Alkohol am Arbeitsplatz

März 2008 | Leben & Arbeiten

Weit verbreitet, oft verharmlost: „Kollege“ Alkohol
 
Der Kollege hat in der Früh schon eine Fahne, kommt „angeheitert“ aus der Mittagspause zurück, fehlt schon wieder: In Österreich sind zirka fünf Prozent alkoholabhängig. Das bedeutet im Klartext, dass man in einem Unternehmen mit 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit fünf Personen rechnen muss, die „trinken“. Die Wahrscheinlichkeit ist also groß, dass „Kollege“ Alkohol auch in Ihrem Umfeld zu finden ist. Experten über den richtigen Umgang mit Betroffenen.
 
Von Mag. Christian F. Freisleben-Teutscher

Ein Krügerl Bier mittags in der Kantine, ein G’spritzter nachmittags zur Kaffeepause – was ist schon dabei? Mit einer Fahne zum Kundentermin, mit Promille im Blut Fehler riskieren – das darf nicht sein! Zwei extreme Haltungen – wo liegt die Wahrheit?
„Der Umgang mit Alkohol ist oft sehr ambivalent: Einerseits wird bei jeder Gelegenheit angestoßen, bei Betriebsfeiern etwa werden Menschen eher schief angesehen, die nichts trinken. Trotz umfassender Programme zum Thema Umgang mit Sucht gibt es in vielen Betriebskantinen wie selbstverständlich auch Bier und Wein. Aber wenn dann Probleme durch Alkohol am Arbeitsplatz auftauchen, wird der Konsum verteufelt“, analysiert Dr. Reinhard Hinterbucher vom „SuchTeam“, einem Projekt in Salzburg, das sich auf betriebliche Suchtprävention spezialisiert hat.
„Immer mehr Unternehmen und auch Institutionen wie Behörden setzen Programme zum Thema Alkohol am Arbeitsplatz um“, berichtet Univ. Prof. Dr. Michael Musalek, medizinischer Leiter des Wiener Anton-Proksch-Instituts, der größten Suchtklinik Europas, erfreut. Das Problem sei deutlich mehr ins Bewusstsein der Menschen gerückt, sagt Musalek, „allerdings sind wir in Österreich noch immer weit von dem Status weg, wo wir eigentlich sein sollten“.

Dass etwa am Bau der früher übliche Sechserpack zum Frühstück oft der Kiste Mineral gewichen ist, ändert daran wenig. Denn die Zahlen wissen es besser: Allein in Wien hat jeder vierte Mann massivere Probleme durch Alkoholmissbrauch. „Das heißt, in Wien nimmt jeder Vierte etwa 420 Gramm reinen Alkohol pro Woche zu sich, trinkt also zirka 0,75 Liter Wein bzw. drei Krügel Bier pro Tag.“ Wer länger als etwa fünf Jahre in diesem Maß trinkt, riskiert mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit schwere chronische körperliche und psychische Krankheiten. In Österreich sind etwa fünf Prozent der Bevölkerung – bzw. acht Prozent der Männer – alkoholsüchtig, also abhängig von dieser „legalen Droge“. „Das bedeutet, dass man in einem Unternehmen mit 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit fünf Personen rechnen muss, die alkoholabhängig sind“, ergänzt Musalek.

Problem Co-Abhängigkeit
Alkohol am Arbeitsplatz hat viele Folgen. Die massiv erhöhte Unfallgefahr nach dem „Schluckerl“ wird immer noch unterschätzt. Zur Verdeutlichung: „Ein mittelschwerer Mann, der in der Mittagspause einen halben Liter Bier oder ein Viertel Wein trinkt, hat eine Stunde später eine doppelt so hohe Unfallwahrscheinlichkeit wie im nüchternen Zustand“, verdeutlicht Musalek. Alkoholkranke Menschen haben 16 Mal höhere Fehlzeiten im Betrieb. Durch Alkoholmissbrauch entstehende Krankenstände und Arbeitsunfälle verursachen in heimischen Betrieben nach wie vor Kosten in Millionenhöhe. Dazu kommt viel Leid für die Betroffenen und deren Umfeld – in der Familie und im Job. Denn: „Sucht ist kein privates Problem“, wie Dr. Hinterbucher klar stellt.

