Frust mit der Lust?

November 2009 | Partnerschaft & Sexualität

Strategien gegen die Sexkiller von heute
 
Sex ist so gesund für Körper und Seele wie kaum eine andere Betätigung – und fühlt sich so gut an wie kaum eine andere medizinisch wertvolle Behandlung. Doch die Lust bereitet immer öfter Frust. Sorgen und Stress, Medikamente und Alkohol, Übergewicht und Depressionen sind nur einige der Sexkiller unserer Zeit. Für MEDIZIN populär erklären Experten, wie wieder mehr Schwung ins Liebesleben kommen kann.
 
Von Mag. Sabine Stehrer & Mag. Alexandra Wimmer

Kein Wunder, dass „die natürlichste Sache der Welt“ nicht immer nur Quelle größter Befriedigung, sondern auch Ursache für Probleme und Frustrationen ist: Damit es überhaupt zur sexuellen Erregung kommen kann, muss im Organismus ein hochkomplexer Vorgang ablaufen. Sinnesreize – etwa der Anblick einer begehrten Person, ihre Berührungen, ihr Geruch oder diverse Fantasien – treffen in den verschiedenen „Sexzentren“ des Gehirns ein und lösen Nervensignale aus. Diese Signale gelangen über das Rückenmark bis zu den Geschlechtsorganen, wo bei Frau und Mann die Schwellkörper, also Klitoris und Penis, mit Blut gefüllt und dadurch zum Geschlechtsverkehr bereit werden. Neben verschiedenen Botenstoffen hängt es außerdem von einem Bereich im Gehirn, dem limbischen Zentrum, ab, ob wir „in Stimmung kommen“. Dieses emotionale Zentrum speichert alle unsere Erfahrungen und die damit verbundenen Gefühle und leitet sie an die Sexzentren weiter. Wird nun eine bestimmte Situation negativ bewertet, so beeinträchtigt dies Lustempfinden und Sexualtrieb – egal, wie gern wir wollen würden. Allein auf dieser zutiefst individuellen Ebene kann also schon einiges schief gehen. Und dann gibt es noch eine Reihe von äußeren Störfaktoren, die immer mehr Menschen die Lust rauben.

Ungesunder Lebensstil

Zu den universellen Lust- und Sexkillern zählen das Alter, diverse Erkrankungen, Lebensstilfaktoren wie Stress, Leistungsdruck, Sorgen, Ernährungsfehler. Dies bestätigt Dr. Elia Bragagna, Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychosomatik, Sexual- und Psychotherapeutin und Leiterin der Akademie für Sexuelle Gesundheit (AfsG). „Das metabolische Syndrom, das sich bei immer mehr Männern und Frauen ab dem 45. Lebensjahr abzeichnet, wird ein zunehmendes Problem“, warnt die Medizinerin. Die Erkrankung ist u. a. gekennzeichnet durch einen erhöhten Bauchfettanteil sowie Störungen des Stoffwechsels und gilt als wesentlicher Risikofaktor für koronare Herzkrankheiten. Sexualprobleme sind dann Vorboten für gefährliche Erkrankungen wie einen Herzinfarkt oder Schlaganfall. „Aufgrund der Verkalkung werden die Blutgefäße zerstört und der Hormonspiegel sinkt ab – Erektionsstörungen und Lustlosigkeit sind die Folgen“, verdeutlicht Bragagna.

Alter & Krankheiten  

Die Wahrscheinlichkeit, lustlos zu werden, steigt außerdem mit zunehmendem Alter. Bei Männern weisen die älteren die höchste Lustlosigkeitsrate auf, da im Alter der Spiegel des männlichen Sexualhormons Testosteron absinkt. Bei Frauen sind oftmals die Wechseljahre und die dadurch veränderte Hormonsituation Ursache für Lustlosigkeit & Co. Auch diverse Krankheiten können zu sexuellen Problemen führen. Auf psychische Erkrankungen wie eine Depression reagiert der Körper oft als erstes mit Lustlosigkeit oder anderen sexuellen Problemen.

