Gut schlafen kann man (wieder) lernen

Oktober 2010 | Medizin & Trends

Das ABC gegen Schlafstörungen
 
Immer mehr Druck im Job, Angst um den Arbeitsplatz, düstere Prognosen für die Zukunft: Die Zeichen stehen jetzt besonders schlecht für guten Schlaf. Wenn Stress und Sorgen mit ins Bett gehen, beginnt oft ein Teufelskreis, der in einer „hausgemachten“ Schlafstörung endet. Die sogenannte erlernte Insomnie ist die häufigste Ausprägung von Schlaflosigkeit überhaupt. Doch so wie man sich schlecht schlafen antrainieren kann, lässt sich auch gut schlafen (wieder) lernen. Für MEDIZIN populär vermitteln Schlafexperten das ABC der erholsamen Nächte.
 
Von Mag. Karin Kirschbichler

„Heute kann ich sicher wieder nicht schlafen“, sagt sich Sandra P. – und legt sich trotzdem früh ins Bett. Schließlich hat sie die letzten Nächte schon so schlecht geschlafen, und schließlich muss sie ja endlich ausgiebig schlafen. Der nächste Tag wird ihr wieder einiges abverlangen. Im Job soll sie jetzt noch mehr und noch bessere Arbeit leisten, hat ihr Chef gesagt, denn um die Firma steht es schlecht. Seit Wochen grübelt sie Nacht für Nacht, wie sie das alles schaffen soll, wie sie sich und ihre Kinder über die Runden bringen soll, wenn sie den Job verliert. Vor lauter Grübeln kann sie nicht gut schlafen, schleppt sich müde durch den nächsten Tag, erledigt mit Müh und Not und viel Kaffee das Mindestmaß ihrer Pflichten. Wenn sie doch endlich wieder schlafen könnte, dann würde sie mehr schaffen. Doch je mehr sie sich das Schlafen wünscht, desto länger liegt sie abends wach im Bett. Ein Teufelskreis.

Das Schlafen verlernen

Bei vielen Menschen hat sich dieser Teufelskreis bereits zu einer „hausgemachten“ Schlafstörung entwickelt. Von den rund 20 Prozent der Österreicher, die an einer der rund 100 verschiedenen Arten von Schlafstörungen leiden, hat die überwiegende Mehrheit eine sogenannte erlernte Insomnie, sagt Univ. Prof. DDr. Josef Zeitlhofer, Schlafmediziner an der Wiener Universitätsklinik für Neurologie. „Die psychophysiologische Insomnie, wie wir Mediziner sie auch nennen, ist die häufigste Schlafstörung überhaupt.“ Und eine weitere Zunahme an Betroffenen steht gerade jetzt zu befürchten: Wer aus der so weit verbreiteten Angst (vor den wachsenden Anforderungen, vor dem Jobverlust, vor der Zukunft) nicht schlafen kann, entwickelt oft Angst vor dem Schlafengehen bzw. dem Nicht-schlafen-Können, und handelt sich so über kurz oder lang eine chronische Schlafstörung ein.

Abendgebet für den Sandmann

Ängste, Sorgen, nicht kompensierte Stressbelastungen, aber auch verschiedene Tätigkeiten wie Fernsehen oder Computerspielen bringen bzw. halten uns in einem Zustand der Erregung. Wenn Herz- und Atemfrequenz, Gehirn und Muskelspannung auf Aktivität gestellt sind, lässt sich der Sandmann nicht blicken. Der Schlaf kommt nur, wenn Körper, Geist und Seele einem Computer gleich „heruntergefahren“ werden – und zwar langsam!
„Jedem leuchtet ein“, sagt Zeitlhofer, „dass er nicht mit 200 Stundenkilometer von der Autobahn ab- und mitten in die Salzburger Altstadt hineinfahren kann. Dazu muss man schon abbremsen – und das auch nicht abrupt, sondern schrittweise.“ Dass es beim Schlafen ganz genauso geht, ist vielen nicht bewusst. „Es gehört aber ganz wesentlich zum Schlafenlernen dazu, dass man langsam zurückschraubt. Dazu kann man etwa in einer Art Abendgebet den Tag Revue passieren lassen. Wenn man sich psychisch etwa darauf einstellt, dass man 80 Prozent des Tagespensums geschafft hat und die verbleibenden 20 Prozent am nächsten Tag schon irgendwie unterbringen wird, ist man auf dem richtigen Weg zur Entspannung. Wenn man aber bei den 20 Prozent, die man nicht geschafft hat, hängenbleibt, dann wird’s schwierig mit dem Herunterfahren und Schlafen, denn dann wird gegrübelt.“

