Endlich Urlaub … wieder krank!

Juni 2012 | Psyche & Beziehung

Warum wir oft just in der freien Zeit schlappmachen
 
Da hat man monatelang auf den Urlaub hingearbeitet – und dann das: Übelkeit, Schnupfen, Fieber oder Kopfschmerzen vermiesen ausgerechnet die schönste Zeit des Jahres. „Freizeitkrankheit“ nennen Experten das Problem. Lesen Sie, warum wir oft just in den Ferien schlappmachen und wie wir uns davor schützen können.
 
Von Bettina Benesch

Es gibt Dinge, die gehören zum Wochenende wie die Hitze zum Sommer: Stau an der Stadtgrenze, Warteschlange an der Supermarktkassa  … oder das Halsweh am Samstagmorgen. Denn viele Menschen werden just dann krank, wenn sie ein paar Tage frei haben oder zur Urlaubsreise aufbrechen. Fachleute haben vor rund zehn Jahren den Begriff „Leisure Sickness“ für dieses Phänomen geprägt. Diese „Freizeitkrankheit“ macht sich durch eine Reihe von Symptomen bemerkbar, angefangen beim grippalen Infekt samt Halsschmerzen, Fieber und Schnupfen, über Müdigkeit, Kopfschmerzen, Übelkeit, bis hin zu gravierenden Erkrankungen wie beispielsweise Herzinfarkt.
Die Arbeitsmedizinerin Dr. Christine Klien hält den Begriff Freizeitkrankheit für irreführend: „Denn nicht die Freizeit selbst ist die Erkrankungsursache“, sagt die Geschäftsführerin des Arbeitsmedizin- und Beratungsunternehmens „ameco“. Der Zustand, um den es vielmehr gehe, sei eine „Krankheit, die in der Freizeit auftritt, weil man sich in der Arbeit zu sehr verausgabt hat.“ Man ist erschöpft – und das ist weit mehr als nur müde: „Natürlich darf ich durch die Arbeit müde werden“, macht Klien den Unterschied klar. „Aber bei Erschöpfung muss ich aufpassen.“ Müdigkeit bedeutet das Gefühl, zwar müde zu sein, aber zu wissen, wozu das eigene Tun gut war: Man hat etwas zustande gebracht, ist zufrieden mit dem Tagwerk, kann in der Freizeit abschalten und etwas für sich tun. Als Erschöpfung definiert die Medizinerin den Zustand intensiver Müdigkeit, der dazu führt, dass man weder körperlich noch geistig in der Lage ist, irgendetwas zu tun. „Oft kann man dann nur mehr fernsehen oder liegt völlig geschafft auf dem Sofa.“ Mitunter nimmt man die Probleme des Arbeitstages mit in den Schlaf. Häufige Folgen sind Schlafstörungen, deren Konsequenzen sich natürlich untertags zeigen: Man ist nach wie vor erschöpft.

In die Einbahnstraße

Von der „Freizeitkrankheit“ betroffen sind in der Regel Menschen, die stark auf ihre Arbeit fokussiert sind, sich durch Leistungsfähigkeit definieren, ihren Selbstwert aus der Karriere ziehen – und bei alldem in der Freizeit nicht abschalten können. „Diese Personen merken gar nicht, wie stark sie gegen die eigene Natur arbeiten“, erklärt der Organisationspsychologe Mag. Alfred Lackner, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens „Lackner & Kabas“. Denn die eigene Natur, die bräuchte Balance zwischen Anstrengung und Erholung, zwischen Arbeitseinsatz und Freizeit. Und sie bräuchte echte Erholung und Mußestunden statt Freizeitstress.
Fehlt diese Balance, machen sich die unterdrückten inneren Bedürfnisse auf den Weg an die Oberfläche, auf dass sie endlich erkannt werden. Kommt also der Urlaub oder nahen ein paar freie Tage, schaltet der Körper ab – wenn es der Mensch von sich aus schon nicht tut. Im Fall der Freizeitkrankheit bedeutet dieses Abschalten: krank werden. Welche speziellen Mechanismen dahinterstecken, sei wissenschaftlich nicht vollends geklärt, sagt Christine Klien, sicher ist aber: „Wenn man chronisch gestresst ist, hat man weniger Abwehrkräfte. Man ist einfach geschwächt.“ Diese Schwäche kann sich in vermehrten Infekten während der Freizeit zeigen.
Ganz so schlecht, wie es auf den ersten Blick scheint, ist das Krankwerden an sich aber nicht, sagt der Psychologe Alfred Lackner: „Krankheit ist ja eine natürliche Reaktion des Körpers. Ein grippaler Infekt im Urlaub ist eine Art der Selbstreinigung.“ Bei aller Selbstreinigung ist Krankheit dennoch ein Zeichen dafür, dass etwas schief läuft. Sie sollte keinesfalls übergangen, sondern gut auskuriert werden. Zeigt sich die Dysbalance zwischen Anstrengung und Erholung durch eine schwerwiegende Erkrankung wie dem Herzinfarkt, wurden die vorhergehenden Warnzeichen übersehen. Die Grenze des Verträglichen ist überschritten, der Weg in die Einbahnstraße eingeschlagen.

