Cortison: Besser als sein Ruf?

November 2006 | Medizin & Trends

Cortison hat einen denkbar schlechten Ruf, vor allem bei den Patienten. Doch für die Mediziner steht fest: Es ist ein unverzichtbares Medikament, dessen gefürchtete Nebenwirkungen seit seiner Erfindung vor bald 60 Jahren deutlich reduziert werden konnten. Univ. Prof. Dr. Anton Luger über das Mittel und seine vielfältigen Einsatzgebiete.
 
Von Mag. Michael Krassnitzer

Angst. Das ist die Reaktion vieler Menschen, wenn sie das Wort Cortison hören. Denn das Medikament gilt als echter „Hammer“, der extreme Nebenwirkungen hat und eigentlich nur bei schwersten Erkrankungen eingesetzt werden sollte. Das Gegenteil aber ist der Fall: Cortison wird bei der Heilung von vielerlei Krankheiten und Leiden angewendet. Ist es nun ein Wundermittel oder einTeufelszeug?

Univ. Prof. Dr. Anton Luger von der Klinischen Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel der Universitätsklinik für Innere Medizin in Wien plädiert für eine differenzierte Betrachtungsweise: „Cortison ist ein breit eingesetztes und derzeit unverzichtbares Medikament, das viele Leben gerettet und die Lebensqualität vieler Patientinnen und Patienten entscheidend verbessert hat. Es kann aber auch schwere Nebenwirkungen hervorrufen. Daher ist es verständlich, dass sich viele Menschen vor Cortison fürchten.“

Der Name „Cortison“ ist ein Sammelbegriff für eine Vielzahl von Substanzen („Glucocortoide“), die mit dem Hormon Cortisol verwandt sind. Cortisol wird in den Nebennieren gebildet und ist eine lebenswichtige körpereigene Substanz, die unter anderem der Stressbewältigung dient. Dieses „Stresshormon“ sorgt dafür, dass körperliche und psychische Belastungen besser bewältigt werden können.

Licht und Schatten
Das Geheimnis der Wirkung von Cortison lautet: Es unterdrückt Entzündungsreaktionen und die körpereigene Immunabwehr. Es wird daher bei entzündlichen Krankheiten (z. B. Asthma), bei Autoimmunerkrankungen (z. B. Multiple Sklerose) oder zur Unterdrückung der Immunabwehr (z. B bei Organtransplantationen) eingesetzt. „Cortison hat in alle Teilgebiete der Medizin Einzug gehalten“, beschreibt Luger die breite Palette an Anwendungen. Die gefürchteten Nebenwirkungen sind ebenso breit gefächert wie die heilsame Wirkung des Cortisons. Cortison bringt den Elekrolythaushalt des menschlichen Organismus durcheinander. Es bewirkt zum Beispiel, dass Natrium im Körper zurückgehalten wird. Das führt zu Ödemen, also zur Einlagerung von Flüssigkeit im Gewebe, und zu Bluthochdruck.

Cortison vermindert auch die Aufnahme von Calcium aus dem Darm und steigert dessen Ausscheidung im Harn. Die Folge: Knochenschwund, auch Osteoporose genannt. Weiters stört Cortison den Zuckerstoffwechsel, es besteht das Risiko einer Diabetes-Erkrankung oder erhöhter Blutfettwerte. Für die Betroffenen subjektiv besonders unangenehm ist die so genannte Stammfettsucht, die durch Cortison ausgelöst werden kann: Dabei werden Fett und Wasser im Kopf- und Bauchbereich angesetzt – bei gleichzeitigem Muskelabbau. Die Kranken bekommen ein rundes Gesicht, einen dicken Bauch, aber dünne Arme und Beine. Auch auf die Libido und die Potenz wirkt sich Cortison negativ aus. Mögliche psychische Nebenwirkungen reichen von Depressionen bis hin zu ausgewachsenen Psychosen.

Viele Verbesserungen
In den ersten Jahren der Anwendung von Cortison gab es naturgemäß noch keine Langzeiterfahrungen mit dem Hormon. Daher wurden Cortisonpräparate zu häufig, zu hoch dosiert und über zu lange Zeit verwendet. Infolge dessen traten oft schwere Nebenwirkungen auf und zerstörten den anfangs guten Ruf des Medikaments.

Heute hingegen weiß man, dass eine Cortisonbehandlung für kurze Zeit weitgehend unbedenklich ist – selbst bei hoher Dosierung. Eine einmalige Zufuhr ruft meistens gar keine oder nur geringe Nebenwirkungen hervor. Je länger die Behandlungsdauer und je höher die Dosis, desto eher machen sich Nebenwirkungen im ganzen Körper bemerkbar. Daher bekommen Patienten zu Beginn einer Cortisonbehandlung oft größere Mengen des Mittels, um die schlimmsten Beschwerden zu bekämpfen. Dann wird die Dosis in kleinen Schritten verringert und wenn möglich ganz abgesetzt. Für Langzeitbehandlungen werden nur noch sehr geringe Mengen cortisonhaltiger Medikamente verabreicht.