Schlafen als Leistung

Der Hang zum Grübeln, die Neigung, die Dinge eher schwer zu nehmen, schnell auf die Palme zu gehen und im Konflikt- und Problemfall leicht die Nerven zu verlieren – das sind Eigenschaften, die die meisten Menschen mit erlernter Schlafstörung kennzeichnen. „Darum wird die schlafmedizinische Beratung auch oft zu einer psychotherapeutischen“, erzählt Zeitlhofer aus seiner Praxis. „Wenn ich Patienten, die an einer psychophysiologischen Insomnie leiden, rate, eine Entspannungstechnik zu erlernen, dann fühlen sich die meisten überfordert: Um Himmels willen, wenn ich das jetzt auch noch machen muss, jeden Tag eine halbe Stunde, dann werde ich ja überhaupt nicht fertig, dann komme ich ja überhaupt nicht mehr zum Schlafen!“ Wenn Entspannen und Schlafen zur Leistung werden, die erbracht werden müssen, um andere Leistungen erfüllen zu können, gilt es die ganze Lebensgestaltung ins Visier zu nehmen. „Da gehören viele psychische Maßnahmen dazu“, sagt Zeitlhofer, „aber auch Aufklärung.“

Die gute Nacht beginnt am Tag

Denn auch das Wissen über den Schlaf hilft beim Schlafenlernen, weiß der Schlafmediziner. Schlafen ist wie Essen und Trinken überlebensnotwendig. Wir müssen schlafen, ob wir wollen oder nicht. Im Schlaf regenerieren wir uns, Schlaf ist die Basis unserer Gesundheit.
Doch Schlaf ist nur ein Teil des Lebens. Der restliche Teil gehört zum guten Schlaf ganz wesentlich dazu. Die gute Nacht beginnt bereits am Tag. „Die Gestaltung des Tages ist wichtig für die erholsame Nachtruhe“, sagt Zeitlhofer. „Aber nicht nur das: Verhaltensweisen in vielen Lebensbereichen, zum Beispiel Konfliktlösungsstrategien gehören auch dazu. All diese Bereiche lassen sich verbessern.“ Und das ist oft die Voraussetzung für das (Wieder-) Erlernen von Schlaf.

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Hausübungen für Schlechtschläfer

(1) Wie viel Schlaf brauche ich denn?

Weil sie sich den Kopf gar so sehr übers Schlafen zerbrechen, täuschen sich gerade Menschen mit erlernter Insomnie oft, wenn es um ihr Schlafbedürfnis geht. Um zwei Uhr auf den Wecker geschaut, um drei schon wieder und dazwischen „sicher nicht“ geschlafen – am nächsten Tag „geht sicher wieder alles schief“. Erstens ist es völlig normal, nachts bis zu 20 Mal aufzuwachen, oft ohne sich daran zu erinnern. Und zweitens hat man dazwischen wahrscheinlich doch geschlafen. Eine Messung des Schlafs, sei es im Schlaflabor oder mit entsprechenden Geräten für zu Hause, kann hier Klärung und Erleichterung bringen: Denn viele schlafen mehr und besser als sie befürchten.
Außerdem: Die Maßeinheit für guten Schlaf ist nicht der Schlaf selbst, sondern die Tagesverfassung. Niemand muss acht Stunden schlafen. Wenn Sie „nur“ sechs Stunden pro Nacht schlafen, sich tagsüber aber fit und leistungsfähig fühlen, so haben Sie kein Schlafproblem.

(2) Wie gestalte ich meinen Tag?

