Besser bio?

August 2017 | Ernährung & Genuss

So gut sind Bioprodukte für Mensch und Umwelt
 
Kunstdünger, Pestizide, Antibiotika: In der Biolandwirtschaft sind solche Substanzen tabu. Nicht nur deshalb sind biologisch erzeugtes Obst, Gemüse, Getreide und Fleisch – den höheren Preisen zum Trotz – immer beliebter. Doch sind die Lebensmittel auch gesünder? Expertinnen informieren über die Vorteile von Bioprodukten und worauf man bei der Auswahl achten sollte.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Rund 22.000 österreichische Bäuerinnen und Bauern wirtschaften heute nach biologischen Kriterien. Das ist jeder fünfte Betrieb – und es werden ständig mehr. Wodurch sich biologisch erzeugtes Obst, Gemüse, Getreide und Fleisch von konventionell produzierten Lebensmitteln unterscheiden? „Im biologischen Landbau dürfen keine chemisch-synthetischen Pestizide eingesetzt werden. Auch werden weder Kunstdünger noch gentechnisch veränderte Pflanzen verwendet“, erklärt Dr. Waltraud Novak, Pestizid-Expertin und  Ernährungswissenschafterin bei der Umweltorganisation GLOBAL 2000 in Wien. In der Tierhaltung sind vorbeugende Antibiotika-Gaben, wie sie zum Beispiel in der konventionellen Hühnerzucht der Fall sein können, tabu.
Basis ist ein nährstoffreicher, gesunder Boden: Durch vielfältige Fruchtfolge, Mischkulturen, die Förderung von Nützlingen und die sorgfältige Bearbeitung werden Bodennährstoffe aktiviert.
Dass der Biolandbau geringere Erträge als die konventionelle Landwirtschaft liefert, lässt Novak nicht gelten: „Bei uns werden 50 Prozent der Lebensmittel weggeworfen. Das heißt, wir könnten sogar mit 50 Prozent weniger Ertrag immer noch genug Lebensmittel haben.“

Weniger Schadstoffe

Die Vorteile von Biolebensmitteln liegen auf der Hand: Weil keine Pestizide eingesetzt werden dürfen, sind sie so gut wie nicht damit belastet. Pestizide können im menschlichen Organismus die Zellteilung stören und die Krebsentstehung fördern, das Immunsystem beeinträchtigen und die Entwicklung von Allergien begünstigen. Viele chemisch-synthetischen Pestizide sind zudem in hohem Grad schädlich für verschiedene Organismen wie Bienen, Fische, Vögel oder Amphibien.
Ganz verhindern lässt sich die Belastung durch Pestizide auch in Bioprodukten nicht. Man spricht von Abdrift, wenn Substanzen von konventionellen Flächen auf Bio-Flächen eingetragen werden, beispielsweise durch den Wind. Um das Problem zu minimieren, müssen Biobauern von ihren Feldern Randstreifen zu konventionellen Nachbarbetrieben freihalten – die Ernte dieser Randstreifen dürfen sie nicht vermarkten. Die Vorgabe an konventionelle Landwirte: Sie dürfen unter anderem ab einer bestimmten Windstärke nicht spritzen, müssen aber keine Randstreifen freihalten. Das heißt: Diejenigen, die „gesund“ arbeiten, müssen quasi an die anderen Land abtreten.
In der biologischen Landwirtschaft ist auch nicht alles eitel Wonne: So hat sich im Zuge des Biobooms eine regelrechte Industrie entwickelt. Diese industrialisierte Bio-Bewirtschaftung stehe zwar im Widerspruch zum ursprünglichen, ganzheitlichen Biogedanken, sei aber immer noch besser als die industrialisierte konventionelle Landwirtschaft, wo Raubbau am Boden betrieben werde, unterstreicht Novak. „Konventionelle Böden gleichen oft Wüsten und könnten ohne Einsatz von Dünger oder Pestiziden gar keinen Ertrag mehr erbringen.“
Ein paar bedenkliche Pflanzenschutzmittel sind auch im Bioland im Einsatz, beispielsweise natürliche Insektizide, Pyrethine. Diese Naturstoffe, die man aus Pflanzen wie Chrysanthemen gewinnt, sind hochgiftig für Bienen. Der feine Unterschied: Während im Biolandbau einige wenige Mittel verwendet werden, sind es in der konventionellen Landwirtschaft hunderte.

