Keine Pflanzerei!

Mai 2018 | Leben & Arbeiten

Wie selbst auf kleinster Fläche Köstliches gedeiht
 
Frisches Obst und Gemüse, aromatische Kräuter und bunte Sommerblumen: Immer mehr Menschen träumen davon, sich zumindest teilweise selbst zu versorgen. Das Eigene zu ernten und zu essen, ist ein wahrer Hochgenuss. Werden ein paar Prinzipien berücksichtigt, kann selbst auf kleinstem Raum viel gedeihen – und auch die Gärtner blühen auf.
 
– Von Mag. Alexandra Wimmer

Fünf Hektar Land im südlichen Burgenland: Auf Streuobstwiesen wachsen Feigenbäume, chinesische Datteln, Mandeln, Granatäpfel. In dem riesigen Gemüsegarten sind Kartoffeln, Salate und viele weitere Gemüsesorten bunt gemischt gepflanzt. Auf Terrassen gedeihen neben Urkorn, einer sehr alten Weizensorte, Knoblauch, Radieschen und Topinambur. An Baumstämmen entfaltet sich eine üppige Pilzzucht: Als „Selbstversorgerin“ lebt Judith Anger seit acht Jahren, wovon immer mehr Menschen träumen. „Mit dem, was ich pflanze, kann ich locker 100 Menschen versorgen“, sagt die gebürtige Linzerin, die sich an den Prinzipien der Permakultur orientiert. „Ich beobachte die Natur und nutze, was sie mir zeigt.“

Gemeinsam statt einsam: Fruchtbarer Pflanzenmix

Der Begriff „Permakultur“ setzt sich aus den englischen Wörtern „permanent” und „agriculture” zusammen und bedeutet so viel wie „dauerhafte Landwirtschaft“. Damit diese Erfolg hat, baut man auf naturnahe Ökosysteme. Was das konkret bedeutet? „Ich arbeite zum Beispiel immer mit Pflanzgemeinschaften“, erklärt Anger. Ihre „Wildniskultur“ spiegelt, wie bunt die Natur es treibt. „Hier wächst alles wild und sieht scheinbar ungepflegt aus“, sagt die Landwirtin. So manchen herkömmlichen Gärtner bringt das Chaos zum Verzweifeln. Es gedeihen viele unterschiedliche Pflanzen auf einem Fleck – im Unterschied zu den Monokulturen in der klassischen Landwirtschaft, wo reihenweise gepflanzt wird: eine Reihe Radieschen, eine Reihe Salat usw. „Da die gleichen Pflanzen den gleichen Nährstoffbedarf haben, kommt es zur Übernutzung. Boden und Pflanze müssen zum Beispiel durch Düngung unterstützt werden“, nennt Anger die problematischen Folgen. Werden die Pflanzen hingegen gemischt, unterstützen und beschatten sie sich gegenseitig. Die Synergien sorgen für üppiges Gedeihen und tun den Böden gut. „Weil die Pflanzen den Großteil der Fläche in Anspruch nehmen, bleibt außerdem wenig Platz für Unkraut“, ergänzt Anger, die auf Nutzgärten setzt. „Diese sorgen für Essbares, Artenvielfalt und ein gutes Klima.“

Wachstum in alle Richtungen: auf Beeten, Wänden, Bäumen

Die Nutzfläche wird dabei in alle Richtungen ausgeschöpft, indem man nicht nur eindimensional Beete beackert, sondern sich buchstäblich hoch arbeitet: Pergolen und Bäume geben Rankhilfen für Hopfen, Bohnen und Wildreben; auch Hauswänden und Gartenzäunen steht die Farbe der Saison: grün. Dabei muss man sich immer in die Pflanze versetzen: Was braucht sie, damit es ihr gut geht? Am besten, man probiert aus, was im Garten oder auf dem Balkon gedeiht – nicht jede Pflanze passt zu jedem Standort.
Dass selbst aus unwirtlichen Plätzchen grüne Paradiese entstehen können, weiß Anger auch aus ihrer Tätigkeit als Beraterin: „Auf einem Balkon in Wien ist bei 40 Grad im Sommer überhaupt nichts gewachsen.“ Um Luftfeuchtigkeit zu produzieren, wurde in jede Ecke ein kleiner Brunnen gestellt – heute ist der Balkon ein „kleiner Urwald.“