Wenn der Kollege in der Früh schon wieder nicht aus den Federn kommt, schon wieder fehlt und seine Arbeit liegen bleibt, gerät derjenige, der seine Aufgaben übernimmt, um zu „helfen“ und das Problem zu vertuschen, in die Gefahr der so genannten Co-Abhängigkeit. „Das heißt“, so Hinterbucher, „über eine oft sehr lange Zeit decke ich das Verhalten von Mitarbeitern oder beschönige und verharmlose es, ja ich trage sogar über längere Zeiträume die Konsequenzen von Beeinträchtigungen.“ Selten wird dabei das Problem direkt beim Namen genannt, und das kann dann auch so weit gehen, dass Mitarbeiter mit Alkoholproblemen vor anderen Kollegen oder Vorgesetzten verteidigt werden bzw. die Schuld für aufgetretene Probleme übernommen wird. „Die Belastung bei einer solchen Co-Abhängigkeit wird oft jeden Tag größer – teils kommt es zu Überlastungsreaktionen bei jenen, die eigentlich gar kein Alkoholproblem haben“, ergänzt Hinterbuchner. Dem Alkoholkranken selbst ist damit jedenfalls nicht geholfen, da er sein Trinkverhalten ja nicht ändern muss, wenn ihm die Probleme, die durch seine Sucht entstehen, von seinem Umfeld abgenommen werden.

Die Alarmzeichen erkennen
Vertuschen, verschweigen, abwiegeln – all dies sind Strategien, die in Wirklichkeit das Problem noch vergrößern. Geholfen wird dadurch niemandem, im Gegenteil. Programme zur Prävention wie sie zum Beispiel vom Anton-Proksch-Institut oder „SuchTeam“ begleitet werden, setzen daher auch dort an, wo es gilt, Alarmzeichen für Alkoholmissbrauch zu erkennen. Was einen hellhörig machen sollte: jemand kommt plötzlich ständig zu spät, ist sehr oft krank, macht häufig Fehler, die bisher selten aufgetreten sind, wirkt ständig wie „aufgezogen“ oder geht in die soziale Isolation.
Für Hinterbuchner ist wichtig „das Gespräch mit den Mitarbeitern zu suchen. Ein gutes Betriebsklima sollte sich eigentlich durch ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis auszeichnen.“
Die Person, die auf ihr „Alkoholproblem“ angesprochen wird, sollte sich dadurch nicht ausgegrenzt oder bedroht fühlen. „Wichtig ist, eine Palette an Unterstützungsmaßnahmen im Betrieb parat zu haben, die in einem solchen Fall auch über längere Zeiträume angeboten werden können“, so Hinterbucher. Eine fristlose Entlassung ist dann der allerletzte Schritt, wenn alle anderen Maßnahmen wirkungslos blieben.

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Alkoholabhängig?
So erkennt man das Problem

Dr. Wolfgang Beiglböck, klinischer Psychologe am Anton-Proksch-Institut, über die Warnzeichen einer Alkoholsucht:

  • Kontrollverlust
    Eigentlich weiß ich, dass ich zu trinken aufhören sollte, kann den Alkoholkonsum aber nicht mehr beherrschen.
  • Gewohnheit
    Ich trinke, ohne mir dabei etwas zu denken – und „plötzlich“ liege ich bei einem Konsum von täglich mehr als 60 Gramm reinem Alkohol (0,75 L Wein, 1,5 L Bier). Ich setze Alkohol ständig dazu ein, um Belastungssitua­tionen zu ertragen, Stress besser auszuhalten oder Beziehungsstreit „wegzutrinken“. Alkohol ist fast die einzige Möglichkeit, mich wirklich zu entspannen.
  • Psychische Abhängigkeit
    Ich habe das Gefühl, dass ich unbedingt Alkohol brauche, fühle mich nicht mehr in der Lage, einige Wochen „ohne“ auszukommen.
  • Dosissteigerung
    Die Menge des konsumierten Alkohols wird kontinuierlich größer – ich brauche immer „mehr“, um dieselbe Wirkung zu erzielen.

