Botenstoff der Liebe

August 2014 | Partnerschaft & Sexualität

Warum das Kuschelhormon Karriere macht
 
Es stärkt Bindung und Vertrauen, vertreibt Ängste und Stress – und noch viel mehr: Immer neue Erkenntnisse begründen die steile Karriere des Kuschelhormons Oxytocin. Kann der „Botenstoff der Liebe“ auch noch Frauen zu mehr sexueller Lust und Depressiven zu mehr Lebenslust verhelfen?
MEDIZIN populär über ungewöhnliche österreichische Experimente.
 
Von Mag. Sabine Stehrer & Mag. Karin Kirschbichler

Es ist ein ungewöhnliches Experiment, das derzeit am Wiener AKH läuft, und doch nehmen 30 Paare daran teil. Ihre Aufgabe ist es, zweimal pro Sex zu haben – oder es zumindest zu versuchen. Zur Sache soll es aber erst gehen, nachdem sich die Frau die als Kuschelhormon bekannte Substanz Oxytocin in die Nase gesprüht hat. Die Dosis: vier Sprühstöße pro Nasenloch. Ob es danach zum Geschlechtsakt kam, und wenn ja, wie lustvoll er war, wird von den Versuchspersonen dokumentiert.
„Die Untersuchung dauert sechs Monate“, sagt Studienleiterin Univ. Prof. Dr. Michaela Bayerle-Eder von der Universitätsklinik für Innere Medizin am AKH in Wien. Die Studie ist weltweit einzigartig und wird doppelblind durchgeführt. Das heißt, die Frauen ziehen phasenweise ein sogenanntes Placebo mit der Nase auf. Das ist ein wirkungsloses Mittel, das aber dieselbe Farbe und Konsistenz hat wie der Oxytocin-Spray und auch genauso riecht, „nämlich nach gar nichts“, so Bayerle-Eder. Und selbst die Ärzte wissen nicht, wem sie wann das echte Mittel geben.

Vom Kuschelstoff zum Lusterreger?

Zwar ist bereits mehr als die Halbzeit überschritten, Ergebnisse kann die Internistin und Sexualmedizinerin aber noch keine nennen: „Wir wissen nicht, ob unsere Vermutung bestätigt wird.“ Diese besteht darin, dass das Kuschelhormon Frauen die Lust wiederbringt, die sie aufgrund von verschiedenen Sexualfunktionsstörungen verloren haben. Sei es wegen eingeschränkter Erregungsfähigkeit, Libidoverlusts oder der Unfähigkeit, zum Orgasmus zu kommen: An der Studie nehmen Frauen teil, denen aus irgendwelchen, nur nicht aus organischen Gründen die Freude am Sex vergällt ist.
Der Botenstoff der Liebe als Botenstoff der Lust? Wie kam man zu der Annahme, dass Oxytocin Frauen helfen könnte, zu einem erfüllenden Sexualleben zurückzufinden? „Wir wissen, dass sie in sehr viel stärkerem Ausmaß als Männer emotionale Intimität brauchen, um Lust zu empfinden“, so Bayerle-Eder. „Und wir wissen auch, dass dieses Gefühl mit der Ausschüttung von Oxytocin durch die Hirnanhangdrüse einhergeht, dass das Gefühl also von Oxytocin erzeugt wird.“

Von der Stillhilfe zum Treuehormon

Ursprünglich war Oxytocin 1906 als Substanz entdeckt worden, die Wehen einleitet und Geburten beschleunigt. Und so wurde der Name des Hormons aus dem altgriechischen Wort für „leicht gebärend“ abgeleitet. 1953 gelang es, den Stoff zu isolieren und zu synthetisieren. Seit damals wendet man Oxytocin als Medikament in Form von Infusionen an, wenn man Wehen einleiten bzw. eine Geburt beschleunigen muss. Als sich zeigte, dass Oxytocin auch beim Stillen ausgeschüttet wird, verabreichte man es zudem Frauen, die Probleme damit hatten. Auch das führte zu den gewünschten Erfolgen.
Später stellte man fest, dass der Oxytocinspiegel im Blut von Frauen wie Männern beim Orgasmus ansteigt, aber auch bei Menschen, die sich gerade verlieben, die umarmt oder gestreichelt werden. Durch das Oxytocin entwickelt sich also ein Gefühl der engen Verbundenheit, war die Schlussfolgerung. Und so kam der Botenstoff der Liebe zu Beinamen wie Treue- oder Kuschelhormon bzw. nun eben in den Rang des Studienobjekts für Frauen, die für ein erfülltes Sexleben – even­tuell – mehr gefühlsmäßige Nähe brauchen.

Vom Wehen- zum Wundermittel

Freilich ist das Experiment am AKH nicht das erste, mit dem festgestellt werden soll, ob der Nachbau von Oxytocin noch mehr kann als etwa Geburten zu erleichtern. In den vergangenen Jahren wurden einige Forschungen gestartet, die darauf abzielen, das Wundermittel weitreichend zu nützen. Dabei zeigte sich beispielsweise, dass Oxytocin, in die Nase gesprüht, Autisten dabei helfen könne, auf andere zuzugehen. Ähnlich sollen auch Menschen mit Sozialphobien sowie Ängstliche und Schüchterne von der Wirkung der Substanz profitieren. Auch manchen Schizophrenen, die an einer Persönlichkeitsspaltung leiden, soll die positive Wirkung von Oxytocin zugutekommen, nicht aber Patienten mit Borderline-Syndrom, die einmal himmelhochjauchzend, dann wieder zu Tode betrübt sind. Über die Gründe gibt es nur Vermutungen: Eventuell werden Borderliner durch das Oxytocin so aufgekratzt, dass sie den anschließenden Verlust der Hochstimmung als umso schlimmer empfinden.

Vom Stimmungsmacher zum Antidepressivum?

Der naheliegenden Frage, ob Oxytocin dafür depressiven Patienten zu mehr Lebenslust verhelfen könnte, wird demnächst ebenfalls im Rahmen eines österreichischen Experiments nachgegangen. Unter der Leitung von Dr. Marion Freidl von der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie am Wiener AKH ist ab Herbst 2014 eine Studie mit 30 Teilnehmern geplant, die an einer leichten bis mittelschweren Depression leiden. Sie sollen sich über mehrere Wochen lang täglich morgens und abends Oxytocin in die Nase sprühen und Buch darüber führen, ob sich ihre Stimmung dadurch verändert. Auch sie bekommen im Wechsel mit Oxytocin ein Placebo.
Freidl: „Die Ergebnisse werden wir 2015 oder 2016 haben.“ Sie hofft sehr auf die vermutete positive Wirkung des Hormons. „Dann hätten wir eine mögliche Alternative zu Antidepressiva, die wahrscheinlich vergleichsweise nebenwirkungsarm ist.“

Stand 07/2014

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