Vielfalt bei Obst, Gemüse, Getreide

Dass „bio“ besser für die Umwelt – und damit auch für uns – ist, ist unumstritten. Doch sind biologische Lebensmittel auch gesünder? „Die meisten Studien zeigen keine statistisch haltbaren Vorteile von Inhaltsstoffen bei Biolebensmitteln“, sagt Novak. Auch weiß man, dass speziell der Gehalt an Vitaminen und Mineralstoffen sehr von der Lagerung abhängt.
Zuletzt hat allerdings ein internationales Expertenteam unter der Leitung der Universität Newcastle herausgefunden, dass Obst, Gemüse und Getreide aus biologischer Landwirtschaft teils deutlich mehr Mikronährstoffe als konventionell angebaute Pflanzen enthält. Das gilt etwa für den Gehalt an sekundären Pflanzenwirkstoffen wie Flavonoiden, die antioxidativ wirken. Antioxidantien fördern die Zellgesundheit und können die Entstehung von Krebs verhindern.
In Biobetrieben werden außerdem häufig alte Sorten verwendet und diese sind von Natur aus reicher an bestimmten Inhaltsstoffen. „Die Biolandwirtschaft fördert die Vielfalt alter Obst-, Gemüse- oder Getreidesorten“, unterstreicht Maria Anna Benedikt, Diaetologin und Leiterin der Ernährungsmedizinischen Beratung am Universitätsklinikum Salzburg. In diesen sind bei vielen Sorten mehr sekundäre Pflanzenwirkstoffe wie Flavonoide enthalten.
Pollenallergiker profitieren ganz besonders von der Rückbesinnung auf alte Sorten. Viele von ihnen entwickeln irgendwann zusätzlich eine Kreuzallergie auf Äpfel – und reagieren auf den Genuss mit Symptomen wie Juckreiz auf Lippen, Zunge und Gaumen. „Speziell alte Apfelsorten wie Topaz oder Boskop verursachen aufgrund ihrer Eiweißzusammensetzung bei Pollenallergikern weniger Beschwerden – insbesondere, wenn es sich um Bioäpfel handelt“, erklärt Benedikt, die eng mit dem Internisten, Endokrinologen und Ernährungsmediziner Prim. Univ. Doz. Dr. Raimund Weitgasser zusammenarbeitet.

Alte Getreidesorten

Die bessere Verträglichkeit gilt nicht nur für Äpfel, sondern auch für alte Getreidesorten wie Kamut, Emmer oder Einkorn. Dass dieses „Urgetreide“ heute wieder in vieler Munde ist, ist auch dem Biolandbau zu verdanken. „Indem man den Böden die alten heimischen Getreidesorten – dazu zählen weiters auch das Waldstaudenkorn oder der Laufener Weizen – zurückgibt, können sie sich regenerieren“, nennt Benedikt einen zusätzlichen Vorteil.
Hinzu kommt, dass die Sorten im Vergleich zu hochgezüchtetem Weizen deutlich weniger Gluten (Klebereiweiß) enthalten. Für jene, die an einer Glutensensitivität leiden – sie hat nichts mit einer Zöliakie, einer Glutenunverträglichkeit, zu tun – ist Brot aus alten Getreidesorten deutlich bekömmlicher.

Bekömmliches Biobrot

Die Verträglichkeit von Brot und Gebäck hängt nicht allein vom Glutengehalt, sondern auch von der Zubereitung ab. Auch hier punktet „bio“: Schließlich ist eine bewusste und traditionelle Zubereitung von Nahrungsmitteln Teil der ursprünglichen Philosophie. Ein gutes Biobrot wird mit einer Langzeit-Teigführung gemacht. Das heißt, der Teig hat ein paar Stunden Zeit zum Gehenlassen. Industriell hergestellte Weizenteiglinge gehen aufgrund des hohen Glutengehalts sehr rasch auf und haben nur 20 bis 30 Minuten Teigruhe.
Das macht die Backwaren doppelt schlecht verträglich: Zum Mehr an Gluten kommt, dass bei einer kurzen „Teigruhe“ andere problematische Bestandteile – FODMAPs, das sind verschiedene fermentierbare Zucker und mehrwertige Alkohole – weniger gut abgebaut werden. Bei Reizdarm-Patienten sind diese für Beschwerden wie Blähungen oder Schmerzen verantwortlich.