Schlaf ist nur ein Bereich des Lebens, wenn auch ein großer und wichtiger. Und das Leben ist ein rhythmisches Geschehen aus Anspannung und Entspannung, Aktivität und Erholung. Wer rastlos durch den Tag hetzt und sich keine Pausen gönnt, wer zehn Stunden vor dem Bildschirm sitzt und sich zum Ausgleich nicht bewegt, bringt diesen Rhythmus durcheinander – und wird nachts nur schwer zur Ruhe kommen.
Ein gutes Mittel, um gestörte Rhythmen zwischendurch auf Kurs zu bringen: Das Mittagsschläfchen, zehn bis 20 Minuten, nicht mehr! Beim Einschlafen entsteht automatisch ein Gleichklang zwischen Herzschlag und Atmung: zwei Herzschläge einatmen, zwei Herzschläge ausatmen. Dieser Gleichklang bewirkt, dass auch andere Körperrhythmen wieder ins (gesunde) Lot kommen.

(3) Wie gut funktioniert meine Bremse?

Abschalten, abbremsen, das System herunterfahren, langsam herunterkommen, zurückschrauben – wie immer Sie es nennen wollen: Der Tag will ausklingen, der Schlaf vorbereitet werden. Wenn bei Entspannungsübungen welcher Art auch immer (Yoga, autogenes Training & Co) die Gedanken nicht aufhören, um all das zu kreisen, was noch zu erledigen ist, kann man es mit einem „Abendbuch“ versuchen: Schreiben Sie alles auf, was Ihnen durch den Kopf geistert – und Sie müssen sich nicht länger anstrengen, um nur ja nichts zu vergessen, denn Sie können ja jederzeit in Ihrem Buch nachlesen. Wichtig: Alle heiligen Zeiten derart auf die Bremse zu steigen, bringt nichts. In der Regelmäßigkeit liegt die Würze des gesunden Schlafs: Regelmäßigkeit schafft Ordnung, und Ordnung schafft Ruhe.

(4) Was taugen meine Schlafrituale?

Vor dem Fernseher dösen, in der Werbepause aufschrecken, aufstehen, um ins Bett zu gehen – ein ebenso beliebtes wie fatales „Schlafritual“ der Österreicher. Fernsehen, aber auch Computerspielen taugen nicht als Bremsen. Im Gegenteil: Sie halten unser System auf Trab. Selbst wenn Sie bei Rosamunde Pilcher noch so gut schlafen, die Reize aus dem Fernsehapparat werden vor allem über das Gehör aufgenommen. Und diese Reize müssen Sie dann später, wenn Sie eigentlich schlafen wollen, verarbeiten.
Ein Buch oder eine Zeitschrift zu lesen, eignet sich hingegen gut zum Abschalten, denn sobald die Augen zufallen, sind die Reize weg und der Schlaf kann kommen. Aber auch andere Rituale können – regelmäßig gepflegt – hilfreich sein. Ob das ein schönes warmes Bad ist, eine Tasse Tee oder eine Runde ums Haus: Rituale geben Sicherheit, und Sicherheit fördert den Schlaf.

(5) Wie halte ich’s mit der Schlafhygiene?

Eine gute Matratze, ein bequemer Polster, ausreichend Frischluft, möglichst kein Lärm, Licht und Temperatur nach individuellem Bedarf, ein gut gefüllter, aber nicht überfüllter Bauch: Schlafmediziner wissen, wie oft es bei diesen scheinbar banalen Voraussetzungen für guten Schlaf hapert. Gerade bei Menschen mit einer erlernten Insomnie gesellen sich zur Angst vor den schlaflosen Nächten oft schlaf­hygienische Defizite: Weil sie schlecht geschlafen haben, übertauchen sie ihre Tagesmüdigkeit mit viel Kaffee und können abends erst recht wieder nicht einschlafen. Weil sie endlich wieder einmal schlafen wollen, powern sie sich abends beim Joggen so richtig aus und liegen erst recht lange wach. Schlaf braucht optimale Bedingungen. Alles was aufputscht oder als störend empfunden wird, gehört nicht dazu.

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Von Schlafstörung sprechen die Mediziner dann, wenn man über sechs Wochen lang zwei bis drei Mal pro Woche schlecht schläft. Innerhalb von 15 Minuten einzuschlafen, ist normal. Wer über einen längeren Zeitraum mehr als 30 Minuten zum Einschlafen braucht, sollte ärztlichen Rat einholen.
Insgesamt wird heute weniger geschlafen als früher: 1900 waren es durchschnittlich neun Stunden, 1975 7,5, derzeit sind es 6,8 Stunden.

Stand 10/2010

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