Vorzeitiger Samenerguss: Was tun?

Februar 2008 | Partnerschaft & Sexualität

Die häufigste Sexualstörung beim Mann
 
Lange Zeit wurde das Männerproblem vorzeitiger Samenerguss in der Medizin ignoriert oder als Bagatelle abgetan. Doch neuere Studien beweisen, dass es sich dabei um eines der häufigsten männlichen Sexualstörungen handelt und dass es medizinische Gründe geben kann, wenn er „zu früh kommt“. Die gute Nachricht: dem Manne kann geholfen werden!
 
Von Mag. Wolfgang Bauer

Verglichen mit dem Problem der Erektionsstörung führt das Thema vorzeitiger Samenerguss in der Heilkunst ein Schattendasein. Zu Unrecht, wie die Allgemein- und Sexualmedizinerin sowie Leiterin der Sexualambulanz am Wiener Wilhelminenspital Dr. Elia Bragagna betont: „Es ist kaum bekannt, dass weit mehr Männer unter einem vorzeitigen Samenerguss leiden als an Erektionsstörungen. In einer vor wenigen Jahren durchgeführten Studie gaben bis zu 30 Prozent der befragten Männer an, von diesem Problem betroffen zu sein, nur 18 Prozent litten dagegen an Erektionsstörungen.“

Dass dieses häufig anzutreffende Männerproblem, das in der Fachsprache „Ejaculatio praecox“ – vorzeitige Ejakulation – genannt wird, bisher weniger Beachtung fand als andere Sexualstörungen, liegt zu einem großen Teil an der unklaren Definition des Phänomens. Es wurde und wird nämlich unterschiedlich definiert, wann ein Mann „zu früh kommt“. So wurde beispielsweise von einigen Forschern ein Samenerguss als vorzeitig eingestuft, wenn die Zeit vom Einführen des Penis in die Scheide bis zum Orgasmus weniger als zwei Minuten betrug. Andere Wissenschaftler wiederum nahmen eine Zeit von nur einer Minute als Richtwert an. Auch die Anzahl der Beckenbewegungen des Mannes vom Einführen des Penis bis zum Orgasmus wurde zur Diagnose herangezogen. Waren es weniger als fünf bzw. weniger als sieben, so wurde die Ejakulation als vorzeitig definiert. Ein weiterer Definitionsversuch: Ist der Geschlechtsverkehr von so kurzer Dauer, dass die Partnerin in weniger als 50 Prozent einen Orgasmus erreicht, so handelt es sich um einen vorzeitigen Samenerguss.

Mit der Stoppuhr zum Orgasmus?
Wie wenig aussagekräftig solche Definitionsversuche sind, zeigen die Arbeiten eines deutschen Urologen, der die Zeit vom Einführen des Penis in die Scheide bis zum Samenerguss bei Männern mit Ejaculatio praecox gemessen und sie mit der Zeit von Männern verglichen hat, die ihr Sexualverhalten als „normal“ einschätzten. Das Ergebnis: die Praecox-Patienten kamen im Durchschnitt auf zweieinhalb Minuten, die „normale“ Gruppe auf rund drei Minuten. 30 läppische Sekunden können also darüber entscheiden, ob Mann die Sexualität als befriedigend erlebt oder sich als Versager fühlt.

Daher plädiert Dr. Bragagna für eine Definition abseits von Sekunden und der Zahl der Beckenbewegungen. „Das wichtigste Kennzeichen eines vorzeitigen Samenergusses ist die Unfähigkeit, die Erregung und den Orgasmus selbst steuern zu können.“ Von diesem Problem sind vor allem Männer betroffen, die

  • früh gelernt haben, sich möglichst unauffällig und rasch selbst zu befriedigen, permanent begleitet von der Angst, dabei überrascht zu werden
  • Angst haben, als Liebhaber zu versagen
  • schüchtern und sexuell unerfahren sind
  • sich ständig kritisch selbst beobachten
  • nach „Versagenserlebnissen“ von ihrer Partnerin verletzende Bemerkungen hören mussten
  • immer alles perfekt machen wollen

Medizinische Gründe
Bis vor kurzem war man der Ansicht, dass die Ursachen für den vorzeitigen Samenerguss ausschließlich im psychischen Bereich bzw. in der Lerngeschichte der Betroffenen zu suchen sind. Neuere Forschungen zeigen aber, dass durchaus auch medizinische Ursachen dahinter stecken können.

