Zu viel Zucker?

November 2019 | Medizin & Trends

In 6 Schritten Diabetes natürlich bekämpfen
 
Die Zuckerkrankheit ist längst zur Volkskrankheit geworden: Fast 600.000 Österreicher sind an Diabetes Typ 2 erkrankt. Wer daran leidet, muss, um schwere Folgen bis hin zu Herzinfarkt und Schlaganfall zu vermeiden, meist regelmäßig den Blutzucker messen, Tabletten schlucken, oder auch Insulin spritzen und mit Nebenwirkungen der Medikamente rechnen. Doch das Zuviel an Zucker lässt sich auch auf natürliche Art und Weise bekämpfen. Lesen Sie, wie das geht und was es bringt.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Müdigkeit und Schwindel, großer Durst und starkes Schwitzen, schlecht heilende Wunden und häufige Infektionskrankheiten: Das sind die Beschwerden, die Diabetes mellitus Typ 2 verursachen kann. Bei weitem drastischer gestalten sich aber die Folgen der Zuckerkrankheit, die ausgehend von Schädigungen der Blutgefäße durch die Zuckerkristalle drohen. Diese reichen von Augenerkrankungen, Nierenfunktionsstörungen, Beingeschwüren und Beinamputationen bis hin zu Herzinfarkt, Schlaganfall, Depressionen und Demenz. Um diese Folgeschäden zu vermeiden, wird der Volkskrankheit mit Medikamenten entgegengewirkt. Jene fast 600.000 Österreicher, die laut Österreichischer Diabetesgesellschaft (ÖDG) zu viel Zucker im Blut haben, müssen meist regelmäßig den Blutzucker messen und Tabletten schlucken, oder auch Insulin spritzen. Aufgrund neuer Substanzen und Wirkmechanismen helfen die Mittel zuletzt zwar immer besser (siehe „Neue Medikamente“ unten), mit Nebenwirkungen muss aber gerechnet werden. Dazu zählen etwa Unterzuckerungen, Durchfall und Verstopfung, ein Völlegefühl und Übelkeit, Ödeme, also Wasseransammlungen im Gewebe, eine Gewichtszunahme. Zudem schreitet die Erkrankung voran, weshalb mit der Zeit weitere Mittel genommen werden müssen, um Folgeschäden zu vermeiden. Gut nur, dass sich Diabetes auch auf natürliche Art und Weise bekämpfen lässt: Mit dem Erfolg, dass Medikamente wieder besser wirken, weniger Medikamente benötigt werden, bei leichten Formen der Erkrankung oft gar keine mehr. Und bei der Vorstufe, dem Prädiabetes, kann meist von vornherein auf Tabletten verzichtet werden. Die sechs Schritte auf dem Weg dorthin beschreiben führende Experten für MEDIZIN populär.

1. Schritt eins:                                                        
Stress reduzieren

Werden die Österreicher von Meinungsforschern gefragt, ob sie unter Stress leiden, bejaht jeder Vierte die Frage. Verursacht wird der Stress, wie die Gestressten sagen, besonders häufig durch „Druck, den man sich selber macht“. Univ. Prof. Dr. Hermann Toplak von der Universitätsklinik für Innere Medizin an der Medizinischen Universität Graz sowie Präsident der Österreichischen Diabetesgesellschaft (ÖDG) dazu: „Diesen Druck zu reduzieren, ist vor allem für Diabetiker und Prädiabetiker sehr wichtig.“ Denn fühlt sich jemand gestresst, produziert der Körper viel vom Stresshormon Cortisol. Und ein hoher Cortisolspiegel führt dazu, dass der Blutzuckerspiegel ansteigt. Wird öfter gezielt für Entspannung gesorgt, bringt das den Blutzuckerspiegel laut dem Experten wieder zum Sinken. Mit welchen Mitteln der Zustand der Entspannung am besten erreicht wird, hängt von individuellen Vorlieben ab, so Toplak: „Den einen tut es gut, beispielsweise etwas Musik zu hören.“ Andere sind mit Entspannungsübungen, etwa aus dem autogenen Training oder der progressiven Muskelentspannung nach Jacobson besser beraten – wieder andere mit einer Stressreduktion durch Bewegung bzw. Sport.

