Wirtschaftskrise: Die Angst geht um

Februar 2009 | Leben & Arbeiten

So kommen Sie gut durch die unsichere Zeit
 
Die Wirtschaftskrise greift um sich: Kurzarbeit und Jobabbau sind auch hierzulande für viele bereits Realität, Prognosen zufolge soll die Situation aber noch viel schlimmer werden. Entsprechend trist ist die Stimmung im Land: Rund 60 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher haben das Jahr 2009 mit Skepsis und Sorge begonnen. Die Angst geht um – nicht nur um die eigene Existenz, sondern generell vor der Zukunft, die weniger planbar und daher ungewiss erscheint. In MEDIZIN populär sprechen Experten über die gesundheitlichen Auswirkungen des Lebens mit der Unsicherheit und geben Tipps für den Umgang mit der Angst.
 
Von Mag. Sabine Stehrer & Mag. Alexandra Wimmer

Es ist ein Teufelskreis: Die angespannte Arbeitsmarktsituation belastet Hannes S., Controller von Beruf und zweifacher Familienvater aus Oberösterreich, enorm. Nicht zuletzt, weil es seinem Unternehmen wirtschaftlich nicht gut geht, bangt der 43-Jährige jetzt um seinen Job. Seit Wochen hat er Durchschlafprobleme, neuerdings macht ihm auch noch Herzrasen zu schaffen. Angespannt und übermüdet sitzt er in der Arbeit, die Konzentration lässt zu wünschen übrig, die Fehler häufen sich – und Hannes’ Sorgen um den Arbeitsplatz nehmen erst recht zu. Dabei hat die Angstspirale, in der der Oberösterreicher jetzt gefangen ist, „ganz normal“ begonnen, wie Mag. Melanie Schatz, leitende Psychologin an der Klinik Bad Aussee für Psychosomatik und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Graz, bestätigt: „Wenn es wirtschaftlich und existenziell kritisch zugeht, ist es durchaus gesund, anfänglich mit Ängsten und verschiedenen Symptomen zu reagieren.“

Zukunftsängste nehmen zu
So wie Hannes reagieren in Zeiten wie diesen immer mehr Menschen. Wenn Jobabbau und Kurzarbeit in Folge der schlechten Wirtschaftslage an der Tagesordnung stehen, herrscht Unsicherheit, geht die Angst um. Laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage des Linzer IMAS-Instituts sind 59 Prozent der Österreicher mit Skepsis und Sorge ins Jahr 2009 gestartet. Zum Vergleich: Zu Beginn des Jahres 2008 waren 53 Prozent zuversichtlich gestimmt.
Zu einem düsteren Bild kommt auch eine aktuelle Umfrage des Prüfungs- und Beratungsunternehmens Ernst & Young: 55 Prozent der Österreicher sind der Ansicht, dass sich die Konjunktur im Lauf des Jahres 2009 weiter verschlechtern wird. 23 Prozent der Befragten sind überzeugt davon, dass sich ihre eigene wirtschaftliche und finanzielle Situation 2009 zum Schlechteren verändern wird, 18 Prozent fürchten um ihren Job.

Dass die Zahl der Menschen, die Zukunftsängste entwickeln, in wirtschaftlich instabilen, unsicheren Zeiten zunimmt, weiß auch Univ. Prof. Dr. DDr. h.c. Siegfried Kasper, Leiter der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Universität am Wiener AKH. „Ich habe dazu zwar keine konkreten Zahlen“, sagt er, „aber ich würde davon ausgehen, dass die Zunahme bei etwa zehn Prozent liegt.“

Sicherheit schafft Wohlbefinden
Planbarkeit und Stabilität, zwei Grundpfeiler für unser Wohlbefinden, geraten mehr und mehr ins Wanken. Als wesentliche Voraussetzungen für ein weitgehend angstfreies Leben nennt Prof. Kasper neben einer sicheren Bleibe und einer fixen Partnerbeziehung auch eine kontinuierliche, lebenserhaltende Beschäftigung. Das bedeutet aber nicht, dass der Mensch für ein Leben im „Hochsicherheitstrakt“ geschaffen wäre. Eine Prise Ungewissheit braucht es doch, damit Entwicklung möglich ist, und ewig gleichbleibender Trott kann genauso zermürben wie die Angst vor einer unsicheren Zukunft.

