So jung und so müde

Februar 2013 | Medizin & Trends

Dauernder Schlafmangel in der Jugend hat Folgen!
 
Tagein, tagaus das gleiche Lied: Abends sind die Sprösslinge nicht ins Bett zu kriegen und morgens kaum aus demselben herauszubekommen. Dazwischen liegt eine viel zu kurze Nacht mit viel zu wenig Schlaf. Wie viel Nachtruhe der jungen Generation wirklich fehlt, wurde jüngst in einer Studie erhoben. Über die Folgen von permanentem Schlafmangel in jungen Jahren informiert MEDIZIN populär.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Mit durchschnittlich nur sechseinhalb Stunden Schlaf wollen 16- bis 25-Jährige unter der Woche ihr Auslangen finden. Das hat eine aktuelle deutsche Untersuchung an knapp 9000 Jugendlichen und jungen Erwachsenen ergeben. „Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, sich in der Folge tagsüber nicht ausgeruht zu fühlen“, nennt Studienautor Prof. Dr. Ulrich Koehler, Leiter des Interdisziplinären Schlafmedizinischen Zentrums des Universitätsklinikums Gießen und Marburg, zunächst die augenscheinliche Konsequenz permanenten Schlafmangels. Nicht weniger unausgeschlafen ist Österreichs Jugend: „Auch hierzulande bekommt ein Großteil der Pubertierenden speziell unter der Woche zu wenig Schlaf“, spricht Prim. Univ. Prof. Dr. Reinhold Kerbl, Kinder- und Jugendfacharzt sowie Schlafmediziner im steirischen Leoben, aus, was Eltern und Lehrer tagein, tagaus in den müden Gesichtern ihrer Schützlinge lesen.

Wachstum, Übergewicht, Immunsystem

Konzentrationsstörungen, verminderte Leistungsfähigkeit, erhöhtes Unfallrisiko, aggressives Verhalten, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme – die kurzfristigen Folgen eines Schlafdefizits sind so beträchtlich wie bekannt. Nicht unterschätzen sollte man aber die möglichen langfristigen Folgen, die dem Nachwuchs durch chronischen Schlafmangel drohen. Speziell in Kindheit und Pubertät laufen ja zahlreiche Prozesse buchstäblich im Schlaf ab. Dieser Ablauf wird durch den Schlafmangel womöglich beeinträchtigt, was zu „Störungen der pubertären Entwicklung führen kann“, warnt Reinhold Kerbl. „Bei Kindern, die zu wenig schlafen, ist zum Beispiel die Ausschüttung des Wachstumshormons beeinträchtigt, sodass es zu einem verzögerten oder schlechteren Wachstum kommen kann.“ Das luteinisierende Hormon, das Mädchen etwa für die Entwicklung eines normalen Zyklus benötigen, wird im Tiefschlaf ausgeschüttet – die Ausschüttung kann bei Schlafmangel ebenfalls gestört sein.
Auch Übergewicht wird mit einem Schlafdefizit in Zusammenhang gebracht. „Man weiß, dass Hormone wie Leptin, die das Hungergefühl nehmen, bei Schlafstörungen verändert sind“, berichtet der Kinder- und Jugendfacharzt. Baut sich das Schlafdefizit über Wochen und Monate auf, kann das erst recht Konsequenzen haben, ergänzt Ulrich Koehler: Schwächung des Immunsystems, erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten, psychische Probleme wie Reizbarkeit und depressive Verstimmung. „Möglicherweise treten auch vermehrt Probleme im Herzkreislaufbereich, etwa Bluthochdruck, auf“, so der deutsche Fachmediziner Koehler.

