Verletzt in den Bergen

September 2024 | Bewegungsapparat & Sport

Schon ein einziger unachtsamer Schritt kann beim Wandern zu einem Unfall mit Verletzungsfolge führen.

Bei klassischen Wanderverletzungen wie Prellungen, Verstauchungen oder Zerrungen orientiert man sich zur Erstversorgung an der PECH-Regel. Ein Arztbesuch ist notwendig, wenn die Schmerzen nicht nachlassen.

Von Sandra Lobnig

Eigentlich ist es eine erfreuliche Entwicklung: Immer mehr Menschen entdecken das Wandern für sich. Mit den steigenden Zahlen begeisterter Wanderer nimmt allerdings auch die Anzahl alpiner Unfälle mit Verletzungsfolge zu. Dabei sind vor allem die unteren Extremitäten betroffen. Die Bandbreite an Verletzungen reicht von Blasen an den Füßen, Verletzungen an Sprunggelenk oder Knöchel über Sehnenansatzentzündungen bis hin zu Muskelzerrungen. In Folge von Stürzen kommt es aber auch zu Verletzungen im oberen Bereich des Körpers. Fingergelenke, die Schulter oder die Ellenbogen sind klassische Körperregionen, die bei einem Sturz in Mitleidenschaft gezogen werden. Darüber hinaus können durch die starke, oft ungewohnte Belastung interne Erkrankungen wie Kreislaufkollaps, Belastungsasthma oder Herzinfarkt auftreten.

Dr. Ines Berger-Uckermann „Viele Menschen überschätzen ihre Kraft und Kondition. Sie starten in zu hohem Tempo und machen zu wenige Pausen.“ verausgaben sich beim Raufgehen und sind beim Abstieg müde und erschöpft“

Herausfordernder Abstieg

Bei einer Wanderung ist es zwar meist der Aufstieg, der einiges an Anstrengung kostet, die allermeisten Unfälle in den Bergen, fast 75 Prozent, passieren aber beim Bergabgehen. „Viele verausgaben sich beim Raufgehen und sind beim Abstieg müde und erschöpft“, sagt Dr. Ines Berger-Uckermann. Die Ärztin ist Alpin- und Höhenmedizinerin und selbst leidenschaftliche Wanderin. Sie weiß, unter welchen Umständen die Wahrscheinlichkeit für einen Unfall steigt. „Wenn etwa das Gelände besonders unwegsam oder anders als erwartet ist, man sich vergangen hat, wenn die Konzentration nachlässt, aufgrund von Erschöpfung, oder wenn man durchs Fotografieren abgelenkt ist. Außerdem überschätzen viele Menschen ihre Kraft und Kondition. Sie starten in zu hohem Tempo und machen zu wenige Pausen, oder sie rechnen nicht damit, dass sich das Terrain durch Wetterumschwünge stark verändern kann.“ Ein oft unterschätzter Faktor ist laut Berger-Uckermann Kälte. In den Bergen kühlt der Körper rasch aus, etwa nachdem man in Top und kurzer Hose bekleidet schwitzend am Gipfel angekommen ist. „Wird es kühl, ziehen sich die Strukturen, also Muskeln, Faszien und Sehnen, zusammen und sind weniger elastisch. Der Körper wird dadurch verletzungsanfälliger.“ Eine zusätzliche Kleidungsschicht sollte man deshalb selbst bei heißem Wetter immer dabei haben.

PECH-Regel zur Erstversorgung

Was tun, wenn es zu einer der klassischen Wanderverletzungen wie einer Prellung, einerVerstauchung oder einer Zerrung gekommen ist? Die sogenannte PECH-Regel fasst die vier Schritte der Erstversorgung auf eingängige Weise zusammen. Das P in PECH steht für Pause. Die ist wichtig, um die betroffene Körperpartie ruhigzustellen und nicht mehr zu belasten. E steht für Eis. Das ist in den Bergen kaum rasch verfügbar, zum Kühlen kann man aber auch kaltes Wasser über die Verletzung laufen lassen. Kühlung sorgt einerseitsdafür, dass sich die Blutgefäße zusammenziehen, was zum Beispiel bei einer Zerrung dazu führt, dass weniger Flüssigkeit ins Gewebe fließt und die Schwellung dadurch kleiner ausfällt. Andererseits lindert Kälte auch den Schmerz. Drittens sollte man einen Kompressionsverband – das C in PECH – anlegen. Eine selbsthaftende Binde zum Beispiel verleiht Stabilität. Das H steht für Hochlagern. Dabei gelangt weniger Blut in die Stelle und Blutungen und Schwellungen fallen geringer aus.

Erschöpfung durch Überforderung

Wer sich verletzt, sollte unbedingt darauf achten, nicht auszukühlen. Am besten setzt man sich auf eine Unterlage und zieht sich einen Pullover oder eine Jacke an. Sind die Schmerzen stark, helfen oral eingenommene Medikamente mit den Wirkstoffen Ibuprofen oder Diclofenac. Salben, sagt Ines Berger-Uckermann, bewirken bei einer akuten Verletzung wenig. Wer sich nach einer Pause dazu imstande sieht, weiterzugehen, kann Stöcke nutzen, um die verletzte Stelle zu entlasten.

Bei Erschöpfungszuständen ist ebenfalls eine Pause angebracht. Denn, so Ärztin Berger-Uckermann: „Erschöpfung ist immer ein Zeichen von Überforderung.“ Maßnahmen wie eine Schicht mehr Kleidung, etwas Zuckerhältiges trinken, eine Kleinigkeit essen, helfen, wieder zu Kräften zu kommen. Beim Weitergehen – natürlich in gemäßigtem Tempo – sollte der erschöpften Person das Gepäck abgenommen werden. In einer Wandergruppe soll sie nicht das Schlusslicht bilden, sondern in der Mitte der Gruppe gehen.

Topfenwickel und Arnikatinkturen

Die Beschwerden bei Prellungen oder Muskelzerrungen werden mit entsprechender Schonung in den meisten Fällen innerhalb einiger Tage von selbst zurückgehen. Bei einer Verstauchung hängt es vom Grad der Verletzung ab, wie rasch man wieder auftreten kann. Auf jeden Fall sollte man das Gelenk schonen oder durch einen Stützverband stabilisieren. Sind die Schmerzen sehr stark, sollte eine Ärztin oder ein Arzt feststellen, ob nicht doch Bänder angerissen oder ganz
gerissen sind. Auch bei allen anderen Verletzungen gilt: Ein Arztbesuch ist dann notwendig, wenn Schmerzen nicht nachlassen, wenn sie nach der Tour „weiterarbeiten“. Oder wenn die betroffene Stelle stark geschwollen ist. „Neben medikamentöser Behandlung haben sich Hausmittel wie Arnikatinkturen oder Topfenwickel bewährt“, sagt die Sportmedizinerin. Mit Beinwellsalbe, über Nacht aufgetragen, hat sie ebenfalls gute Erfahrungen gemacht. Damit es gar nicht erst zu Verletzungen kommt, empfiehlt die Ärztin Dehnungsübungen und Aufwärmgymnastik vor der Wanderung. „Gut geeignet ist das Baumelnlassen der Beine. Dafür setzt man sich auf eine erhöhte Stelle und lässt die Beine schwingen. Das entlastet die Knie.“ Im besten Fall ist mit einer guten Vorbereitung der einzige Schmerz, den man von der Wanderung mit nach Hause nimmt, ein Muskelkater.


Fotos: (c) Monika Zore, istock: nitiroj

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