Was Nervenschmerzen lindern kann

Oktober 2013 | Medizin & Trends

Sie können plötzlich einschießen oder in Wellen auftreten, sie können brennen, pulsieren, stechen, ziehen: Nervenschmerzen haben viele Gesichter. Für MEDIZIN populär informiert ein Experte, was sie lindern kann.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Sie sind nur wenige Tausendstel Millimeter dick und bringen es auf eine Länge von einem Millimeter bis zu einem Meter; würde man sie alle aneinanderreihen, so könnte man mit diesem Strang 20 Mal den Äquator umwickeln. Dank bildgebender Verfahren weiß man auch, wie sie aussehen und aufgebaut sind: „Nerven kann man sich vorstellen wie isolierte Kupferkabel, die aus vielen feinen und für sich isolierten Drähten aufgebaut sind“, beschreibt Prim. Priv. Doz. Dr. Nenad Mitrovic, Leiter der Abteilung für Neurologie am Landeskrankenhaus Vöcklabruck. Auch in ihrer Funktion lassen sich Nerven mit Kabeln vergleichen: Wie Datenleitungen oder Telefonkabel, die uns ermöglichen, über Distanzen Informationen auszutauschen, sorgen die Nervenzellen für die Kommunikation im gesamten Nervensystem. Durch sie werden z. B. Befehle für Bewegungen an die Muskeln erteilt, und im Gegenzug erhält das Gehirn Rückmeldungen in Form von Wohlgefühl durch Berührungen – oder in Gestalt von Schmerzen.
Die Nerven treten aber nicht nur als Überbringer von Schmerzsignalen auf, manchmal schmerzen sie selbst – es kommt zu neuropathischen Schmerzen. „Diese können plötzlich einschießen, in Wellen auftreten, aber auch stechend, pulsierend oder ziehend sein“, schildert Mitrovic die vielen Gesichter von Nervenschmerzen. Vor allem, wenn sie länger bestehen bleiben, machen sie den Betroffenen das Leben schwer. „Bei chronischen neuropathischen Schmerzen ist die Lebensqualität stark eingeschränkt“, weiß Mitrovic. „Oft treten die Schmerzen nicht nur tagsüber auf, sondern auch nachts. Daraus resultieren Schlafstörungen, und so haben die Schmerzen massive Auswirkungen auf das Alltagsleben, die bis zur Arbeitsunfähigkeit reichen.“ Neurologe Mitrovic erklärt, wodurch die fünf häufigsten Arten von Nervenschmerzen verursacht werden können, und was dagegen hilft:

Betrifft Füße, Beine, Hände:
Polyneuropathie

Nach Schätzungen leidet jeder 15. Österreicher an einer Polyneuropathie. „Die Erkrankung beginnt oft schleichend mit einem Taubheitsgefühl, einem Kribbeln und schmerzhaftem Brennen in den Füßen oder Händen“, so Mitrovic. Je schneller man bei solchen Symptomen einen Arzt aufsucht, desto besser. Mitrovic: „Nur durch eine frühzeitige Therapie lässt sich ein Fortschreiten der Erkrankung verhindern.“ Behandelt wird die Polyneuropathie mit verschiedenen Schmerzmitteln, Antiepileptika oder Antidepressiva. Auch die elektrische Nervenstimulation, physikalische Therapien und Verhaltenstherapien haben sich bewährt. Lässt sich eine andere Ursache für die Polyneuropathie finden, muss diese mitbekämpft werden, um das Leiden zum Verschwinden zu bringen. Mitrovic: „Ein Viertel aller Polyneuropathien tritt im Rahmen eines Diabetes mellitus auf, der altersbedingten Zuckerkrankheit, ein weiteres Viertel entsteht durch Alkoholmissbrauch.“ Die übrigen Polyneuropathien gehen z. B. auf Lebererkrankungen, Vitaminmangel, eine Metallvergiftung, verschiedene Infektionskrankheiten wie Aids und Borreliose oder Krebserkrankungen zurück. Nur selten wird eine Polyneuropathie vererbt.