Vorteile bei Milch und Tomaten

Und bei zwei weiteren Lebensmitteln zeigten Studien, dass „bio“ besser ist: „Man weiß, dass bei Biomilch das Fettsäuren- und Antioxidantien-Muster höher als bei normaler Milch ist“, unterstreicht Benedikt. Das bedeutet: In Milch aus Biolandwirtschaft stecken mehr wertvolle Fettsäuren wie Omega 3-Fettsäuren und sie liefert rund 40 Prozent mehr von der gesunden, zweifach ungesättigten Linolsäure. Der höhere Gehalt an Antioxidantien ist gut gegen Zellstress und wirkt vorbeugend gegen Krebs.
Ähnliche Vorteile bieten laut Benedikt Bio-Paradeiser: Sie liefern 20 Prozent mehr Leucopin, 30 Prozent mehr Vitamin C, 24 Prozent mehr Phenole und 21 Prozent mehr Flavonoide. Leucopin zählt zu den sekundären Pflanzenwirkstoffen. Es wirkt antioxidativ, senkt den Gehalt an schlechtem LDL-Cholesterin im Blut und wirkt regulierend auf den Blutdruck. Vitamin C fängt als Antioxidans schädliche freie Radikale, verbessert das Immunsystem und fördert die Aufnahme des Spurenelements Eisen. Phenole und Flavonoide sind wirksame Antioxidantien.

Bio nicht automatisch gesünder

Obwohl viele Bio-Anhänger tatsächlich vermehrt zu Obst und Gemüse greifen: Man is(s)t nicht automatisch gesünder, wenn man „bio“ isst. Wer sich ausschließlich von Fertigprodukten – wenngleich in Bioqualität – ernährt, tut sich damit nichts Gutes. Hinzu kommt, dass gerade in Fertigprodukten Palmöl steckt, dessen Produktion – sogar in Bioqualität – sehr umstritten ist. Auch Bio-Palmöl wird in riesigen, industriellen Monokulturen angebaut. Das heißt: Auch wenn man sich mit Biolebensmitteln ernährt, gelten die alterprobten Empfehlungen. Essen Sie ausgewogen und vielseitig mit reichlich Obst und Gemüse. Schränken Sie Zucker und tierische Fette ein. Um sich und der Umwelt Gutes zu tun, empfehlen die Expertinnen außerdem, regionalen und saisonalen Produkten den Vorzug zu geben. „Im Winter kaufe ich keine Tomaten oder Gurken, auch wenn sie in Bioqualität verfügbar wären“, gibt Novak ein Beispiel. Am besten ist, man greift zu den Lebensmitteln, die zur jeweiligen Jahreszeit bei uns wachsen. Diaetologin Benedikt, die „keinen Bioapfel aus Chile kaufen” würde, betont: „Auch die Qualität der Nicht-Bio-Produkte sollte stimmen!”

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Der Boom in Zahlen:
Biolandbau in Österreich

Bereits jeder fünfte Betrieb, insgesamt rund 22.000, und jeder fünfte Hektar Landwirtschaft in Österreich wird biologisch bewirtschaftet. Besonders hoch ist der Anteil der Bio-Obstflächen mit rund 25 Prozent. Damit ist jeder vierte Apfel ein Bioapfel.  In der EU werden mittlerweile knapp sechs Prozent der Landwirtschaftsflächen ökologisch bewirtschaftet.

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Steigende Nachfrage:
Biomarkt wächst weiter

Die Ausgaben für Biolebensmittel steigen stetig an: In den Jahren von 2011 bis 2015 um insgesamt
29 Prozent. 120 Euro gibt ein durchschnittlicher österreichischer Haushalt pro Jahr für Bio-Lebensmittel aus. 60 Prozent der Konsumenten halten es für gerechtfertigt, dafür mehr zu bezahlen als für konventionell produzierte Produkte.

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Unterschiedliche Gütesiegel:
Bio ist nicht gleich bio!

Auch wenn es EU-weit klare Regeln für Lebensmittel aus biologischer Landwirtschaft und ein entsprechendes Bio-Siegel gibt: Bio ist nicht gleich bio! Zusätzliche Siegel von Bio-Verbänden (zum Beispiel „Bio Austria“, „Erde & Saat“, Kopra etc.) deuten auf weiterführende Kriterien. Das „Demeter“-Siegel ist das strengste Bio-Siegel. Es garantiert, dass wirklich im Einklang mit der Natur gearbeitet wird.

Buchtipp:

Buchart, Benedikt
Von Hand gemacht. Die Geheimnisse traditioneller Lebensmittel
ISBN 978-3-7104-0039-1
200 Seiten, € 24,–
Servus Verlag

Webtipps:

Weitere Informationen zu Bio:
www.bioinfo.at
www.bio-austria.at

Stand 07-08/2017

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