Schlaftypen, Schlafdauer

Wie viel Schlaf die jungen Menschen tatsächlich brauchen würden, um vor all diesen möglichen Folgen verschont zu bleiben, lässt sich leider nicht eindeutig beantworten. Einerseits ist die benötigte Schlafdauer an das jeweilige Alter gekoppelt und nimmt im Lauf des Lebens allmählich ab. Außerdem hängt sie individuell davon ab, ob man zu den Kurz- oder Langschläfern zählt. Bei den 14-Jährigen liegt das durchschnittliche Schlafbedürfnis beispielsweise bei neun Stunden. „Kurzschläfer kommen in diesem Alter aber mit siebeneinhalb Stunden aus, Langschläfer brauchen allerdings rund zehn Stunden“, sagt Reinhold Kerbl, der die Abteilung Kinder und Jugendliche am Landeskrankenhaus Leoben-Eisenerz leitet. 20-Jährige wiederum brauchen im Schnitt acht Stunden Schlaf. „Während Kurzschläfer in dieser Altersgruppe mit sechs Stunden auskommen können, benötigen Langschläfer bis zu zehn, elf Stunden“, veranschaulicht Kerbl die große Spannbreite auch bei den jungen Erwachsenen.  
Nicht zuletzt entscheidet der persönliche Schlaf- bzw. Chronotyp darüber, ob man morgens munter und agil oder müde und träge ist. Nach dem Vorbild in der Vogelwelt unterscheidet man Eulen und Lerchen, außerdem gibt es einen Zwischen-, den „Intermediärtyp“. Während Lerchen abends früher müde werden und morgens schneller in die Gänge kommen, sind Eulen typischerweise abends länger fit und Morgenmuffel. „Man kann eine Lerche nicht zu einer Eule machen und eine Eule nicht zu einer Lerche“, so Kerbl. „Aber man kann dafür sorgen, dass die Eule in der Früh etwas besser ausgeschlafen ist, indem sie am Vorabend rechtzeitig zu Bett geht.“ Entgegen der landläufigen Meinung ist der Schlaf vor Mitternacht zwar nicht der beste – ausschlaggebend ist vielmehr die Schlafdauer. Ein Teenager, der um sechs Uhr früh aufstehen muss, sollte aber um etwa 22 Uhr im Bett liegen.

Chatten, smsen, telefonieren

So unpopulär dieser Expertenrat bei den Jugendlichen auch sein mag, so wichtig wäre es, sich daran zu halten. Denn gerade in der stark körperbetonten Phase der Pubertät steigt bei vielen das Schlafbedürfnis, erklärt Reinhold Kerbl: „Man wächst, der Stoffwechsel stellt sich um, die Sexualfunktionen entwickeln sich.“ Doch während Teenager einerseits viel Schlaf benötigen, verschiebt sich ausgerechnet mit Beginn der Pubertät der Biorhythmus zeitlich nach hinten und macht zusätzliche Probleme. Aufgrund von Veränderungen im Gehirn wird das Schlafhormon Melatonin später als in den Jahren davor ausgeschüttet – die Jugendlichen bleiben länger wach. An diesem Punkt kommen die neuen Medien – Internet, Facebook, Handy – ins Spiel und verschärfen die Problematik. „Die Jugendlichen sitzen bis zu später Stunde an ihrem PC, chatten oder spielen“, beobachtet Ulrich Koehler. „Manche haben ihre Mobiltelefone neben dem Bett, sodass sie auch in der Nacht Nachrichten empfangen können, wodurch wiederum der Schlaf gestört wird.“

Mandeln, Polypen, Schulstress

Vielfach, aber nicht immer also ist Schlafmangel „hausgemacht“. In einigen Fällen können darüber hinaus organische Ursachen dahinterstecken. „Bei Kindern und Jugendlichen ist das in zehn bis 15 Prozent der Fall“, weiß Reinhold Kerbl. „Dann behindern zum Beispiel vergrößerte Mandeln oder Polypen in der Nacht die Atemwege, was zu einem sehr unruhigen, häufig gestörten Schlaf führt und Sauerstoffmangel bedingen kann.“ Die rechtzeitige Behandlung ist wichtig. „Ansonsten kann es zu dauerhaften Fehlentwicklungen im Rachenbereich, zu Einziehungen des Brustkorbs bis hin zur Trichterbrust kommen. Durch die Herzkreislaufbelastung kann sogar eine Herzschädigung die Folge sein“, sagt der Kinder- und Jugendfacharzt. Neben organischen Ursachen können freilich auch psychische Belastungen wie Sorgen, Schulstress oder Liebeskummer dazu führen, dass der Nachwuchs nicht zur Ruhe kommt.
Unabhängig von der Ursache betonen die Experten die Wichtigkeit einer guten Schlafkultur von Kindheit an. Kerbl: „Ein angenehmes Raumklima, ein gutes Bett, die ruhige Betreuung durch die Eltern, kleine Rituale – das alles hilft.“ Handy, PC & Co abends auszuschalten – auch davon würde den Experten nach der Schlummer profitieren, und das nicht nur in jungen Jahren.

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Immer mehr Schlafstörungen bei den Jungen

„In letzter Zeit klagen sehr viele Jugendliche und junge Erwachsene über chronische Ein- und Durchschlafstörungen“, berichtet der deutsche Schlafmediziner, Internist und Lungenfacharzt Prof. Dr. Ulrich Koehler. Hauptursachen für den gestörten Schlaf sieht der Experte im gegenwärtigen Lebensstil, dem enormen Stress, der Reizüberflutung: „Die technischen Entwicklungen der letzten 50 Jahre waren so dramatisch, dass die Anpassungsmöglichkeiten von Körper und Gehirn damit nicht mehr Schritt halten können.“

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