2. Schritt zwei:                                                        
In Bewegung kommen

Umfragen zeigen es: Lediglich ein Drittel der Österreicher bewegt sich regelmäßig, ein weiteres Drittel betreibt nur selten Sport, und ein Drittel zählt gar zur „No sports“-Fraktion. Für Toplak ist das zwar schlimm, eines hält er aber für noch bedenklicher: „Die meisten Menschen bewegen sich heute generell viel zu wenig, sie gehen höchstens 800 Meter am Tag.“ Doch wer sich wenig bewegt, verbraucht wenig von dem Zucker, der über die Nahrung zugeführt wird. So können bald zu viele der süßen Kristalle im Blut kursieren. Umgekehrt lässt sich der Blutzuckerspiegel durch regelmäßige körperliche Aktivität ganz natürlich auf niedrigere bis hin zu gesunden Werten senken.
Nur welcher Sport soll es sein und wie viel davon? „Für die meisten Diabetes-Patienten und Prädiabetiker ist es wichtig, überhaupt erst einmal in Bewegung zu kommen“, sagt Toplak. Ihnen rät der Experte, sich zunächst zur Gewohnheit zu machen, jeden Tag spazieren zu gehen und sich nach einiger Zeit zu steigern. Nordic Walking, Radfahren, Schwimmen und Joggen eignen sich gut dafür, dem Diabetes natürlich den Kampf anzusagen. Das ideale Tempo bzw. die Intensität der Belastung lässt sich laut Toplak am besten im Zuge einer sportmedizinischen Untersuchung ermitteln. Generell gilt: Da die blutzuckersenkende Wirkung von Ausdauersportarten nach spätestens 48 Stunden zurückgeht, ist es wichtig, drei- bis viermal pro Woche mindestens eine halbe Stunde lang  zu joggen, zu schwimmen, mit dem Rad zu fahren, etc. „Und das dauerhaft“, ergänzt der Wiener Internist, Stoffwechsel- und Hormonspezialist Univ. Prof. Dr. Thomas Stulnig. Er hat bei der Arbeit mit Patienten die Erfahrung gemacht, dass sich die Werte nach erfolgter Besserung verschlechtern, sobald Diabetiker und Prädiabetiker in ihr altes – bewegungsarmes – Muster zurückfallen.    

3. Schritt drei:                                                        
Die Muskeln spielen lassen

Ob in Form von Kniebeugen, Liegestützen oder Klimmzügen mit dem eigenen Körpergewicht, ob mit Hanteln oder an Geräten: Krafttraining zählt nach Befragungen nicht zu den Lieblingssportarten der Österreicher. Doch Diabetikern und Prädiabetikern wird zusätzlich zum Ausdauertraining das Trainieren der Muskeln ans Herz gelegt. „Die Muskulatur ist ein wichtiges Stoffwechselorgan und das größte Organ, das Zucker aufnimmt, Fett verbrennt und so eine diabetische Stoffwechsellage verbessert“, informiert Dr. Kurt Moosburger, Internist sowie Sport- und Ernährungsmediziner aus Hall in Tirol über die Gründe. Aber nicht nur das spricht dafür, dem Zuviel an Zucker im Blut durch Krafttraining entgegenzuwirken. Wer die Muskeln spielen lässt, profitiert laut dem Experten noch von einer weiteren Auswirkung: Das Training macht die Muskelzellen empfindlicher gegenüber Insulin, also jenem Hormon, das Zucker bzw. Glukose zur weiteren Verwertung in die Zellen einschleust. Und das erleichtert nicht nur dem körpereigenen Insulin seine Arbeit, sondern erhöht darüber hinaus noch die Wirksamkeit von Medikamenten, weshalb oft die Dosis verringert werden kann.  
Ausgeführt werden sollte das Krafttraining nach Anleitungen durch einen Sportmediziner oder geschulten Trainer, so Moosburger. Im Allgemeinen rät er dazu, zweimal pro Woche – und lebenslang – die Muskeln zu trainieren.

