Die Nikotinsucht besiegen

Januar 2009 | Medizin & Trends

Wie groß die Macht der Sucht wirklich ist
 
Über Jahrhunderte galt Tabak als Genussmittel, das Rauchen schlimmstenfalls als schlechte Gewohnheit. In den 1950er Jahren begann man den Risikofaktor Rauchen zu erforschen, und heute zweifelt niemand mehr an den enormen gesundheitlichen Schäden, die der Tabakkonsum anrichtet. Erst in jüngster Zeit beschäftigen sich die Wissenschaftler mit dem Rauchen als Sucht. Und obwohl man dem Nikotin ein höheres Suchtpotenzial zuschreibt als Heroin oder Kokain, wird die Gefahr immer noch verharmlost.
Im Gespräch mit MEDIZIN populär spricht Suchtforscherin Univ. Prof. Dr. Gabriele Fischer über die Macht der Sucht.
 
von Mag. Karin Kirschbichler

MEDIZIN populär
Fast alle Raucher erinnern sich mit Grausen an die erste Zigarette. Doch sie ignorierten Husten, Schwindelgefühle, Übelkeit und griffen zur zweiten, dritten, x-ten Zigarette. Waren sie nach einer Zigarette schon süchtig?

Univ. Prof. Dr. Gabriele Fischer
Nein, kein Suchtmittel macht nach einmaligem Konsum suchtkrank. Im Fall von Nikotin zeigen sich nach vier bis sechs Wochen regelmäßigen Rauchens Symptome der Abhängigkeit, d. h. der Nikotinkonsum wird dann zwanghaft, wird trotz besseren Wissens um die gesundheitlichen Folgen fortgesetzt, Entzugserscheinungen treten auf, wenn einige Zeit nicht geraucht wird.

Warum übergehen manche Menschen die natürliche Abneigung gegen das Gift Nikotin? Was „motiviert“ sie zum Weiterrauchen?
Hier wirken verschiedene belastende Faktoren zusammen. Zum einen gibt es auch für die Nikotinsucht eine gewisse genetische Vorbelastung. Zum anderen spielen die Rahmenbedingungen eine große Rolle, also die soziale und psychische Situation, in der sich ein Mensch befindet. Auch weiß man heute, dass einige Erkrankungen wie Depressionen oder Angststörungen gehäuft mit Nikotinabhängigkeit auftreten. Das liegt daran, dass Nikotin Dopamin freisetzt und sich der Rauchende dadurch für den Moment scheinbar besser fühlt.

Nikotin wirkt über das so genannte Lustzentrum im Gehirn, erhöht die Ausschüttung von Dopamin und löst so kurzzeitig ein Gefühl der Zufriedenheit aus. Damit beginnt die Spirale der Sucht, die in Bezug auf das Rauchen aber immer noch verharmlost wird. Wie groß ist das Suchtpotenzial von Nikotin wirklich?  
Enorm groß, Nikotin hat das höchste Suchtpotenzial aller Suchtmittel. Das liegt einerseits an der Form, in der man es zu sich nimmt: Man inhaliert es, hat durch die Lunge eine relativ große Perfusions-, also Aufnahmefläche, das Nikotin gelangt innerhalb von Sekunden ins Gehirn, wo es rasch zu einer Dopaminfreisetzung kommt, was einen für den Moment zufrieden macht. Das hohe Suchtpotenzial von Nikotin hängt aber auch mit der Griffnähe zusammen. Man kann es immer und überall kaufen. Das ist auch einer der Gründe, warum anhaltende Nikotinabstinenz viel schwieriger zu erreichen ist als dauerhafter Heroin- oder Kokainverzicht.

Wie erklären Sie sich, dass die Zahl der Raucherinnen so stark ansteigt? Sind Frauen wirklich anfälliger für Sucht, wie oft behauptet wird?
Nein, von höherer Suchtanfälligkeit kann nicht die Rede sein. Bei Frauen spielen andere Besonderheiten eine Rolle: Ebenso wie z. B. Medikamente wird auch Nikotin im weiblichen Organismus schneller abgebaut, so dass es schneller zu Entzugssymptomen kommt. Dazu sind Frauen häufiger von Depressionen und Angststörungen betroffen, die ja oft zusammen mit Nikotinabhängigkeit auftreten. Leichtzigaretten – eine weibliche Domäne – sind wiederum für die Zunahme von Lungenkrebs bei Frauen mitverantwortlich, denn sie führen zu einem schnellen Abfall von Nikotin, der Tabakkonsum muss erhöht werden, um auf die entsprechende Dosis zu kommen, und damit kommt es zu vermehrter Aufnahme der krebserregenden Substanzen aus Zigarette & Co.

Ob Raucherinnen oder Raucher – bei allen ist der Nikotinkonsum an bestimmte Situationen bzw. Tätigkeiten gekoppelt. So wird das Rauchen fixer Bestandteil der Kaffeepause, feste Gewohnheit nach dem Weckerläuten, Entspannungsfaktor gleich nach Verlassen des Büros. Welchen Anteil haben Rituale an der Nikotinsucht?
Sucht lässt sich nicht nur neurobiologisch erklären, Verhaltensstrukturen oder Rituale, wie Sie sagen, gehören wesentlich dazu und sind vor allem für die Entwöhnung wichtig. An erster Stelle einer erfolgreichen Suchttherapie stehen die Antworten auf die Fragen: Wann, in welcher Situation, in Gesellschaft welcher Menschen etc. wird geraucht? Hier ist eine genaue Analyse wichtig. Oft spielt auch das Sich-an-etwas-anhalten-Müssen eine Rolle, sodass etwa das Herumsitzen durch das Rauchen quasi eine Legitimation bekommt. In diesem Zusammenhang halte ich es für wichtig, dass Arbeitspausen anders bewertet werden. In der Pause herumzustehen und zu rauchen wird eher akzeptiert als herumzustehen und „nur“ zu plaudern. Hier muss ein Umdenkprozess stattfinden. Jeder Arbeitnehmer soll in den Genuss von Ruhepausen kommen, die nicht als „Rauchpausen“ etikettiert sind.