Welche Mischung aus Sicherheit und Unsicherheit gut für uns und unsere Gesundheit ist? Dafür gebe es kein allgemeingültiges Rezept, meint Prof. Kasper. „Was für den einen Menschen Sicherheit bedeutet, bedeutet für den anderen bereits ein uninteressantes, fades Leben. Deswegen muss jeder für sich ausloten, wie für ihn die gesunde Melange aus Stabilität und Instabilität, aus Bekanntem und Neuem aussieht.“ Was bei diesem Ausloten hilft? „Wenn ich merke, dass ich große Angst vor etwas habe und schon beim Gedanken daran innerlich unruhig werde, dann vermeide ich das am besten. Und wenn ich es nicht vermeiden kann, wie den Jobverlust bei Jobabbau, versuche ich mich dagegen abzusichern.“ Im Fall von Angst um den Arbeitsplatz kann das mit Hilfe eines zweiten beruflichen Standbeins geschehen, das man sich schafft, um sich beruhigt und sicherer zu fühlen.

Unsicherheit führt zu Stress
Ist man für seine Bedürfnisse zu wenig abgesichert, so lösen Unsicherheit und Angst eine Kaskade von Reaktionen im Körper aus: „Wenn wir mit Bedingungen konfrontiert sind, für die wir im Moment keine Lösungsmöglichkeiten sehen, dann entwickeln wir eine hohe Stressreaktion, bei der es zu einer unglaublich starken Aktivierung von Energie kommt“, erklärt Univ. Prof. Dr. Wilfried Biebl, Leiter der Klinischen Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychosoziale Psychiatrie an der Medizinischen Universität Innsbruck. „Dabei werden die Hormone Adrenalin und Cortisol ausgeschüttet, der Blutdruck steigt an, der Herzschlag wird beschleunigt.“ In der Folge kann es zu verschiedenen psychosomatischen Symptomen kommen – in nahezu jedem Organsystem können Zeichen der akuten Belastungsreaktion auftreten. „Angst kann sich auf das Herz-Kreislaufsystem auswirken und Herzklopfen und Herzrasen verursachen. Sie kann zu Schlafstörungen, Unruhezuständen und Nervosität führen“, berichtet die Psychologin Mag. Melanie Schatz. „Weiters kann es zu Verspannungszuständen und Problemen mit der Wirbelsäule kommen, auch Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts wie Durchfall sind möglich. Andere reagieren mit Hautproblemen.“ Insgesamt schwächt die permanente Anspannung das Immunsystem – man wird anfälliger für Infekte.

Bei andauernder Belastung gesellt sich zur Anspannung Erschöpfung hinzu. „Die Betroffenen sind dann zugleich extrem angespannt und massiv erschöpft“, erklärt Schatz. „Das äußert sich auch darin, dass sie nicht mehr fähig sind, sich zu entspannen.“ Die Folge: erhöhte Reizbarkeit, die auch die sozialen Beziehungen beeinträchtigt. Das Risiko, plötzlich aggressiv auf eine Order des Chefs oder die Kritik einer Kollegin zu reagieren, steigt – die Existenzängste erhalten in einem angespannten Arbeitsklima weitere Nahrung.
 
Krise erhöht Suchtrisiko
Angst kann aber nicht nur psychosomatische Symptome, sondern bei anhaltender Belastung auch Krankheiten hervorrufen. „Wenn eine seelische Belastungsreaktion nicht abklingen kann, etwa weil keine Ressourcen zur Verfügung stehen, dann kann aus einer akuten Belastungssituation ein depressiver Verstimmungszustand entstehen“, erklärt Biebl. Neben Depressionen können anhaltende Ängste – wenn auch eher selten – sogar eine Angststörung auslösen.

Was sind nun mögliche Folgen, wenn jemand wie Hannes S., der sich vor Jobverlust fürchtet, tatsächlich gekündigt wird? „Bei einer Person, die verletzlich ist und ein Selbstwertproblem hat, kann eine Kündigung dazu führen, dass sie sich schließlich gar nichts mehr zutraut oder eine depressive Reaktion entwickelt“, weiß Schatz.

