Mama, ich kann nicht schlafen!

September 2009 | Gesellschaft & Familie

Wenn Kinder ihre Ängste mit ins Bett nehmen
 
Ob aus Angst vor der Dunkelheit, vor dem nächsten Schultag, einem Monster hinter dem Vorhang, dem Terroranschlag vor dem Haus oder davor, wieder ins Bett zu nässen: Geschätzte zehn bis 30 Prozent der Kinder schlafen schlecht. Häufige Ursache dafür sind Ängste und Sorgen aller Art. Lesen Sie, wie Sie Ihrem Nachwuchs dabei helfen können, die Ängste in den Griff zu bekommen und nachts Ruhe zu finden.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Da ist der fünfjährige Florian, dem allabendlich noch x-Sachen einfallen, bevor er endlich zur Ruhe kommt: „Ich hab’ Hunger! Ich möchte Saft! Wo ist mein Kuscheltier? Bitte, erzähl mir noch eine Gute-Nacht-Geschichte!“ Die achtjährige Hanna hingegen wälzt sich beim Einschlafen lange unruhig hin und her – die vielen Rechenfehler beim letzten Test bekümmern sie sehr.
Der Übergang von der Wach- in die Ruhephase funktioniert längst nicht immer reibungslos – vielen Kindern bereitet schon das Einschlafen, das Hinübergleiten in einen Zustand der Entspannung, Ruhe und Regeneration, Probleme. Andere wiederum schlafen zwar prompt ein, schrecken jedoch in der Nacht regelmäßig wegen schlimmer Alpträume auf – oder nässen ein.
„Insgesamt sind Schlafstörungen, sowohl Ein- als auch Durchschlafstörungen, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie ein häufiges Symptom, das für ganz verschiedene psychische und organische Probleme stehen kann“, erklärt Prim. Dr. Paulus Hochgatterer, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Landesklinikum Tulln. Man geht davon aus, dass zwischen zehn und 30 Prozent der Kinder mit Schlafstörungen kämpfen.

Rege Phantasie

Manche Schlafstörung ist auf die normale psychische Entwicklung zurückzuführen. „Kinder durchlaufen im Zuge ihrer intellektuellen Entwicklung Phasen, in denen die Phantasie vermehrt tätig wird“, veranschaulicht der Kinderpsychiater. „Zwischen Ende des zweiten und dem fünften Lebensjahr lernen sie symbolisch zu denken, sie erlernen Imaginationsfähigkeit, also die Fähigkeit, sich Sachen vorzustellen.“ Quasi als Reaktion darauf kommt es zum Auftreten von Ängsten und in der Folge zu Ein- und Durchschlafstörungen. „Die Kinder haben Angst vor Monstern, vor Einbrechern, aber auch vor der Dunkelheit an sich“, so Paulus Hochgatterer.
Diese Nachtangst, in der Fachsprache Pavor nocturnus genannt, ist ein häufiges Phänomen. Meist reagieren die Eltern intuitiv richtig, indem sie ein kleines Licht im Kinderzimmer brennen oder die Tür einen Spaltbreit offen lassen. „Dadurch beseitigt man die Ängste und Einschlafstörungen der Kinder in der Regel relativ rasch“, ist der Mediziner überzeugt.

Kinderängste

Daneben wirken sich auch verschiedene entwicklungsbedingte Ängste auf die Schlafqualität der Kinder aus. „In der Regel lernen Kinder zwischen dem sechsten und achten Lebensjahr den Begriff des Todes zu erfassen“, erklärt Hochgatterer. „Das führt manchmal dazu, dass sie sich intensiv damit auseinandersetzen – und in der Folge zu Angst und Schlafschwierigkeiten.“ Teenagern wiederum machen pubertätsspezifische körperbezogene Ängste zu schaffen. „Wenn ein Pubertierender sich plötzlich Sorgen über sein Aussehen macht, das sich durch das Wachstum stark verändert, kann es sein, dass diese Sorgen gerade in der Einschlafsituation massiv werden und er plötzlich nicht mehr einschlafen kann“, veranschaulicht der Kinderpsychiater. Auch sozial bedingte Ängste – das Zweifeln an der Zugehörigkeit zur Gruppe der Gleichaltrigen – rauben so manchem Pubertierenden den Schlaf.

Hilfen gegen die Angst

Mit folgenden Maßnahmen können Eltern ihr Kind dabei unterstützen, die Ängste in den Griff zu bekommen. „Das Allerwichtigste ist, dass man mit dem Kind in Beziehung tritt, sich ans Bett setzt, mit ihm spricht“, betont der Arzt. Weiters sollte man die Ängste ernst nehmen und sie nicht als „Blödsinn“ oder „Einbildung“ abtun. „Der dritte Schritt ist, dass man sanft korrigierend eingreift und die Realität einführt“, erklärt Paulus Hochgatterer. „Man spricht darüber, dass in der Dunkelheit nichts passiert, dass im Schlaf keine Monster kommen, sondern im äußersten Fall Träume und versucht auf diese Weise, dem Kind die Angst zu nehmen.“
Zur Angst vor Hexen und Gespenstern gesellen sich heutzutage oft weitere, etwa die Angst vor Terror, einem Amoklauf oder einer schlimmen Krankheit. „Es ist klar, dass die Inhalte, die die Kinder medial vermittelt bekommen, in ihrer Phantasie und in ihren Ängsten eine Rolle spielen“, bestätigt der Kinderpsychiater. „Wenn sich Katastrophen ereignen, die einige Zeit die Medien beschäftigen, sollte man mit seinen Kindern darüber sprechen.“