Funktionelle Probleme

Natürlich beeinträchtigen funktionelle Sexualstörungen – beim Mann etwa die erektile Dysfunktion oder der vorzeitige Samenerguss – das Sexualleben und oftmals auch die Lust. „Die Betroffenen werden lustlos, um der Psyche und dem Körper die Schmach zu ersparen, dass sie vorzeitig kommen“, erklärt Elia Bragagna. Sexualstörungen der Frau sind etwa Erregungsstörungen. „Sie äußern sich dadurch, dass die Klitoris nicht anschwillt und die vaginale Durchblutung vermindert ist, sodass die Frau nur schwer oder gar nicht zum Orgasmus kommt“, so die Ärztin. Wenn Frauen trotz Lustlosigkeit Sex haben, ist dieser für sie mitunter schmerzhaft – mindestens jede vierte Frau ist davon hin und wieder betroffen.

Ängste & Stress

Daneben zählen Sorgen und (Existenz-) Ängste mit zu den maßgeblichen Lust- und Sexkillern. Auch bei chronisch Gestressten und Überforderten kann in der Regel nur schwerlich Lust aufkommen – es sei denn, man zählt zu jenen Menschen, die Sex zum Abbau von Spannungen nutzen. „Sie haben in stressigen Zeiten dann wahrscheinlich häufiger Sex“, so Bragagna. Und warum wirken Stress und Ängste in der Regel lusthemmend? „Durch sie werden Stressnerven und der Sympathikus aktiviert und unter anderem Adrenalin ausgeschüttet – das ist kontrasexuell.“ Hingegen ruft Entspannung den Ruhenerv, den Parasympathikus, auf den Plan. „Dabei werden durchblutungsfördernde Botenstoffe aktiviert, die Glückshormone ausschütten, welche die Erregung steigern.“

Medikamente & Alkohol

Auch verschiedene Substanzen wie Medikamente beeinträchtigen die Sexualität. „Die meisten Antidepressiva führen zu Lustlosigkeit und Orgasmusstörungen“, erklärt Bragagna. Viele greifen zu Alkohol, um sich zu entspannen oder „in Stimmung zu kommen“. Der Haken dabei: „Alkohol macht nur in ganz geringen Mengen locker“, so die Medizinerin. „Schon ab 0,5 Promille ist nicht mehr sicher, ob die Erektion wirklich funktioniert.“

Probleme in der Partnerschaft

Auch die Partnerschaft selbst kann Sexualprobleme verursachen. Dann nämlich, wenn Sex für die Partner unterschiedliche Zwecke erfüllt: „Wenn der eine Sex zum Abbau von Spannungen braucht und der andere viel schmusen und Kontakt haben will, dann kommen die beiden aufgrund der unterschiedlichen Ziele nicht zusammen“, so Bragagna.
Lustlosigkeit statt prickelnder Erotik herrscht im Schlafzimmer auch dann, wenn die Partner einander nicht genügend wertschätzen – oft sind Frauen davon betroffen, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen und vom Partner deswegen keine Anerkennung bekommen. „Das Risiko lustlos zu werden, steigt generell in einer längeren Partnerschaft, speziell wenn es unausgetragene Konflikte gibt“, ergänzt Bragagna.
Gesellschaftliche Mythen sorgen für zusätzlichen Stress. „Sozial wird oft erwartet, dass wir den Partner auch in einer drei-, vierjährigen Beziehung noch genauso anziehend finden müssen wie am Beginn“, so Bragagna. „Das ist aber schon rein physiologisch nicht möglich, weil zu Beginn viel mehr anregende Botenstoffe wie Dopamin aktiv sind.“ Es ist also ganz normal, wenn sich die Sexualität im Lauf der Beziehung verändert. „Sie ist genauso sinnlich und schön, sie ist einfach nur anders.“
Auch gesellschaftliche Vorgaben darüber, was sexy ist, würden viele Menschen verunsichern. „In Wahrheit zählt aber, dass man sich selbst sexy fühlt – denn was attraktiv oder erotisch ist, ist individuell verschieden“, so Bragagna. „Leider wurde das den meisten von uns nie beigebracht.“