Gezielte Anwendung
Bei den modernen Präparaten sind die Nebenwirkungen schwächer ausgeprägt, als das bei den Cortisonen von anno dazumal der Fall war. Insbesondere ist es gelungen, Cortisone herzustellen, die weit weniger Unordnung in den Elektrolythaushalt bringen als früher. Die Cortisone selbst könnten mittlerweile nicht mehr verbessert werden, erklärt Luger: „Heute geht es darum, das Cortisonpräparat exakt an den Ort zu bringen, an dem es seine Wirkung entfalten soll“, beschreibt der Hormonexperte die aktuelle Strategie. Bei Anwendungsformen wie Hautcremen und -salben, Inhalatoren, Augentropfen oder Nasensprays wirkt das Cortison nur noch dort, wo man es braucht, nicht mehr im ganzen Körper. Das bedeutet: Auch die Nebenwirkungen zeigen sich in der Regel nur am Ort der Anwendung.

Bei der Behandlung von Asthma und Hautkrankheiten ist die Wahrscheinlichkeit von systematischen Nebenwirkungen, also Nebenwirkungen, die sich im gesamten Körper bemerkbar machen, sehr gering. Ob sich auf der Haut unerwünschte Nebenwirkungen bemerkbar machen, hängt stark von der Lage und der Größe des behandelten Areals ab. Die Gesichtshaut zum Beispiel nimmt wesentlich mehr an Cortison auf als etwa die Haut am Oberschenkel. Außerdem gilt: Cortison ist nicht gleich Cortison. „Es gibt verschiedene Wirkklassen“, gibt Luger misstrauischen Patienten zu bedenken.

„Durch genaue Kontrolle der damit Behandelten und Einleitung entsprechender Begleitmaßnahmen sowie neue Anwendungsformen konnten die gefürchteten Nebenwirkungen deutlich reduziert werden“, fasst der Hormonexperte zusammen. Kurz gesagt: Cortison ist ein wirksames Medikament, das aber vorsichtig eingesetzt werden muss, um die Balance zwischen Nutzen und Risiko zu halten. Es hat zwar eine Reihe von Nebenwirkungen, ist aber unverzichtbar. Luger: „Bei bestimmten Erkrankungen gibt es derzeit keine Alternative zum Cortison.“

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Die Entdeckung des Cortisons

Nicht weniger als drei Forschergruppen entdeckten Cortison unabhängig voneinander. Damals in den 1930-er Jahren wurden in einer Art wissenschaftlichem Wettlauf jene mit dem Hormon Cortisol verwandten Substanzen isoliert, die in der Nebennierenrinde gebildet werden. Dazu gehört auch Cortison, das 1948 erstmals künstlich hergestellt wurde. Noch im selben Jahr setzte es Dr. Philip S. Hench an der berühmten Mayo-Klinik in den USA als Medikament ein. Eine seiner Patientinnen, die aufgrund schweren Gelenksrheumas beinahe bewegungsunfähig war, konnte drei Tage nach der ersten Cortison-Spritze das Bett verlassen.

Durch einen Zeitungsartikel in der „New York Times“ wurde das „Wundermittel“ 1949 schlagartig bekannt. Die Entdeckung von Cortison wurde als Meilenstein der Medizin gefeiert und mit der Bedeutung von Insulin oder Penicillin verglichen. Bereits im darauffolgenden Jahr erhielten die drei federführend an der Entdeckung beteiligten Ärzte – Philip S. Hench, Edward C. Kendall und Tadeusz Reichstein – den Nobelpreis für Medizin.

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Die sechs wichtigsten Einsatzgebiete von Cortison

  • Rheuma: Cortison-Tabletten hemmen bei der rheumatischen Arthritis die starken Entzündungen in den Gelenken und dämmen das Immunsystem ein, das Knorpel und Knochen angreift. Bei akuten Beschwerden kann Cortison direkt in das Gelenk gespritzt werden.
  • Hautkrankheiten: Cortison wird bei Hautkrankheiten wie Neurodermitis, Schuppenflechte, Ausschlägen und Ekzemen eingesetzt. Das Cortison wird dabei in Form von Gels, Cremen oder Salben auf die Haut aufgetragen.
  • Asthma und Allergien: Cortison unterbindet die für Asthma typischen Entzündungsreaktionen in den Bronchien, senkt die Schleimproduktion und vermindert die Empfindlichkeit der Bronchien gegenüber Reizen, die einen Anfall auslösen können. Meistens wird das Medikament inhaliert. Cortison unterdrückt auch die Reaktion bei Allergien, etwa gegen Pollen und Hausstaub.
  • Notfallsituationen: Cortison verhindert Gehirnschwellungen und wirkt gegen lebensbedrohliche Schockzustände sowie lebensgefährliche allergische Reaktionen.
  • Transplantationen: Cortison verhindert, dass transplantierte Organe abgestoßen werden, indem es die körpereigene Abwehr unterdrückt.
  • Multiple Sklerose: Bei dieser entzündlichen Erkrankung des Nervensystems wird Cortison während oder nach Schüben eingesetzt. MS verläuft nicht kontinuierlich, sondern durch schubweises Auftreten von Entzündungsherden im Gehirn.

     

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