Viel Fläche und Zeit: der Weg zur eigenen Farm

Ob der Traum, sich komplett selbst zu versorgen, realisierbar ist, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Je nachdem, was man anbaut, braucht es eine mehr oder weniger große Fläche: „Die Angaben schwanken zwischen hundert bis vierhundert Quadratmeter pro Person. Obstbäume brauchen deutlich mehr Fläche als Gemüse und Kräuter“, informiert Mag. Sophie Jäger-Katzmann, Biologin und Gartenexpertin von DIE UMWELTBERATUNG.
Auch muss man viel Zeit haben: für die Planung, die Pflege, die Ernte, das Lagern und Haltbarmachen der Früchte. „Will man vom Selbstgezogenem leben, muss man neben Obst, Gemüse und Kräutern auch Nährstoffreiches wie Erdäpfel oder Getreide anbauen“, gibt Jäger-Katzmann zu denken. Gärtnern im Einklang mit der Natur sollte außerdem biologisch sein.

Von Samen bis Pflanzen: (Auf) Bioqualität setzen

„Die Erde sollte jedenfalls torffrei sein“, schickt die Expertin voraus. Durch den Torfabbau werden Hochmoore, die über Jahrtausende entstanden sind, unwiederbringlich zerstört.
Außerdem sollte man (auf) biologisch produzierte Saaten setzen. Diese sind frei von Gentechnik und Pestiziden. „Alte Sorten haben einen besonderen Geschmack und sind besonders resistent gegenüber manchen Schädlingen“, ergänzt Jäger-Katzmann. Ob von Sommerblumen oder Kräutern wie Fenchel, Basilikum und Ringelblumen: Samen lassen sich einfach selbst abnehmen, indem man die Samenträger, etwa eine Blume, stehen lässt und diese nach der Welke erntet. Ehe man die Samen in Papiersackerln für das nächste Jahr lagert, sollte man sie gut trocknen, um Schimmel vorzubeugen.
Auch in Pflanzentauschbörsen und auf Märkten können biologische Samen und Jungpflanzen erstanden werden. Bio-Jungpflanzen sind mittlerweile auch in Gärtnereien und Supermärkten erhältlich. Die Pflänzchen von Paradeiser, Paprika oder Gurke lassen sich im März auf der Fensterbank vorziehen. Wenn jetzt im Mai die Nachtfröste vorbei sind, kann man selbst empfindliche Jungpflanzen ins Freie setzen.
In regionalen Gärtnereien werden zudem oft Jungpflanzen aus der Region angeboten. Sie sind unter Bedingungen gewachsen, die sie auch in den Gärten vor Ort vorfinden. „Setzt man Pflanzen, die vorher wie Intensivpatienten versorgt und geregelt beleuchtet, gewässert, gedüngt wurden, in den Garten, ist das für diese ein Schock“, erklärt Jäger-Katzmann.

Macht euch vom Acker! Pflanzen gegen Schädlinge

Und was tun gegen Blattläuse, Schnecken und andere Schädlinge? Von chemischen Pflanzenschutzmitteln raten die Expertinnen ab: Diese belasten die Umwelt und töten neben den Schädlingen auch die Nützlinge. Besser, man fördert die Nützlinge gezielt. Ein „wildes Eck“ im  Garten, wo alles wuchern darf, ist Lebensraum für Schmetterlinge. Sommerblumen wie Cosmeen sind eine wunderbare „Weide“ für Wildbienen. Manchmal braucht es einfach ein wenig Geduld: Kurz nach dem Hoch der Blattläuse folgt oft das Hoch der Marienkäferlarven.
Idealerweise mischt man Pflanzen, die sich gegenseitig fördern und vor Schädlingen schützen. „Knoblauch zwischen Erdbeeren wirkt gegen Pilzkrankheiten, Lauch im Karottenbeet gegen die Möhrenfliege“, gibt die Gartenexpertin Beispiele. Mechanische Barrieren – Blumenkisten oder Hochbeete – können ebenfalls helfen. „Hochbeete werden am besten schichtweise befüllt: Man beginnt mit groben Materialien wie Ästen, schichtet Laub und Kompost darauf und zuletzt die Erde“, sagt Jäger-Katzmann. Die stattfindende Rotte sorgt für Düngung und Wärme – dadurch verlängert sich die Ernteperiode. Alternativ könnte man zu ökologischen Pflanzenschutzmitteln greifen.