 

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Mein Kollege ist Alkoholiker:
Tipps für den Umgang mit Betroffenen

  • Mut, Betroffene auf den Alkoholmissbrauch und dessen Folgen direkt anzusprechen. Verleugnende oder auch aggressive Reaktionen auf ein Ansprechen sind nicht persönlich gemeint, sondern sind ein Symptom der Alkoholsucht.
  • Keine Arbeiten für eine alkoholkranke Kollegin oder einen alkoholkranken Kollegen übernehmen – diese/r hat sonst weiter das falsche Gefühl, alles im Griff zu haben.
  • Nicht versuchen, die Probleme des anderen zu lösen – hier ist fachliche Unterstützung nötig. Allerdings kann Zuhören, Zeit nehmen wichtig sein.
  • Das von Alkoholmissbrauch ausgelöste Verhalten nicht in Schutz nehmen. Zuwendung und Freundschaft bleiben wichtig, aber erfinden Sie keine Ausreden für den Kollegen, die Kollegin, das verschärft das Problem.
  • Konsequent bleiben: Angedrohte Folgen unbedingt einhalten, Alkoholkranke sind unter dem Druck ihrer Sucht Meister im Erfinden von Ausreden.
  • Selbsttest und Informationsbroschüren zum Arbeitsplatz mitnehmen – Hinweise auf Beratungs- und Behandlungsangebote geben. Motivation des Betroffenen, fachliche Unterstützung auf verschiedenen Ebenen in Anspruch zu nehmen, denn Alkoholmissbrauch hängt oft sehr eng mit persönlichen Problemen zusammen.
  • Maßnahmen zum Thema Umgang mit Sucht im eigenen Betrieb mittragen oder aktiv vorschlagen.

Quelle: Anton-Proksch-Institut

 

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Teufel Alkohol:
Wie Bier, Wein & Co wirken

Alkoholkonsum hinterlässt Spuren im Blut, also einen Alkoholspiegel, der in Promille gemessen wird. Ab zirka 0,5 Promille sind unsere Reaktionen deutlich langsamer, auch die Wahrnehmung über die Augen ist beeinträchtigt, die Bewegungen werden unsicher. Wer innerhalb einer kurzen Zeit eine Flasche Wein oder eineinhalb Liter Bier trinkt, bei dem nehmen auch Urteilsvermögen und die Fähigkeit zur Selbstkritik ab. Koordinierte Bewegungen von Armen, Händen, Beinen und Füßen werden schwieriger. Die Unfallwahrscheinlichkeit ist dann viermal so hoch. Bei zirka fünf Viertel Wein oder 2,5 Liter Bier liegt der Alkoholspiegel bei etwa zwei Promille. Seh- und Hörfähigkeit sind massiv beeinträchtigt, die Reaktionszeiten noch länger, die Fähigkeit zur Selbstkritik ist praktisch nicht mehr vorhanden – in dieser Situation ist es also sehr schwierig, jemanden zum Beispiel davon zu überzeugen, doch lieber das Auto stehen zu lassen.Wichtig zu wissen ist: Wer bis Mitternacht trinkt und zirka 1,5 Promille „intus“ hat – also z. B. vier Krügel Bier –, hat nach zirka sechs Stunden Schlaf noch immer 0,9 Promille. Denn Alkohol wird sehr langsam abgebaut, auch wenn subjektiv das Gefühl besteht, nicht mehr beeinträchtigt zu sein.

Anton-Proksch-Institut Wien: www.api.or.at
SuchTeam Salzburg: www.suchteam.at

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