Supergau Trennung

September 2013 | Partnerschaft & Sexualität

Wenn das Liebesaus zur Lebenskrise wird
 
Erst die Romanze, dann der Totalabsturz: Nicht selten schlittern Verlassene nach dem Liebesaus in eine handfeste Lebenskrise, immer öfter münden Trennungen in Depression oder Aggression. Woran es liegt, wenn das Ende einer Beziehung nicht bewältigt werden kann, analysieren Experten für MEDIZIN populär.
 
Von Wolfgang Kreuziger

Verliebt, verlobt, verheiratet. Geschieden, neu entflammt, wieder getrennt – und das beinahe im Stakkato: Ihr statistisch programmiertes Ablaufdatum erreichen heutige Liebesabenteuer so schnell wie noch nie. Untersuchungen zeigen, dass die Menschen im Laufe ihres Lebens heute im Schnitt fünf Mal häufiger den Sexualpartner wechseln und Ehen in Österreich fast doppelt so oft geschieden werden wie noch in den 1970-er Jahren. Trennung sollte demnach zur Routine geworden sein – und doch begeben sich immer mehr Menschen deswegen in Therapie, haben sich die angezeigten Stalking-Fälle in den letzten sechs Jahren verdreifacht, geistert fast schon wöchentlich ein Fall von Gewalt in Folge einer Trennung durch die Medien.

Übersteigerte Erwartungen

Dass uns das „Beziehungskarussell“ öfter abwirft als früher, liegt für Dr. Maria   Brunner-Hantsch, Psychotherapeutin und Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie in Graz, vor allem an der zunehmend dominanten Stellung von Fernsehen und Medien. „Die dort gezeigten Rollenmodelle werden als Vorbilder ins reale Leben übernommen“, klagt die Expertin. Wenn in TV-Serien wie „Sex and the City“ vor unseren Augen Liebhaber und Bettgespielinnen gewechselt werden wie die Unterwäsche, wollen sich auch die TV-Konsumenten nicht mit Normalkost zufriedengeben. Die Kehrseite der Medaille: Die gezeigten Bilderbuchromanzen mit Rosen, Champagner und vorgegaukelter Gefühlsekstase existieren nur auf dem Bildschirm. Brunner-Hantsch: „Diese Szenen führen vor allem bei jungen Menschen zu völlig übersteigerten Beziehungserwartungen und logischerweise zu Enttäuschung, Verzweiflung und Trennung.“ Eine zusätzliche Triebfeder für zahlenmäßig ansteigende Beziehungs- und Trennungskonflikte liegt für Dr. Ekkart Schwaiger, Psychotherapeut und Facharzt für Psychiatrie in Wien, schon in unserer Erziehung begraben: „Kindern werden in der heutigen Zeit zu wenige klare Grenzen gesetzt, sie lernen kaum mehr zu verzichten“, erläutert er. „Wenn ihnen dann als Erwachsener der Partner nicht mehr alle Wünsche von den Lippen abliest, folgt die Krise.“  

Urängste brechen wieder auf

Aber nicht nur die oft weit übersteigerten Erwartungen, sondern auch viele seit Urzeiten tief in uns verwurzelte Ängste brechen im Zuge einer Trennung wieder auf und verstärken das Verlustgefühl. Das ist etwa die Angst, ungeliebt zurückzubleiben, als Frau, Mann, Mutter oder Vater versagt zu haben oder die Kontrolle über das eigene Leben nicht mehr zu besitzen. „Ich erlebe auch immer wieder, dass eine in der Vergangenheit nicht verarbeitete Trauer über einen Todesfall oder einen anderen dramatischen Abschied in der Familie den Liebes-Trennungsschmerz so multipliziert, dass er zur Lebenskrise wird“, nennt Schwaiger weitere Beispiele aus seiner Praxis. „Manchmal ist es der verletzte Stolz, der die allergrößten Wunden schlägt. Die Frage, warum habe ich den anderen nicht zuerst verlassen?“
Eskaliert die Trennung in Aggression bis hin zu Gewalt und Mord, dann stecken in der Regel massive emotionale Traumata, erlebte Gewalt in der Kindheit oder sexueller Missbrauch dahinter, so wissen die Psychotherapeuten. „Unterwerfen sich Menschen etwa aus mangelndem Selbstwertgefühl dem anderen völlig oder wollen ihn im Gegenteil geradezu besitzen und jede Minute des Tages kontrollieren, kann das nicht gut gehen. Diesen tiefsitzenden Problemen kann man sich nur in einer langen psychotherapeutischen Behandlung stellen“, erläutert Brunner-Hantsch. „Geborgen aufgewachsene und emotional gefestigte Menschen laufen kaum Gefahr, dass es soweit kommt.“