Ein weiteres Problem stellen die mitunter inadäquaten Bewältigungsstrategien dar. „Es gibt Personen, die bei Ängs­ten auf Medikamente, Drogen oder Alkohol zurückgreifen“, berichtet Schatz. „Speziell Alkohol gilt als Spannungslöser und birgt, wenn man ihn zur Angstbewältigung einsetzt, eine hohe Suchtgefahr.“ Die Versuchung, sich über Einschlafprobleme mit einem Glas Bier hinwegzuhelfen, sei groß – ebenso die Gefahr, von dem Schlummertrunk abhängig zu werden. „Das Suchtrisiko ist in Krisenzeiten sicherlich erhöht“, so die Psychologin. Auch so manches Medikament, das aufgrund der Stresssymptome verschrieben wird, könne süchtig machen. Schatz: „Manche Medikamente helfen zwar relativ rasch, müssen aber bald aufdosiert werden und können in eine Abhängigkeit münden.“

Eigene Ressourcen nutzen
Wer sich in einer belastenden Situation stärken will, sollte deshalb besser seine persönlichen Kraftquellen nutzen, aus den eigenen Ressourcen schöpfen. Was tut mir gut, wie kann ich mich nach einem anstrengenden Tag entspannen, mit wem kann ich über meine Sorgen reden? – sind wegweisende Fragen. Viele Menschen verfügen ohnedies über viele Ressourcen, ausgerechnet in Krisenzeiten verzichten sie jedoch oft darauf, die Energietanks anzuzapfen. „Es besteht die Gefahr, dass man aufgrund von erhöhtem Engagement für die Arbeit nicht mehr auf die Ressourcen zurückgreift und aufgrund von permanentem Stress auf wohltuende Dinge verzichtet“, betont Melanie Schatz. „Man zieht sich zurück, geht früh schlafen, vernachlässigt Beziehungen und Hobbys.“ Dabei sind es genau diese Aktivitäten, die neue Perspektiven schaffen und helfen, den belastenden Angstkreislauf zu durchbrechen. Wer wohltuende Rituale pflegt – das abendliche Entspannungsbad, der Kaffeehaustratsch mit der besten Freundin, die Massage gegen Kreuzschmerzen –  kann Belastungen besser meistern. „Personen, die ihre Körpersymptome als hilfreiche Signale wahrnehmen und rasch darauf reagieren, kommen mit Krisen besser zurecht“, betont Schatz. Denn neben der Spirale nach unten gibt es auch die Spirale aus dem Angstkreislauf heraus.

Wollen Angst und Anspannung trotz der Maßnahmen nicht weichen, muss man vor allem eines können: Hilfe annehmen. „Wenn jemanden reale Ängste oder Belastungen quälen, braucht es vor allem die Bereitschaft, soziale Unterstützung anzunehmen und sich zu besprechen“, betont Prof. Biebl. Soziale oder psychotherapeutische Einrichtungen, Ambulanzen, Fach- und Hausärzte können in Krisenzeiten wichtige Hilfe leisten. „Mitunter kann jemand, der momentan in einer schwierigen Situation ist, mit einer kurzfristigen Behandlung auskommen“, regt Schatz an. „Das muss nicht immer eine Psychotherapie sein, mitunter genügt ein Gespräch mit einem psychosomatisch geschulten Hausarzt.“    

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Tiermodell zeigt: Sicherheit ist erlernbar

In einem experimentellen Tiermodell unter der Leitung von Dr. Daniela D. Pollak am Howard Hughes Medical Institute an der Columbia University in den USA konnte jetzt gezeigt werden, dass Sicherheit erlernbar ist. In dem Experiment wurde Mäusen gelernt, dass sie einen speziellen Reiz, konkret einen Signalton, mit einem Gefühl der Sicherheit verbinden. Der Ton bedeutete die Abwesenheit eines unangenehmen Erlebnisses, und zwar eines leichten elektrischen Fußschocks. Diese erlernte Sicherheit hatte einen positiven Einfluss auf Zellen in einer bestimmten Hirnregion, die vergleichbar mit der antidepressiven Wirkung von Psychopharmaka ist. Deswegen, meint Pollak, könnte die im Tiermodell erprobte Idee einer Verhaltenstherapie gegen Angst und Depressionen in Zukunft auch beim Menschen zum Einsatz kommen.