Statt „grünem Daumen”: Im Einklang mit der Natur

Sie würden gern gärtnern, haben aber keinen „grünen Daumen“? Für Judith Anger ist das kein Grund, es nicht zu versuchen. Gärtnerqualitäten würden sich nicht beim „Verhätscheln“ von Zimmerpflanzen zeigen, sie messen sich an den Gesetzen der Natur.
Dazu sollte man naturnahe Kreislaufflächen schaffen, indem man zum Beispiel einen Komposthaufen anlegt und  die Pflanzen mit der Komposterde düngt. (Regen-) Wasser wird zum Bewässern der Pflanzen und zur Erzeugung von Luftfeuchtigkeit genutzt.
Übrigens: Bis ein großes Grundstück wie Angers Farm sich wieder im Kreislauf der Natur befindet, dauert es mindestens fünf Jahre. Bei kleineren Flächen geht es deutlich schneller.

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Neuer Luxus:
Ich versorge mich selbst!

Biologisches Essen aus der Region ist zunehmend gefragt. Warum dieses nicht selbst produzieren, denken sich immer mehr Menschen. „Speziell in den letzten fünf Jahren gab  es bei uns verstärkt Anfragen zum Selberziehen von Gemüse, Kräutern und Obst“, erzählt Mag. Sophie Jäger-Katzmann von DIE UMWELTBERATUNG.
Eine vitaminreiche Ernte ist nicht allein Gartenbesitzern vorbehalten: Auch am Küchenfenster und auf dem Balkon lassen sich Kräuter ziehen, Cocktailparadeiser und Salate anpflanzen. Für das Ziehen von Erdäpfeln genügen Erde, ein Eimer und Bioerdäpfel, die man keimen lässt und einsetzt. Möchtegern-Grünakteure können außerdem Beete mieten oder „Gartenpaten“ werden: Muskeleinsatz gegen Erntebeteiligung heißt das „grüne Geschäft“. Auch im städtischen Bereich entstehen überall grüne Ecken und Plätze. Mit dem „Urban Gardening” ist ein Trend aufgekeimt, der nebenbei das soziale Miteinander fördert.
Der Wunsch nach (mehr) Selbstversorgung bleibt nicht auf die Flora beschränkt: In immer mehr Privatgärten laufen Hühner, Wachteln oder Enten herum – „Nutztiere als Haustiere“, lautet das Motto. Das Geflügel liefert Eier, Laufenten sind gut gegen Schnecken. Auch auf der Farm von Judith Anger tummeln sich viele tierische Bewohner: Freilandhennen legen Eier, Schweine helfen beim Umackern und eine Wurmfarm verbessert den Boden.

Buchtipp:

Anger, Fiebrig, Schnyder
Jedem sein Grün!
Urbane Permakultur – Selbstversorgung ohne Garten
ISBN 978-3-7088-0627-3
144 Seiten, € 14,99
Kneipp-Verlag 2014

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Heilsames Gärtnern
Gartentherapie hilft Körper und Psyche   

Das Beackern von Grünflächen schafft einen wohltuenden Ausgleich zum Alltag drinnen und bietet eine willkommene Abwechslung zu den vielen virtuellen Tätigkeiten an Smartphone oder Laptop. „Virtuelle Aktivitäten sind immer mit Rückzug verbunden“, weiß der Wiener Allgemeinmediziner und Gartentherapeut Dr. Fritz Neuhauser.
Die gute Nachricht: Selbst Menschen, die viel am Handy sind, bleiben empfänglich für die Erlebnisse in der Natur. Die Verbundenheit bringt sie in Berührung mit (vergessenen) Ressourcen und Fähigkeiten.

