Stolpersteine: Warum nehme ich nicht ab?

April 2011 | Ernährung & Genuss

Da macht man alles richtig, isst mit Maß und Ziel, bewegt sich ausreichend und nimmt trotzdem nicht ab. Meistens gibt es gute Gründe, warum die Kilos nicht und nicht schwinden wollen. Eine Spurensuche der heimlichen Dickmacher.
 
Von Mag. Karin Kirschbichler

Wenn die Seele hungert

Essen, weil es über einen Kummer hinwegtröstet, die Langeweile vertreibt, die Seele streichelt – das ist tückisch, gerade wenn man Gewicht verlieren will. „Immer dann, wenn man isst, ohne körperlichen Hunger zu haben, läuft man Gefahr, zu viele Kalorien aufzunehmen und das Vorhaben Abnehmen zu boykottieren“, sagt Mag. Karin Lobner, Ernährungswissenschafterin und Psychotherapeutin in Wien. Besonders tückisch daran ist, dass es funktioniert: Essen kann tatsächlich eine Zeitlang trösten und der Seele schmeicheln. Doch „weg­essen“ kann man Probleme nicht, und so müssen Schokolade & Co wieder und wieder herhalten, um die Sorgen erträglicher zu machen.
Um diesen Stolperstein aus dem Weg zu räumen, sollte man sich zunächst bewusst werden, welche Gefühle durch das Essen bedient werden. Als nächsten Schritt empfiehlt Lobner, sich zu überlegen, was außer Essen man noch tun könnte, wenn diese Gefühle auftauchen. „Das sollte man aber im Vorfeld tun, also nicht erst dann, wenn Traurigkeit, Frust, Langeweile schon da sind“, rät Lobner. So hat man mehr Möglichkeiten zur Verfügung, um diesen Gefühlen zu begegnen. „Und wenn man doch wieder einmal in die Naschlade greift, ist das nicht so problematisch, wie wenn die Naschlade das einzige Lösungsmodell ist, das man hat.“

Wenn Stress auf die Hüften schlägt

Negativer Stress und Abnehmen ist keine glückliche Paarung. Denn negativer Stress untergräbt das Vorhaben gleich auf mehreren Ebenen: Einerseits fördert die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol den Appetit und die Bildung von Fettspeichern. Andererseits nimmt die schwierige Lebenssituation Energie in Anspruch, die dann nicht mehr zur Verfügung steht, um das Unterfangen Lebensstilveränderung in Angriff zu nehmen. „Wer Übergewicht abbauen will, braucht zunächst viel Energie“, sagt Lobner. „Man muss aktiv daran denken, Bewegung zu machen, mehr Obst und Gemüse einzukaufen, etwas zu kochen. Und sobald diese Energie abgezogen wird, weil Probleme auftauchen, fällt man automatisch in die alten Verhaltensmuster zurück.“ Wer negativen Stress und zwangsläufig einen sogenannten Rückfall hat, sollte das Abnehmen aber nicht für gescheitert erklären, sondern lediglich so lange aussetzen, bis die schwierige Situation geklärt ist. Dann kann man sich wieder mit voller Kraft dem Vorhaben zuwenden.

Wenn man sich kasteit

Ein Übermaß an Geboten, Verboten, Zwängen, kurz: Selbstkasteiung – das ist ein häufiger Stolperstein auf dem Weg zur schlanken Figur. „Wenn es in diese Richtung geht, hat man automatisch negativen Stress, und dann klappt das Abnehmen einfach nicht“, erklärt Lobner. Bewegung sollte in erster Linie Spaß machen, das gesunde Essen auf dem Teller vor allem ein Genuss sein. „Dass man dadurch zusätzlich abnimmt, sollte als positiver Nebeneffekt gesehen werden, über den man sich natürlich freuen kann.“ Lust am neuen Leben kann nicht durch Zwang und auch nicht von heute auf morgen entwickelt werden (siehe nächster Punkt).

Wenn man es zu eilig hat

„Zehn Kilo in zehn Tagen abnehmen, wie es jetzt im Frühling wieder in vielen bunten Zeitschriften versprochen wird, kann nicht funktionieren“, sagt Ernährungswissenschafterin Lobner. „Schlankwerden und Schlankbleiben geschieht über einen Umstellungsprozess, der Zeit braucht.“ Schließlich geht es darum, sich von alten Gewohnheiten zu verabschieden und an neuen Gewohnheiten Freude zu entwickeln. „Wenn ich zum Beispiel Salat bisher nichts abgewinnen konnte, so muss ich erst einen Weg finden, wie ich ihn doch in meinen Speiseplan einbauen kann, damit er mir schmeckt. Und das dauert eben!“ Der richtige Weg führt über viele kleine Schritte, die einem „gerade noch schmecken“. Um beim Beispiel Salat zu bleiben: Am Anfang könnte die Umstellung von der reinen Kartoffelbeilage zum Erdäpfel-Vogerlsalat stehen. Darauf folgt ein längerer Prozess, bei dem die Erdäpfel zugunsten des Salats mehr und mehr in den Hintergrund treten. „So hat man zwar nicht die schnelle Kalorienreduktion, aber so gibt man dem Geschmackssinn Gelegenheit, sich an das neue Essen, eben zum Beispiel Salat, zu gewöhnen und schließlich sogar Lust darauf zu entwickeln.“