Betrifft das Gesicht:
Trigeminusneuralgie

Bei bis zu 13 von 100.000 Österreichern wird jedes Jahr eine Trigenimusneuralgie diagnostiziert, ein Nervenschmerz, der eher in fortgeschrittenem Alter auftritt. Frauen sind zwei- bis dreimal häufiger als Männer betroffen. „Der Trigenimus befindet sich im Gesicht und besteht auf jeder Seite aus drei Ästen, die sich von der Stirn über das Mittelgesicht bis zum Unterkiefer ziehen“, so Mitrovic. „Die Trigenimusneuralgie äußert sich in einem blitzartig einschießenden, heftigen Gesichtsschmerz, der wenige Sekunden bis zu zwei Minuten anhalten kann.“ Der Schmerz tritt entweder spontan auf, oder er wird durch das Berühren des Gesichts beim Rasieren oder beim Zähneputzen ausgelöst, oder beim Sprechen, Kauen, Schlucken. Dahinter steckt eine Irritation des Trigenimusnervs durch umliegende Gefäße oder durch eine funktionelle Störung im Nerv selbst. Mitrovic: „Behandelt wird die Trigenimusneuralgie mit Antiepileptika.“ Kehrt der Schmerz trotz der Medikamente immer wieder, kann man eine Operation überlegen. „Es gibt verschiedene Methoden, die bei 90 Prozent der Betroffenen die Beschwerden für viele Jahre zum Verschwinden bringen“, so Mitrovic. Bei 15 Prozent der Patienten geht die Trigenimusneuralgie auf Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Schlaganfälle oder Tumore zurück, die mitbehandelt werden müssen, um die Trigenimusneuralgie auszuheilen.

Betrifft Rücken, Beine, Knie:
Radikulopathie

15 bis 30 Prozent aller Krankenstandstage in Österreich sind durch Rückenschmerzen bedingt. Von der sogenannten Radikulopathie spricht man, wenn die Rückenschmerzen durch eine mechanische Irritation der Nervenwurzel hervorgerufen werden. Dazu kann es z. B. durch einen Bandscheibenvorfall, Entzündungen oder Tumore kommen. „Der Schmerz ist einschneidend oder ziehend und kann vom Rücken bis unterhalb der Knie ausstrahlen“, so Mitrovic. „Begleitet wird er oft von einem Kribbeln, einem Taubheitsgefühl oder einer Lähmung.“ Provoziert werden die Schmerzen häufig durch unachtsame Bewegungen, aber auch nur durch Husten oder Niesen. Mitrovic: „Die Radikulopathie sollte rasch behandelt werden, damit sie nicht chronisch wird.“ Als Therapie eignet sich am besten ein Bündel aus mehreren Maßnahmen, so der Experte. Dazu zählen die Einnahme von Schmerzmitteln und Bewegung. „Eine Kombination aus Ausdauertraining, Dehnungsübungen und einer Kräftigung der Bauch-, Becken- und Rückenmuskulatur, eventuell durch Übungen, die in einer Physiotherapie erlernt werden, ist empfehlenswert“, so Mitrovic.

Betrifft oft den Oberkörper:
Gürtelrose

An Gürtelrose erkranken nach Schätzungen jährlich zehn bis 20 Prozent der Österreicher. Ursache der Erkrankung ist eine Reaktivierung des Varizella-Zoster-Virus, das in der Kindheit die Windpocken ausgelöst hat. Zehn bis 15 Prozent der Betroffenen leiden währenddessen oder im Anschluss an die Gürtelrose an neuropathischen Schmerzen, der sogenannten Post-Zoster-Neuralgie. Betroffen sind meist ältere Menschen. Mitrovic: „Bei der Post-Zoster-Neuralgie kommt es zu heftigen, einschießenden, stechenden oder kontinuierlich brennenden Schmerzen.“ Sowohl die Gürtelrose als auch die Post-Zoster-Neuralgie sollten rasch behandelt werden, sonst verschlimmern sie sich. „Therapiert wird mit einer Kombination aus antiviralen Medikamenten, Schmerzmitteln, Antiepileptika, Antidepressiva und elektrischer Nervenstimulation“, so Mitrovic. „Die Hälfte der Betroffenen kann mit diesen Möglichkeiten binnen zwölf Wochen geheilt werden, weitere 25 Prozent der Patienten binnen zwölf Monaten“, so Mitrovic. Gelingt die Heilung nicht, kann eine Operation überlegt werden. Dabei wird der Schmerz durch eine Betäubung des Sympathikus-Nervs beseitigt.

Betrifft die Hände:
Karpaltunnelsyndrom

Am Karpaltunnelsyndrom erkranken jedes Jahr acht bis zehn Prozent der Österreicher, Frauen sind doppelt so häufig betroffen wie Männer. Das Syndrom tritt vorzugsweise nach dem 30. Lebensjahr auf. Mitrovic: „Beim Karpaltunnelsyndrom leiden die Patienten tagsüber, aber vor allem nachts an einem Kribbeln, an Taubheitsgefühlen und brennenden oder ziehenden Schmerzen im Bereich einer Hand, die bis in die Schulter ausstrahlen können.“ Verursacht und verstärkt wird das Karpaltunnelsyndrom durch lange monotone Tätigkeiten wie das Bedienen der Computermaus, Telefonieren oder Fahrradfahren. „Im Frühstadium hilft es oft schon, die Hand zu schonen, entzündungshemmende Medikamente zu nehmen und für eine Zeit lang eine Unterarmschiene zu tragen“, sagt Mitrovic. Bessert sich das Leiden nicht, ist eine Operation zu empfehlen, bei der das Band durchtrennt wird, das den Nerv bedrängt.

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