwickeln.    


Neurodermitis belastet die Psyche

Wie stark, hängt von der Intensität der Beschwerden ab. Vor allem jene, die von schweren Symptomen geplagt werden, klagen laut Studien häufig über ängstliche und depressive Gefühle – die psychische Belastung trifft Kinder wie Erwachsene mit schwerer atopischer Dermatitis gleichermaßen. Betroffene fühlen sich oft hilflos und von ihrer Umgebung ausgegrenzt, auch bei Angehörigen und Lebenspartnern kann sich die Erkrankung deutlich auf die Lebensqualität auswirken.

* Name von der Redaktion gekürzt

Neurodermitis auf der Spur
Unseren praktischen Mini-Ratgeber zum Thema Neurodermitis gibt es auch kostenfrei zum Downloaden:
www.medizinpopulaer.at/downloads

 

Stand 10/2018

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