Wenn der Schlaf Probleme macht

Menschen, die zu wenig schlafen, haben häufiger Gewichtsprobleme. Das wirkt auf den ersten Blick paradox, denn schließlich könnte man meinen, dass Wenigschläfer aktiver sind und mehr Energie verbrennen. Doch das Gegenteil ist der Fall, und das liegt nicht nur daran, dass Schlaflose nachts ab und an den Kühlschrank plündern. „Wenn man wenig oder schlecht schläft, schüttet der Körper Stresshormone aus, die Übergewicht begünstigen“, erklärt Lobner. Darüber hinaus fühlen sich Menschen mit Schlafstörungen tagsüber meist schlapp und energielos. „Das Energieloch wird dann üblicherweise mit Essen gefüllt“, sagt die Ernährungsexpertin. „Bei uns hat der Schokoriegel als Energiekick einfach mehr soziale Akzeptanz als die Siesta“, bedauert sie. Wer über einen längeren Zeitraum schlecht schläft, sollte das Problem also – nicht nur der Figur zuliebe – ärztlich abklären lassen.

Wenn der 40. Geburtstag vorbei ist

Dass es mit den Jahren schwieriger wird, abzunehmen oder wenigstens nicht zuzunehmen, geht aus der Statistik klar hervor: Der Anteil Übergewichtiger ist bei den Über-60-Jährigen am höchsten. Die Gründe: Mit zunehmendem Alter verändert sich die Hormonlage, funktioniert der Stoffwechsel langsamer, werden Muskeln abgebaut, sinkt der Kalorienbedarf. Wer also – bei gleichem Bewegungspensum – mit 40 genauso viel auf den Teller lädt wie mit 20, nimmt automatisch zu und tut sich auch schwerer, die angefutterten Pfunde wieder loszuwerden. Die richtige Strategie gegen den altersbedingten Stolperstein: kleinere Portionen und/ oder mehr Bewegung. „Vor allem Krafttraining hilft, die Muskelmasse aufrechtzuerhalten. Und da Muskeln Energie verbrauchen, kann man so den Grundumsatz konstant halten und der Altersfalle entkommen“, sagt Lobner.
   
Wenn die Kalorien im Glas nicht mitgezählt werden

Zuckerreiche Getränke zählen zu den am meisten unterschätzten heimlichen Dickmachern. Das Trinken – nebenher und zwischendurch – wird oftmals nicht auf dem Kalorienkonto berücksichtigt. „Doch wenn man zum Beispiel Eistee literweise trinkt, wie das vor allem bei Jugendlichen häufig der Fall ist, tankt man extrem viele Kalorien. Da hilft nur, sich über das schrittweise Verdünnen des Getränks mehr und mehr an Wasser zu gewöhnen“, rät Lobner.
Viele Kalorien im Glas liefert auch Stolperstein Alkohol, der das Abnehmen gleich in mehrfacher Hinsicht stört: Alkohol hemmt die Fettverbrennung, steigert den Appetit und macht über seine enthemmende Wirkung die Bahn frei für hemmungsloses Essvergnügen: „Dann isst man, was der Kühlschrank hergibt, obwohl man eigentlich vorhatte, weniger zu essen“, so Lobner.

Wenn die Verdauung streikt

„Seit ich abnehme, klappt es mit der Verdauung nicht so, wie es sollte“, ist ein Klagelied, das viele anstimmen, die sich um weniger Gewicht bemühen. „Wenn die Verdauung streikt, liegt es meistens daran, dass man zu wenig trinkt oder sich zu wenig bewegt“, sagt Lobner. „Denn wer im Rahmen der Ernährungsumstellung mehr Obst und Gemüse in den Speiseplan eingebaut hat, sollte eigentlich keine Probleme haben, im Gegenteil.“ Von Abführmitteln in Eigenregie rät Lobner dringend ab. Wer über einen längeren Zeitraum Verdauungsprobleme hat, sollte ärztlichen Rat einholen.

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WISSEN:
Hunger oder Appetit?

Hunger macht sich durch Magenknurren, manchmal auch leichte Übelkeit bemerkbar und kennt nur eine (Er-)Lösung: Essen, jetzt gleich, egal was! Appetit wird über die Sinne angeregt:  Man sieht eine Torte im Schaufenster, riecht den Braten aus Nachbars Küche, hört das Popcorn-Knabbern im Kino – und dann schießt es einem      in den Kopf: Das will ich auch! „Im Gegensatz zum Hunger richtet sich der Appetit immer auf bestimmte Lebensmittel – auf Erdbeeren, Schokolade, was auch immer“, macht Ernährungswissenschafterin Mag. Karin Lobner den Unterschied deutlich.
Während man dem Hungergefühl eher nachgehen sollte, um keine Heißhungerattacke aufkommen zu lassen, lässt sich der Appetit zerstreuen. „Indem man sich fragt, warum man dieses Essen jetzt braucht, und indem man überlegt, was man stattdessen tun könnte.“
Ideal ist, wenn (leichter) Hunger und Appetit gemeinsam auftreten. Dann ist die Gefahr am geringsten, dass man wahllos zu viel und zu schnell Essen in sich hineinschlingt.

Buchtipp:
Lobner, Ich mache keine Diät mehr. Wie Abnehmen durch Loslassen von Frust & Stress gelingen kann, ISBN 978-3-7088-0515-3
€ 17,95, Kneipp Verlag

Stand 04/2011

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