Die Milz
„Die Milz ist das enfant terrible unter unseren Körperorganen: Für den Medizinhistoriker eine Delikatesse, ein Thema, an dem er die großen allgemeinen Krankheitslehren von der Antike bis in die Gegenwart durchspielen kann.“ Mit diesen Worten schwärmte der deutsche Anatom und Medizinhistoriker Robert Herrlinger noch im 20. Jahrhundert von der Milz. In der Antike galt das Organ als Sitz der Heiterkeit, die Melancholie als Folge einer Fehlfunktion der Milz. Im 18. Jahrhundert wurde die Hypochondrie, also die übersteigerte Angst vor Krankheiten, auf eine Störung der Milz zurückgeführt. Aus diesem Grund ist auch das englische Wort für Milz, spleen, im Sinne von Marotte oder Schrulle in die deutsche Sprache eingegangen.
Teil des Immunsystems
Aus der Sicht der modernen Medizin ist die Milz kein besonders aufregendes Organ. Sie ist nicht lebensnotwendig, und es gibt so gut wie keine speziellen Erkrankungen dieses Organs.
Es handelt sich um ein faustgroßes Organ im linken Oberbauch, links vom Magen und direkt unter dem Zwerchfell. Die Milz hat mehrere Aufgaben: Erstens baut sie überalterte Blutzellen ab, weiße und rote Blutkörperchen sowie Blutplättchen. Zweitens ist sie ein Teil des Immunsystems und schützt durch ihre Tätigkeit den menschlichen Körper vor Bedrohungen durch Bakterien, Viren oder Pilze. In dieser Funktion enthält die Milz zum einen sogenannte Makrophagen, Fresszellen, die eindringende Mikroorganismen in sich aufnehmen und auflösen; zum anderen speichert sie Lymphozyten, die Eindringlinge aufspüren und zerstören.
Riss und Vergrößerung
„Erkrankungen, die von der Milz ausgehen, sind eine Rarität“, erklärt Univ. Doz. Dr. Eberhard Gunsilius, Leiter der Hämatologischen Ambulanz an der Abteilung für Hämatologie und Onkologie der Medizinischen Universität Innsbruck. Die häufigsten Probleme mit dem Organ entstehen bei Unfällen, etwa wenn bei einem Motorradunfall die Lenkstange gegen den Oberbauch gerammt wird. Zwar ist die Milz durch die Rippen geschützt, doch kann es in Folge eines harten Aufpralls zu einem Milzriss kommen. Weil die Milz sehr gut durchblutet ist, führt eine Verletzung zu starken inneren Blutungen, die lebensbedrohlich sein können. Trügerischerweise kann das Milzgewebe bei einem Unfall sofort verletzt werden und bluten, die Milzkapsel aber längere Zeit dem Druck durch die Blutung standhalten und erst später reißen: die sogenannte zweizeitige Milzruptur. Manchmal kommt es im Zuge anderer Krankheiten zu einer Schwellung der Milz, dann lässt sie sich sogar von außen ertasten. „Eine Vergrößerung ist immer das Zeichen, einen Spezialisten aufzusuchen“, mahnt Gunsilius.
Der Verlust der Milz ist medizinisch keine schwerwiegende Einbuße. Menschen, denen nach einem Milzriss die Milz entfernt werden musste, können ein völlig normales Leben führen. Sie sind jedoch anfällig für bestimmte Infektionskrankheiten (z. B. durch Pneumokokken), gegen die sie sich mit einer Impfung schützen müssen.
Es gibt auch keine speziellen Tipps, wie man seine Milz fit halten kann – außer den ohnehin allgemeingültigen Gesundheitstipps: „Nicht Rauchen, Sport betreiben, Alkohol in Maßen genießen, gesund Essen und regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen“ (Gunsilius). Von „enfant terrible“, einem Exzentriker unter den Körperteilen, also keine Spur mehr.
Heiterkeit und Melancholie
Zum „enfant terrible“ und zur kulturgeschichtlichen „Delikatesse“ wird die Milz erst, wenn man den Boden der modernen Medizin verlässt. Im Rahmen der antiken, bis zum Ende des Mittelalters als gültig betrachteten Viersäftelehre nämlich spielte die Milz eine zentrale Rolle, wie etwa in de Gruyters Enzyklopädie Medizingeschichte nachzulesen ist. Damals glaubten die Mediziner, Gesundheit resultiere aus dem Gleichgewicht von vier flüssigen Energieträgern, den Säften: Blut, dunkle Galle, weiße Galle, Schleim. Die dunkle Galle, die Trübsal und Traurigkeit hervorruft, so glaubte man, wurde von der Milz angezogen und entgiftet. Arbeitete die Milz korrekt, so erfreute sich der Mensch eines heiteren Gemüts. Gewann die dunkle Galle im Gleichgewicht der Körpersäfte allerdings die Oberhand, so verfiel er in Melancholie, Verdrießlichkeit oder Furchtsamkeit. Zeitweise wurde die Melancholie – und damit die Milz – auch mit dem Genie in Verbindung gebracht. Später wurde die Hypochondrie als Fehlfunktion der Milz interpretiert. In der Renaissance galt die übertriebene Angst vor Krankheiten als typisches Leiden der Gelehrten – hervorgerufen durch zu viel Sitzen, wodurch die Milz zusammengedrückt werde.