Sexkiller austricksen

So frustrierend Lustlosigkeit & Co auch sind, so wertvolle Signale liefern sie uns. „Wenn wir überfordert sind und an unsere Grenzen gehen, so merkt der Körper sehr schnell, dass etwas nicht passt und kann sexuell nicht mehr funktionieren.“ Ein erster Schritt in Richtung sexuelle Gesundheit ist, sich auf sich selbst und seine individuellen Bedürfnisse zu besinnen: Was befriedigt und erfüllt mich? Was erregt mich? Was ist für mich sexy? „Die Lust- bzw. Belohnungszentren im Gehirn verlangen, dass am Ende einer Aktivität eine Belohnung steht“, erklärt Bragagna. Bleibt die Belohnung aus, verliert der Mechanismus Lustempfinden seinen Sinn. Die Belohnung kann für jeden etwas anderes sein: der Orgasmus, tief empfundene Nähe, die Partnerin oder den Partner zu erobern etc. Am besten wird das Belohnungsprinzip auf alle Lebensbereiche – die soziale, emotionale und Beziehungsebene – angewendet: Wer um seinen Arbeitsplatz bangt oder sich Sorgen um seine Gesundheit macht, muss so gut wie möglich auf der existenziellen Ebene für Zufriedenheit sorgen, um sich wieder entspannen und Lust empfinden zu können.    

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So gesund ist Sex

Stärkt Immunsystem

Wissenschaftler von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich untersuchten das Blut von Männern vor und nach dem Orgasmus. Das Ergebnis: Nach dem Orgasmus war die Konzentration der weißen Blutkörperchen im Blut, die Krankheitserreger abwehren, doppelt so hoch wie vor dem Orgasmus. Daraus schlossen die Forscher, dass Sex das Immunsystem stärkt. Nach den Ergebnissen einer Langzeitstudie aus den USA erhöht sich außerdem bei Männern, die zwei bis drei Mal pro Woche Sex haben, die Konzentration von Antikörpern im Speichel.

Mindert Stress

Forscher der Universität Bristol in Großbritannien wiesen in einer Studie mit mehr als 3000 Teilnehmern nach, dass das beim Sex ausgeschüttete Hormon Oxytocin die Wirkung des Stress auslösenden Hormons Cortisol hemmt. Männer, die mindestens zwei Mal pro Woche Sex haben, erleiden demnach, so ein weiteres Ergebnis der Studie, weniger Herzinfarkte als Männer, die sexlos leben.

Hebt Stimmung

Weil beim Sex die glücklich machenden Hormone Oxytocin, Serotonin und Dopamin zugleich ausgeschüttet werden, hat er eine stimmungsaufhellende Wirkung, die bis zu einen Tag lang anhalten kann. Menschen mit einem aktiven Sexleben neigen daher weniger zu depressiven Verstimmungen oder Depressionen.

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INTERVIEW

„Hausübungen für mehr Lust“

DDr. Karin Haas, Fachärztin für Psychiatrie und Sexualtherapeutin an der Landesnervenklinik Sigmund Freud in Graz, erklärt im Gespräch mit MEDIZIN populär, warum immer mehr Menschen an sexueller Lustlosigkeit leiden und wie sie den Betroffenen hilft.

MEDIZIN populär
Frau DDr. Haas, welches sexuelle Problem haben denn die meisten Frauen und Männer, die zu Ihnen kommen?

DDr. Karin Haas
Das ist heute eindeutig die sexuelle Lustlosigkeit ohne körperliche Ursachen, und zwar bei Frauen wie auch bei Männern. Noch vor 20 Jahren haben Frauen eher an Orgasmusstörungen oder Schmerzen beim Geschlechtsverkehr gelitten, Männer vor allem an Erektionsstörungen.

Warum ist die rein psychisch bedingte Lustlosigkeit auf einmal so weit verbreitet?

Der Lebensstil unserer Gesellschaft hat sich gegenüber früher stark gewandelt. Heute wird den meisten Menschen im Beruf, aber auch im Alltagsleben mehr abverlangt, sie fühlen sich gestresster. Oft fehlt die Zeit zur Entspannung. Daher haben viele auch einfach nicht mehr Energie genug, um sich dem Partner oder der Partnerin wirklich aufmerksam widmen zu können. Und dann ist der Schritt zur sexuellen Lustlosigkeit klein.

Wenn das Leiden einmal da ist, was machen dann die Betroffenen?