4. Schritt vier:                                                        
Bewusst essen & trinken

Ob der Snack zwischendurch, ob Fast Food zum Mitnehmen, ob schnelles Essen aus der Mikrowelle: Nach Umfragen sind Fertiggerichte hierzulande äußerst beliebt. Gegriffen wird hauptsächlich dazu, um Zeit zu sparen. Toplak zu diesem Verhalten: „Wenn Menschen heute aus dem Alltagsstress nach Hause kommen, gehen viele zum Kühlschrank und haben bald schon einiges im Mund und Magen, was sie eigentlich nicht essen hätten sollen.“ Besonders um Diabetes und Prädiabetes entgegenzuwirken, ist es laut dem Experten aber wichtig, „bewusst zu essen und zu trinken und in entspanntem Zustand die Wahl zu treffen“.
Die Wahl ist richtig, wenn die Ernährung ausgewogen ist und nicht zu viel Zucker enthält. Deswegen rät Toplak Betroffenen dazu, „eher Gemüse und Salate zu essen statt Obst“, in dem Fruchtzucker steckt. Des Weiteren gut: Unter den Milchprodukten zuckerfreie bevorzugen, zu Vollkornprodukten mit den komplexeren Kohlenhydraten zu greifen, da diese den Blutzuckerspiegel nicht so stark ansteigen lassen, wie Weißmehlprodukte. Und: zuckerfrei trinken – statt zuckerhaltige Fruchtsäfte und gezuckerte Limos ungesüßte Getränke und Wasser. Stulnig empfiehlt Diabetikern außerdem, „grundsätzlich fettarm zu essen und darüber hinaus gute Fette zu wählen“, also etwa statt zu fetter Wurst zu Putenfleisch zu greifen, das in hochwertigem Olivenöl gebraten wird. Denn, so der Experte: „Das hilft den Gefäßwänden, die durch das Zuviel an Zucker belastet sind.“

5. Schritt fünf:                                                        
Überschüssige Kilos loswerden

40 Prozent der Österreicher sind laut dem Österreichischen Ernährungsbericht zu dick, unter den Männern hat jeder Zweite Übergewicht, unter den Frauen fast jede Dritte. Und Übergewicht bzw. ein hoher Körperfettanteil machen vielfach zuckerkrank oder anfällig für Prädiabetes. Toplak über die Gründe: „Übergewicht mindert die Empfindlichkeit der Körperzellen gegenüber dem zuckerverarbeitenden Hormon Insulin.“ Dadurch kann der Zucker bzw. die Glukose nicht mehr so gut aus dem Blut in die Zellen weitergeschleust und verbraucht werden, was zur Folge hat, dass der Blutzuckerspiegel steigt. Gut nur, dass auch der Umkehrschluss gilt: Der Blutzucker sinkt, sobald überschüssige Kilos schwinden.
Am besten gelingt das laut dem Experten, wenn der Kalorienverbrauch durch Bewegung und Sport erhöht – und beim Essen und Trinken auf den Kaloriengehalt der Speisen und Getränke geachtet wird: Wer sich immer wieder etwas weniger Kalorien zuführt, als er verbraucht, erreicht durch die negative Energiebilanz, dass der Körperfettanteil abnimmt. Dies sollte im Sinn der Gesundheit nicht schnell, sondern eher langsam erfolgen, so Toplak: „Empfehlenswert ist, ein bis zwei Kilogramm im Monat loszuwerden.“

6. Schritt sechs:                                                        
Dem Raucherdasein entsagen

Nach Angaben der Statistik Austria raucht jeder vierte Österreicher, unter den Rauchern sind etwas mehr Männer als Frauen. So wie an sich alle, sollten besonders Diabetiker und Prädiabetiker die Finger vom Glimmstängel lassen, warnt Stulnig. Warum, ist leicht erklärt: „Rauchen führt dazu, dass sich die Blutgefäße zusammenziehen und dadurch sowie durch die Ablagerungen von den giftigen Rauchinhaltsstoffen und dem Zucker dreifach geschädigt werden.“ Außerdem wird durch die Rauchinhaltsstoffe die Sensibilität der Körperzellen gegenüber Insulin reduziert, wodurch das Insulin weniger Zucker in die Zellen einschleusen kann und der Blutzuckerspiegel steigt. Wer dem Raucherdasein entsagt, vermag laut dem Experten aber zu erreichen, dass der Blutzuckerspiegel sinkt.

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Was ist Diabetes?

Bei Diabetes mellitus Typ 2 produziert die Bauchspeicheldrüse zu wenig des Hormons Insulin und/oder die Körperzellen nehmen weniger Insulin auf, das dazu da ist, Zucker aus der Nahrung abzubauen. In Folge steigt der Blutzuckerspiegel an. Verursacht wird Diabetes mellitus Typ 2 teils durch die Gene, überwiegend aber durch Lebensstilfaktoren (Stress, Bewegungsmangel, schlechte Ernährungsgewohnheiten, Übergewicht, Rauchen), seltener durch Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse.

Diabetes mellitus Typ 1 ist eine Autoimmunkrankheit, die dazu führt, dass das Immunsystem die Insulin-produzierenden Zellen in
der Bauchspeicheldrüse schädigt. Aufgrund des permanenten Insulinmangels steigt der Blutzucker ständig an. Erkrankte müssen lebenslang Insulin zuführen, nur so können sie von den Folgeschäden des Diabetes verschont bleiben.