Schulstress, Trauma, Depressionen

Probleme den Kindergarten, Hort oder die Schule betreffend können sich ebenfalls in Schlafstörungen niederschlagen. „Kinder, die in der Schule überhöhte Leistungsanforderungen oder sozialen Druck erleben, schlafen unter Umständen schlecht oder nässen ein“, so Hochgatterer. Diesen Kindern helfe es besonders, wenn die Eltern nicht nur das Gespräch mit ihnen suchen, sondern sie wenn nötig auch tatkräftig unterstützen, z. B. indem sie das Problem im Kindergarten oder beim Klassenlehrer ansprechen.
Neben Stress und Leistungsdruck können sich auch schlimme Erlebnisse und Traumata – etwa körperliche, sexuelle oder psychische Übergriffe – in Form von Ein- und Durchschlafschwierigkeiten äußern. Nicht zuletzt können Schlafstörungen Hinweise auf ernstzunehmende psychische Erkrankungen – wie etwa eine Depression – sein, die ärztlich abgeklärt werden müssen.
Fazit: Kindliche Schlafstörungen haben – ähnlich jenen von Erwachsenen – häufiger nicht-organische als organische Ursachen. Auf die Diagnose organischer Schlafstörungen, z. B. aufgrund von Atemwegserkrankungen, haben sich eigens für Kinder eingerichtete pädiatrische Schlaflabors spezialisiert. Nicht zuletzt rührt so manches vermeintliche Schlafproblem eher von übertriebenen elterlichen Erwartungen als von einer tatsächlichen Störung her – etwa dann, wenn von einem fünf Monate alten Baby erwartet wird, dass es durchschläft, oder von einem Dreijährigen, dass er nachts trocken bleibt.

Symptome kindlicher Schlafstörungen:
Alpträume, Bettnässen, Schlafwandeln

Alpträume
Kinder leiden häufiger unter Alpträumen als Erwachsene. Entwicklungsneurologisch führt man das darauf zurück, dass das Gehirn noch ausreift, entwicklungspsychologisch auf die phasenweise psychische Verarbeitung äußerer Eindrücke und innerer Konflikte. Auch familiärer oder schulischer Stress sowie eine genetische Veranlagung zählen zu den möglichen Ursachen.

Einnässen
Vom nächtlichen Einnässen (Enuresis nocturnus) spricht man ab dem fünften Lebensjahr, rund 60.000 Kinder sind in Österreich davon betroffen. Die möglichen Ursachen sind neurologische – eine funktionelle Reifungsverzögerung der Harnblase – sowie verschiedene psychische Faktoren.

Schlafwandeln
Auch das Schlafwandeln (Somnambulismus) tritt in der Kindheit wesentlich häufiger auf als im Erwachsenenalter. Man geht davon aus, dass ein bis zwei Prozent der Erwachsenen, aber zehn bis 30 Prozent der Kinder chronisch schlafwandeln. In der Pubertät gibt sich das kindliche Schlafwandeln meist wieder.

Seliger Schlummer
Schlafhygiene im Kinderzimmer

Fixe Bettgehzeiten und kleine Einschlafrituale lassen Kinder abends besser zur Ruhe kommen. „Durch die Einschlafrituale – sei es der Gute-Nacht-Kuss, die Geschichte oder das gemeinsame Resümieren des Tages – erfahren die Kinder, dass die Eltern bereit sind, das, was sie beschäftigt, aufzunehmen und wenn notwendig mitzuregulieren“, ergänzt der Kinderpsychiater Prim. Dr. Paulus Hochgatterer. Diese Rituale müssen nicht lange dauern, mitunter genügen einige Minuten – wichtig ist, dass sie regelmäßig stattfinden. Der Schlafraum selbst sollte eine ruhige, angenehme Atmosphäre verbreiten, er sollte angenehm temperiert (nicht zu warm) und nicht völlig abgedunkelt sein.

K(l)eine Schlafmützen: Soviel Schlaf benötigen Kinder

Das Schlafbedürfnis von Kindern ist – ähnlich dem von Erwachsenen – individuell sehr unterschiedlich und variiert außerdem je nach Lebensalter:

Ein Neugeborenes schläft im Durchschnitt   16,0   Stunden
Ein Säugling im Alter von einem Monat   14,5   Stunden (9-19)
Ein einjähriges Baby     14,0   Stunden (11-17)
Ein fünfjähriges Kind    11,5   Stunden (9,5-13,5)
Ein zehnjähriges Kind    10,0   Stunden (9-11)

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