Das verflixte 25. Jahr

November 2010 | Partnerschaft & Sexualität

Immer mehr Scheidungen nach der Silberhochzeit
 
Auseinandergelebt, kein nettes Wort mehr, nur mehr Hass und Groll und schließlich die Trennung. Was bei jüngeren Paaren längst ein „Trend“ ist, setzt sich auch in Langzeitbeziehungen zunehmend durch: Laut aktueller Statistik tritt bereits jedes neunte Ehepaar noch nach der Silberhochzeit den Gang zum Scheidungsrichter an. Warum Ehen immer seltener dauern, bis „dass der Tod sie scheidet“, und was man tun kann, wenn man die Beziehung retten will.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Händchen haltend und lachend spaziert ein älteres Pärchen durch den Park und genießt die nachmittägliche Herbstsonne – ein Anblick, der berührt: Sich lieben, gemeinsam alt werden, in Krisen zusammenhalten und das Leben bis zuletzt teilen – das ist das erklärte (und romantische) Ziel der Frischvermählten. Und es gibt gute Gründe, sich dafür zu engagieren: Eine harmonische Partnerschaft tut gut und steigert die Lebensqualität.
Was aber, wenn es in der Beziehung kriselt, vielleicht schon seit Jahren? Was, wenn man sich auseinandergelebt und nichts mehr zu sagen hat? Was, wenn einem plötzlich bewusst wird, dass einen nichts mehr mit dem Partner verbindet? Was, wenn man den anderen nur mehr erträgt, aber nicht mehr liebt?
Wurden diverse Eheprobleme früher eher hingenommen, so ziehen heutzutage immer mehr Menschen die Konsequenz – und im Extremfall einen Schlussstrich unter eine unglückliche Beziehung, eine kriselnde Ehe. Noch nach 25, 30 und mehr Beziehungsjahren entscheiden sich immer mehr Paare dafür, ab sofort getrennte Wege zu gehen.

Immer weniger Dauerpartnerschaften

Die Gründe für diese Entwicklung sind vielfältig: Zum einen wächst mit der ständig steigenden Lebenserwartung auch die Motivation, den (zunehmend langen) Lebensabend angenehm und harmonisch zu verbringen: Eine 60-jährige Frau hat im Durchschnitt noch mehr als 20 Jahre, ein 60-jähriger Mann rund 15 Jahre zu leben.
Auch die wirtschaftlichen Bedingungen (speziell von Frauen) sowie die gesellschaftlichen, kulturellen und moralischen Wertvorstellungen haben sich gewandelt, sodass es nicht länger notwendig ist, „um jeden Preis“ zusammenzubleiben. Im Gegenteil: Es scheint eine Tendenz unserer schnelllebigen Zeit, auszutauschen, was nicht (mehr) funktioniert. Eine wichtige Rolle dabei spiele die „soziale Kontrolle“, erklärt die Psychotherapeutin Dr. Rotraud Perner. „Man wird von der Umwelt, der Familie oder dem Freundeskreis, aufgestachelt: ‚Warum tust du dir das noch an?‘ oder ‚Lass dich doch scheiden!‘“, berichtet die Paartherapeutin.    ‹
„Der Trend zeigt ganz klar, dass immer weniger Menschen Dauerpartnerschaften eingehen. Man braucht einander nicht mehr, dadurch geht immer mehr Nähe verloren.“
Nicht zuletzt wurden die gesetzlichen Rahmenbedingungen gelockert. „Es gibt juristisch mehr Möglichkeiten“, weiß Perner, die auch Juristin ist. „Vor allem die einvernehmliche Scheidung hat vielen die Trennungsabsicht erleichtert. Und Mediation hilft bei Fragen der Vermögenstrennung und der Kinderobsorge.“
Derartige Veränderungen ebnen den Weg zur Trennung, die Scheidungsgründe hingegen unterscheiden sich kaum von jenen von früher, sagt Perner: „Die wichtigsten sind die Verweigerung von Unterhalt oder der Beteiligung an den Haushaltskosten, verbale oder manuelle Gewalttätigkeit von Männern, sexuelle Untreue von Männern oder Frauen sowie mangelhafte Haushaltsführung – als wären diese allein dafür zuständig – der Frauen.“