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Neue Medikamente

Für die Behandlung von Diabetes mellitus Typ 2 stehen laut Univ. Prof. Dr. Thomas Stulnig heute Mittel zur Verfügung, die auf verschiedenen Ebenen wirken. Wie etwa:

  • Mittel, die die Wirkung von Insulin in der Leber verbessern und die meist nötige Gewichtsabnahme unterstützen (Metformin).
  • Medikamente, die die Ausschüttung von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse ankurbeln (Sulfonamide, Glinide).
  • Medikamente mit Substanzen, die dazu führen, dass Zucker bzw. Glukose verstärkt über die Niere mit dem Harn ausgeschieden wird (SGLT2-Hemmer). Bleibt weniger Zucker im Körper, führt das nicht nur zu einer Senkung des Blutzuckerspiegels, sondern auch zu einer Gewichtsabnahme und einem Absinken des Blutdrucks, was beides meist nötig ist.
  • Tabletten, die das Darmhormon GLP-1 stabilisieren (Gliptine). Zugleich sorgen diese Mittel für eine frühe Sättigung, die förderlich für eine Gewichtsabnahme ist.  
  • Medikamente, die das körpereigene Darmhormon GLP-1 nachbauen (GLP-1-Analoga) und die obigen Effekte (frühe Sättigung, Gewichtsabnahme) noch stärker hervorrufen.
  • Tabletten (Pioglitazon), die die Insulinwirkung im Fettgewebe verbessern.
  • Insuline mit optimierter Wirkung.

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Wann Blutzucker messen lassen?

Je eher Diabetes erkannt wird, desto besser greifen die natürlichen Schritte im Kampf gegen die Krankheit und können oft sogar eine Medikamenteneinnahme überflüssig machen. Deswegen sollte man sich laut Univ. Prof. Dr. Thomas Stulnig schon dann den Blutzucker messen lassen, wenn man einer Risikogruppe angehört. Dazu zählen:

  • Übergewichtige
  • Menschen mit Fettansammlung am Bauch (Frauen, deren Bauchumfang über 88 cm misst, Männer mit einem Bauchumfang über 102 cm)
  • Genetisch Vorbelastete: Leidet ein Elternteil an Diabetes mellitus Typ 2, ist das Risiko, ebenfalls zu erkranken, um 50 Prozent erhöht. Sind beide Eltern Diabetiker, erhöht sich das Risiko um 90 Prozent.
  • Körperlich inaktive Menschen
  • Menschen mit Bluthochdruck
  • Menschen mit schlechten Blutfettwerten
  • Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen

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Welche Warnsignale gibt es?

Den Blutzucker messen lassen heißt es auf jeden Fall, wenn erste Warnzeichen für Diabetes auftreten. Dazu zählen:

  • Müdigkeit
  • Schwindel
  • Großer Durst
  • Starkes Schwitzen
  • Schlecht heilende Wunden
  • Häufige Infektionskrankheiten

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Wie läuft die Diagnose ab?

Abgesehen von der Blutzuckermessung sind für die Diagnose eines Diabetes laut Stulnig außerdem erforderlich: die Messung eines Blutzucker-Langzeitwerts HbA1C, und im Zweifelsfall ein Zuckerbelastungstest bzw. Glukosetoleranztest.

Wann hat man Diabetes?

Blutzucker: Gesunde haben zwölf Stunden nach einer Nahrungsaufnahme einen Blutzuckerspiegel im Bereich von 70 bis 99mg/dl. Der Bereich zwischen 100 und 125 mg/dl gilt als Diabetes-Vorstufe bzw Prädiabetes. Diabetes lautet die Diagnose, wenn der Nüchternblutzucker bei zwei Messungen an zwei verschiedenen Tagen über 126 mg/dl liegt.

HbA1c: Der Blutzucker-Langzeitwert informiert über die Blutzuckerwerte der zurückliegenden zwei bis drei Monate.

Zuckerbelastungstest bzw. Glukosetoleranztest: Die Glukosetoleranz wird durch einen oralen Glukosetoleranztest ermittelt. Dafür nimmt man 75 Gramm Glukose zu sich und misst zwei Stunden später den Blutzuckerspiegel. Bei Werten über 199 mg/dl besteht Diabetes.


Buchtipp:

Fisch, Abrahamian
Leben mit Diabetes Typ 2
ISBN 978-3-901488-93-1
152 Seiten, € 14,90
Verlagshaus der Ärzte

Stand 03/2016

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