Liegen medizinische Ursachen vor, unterscheidet man zwei Formen von vorzeitigem Samenerguss:

  • Der so genannte primäre Samenerguss besteht bereits seit dem ersten Geschlechts­verkehr. Dafür verantwortlich ist beispielsweise eine sehr sensible ­Eichel, die beim Kontakt mit der Scheide stärker gereizt wird als dies gewöhnlich der Fall ist. Auch ein Ungleich­gewicht der Botenstoffe Serotonin und Dopamin im Gehirn spielt eine wichtige Rolle.
  • Der so genannte sekundäre Samenerguss tritt erst zu einem späteren Zeitpunkt im Leben des Mannes auf, davor wurde die Sexualität als normal erlebt. Hinter diesem Phänomen werden Veränderungen an der Muskulatur der Prostata, der Samenblase und des Blasenhalses vermutet. Ebenfalls möglich: eine Funktionsstörung der Schilddrüse sowie eine zu starke Aktivierung des Sympathikusnervs, der für die Auslösung des Samenergusses verantwortlich ist.

Stress statt Lust
Die Folgen dieser Sexualstörung können fatal sein: Die Sexualität wird nicht mehr lustvoll erlebt, der Geschlechtsverkehr gerät zu einem Stressfaktor, ist angstbesetzt. Der Mann erlebt sich zunehmend als Versager. Doch auch die Partnerin leidet, sie verliert die Lust am Sex oder will ihrerseits nur mehr schnellen Sex, weil sie sich mit dem Problem des Mannes arrangiert. „Daher ist es so wichtig, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. So sollte zunächst einmal ein Urologe bzw. Androloge abklären, ob es sich um ein medizinisches Problem handelt“, empfiehlt Dr. Bragagna. Häufig kommen bestimmte Medikamente aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) zum Einsatz, die auch gegen Depressionen eingesetzt werden. Sie bewirken – vereinfacht gesagt – dass die für die Ejakulation verantwortlichen Bahnen im Gehirn nicht so empfindlich reagieren, wodurch sich der Samenerguss verzögert. Mit der Zeit lernt der Betroffene mit Hilfe der Medikamente wieder, den Orgasmus zu kontrollieren. „Ganz wichtig ist, dass diese Medikamente nach einem bestimmten Schema eingenommen werden. Nach einer gewissen Zeit, etwa nach zwei bis drei Monaten, wird die Dosis verändert. Dann findet man mit weniger Gaben pro Woche das Auslangen und hat trotzdem die Kontrolle über seinen Orgasmus“, so die Sexualmedizinerin. Übrigens: ein eigens für vorzeitigen Samenerguss entwickeltes Medikament ist zur Zeit noch nicht am Markt. Erst 2009 ist mit einem einschlägigen Arzneimittel aus der oben genannten Wirkstoffgruppe zu rechnen.

Frust ade!
Der Königsweg in der Therapie besteht nach Ansicht von Elia Bragagna darin, dass das Paar gemeinsam eine Sexualberatung aufsucht oder eine Paartherapie absolviert. „Dort lernen Männer, aber auch die Frauen ihre Sexualität wieder entspannt und unbeschwert zu genießen. Es ist so toll, wenn man sieht, wie aus einem Paar, das lange Zeit ihre Sexualität als frustrierend erlebt hat, wieder ein richtiges Liebespaar wird, das wieder Freude hat am Sex.“

Freilich, ganz ohne Aufwand geht die Paartherapie nicht über die Bühne, zirka 20 gemeinsame Sitzungen sind in etwa nötig, um das Prob­lem zu bewältigen und die Sexualität wieder als Genuss erleben zu können.
        

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