Wie kann man sich von diesem Geflecht aus Sucht und Ritualen befreien?
Wenn nötig mit Medikamenten, in jedem Fall aber mit einer Bewusstmachung und Durchbrechung der Verhaltensstrukturen. Auf medikamentöser Seite gibt es seit rund zwei Jahren mit dem Wirkstoff Vareniclin einen richtungsweisenden neuen Ansatz. Die Substanz setzt auf der neurobiologischen Ebene der Sucht an, indem sie verhindert, dass sich Nikotin an die Rezeptoren im Gehirn binden und seine Wirkung entfalten kann. Gleichzeitig hat das Medikament selbst eine geringe stimulierende Wirkung, Dopamin freizusetzen, so dass man sich im Zuge der Entwöhnung nicht schlecht fühlt. Auf der Verhaltensebene stellt sich nach der genauen Analyse der mit dem Rauchen gekoppelten Situationen die Frage: Was mache ich stattdessen?

Treibt man so nicht den Teufel mit dem Beelzebub aus? Wenn man statt der Zigarette zur Karotte greift, lebt man zweifelsohne gesünder, hat damit aber die Suchtspirale nicht durchbrochen…
So einfach ist das natürlich nicht. Und genau darum geht es: Man darf nicht eine Sucht durch eine andere ersetzen. Vielmehr geht es um die Frage: Was steckt hinter der Sucht bzw. hinter dem Automatismus, in bestimmten Situationen zur Zigarette zu greifen? Denken Sie z. B. an eine berufstätige Mutter, die nach einem Tag voller Ärger in der Arbeit daheim drei kleine Kinder versorgt, vielleicht auch einen pflegebedürftigen Vater, dann gibt es noch Stress mit dem Ehemann – und sie wünscht sich, wenigstens ein paar Minuten Zeit für sich zu haben, um eine Zigarette zu rauchen. Da stellt sich die Frage, ob es nicht eher darum geht, mehr Zeit für sich zu haben als um die Zigarette. Und dann stellt sich die Frage, wie die Frau dazu kommen kann und was sie in dieser Zeit statt zu rauchen machen könnte. Dieser Prozess der Bewusstwerdung ist essenziell für die erfolgreiche Entwöhnung.

Warum spielt der Wille bei der Suchtentwöhnung eine so große Rolle?
Das ist die größte Hürde bei der Suchttherapie, der Wille der Betroffenen. Wenn man Personen mit einer Angststörung im Rahmen einer Therapie die Angst nimmt, sind sie zufrieden. Wenn man Suchtkranken das Suchtmittel nimmt, so müssen sie auf etwas verzichten, was sie scheinbar zufrieden macht, an das sie sich scheinbar anhalten können. Und die Bereitschaft dazu muss von ihnen selbst kommen. Es ist aber wichtig, zu vermitteln, dass jeder Versuch, mit dem Rauchen aufzuhören, sinnvoll ist. Jede Phase, in der nicht geraucht wird, ist ein Gewinn für die Gesundheit.

Zur Person
Univ. Prof. Dr. Gabriele Fischer ist als Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie Leiterin der Drogenambulanz sowie des Bereichs Suchtforschung und Suchttherapie an der Medizinischen Universität Wien.

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Der Kreislauf der Sucht

Wie Nikotin das Gehirn kapert

Das Lustzentrum
Das Limbische System, auch Belohnungssystem genannt, sitzt im Großhirn und ist dafür verantwortlich, dass Reize, die dem Organismus als nützlich erscheinen, Gefühle von Lust, Genuss und Zufriedenheit hervorrufen. Dabei wird etwa beim (lebenserhaltenden) Essen oder beim (arterhaltenden) Sex der Nervenbotenstoff Dopamin ausgeschüttet und in der Großhirnrinde verteilt. Alle Suchtmittel, so auch Nikotin, lösen die Dopaminfreisetzung auf chemischem Weg aus und täuschen so dem Gehirn Genuss vor.

Das Suchtgedächtnis
Wird wie beim Nikotinkonsum Dopamin freigesetzt, so prägt sich das Gehirn den auslösenden Reiz als besonders wünschenswert ein. Auf diese Art und Weise entsteht das Verlangen nach der Substanz, in der Expertensprache Craving genannt. Einige Zeit nach der Nikotinzufuhr kommt es zu einem Abfall des Dopaminspiegels und zu Entzugssymptomen wie Gereiztheit, depressive Verstimmungen, Unruhe, Konzentrationsstörungen, Angstzustände. Erst nach neuerlicher Nikotinzufuhr klingen diese Symptome ab, Dopamin wird wieder freigesetzt, das Verlangen vorübergehend gestillt – der Kreislauf der Sucht ist in vollem Gang. Nach Beendigung der regelmäßigen Nikotinzufuhr kann die Entzugssymptomatik zwei bis drei Wochen anhalten.  

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