Bessere Stimmung
Im Freien verbessert sich der Stoffwechsel, Stress wird besonders schnell abgebaut. Dazu müsse man nicht einmal einen Spaten in die Hand nehmen, sagt Neuhauser. „Der Stressabbau ist auf das Sonnenlicht, die frische Luft und die tiefere Atmung, die sich im Freien automatisch einstellt, zurückzuführen.“ Man kommt schneller zu sich selbst, kann sich besser sammeln. „Das gelingt draußen wesentlich besser als vor dem Computer“, beobachtet der Arzt auch an sich selbst.
Prioritäten lassen sich einfacher setzen, Entscheidungen leichter treffen. Auch bei Ängsten und gedrückter Stimmung ist der Aufenthalt im Freien wirksam. „Schon nach einer halben Stunde im Garten verbessert sich eine Depression“, sagt Neuhauser.
„Auch sind Menschen, die sich drinnen verwirrt oder gestresst fühlen, draußen klarer und ruhiger.“ Beim Gärtnern kann man sich buchstäblich erden.

Selbstwirksam werden
Die Arbeit im Garten fördert insbesondere das heilsame Gefühl der Selbstwirksamkeit: Man gestaltet selbstbestimmt ein Fleckchen Erde und erlebt, was daraus entsteht. Besonders gut wirkt das „Medikament“ Selbstwirksamkeit, wenn man es in Gemeinschaft anwendet. „Man arbeitet gemeinsam, redet über alles Wesentliche – das schafft viel Vertrauen“, beschreibt Neuhauser den Effekt. „Viele psychische Leiden haben ja damit zu tun, dass die Betroffenen isoliert und alleine sind.“

Gemeinsam etwas schaffen

Auch die Psychiatriepatienten am Wiener Krankenhaus Hietzing können es im Frühling nicht erwarten, ins Freie zu kommen. Überall werden Beete angelegt, es wird gesät und gepflanzt. Vielmehr als um eine essbare Ernte gehe es darum, etwas Sinnvolles und Gemeinschaftliches zu tun, erklärt Neuhauser, der als Stationsarzt die Patienten beim Gärtnern begleitet. „Was wir pflanzen, wandert eher in die Vase als in den Mund.“ Vor allem Ziersträucher werden gezogen, eingetopft, verschenkt oder verkauft. Die besondere Leidenschaft gilt der Zucht von Pfingstrosen, die Anfang Mai zu blühen beginnen. „Diese tollen Gewächse brauchen viel Zeit: zwei Jahre, bis die Samen keimen, und weitere drei bis fünf Jahre bis zur ersten Blüte“, erzählt Neuhauser. Die Geduld lohnt sich: „Sie werden bis zu dreihundert Jahre alt.”
Gartenarbeit stiftet Sinn, schafft positive Perspektiven und fördert das soziale Wohlbefinden. Das schätzen auch jene Flüchtlinge, mit denen Neuhauser im Rahmen des Projekts IGOR gärtnert. „Es tut ihnen gut, gesehen zu werden,  mitzuhelfen und das, was sie produzieren, zu nutzen und zu teilen.“   

Webtipps:

Der nachhaltigen Lebensweise verschrieben
hat sich der Verein Perma Vitae: https://www.permavitae.org

Umfassende Informationen rund um biologisches Gärtnern bietet DIE UMWELTBERATUNG: https://www.umweltberatung.at

Ein bundesweites Netzwerk für Umweltaktivitäten ist der Verein Green Care:
https://www.greencare-oe.at/ 

Infos zu Jungenpflanzenmärkte österreichweit gibt die Arche Noah:
https://www.arche-noah.at/kalender/maerkte-oesterreichweit

Stand 05/2018

 

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