Wendung zum Guten verpasst

Vor dem Trennungsschmerz ist allerdings niemand gefeit. Er gleicht in vieler Hinsicht jenem der Hinterbliebenen nach Todesfällen. „Sie durchlaufen vergleichbare Phasen der Trauer“, beschreibt Schwaiger. „Am Anfang stehen der Schock und das Nicht-wahrhaben-Wollen des erfolgten Verlustes. Darauf folgt eine Phase der aggressiven Haltung und der Wut, die aber für die Aufarbeitung der Krise ganz wichtig ist. Denn nur dann kann man nach einem vielleicht letzten Aufbäumen im Kampf um die Beziehung völlig loslassen und in der abschießenden Phase einen völligen Neubeginn starten.“ Wenn jedoch diese letzte Wendung zum Guten nicht gelingt, dann droht langfristig der Supergau – das Abgleiten in die Arbeitsunfähigkeit und Depression, aber etwa auch ins obsessive Quälen des Ex-Partners durch Stalking. „Das in dieser Phase immer häufiger anzutreffende Auftreten von Gewalt ist leider auch ein Zeichen unserer Zeit“, bedauert Brunner-Hantsch. „Gewaltvideos und Brutalität im TV verringern immer mehr die Hemmschwellen und den Respekt vor dem anderen.“

Notventile des Körpers

Doch selbst wenn es zwischen den Ex-Partnern zu keinen körperlichen Aggressionen kommt, bringt oft die Trauer alleine heftige Schmerzen und Beschwerden mit sich, die durchaus einer schweren Krankheit gleichen. Forscher der Universität Tübingen wiesen nach, dass infolge eines starken Trennungsschocks Gehirnteile wie der Präfrontalkortex und die vorderen Schläfenlappen, die Antrieb und Motivation steuern, kurze Zeit wie gelähmt brachliegen können. Folgen davon sind Konzentrationsunfähigkeit und Schlaflosigkeit. Aber auch Schweißausbrüche, Rückenschmerzen, Verdauungsstörungen und Asthma können Auswirkungen einer Trennung sein. „Solche Beschwerden sind die letzten Notventile des Körpers für die unverarbeiteten Probleme, wenn der Verlassene etwa dazu erzogen wurde, Trauer bei sich aus Stolz nicht zuzulassen“, weiß Schwaiger.
Das emotionale Trauma bewirkt überdies eine verminderte Ausschüttung des Glückshormons Serotonin im Gehirn, was Angst und Panik verstärkt. „Wenn dies dem Verlassenen so stark zusetzt, dass er über Tage oder Wochen nicht mehr schlafen kann, steuert er schnurgerade auf eine Depression zu, weil auch der Körper nicht mehr belastbar ist“, ergänzt Brunner-Hantsch. Dass sich gerade in dieser Situation Frauen häufig mit Beruhigungstabletten, Männer eher mit Alkohol aus der Welt des Beziehungsschmerzes „ausblenden“ wollen, ist ein Schuss, der stets nach hinten losgeht. „Eine solche Betäubung wirkt kurzfristig“, verrät Schwaiger. „Doch tags darauf im Kater oder wenn der Effekt nachlässt, überkommt einen das heulende Elend doppelt und dreifach.“         

Gefühl statt Gehirn

Der Schlüssel zur gut bewältigten Trennung liegt für Schwaiger unterm Strich darin, sich seiner Trauer wirklich zu stellen. „Und zwar auf der Gefühlsebene, denn wir alle denken zu viel und fühlen zu wenig. Die Emotionen müssen zugelassen und ausgedrückt werden, vielleicht weinend oder auch schreiend.“ Auch das Tagebuchschreiben, Malen oder Musikhören sind erfolgreiche Rezepte, um selbst eine tiefe Trauer zu verarbeiten. Schwaiger: „Irgendwann reift am Ende dann doch die Überzeugung, dass jeder Verlust stets auch den Anfang eines weiteren, schönen Lebensabschnitts der Selbstentfaltung sein kann.“

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Studie:
Männer leiden intensiver, Frauen länger

Das Ende einer Beziehung wird von Männern und Frauen oft sehr unterschiedlich verarbeitet, so zeigt eine Studie des deutschen Marktforschungsinstitutes Innofact in Zusammenarbeit mit dem Online-Dienst Parship. Die Umfrage unter 2500 Testpersonen zwischen 18 und 65 Jahren ergab, dass Männer ihrer eigenen Empfindungen nach stärker unter dem Liebesaus leiden als Frauen. Zehn Prozent des „starken“ Geschlechts waren nach einer bei ihnen jüngst erfolgten Trennung so verzweifelt, dass sie sogar in Frage stellten, jemals über diesen Verlust hinwegzukommen. Ähnlich heftige Reaktionen zeigten nur halb so viele Vertreter des weiblichen Geschlechts. Im Gegensatz dazu hatten Männer den Schmerz jedoch schneller verarbeitet und zeigten sich früher bereit für eine neue Beziehung. Nach im Schnitt 17 Monaten Trauerzeit waren sie wieder auf der aktiven Suche nach einem Partner, während die befragten Damen durchschnittlich 20 Monate verstreichen ließen, bevor sie bereit für eine neue Beziehung waren.

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