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Krank zur Arbeit

Jobangst führt zu „Präsentismus“

Unsere Bestimmung ist Tätigkeit“, konstatierte schon vor 200 Jahren der Philosoph Immanuel Kant. Umso schlimmer trifft derzeit viele Menschen die schwierige Arbeitsmarktlage mit dem Schreckgespenst von Jobverlust und Arbeitslosigkeit. Die Konsequenz: Immer mehr Berufstätige gehen auch dann arbeiten, wenn sie von Husten, Schnupfen & Co geplagt werden. Heute ist „Präsentismus“ angesagt, wie man die Anwesenheit von kranken Personen am Arbeitsplatz nennt. „Absentismus“, so der Fachbegriff fürs Blaumachen, war gestern.

Laut dem Fehlzeitenreport 2008 (*) sind die Krankenstandstage seit dem Jahr 2000 – das Jahr 2007 ausgenommen – rückläufig. Einerseits leben Menschen zunehmend gesundheitsbewusst, andererseits dürften aber auch immer mehr Berufstätige krank am Arbeitsplatz erscheinen – wobei „krank“ und „arbeitsunfähig“ nicht dasselbe sein muss. Wie eine repräsentative Umfrage ergab, sind im Jahr 2007 sechs von zehn Beschäftigten mindestens einmal krank arbeiten gegangen. „Das lässige Blaumachen von früher nach dem Motto: ,Heute freut es mich nicht – ich bleibe daheim‘, gibt es wahrscheinlich nicht mehr“, erklärt Dr. Christine Klien, Arbeitsmedizinerin in Bregenz und Präsidentin der Österreichischen Arbeitsmedizinischen Gesellschaft.

Nicht nur Existenzangst steckt hinter dem Phänomen des Präsentismus, wie Klien weiß: „Die Leute haben auch Angst vor Sinnverlust, denn Arbeit gibt dem Leben Sinn.“ Sich krank ins Büro zu quälen, sei trotzdem keine nachhaltige Strategie, um den Arbeitsplatz zu sichern. „Wenn etwas zum Auskurieren ist, muss man es auskurieren“, betont die Ärztin. Ansonsten verzögere oder verhindere man gar seine Genesung, im Fall einer ansteckenden Krankheit seien auch die Kollegen gefährdet. „Es kann sein, dass man sich z. B. über lange Zeit mit Rückenschmerzen in die Arbeit schleppt – und plötzlich geht gar nichts mehr“, erklärt Klien. Oder man ignoriert eine depressive Verstimmung, bis man eines Tages mit der Diagnose Burn-out konfrontiert ist und womöglich monatelang ausfällt – und erst recht um seinen Arbeitsplatz bangen muss.
Nicht zuletzt steigt mit der Angst die Anspannung im Betrieb. Ein schlechtes Arbeitsklima wiederum wirkt sich direkt auf das Wohlbefinden der Mitarbeiter aus. „Wenn man sich bei der Arbeit nicht wohlfühlt, werden körperliche Symptome, etwa Schmerzen, stärker empfunden als in einem positiven Betriebsklima“, berichtet die Arbeitsmedizinerin. „Um langfristig gesund zu arbeiten, ist deshalb ein gutes Betriebsklima – die Kooperation von Arbeitgebern und Arbeitnehmern am besten mit einem Arbeitsmediziner – sehr wichtig.“
(*) Fehlzeitenreport 2008, Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo)

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Vier gesunde Strategien
Wie man Krisen besser bewältigt

Welche Qualitäten ermöglichen es uns, Krisen besser zu meistern? Dieser Frage ging der amerikanische Psychiater Dr. George E. Vaillant in einer rund 40 Jahre dauernden Langzeitstudie (Beginn 1939) nach. Die Studienteilnehmer waren amerikanische Collegestudenten – unter ihnen US-Präsident John F. Kennedy –, die vom 20. Lebensjahr bis an ihr Lebensende begleitet wurden. Das Resultat: „Vier Haltungen helfen uns, mit Belastungssituationen besser zurechtzukommen“, fasst der Psychiater Univ. Prof. Dr. Wilfried Biebl zusammen:

Humor – die Fähigkeit, Krisenzeiten auch humorvoll zu begegnen.

Triebaufschub – die Fähigkeit, zu akzeptieren, dass es einem momentan schlecht geht, und trotzdem die Hoffnung auf Besserung nicht aufzugeben.

Neuorientierung – die Fähigkeit, sich Alternativen zu überlegen bzw. eine Veränderung oder einen Neubeginn durchzudenken.

Altruismus – die Fähigkeit, in schwierigen Zeiten nicht nur an sich selbst, sondern auch an die Bedürfnisse anderer zu denken.

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