Zunächst abwarten, ob es von selber wieder vergeht. Aber nach einiger Zeit informieren sich die Betroffenen aus eigenem Antrieb, oder weil ihnen halt der Partner bzw. die Partnerin Vorwürfe macht, über Hilfsangebote. Einige finden dann den Weg zu Sexualtherapeuten wie mir, was sehr gut ist, denn wenn einmal die Bereitschaft besteht, sich professionell helfen zu lassen, stehen die Chancen auf Besserung gut.

Was lässt sich gegen sexuelle Lustlosigkeit tun?

Da unterscheidet man prinzipiell zwischen Sexualberatung und Sexualtherapie. Um ein Beispiel zu schildern: Kürzlich hatte ich ein Paar in meiner Praxis, das an sexueller Lustlosigkeit litt. Sexualität fand nicht mehr statt, und beide hatten auch keine Lust darauf, weil entweder die Frau oder der Mann abends die Kinder ins Bett gebracht hat und meistens auch gleich bei ihnen eingeschlafen ist, während der Partner bzw. die Partnerin noch vor dem Fernseher oder dem Computer gesessen ist. In diesem Fall hat eine Sexualberatung von zwei Stunden ausgereicht. Die beiden haben die eingefahrene abendliche Gewohnheit geändert, die Abende wieder gemeinsam verbracht und sich einander gewidmet. Es hat nicht lang gedauert, und die Lust war wieder da.

Ab wann reicht eine Beratung nicht mehr und man braucht eine Therapie?

Wenn die Ursachen der sexuellen Störung in tiefergreifenden persönlichen Konflikten oder Paarkonflikten liegen, reicht eine Sexualberatung meistens nicht aus. Im Gehirn gibt es ein Motivationszentrum für Sex, das zum Beispiel durch sexuelle Fantasien angeregt wird. Wie das Hungerzentrum wird das „Sexzentrum“ aber durch jegliche Art von Bedrohung rigoros abgeschaltet. Wenn es brennt, hat man keine Lust auf Sex. Menschen, die sexuell lustlos sind, schalten ihr Motivationszentrum für Sex im Gehirn ohne reale Bedrohung ab. Sie machen das meistens unbewusst und auf vielfältige Art und Weise. Zum Beispiel, indem sie nur die negativen Seiten der Partnerin bzw. des Partners sehen, Konflikte inszenieren, Berührungen vermeiden. Oder mit Lockenwicklern in den Haaren schlafen gehen.

Wie läuft die Therapie ab?

Aufgabe der Sexualtherapie ist es, die erwähnten Mechanismen bewusst zu machen und durch Lust fördernde Mechanismen zu ersetzen. Daneben wird an den persönlichen Konflikten gearbeitet und an den Paarkonflikten. Ich arbeite am liebsten mit Paaren, weil dann beide vom Gespräch über Sexualität profitieren und nicht einer von beiden als Symptomträger und damit krank, der andere als gesund betrachtet wird. Die Therapie besteht dann aus Gesprächen mit dem Paar und aus Hausübungen, zum Beispiel Körperübungen, bei denen das Paar durch Streicheln wieder in Kontakt miteinander tritt, oder Verhaltensanleitungen wie der liebevolle Umgang mit dem Partner, der Partnerin bei einem gemeinsamen Besuch eines Restaurants. Die Erfahrungen, die das Paar bei den Hausübungen gemacht hat und die dabei auftretenden Probleme werden in gemeinsamen Gesprächen analysiert und bearbeitet. Natürlich ist auch eine Einzeltherapie möglich. Diese besteht ebenfalls in einer Gesprächstherapie und in Verhaltensanleitungen.

Wie lang kann es dauern, bis man erste Erfolge bemerkt?

Wenn beide Partner mit viel Engagement an die Lösung des Problems herangehen, zwischen einem halben Jahr und einem Jahr. Ich weiß, das klingt anstrengend, aber die Anstrengung lohnt sich für die meisten Paare. Beim Großteil der Betroffenen kehrt die Lust zurück. Außerdem verändert sich im Zuge der Therapie auch der Umgang der Partner miteinander, er wird in der Regel herzlicher, liebevoller. Das alles zusammen genommen bringt schon ein großes Plus an Lebensqualität.

Infotipp:
Nähere Informationen finden Sie auf der Homepage der Akademie für sexuelle Gesundheit unter: www.afsg.at

Buchtipp:
Das große Frauengesundheitsbuch (Verlag Loewenzahn, 2010)

 

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