Erste Ausfahrt nehmen

Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, um überlastungsbedingte Erschöpfung und ständiges Kranksein hinter sich zu lassen. Die Arbeitsmedizinerin Klien rät, in einem ersten Schritt die Beschwerden medizinisch abklären zu lassen. „Wenn körperlich alles in Ordnung ist und der Arzt die Symptome auf Stress zurückführt, dann muss ich mich fragen: ‚Woher kommt der Stress und was kann ich ändern?‘.“ Auch der Psychologe Alfred Lackner rät, sich die Frage nach dem „Warum“ zu stellen: „Was will mir mein Körper sagen?“
Ist die Krankheit erst einmal gut ausgeheilt und überstanden, tauchen in einem weiteren Schritt weitere Fragen auf: „Habe ich überhaupt den richtigen Beruf? Erfüllt mich das, was ich tue?“. „Das ist die Grundlage von psychischer Gesundheit: Wenn ich schon Energie abgebe, dann soll das, was ich mache, für mich auch sinnvoll sein“, erklärt Lackner.
Als dritten Schritt empfiehlt der Psychologe, Pausen und unverplante Freiräume in die Tage einzubauen. Keine leichte Übung – vor allem für Menschen, die es gewohnt sind, sehr funktional zu arbeiten, ein Ding nach dem anderen zu erledigen; und das streng nach Plan. Sie organisieren die Freizeit häufig genauso straff wie den Arbeitstag. Genau das gilt es aber zu verhindern: Es ist wichtig, die Selbstwahrnehmung zu stärken, und zu lernen, was Körper und Seele gerade brauchen. Das geschieht weniger über spezielle Techniken als über körperliche Erfahrungen. Während man läuft, wandert oder Yogaübungen macht, schult man sich in Sachen Selbstwahrnehmung: Wie fühlt es sich an, einfach nur zu gehen und da zu sein? Welche Bewegung tut gut, welche schmerzt? Die Selbstwahrnehmung derart zu schulen sei einfach, sagt Lackner. „Man muss es nur machen. Planen Sie an Ihren freien Tagen keine Termine ein. Entscheiden Sie spontan, was Ihnen gut tut.“ Es gilt, einfach die erste Ausfahrt zu nehmen und ein wohltuendes Ziel anzusteuern.

Auf die Bremse steigen

Zu alldem braucht es einen vierten Schritt: Das Verhalten im Arbeitsalltag ändern, Grenzen setzen. „Die meisten Menschen, die sich ausbeuten, machen das freiwillig. Das bringt Anerkennung und Wertschätzung“, erklärt Lackner, der vorwiegend mit Führungskräften arbeitet. Natürlich spielen auch die jeweiligen Vorgesetzten mit, die dieses Verhalten fördern, indem sie es zulassen. Grundsätzlich beginne die Dynamik jedoch beim Mitarbeiter. Nun ist es vermutlich so, dass ein Chef, der seinen Mitarbeiter als fleißig und aufopfernd kennt, wenig erfreut sein wird, wenn dieser Mitarbeiter die gewohnte 120-prozentige Arbeitsleistung auf 100 Prozent senkt. Um diesen Konflikt zu vermeiden, rät Lackner, einen neuen Job mit einem vernünftigen Maß an Arbeitsleistung zu beginnen. Dann bleiben noch Energiereserven, um Zeiten mit hohem Arbeitsaufkommen gut zu überstehen. „Oft werden psychische Belastungen durch Kommunikationsprobleme im Unternehmen ausgelöst“, ergänzt Arbeitsmedizinerin Klien. Daher sei es sinnvoll, seinen Chef oder seine Kollegen auf Probleme in der Arbeit frühzeitig anzusprechen und zu versuchen, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten.
Alfred Lackner verfolgt die Entwicklungen in der Arbeitswelt seit 20 Jahren von der Warte des Psychologen aus: „Der Leistungsdruck in diesem Zeitraum ist massiv gestiegen, aber die Belastbarkeit des menschlichen Körpers ist gleich geblieben. Wir nähern uns unseren Grenzen.“ Die Menschen können heute zwar eher über Stress, Burnout oder Angstzustände sprechen als vor Jahrzehnten, Führungskräfte wissen heute zwar, wie wichtig die Gesundheit der Mitarbeiter ist – „aber der Druck lässt deshalb nicht nach“, sagt Lackner.
„Stressbelastungen werden aber nicht nur im Arbeitsbereich ausgelöst, sondern entstehen oft auch im privaten Umfeld oder können selbstgemacht sein“, ergänzt Klien: „Die Freizeit und der Urlaub dienen der Erholung, dem Auffüllen der Energiereserven, mit denen ich achtsam umgehen sollte. Man kann eben nicht alles machen, auch wenn die Fülle an Angeboten und Aktivitäten noch so reizvoll erscheint.“ Es ist also wichtig, auch einmal auf die Bremse zu steigen – in der Arbeit und in der Freizeit.

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