Verdauung und Mitte
In der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) spielt die Milz bis heute eine zentrale Rolle. Eine Grundlage der TCM stellt die Lehre der Fünf-Elemente bzw. der fünf Funktionskreise dar. Bezogen auf die Anwendung in der Medizin wird jedem Funktionskreis ein Element – Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser – als auch ein Organ, ein bestimmter Geschmack, eine Gewebeschicht, aber auch eine psychische Eigenschaft zugeordnet. Milz steht dabei für das Element Erde und für die Mitte, womit die Aufnahme, Aufspaltung, Resorption und Verteilung der Nahrung im Körper gemeint ist. In der TCM gibt es sogar eine Schule, welche die mit der Milz verbundene Mitte für den wichtigsten Funktionskreis im menschlichen Körper hält.
„Die Milz ist dabei nur ein Synonym“, betont Dr. Sonja Laciny, Vizepräsidentin des Österreichischen Dachverbandes für TCM: „In der TCM bedeutet ,Milz‘ nicht jenes Organ, von dem man in der Schulmedizin spricht.“ Vielmehr meint man mit der Funktion der „Milz“ bzw. der „Mitte“ die Summe aller Verdauungsvorgänge und die daraus resultierende Energieaufnahme und Energiegewinnung, die unser Körper für alle seine Funktionen benötigt.
Übergewicht und Krampfadern
Naheliegenderweise ist der mit der Milz verbundene Funktionskreis der Verdauung besonders betroffen, wenn etwas mit der Milz/Mitte nicht stimmt: Dann kommt es zu Verdauungsstörungen, Reizdarmsyndrom, Durchfällen, Übelkeit oder Völlegefühl. Rund drei Viertel aller Krankheiten in der TCM gehen auf eine Schwäche der Mitte zurück. Das ist auch der Grund, warum die richtige Ernährung in der TCM so wichtig ist. Diese besteht in erster Linie aus saisonalen, frisch gekochten Mahlzeiten, abgestimmt auf die Probleme des Patienten. Vor allem zuviel Süßes, Ungekochtes und unregelmäßiges Essen setzen der Mitte zu. Auch Fertigprodukte und Tiefkühlkost sind aus Sicht der TCM zu vermeiden. „Eine schwache Milz ist eine der Hauptursachen für Übergewicht“, erklärt Laciny. Eine Schwäche der Mitte macht sich durch Heißhunger auf Süßes, Müdigkeit und Antriebslosigkeit bemerkbar.
Weil die Mitte aber auch zuständig ist für die Bereitstellung der täglichen Energie, sind auch Probleme des Immunsystems wie Allergien oder die Zunahme von Infektanfälligkeit oft eine Folge einer Störung des mit der Milz verbundenen Funktionskreises. Wie jedem anderen Kreislauf auch ist der Mitte ein bestimmtes Körpergewebe zugeordnet, nämlich die Muskulatur und das Bindegewebe. Eine schwache Milz hat zum Beispiel eine Neigung zu Krampfadern zur Folge; wer hingegen über eine kräftige Milz verfügt, nimmt nicht leicht zu, weil sein Körper Muskelgewebe statt Fett bildet.
Schließlich sind den einzelnen Funktionskreisen des Körpers auch Emotionen zugeordnet. Menschen, die über eine starke Mitte verfügen, werden als ausgeglichen, in sich ruhend, gesellig und genussfähig beschrieben. Eine schwache Milz hingegen, so heißt es, macht den Menschen nachdenklich und grüblerisch. Eine bemerkenswerte Überschneidung: Die Melancholie ist also nicht nur in der traditionellen europäischen, sondern auch in der Traditionellen Chinesischen Medizin mit der Milz verbunden.
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TCM – Bitte nur beim Arzt!
Die Traditionelle Chinesische Medizin boomt. Bekannte Entspannungstechniken wie Qi Gong oder Tai Chi Quan sowie die chinesische Ernährungslehre nach den fünf Elementen stammen aus der TCM. Während diese Methoden vor allem vorbeugenden und unterstützenden Charakter haben und von entsprechend Ausgebildeten durchgeführt werden können, ist in Österreich die Ausübung von Akupunktur, chinesischer Kräutertherapie und teilweise auch der Manualtherapie (Tuina) nur Ärzten vorbehalten. Hat dieser das Diplom für Chinesische Diagnostik und Arzneitherapie der Österreichischen Ärztekammer, dann ist man als Patient in guten Händen.
Speziell bei den in der TCM verwendeten Kräutern handelt es sich um pharmakologisch hoch wirksame pflanzliche Arzneimittel, die nur von Ärzten verordnet werden dürfen und in darauf spezialisierten Apotheken gekauft werden sollten. Achtung: Finger weg von dubiosen Kräutermischungen, die auf Märkten angeboten werden, sowie von Anleitungen zum Brauen angeblich harmloser „Tees“ in Büchern!
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