Meist gehen die Frauen

Und die Auslöser für das Aus von (Langzeit)Beziehungen? Das sind Krisen, wie sie etwa aufgrund einschneidender Ereignisse auftreten: Man selbst oder die Partnerin bzw. der Partner wird pensioniert, das Kind heiratet. „Jede Krise erfordert eine Anpassungsleistung, Trennung ist eine der Möglichkeiten“, sagt Perner und präzisiert, wie es zu Krisen kommen kann: „Menschen verändern sich, entwickeln sich weiter. Da passen oft die alten Verhaltensmuster und Ziele, wie beispielsweise die Kinder lebensfit machen, nicht mehr dazu. Oft entwickelt sich nur eine oder einer weiter und der oder die andere bleibt auf der Strecke: Das sind heute meist die Männer, früher war es umgekehrt.“
Entsprechend sind es meist Frauen, die schließlich die Scheidung einreichen. „Das sind oft 70-Jährige, die sich nichts mehr ,gefallen lassen‘ wollen, sei es Gewalt, vor allem verbale, Alkoholmissbrauch oder mangelnde Körperhygiene des Partners“, weiß die Therapeutin. Männer hingegen arrangieren sich eher mit einer kriselnden Ehe, oft schaffen sie sich eine Art „Parallelleben“, in dem sie ganz im Job oder einem Hobby aufgehen oder eine Liebesaffäre unterhalten. Ein Grund dafür, dass sie seltener die Trennung anstreben, sei der „Versorgungsvorteil“, den sie aus der Ehe ziehen. „Ehe nützt den Männern“, so Rotraud Perner. „Es ist nachgewiesen, dass verheiratete Männer gesünder sind als unverheiratete.“ Demnach sind es (immer noch) vorwiegend die Frauen, die ihren Lebensgefährten bekochen, umsorgen, richtiggehend bemuttern. „Den ,Keine-Mama-Frauen‘ reicht es dann oftmals im Alter“, beobachtet die Expertin. Die Betreffenden stellen dann fest, dass sie noch etwas anderes vom Leben wünschen, als für den Partner da zu sein.

Hassbeziehungen machen krank

Aufgrund des gesellschaftlichen Wandels gibt es jetzt immer weniger Gründe, eine Krise gemeinsam zu bewältigen, in einer (schwierigen) Partnerschaft zu bleiben. Dass eine Ehe oder Beziehung schließlich scheitert, sei außerdem oft auf die mangelnde Beziehungskompetenz der Betroffenen zurückzuführen. „Meine über 40-jährige Berufserfahrung zeigt: Menschen heiraten voll Hoffnung, Glücksmomente festhalten zu können, tun aber nichts dazu“, berichtet die Paartherapeutin. „Daher kippt das Honeymoon-Glück ziemlich schnell in Enttäuschung, Vorwürfe, Nörgelei, Gewalt oder Vernachlässigung.“
Um eine Beziehungskrise zu überwinden und schließlich zu meistern, dürfen Alarmsignale wie ständiges Streiten, Nörgeln oder Aggressivität nicht ignoriert werden. „Störungen gehören sofort behoben, wenn sie auftreten“, betont Perner. „Hassbeziehungen schwächen das Immunsystem und erhöhen das Krankheitsrisiko. Da muss man sich entscheiden: Ist es die fantasierte finanzielle Sicherheit oder das Wohlverhalten in der sozialen Gemeinschaft wert, sich zu unterwerfen? Oder ist doch die eigene Gesundheit wichtiger?“
Hilfe und Rat finden Betroffene etwa in speziellen Beratungsstellen. „Hier lässt sich mit Fachleuten überprüfen, ob es noch ,Heilungschancen‘ für die Beziehung gibt – oder wie eine friedliche Trennung gestaltet werden kann.“

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Zu zweit in Richtung 100

Wie es funktionieren kann

Für eine nachhaltig erfüllende Beziehung, die auch Krisen standhält, muss man aktiv werden: Es gilt, Stolpersteine zu erkennen und aus dem Weg zu räumen – und an gemeinsamen Visionen zu arbeiten. „Es liegt daran, welche Zukunftsvisionen zwei Menschen miteinander verwirklichen wollen und können“, verdeutlicht die Paartherapeutin Dr. Rotraud Perner. Unerlässlich für Problemlösungen sei eine produktive, partnerschaftliche Kommunikation. „Grund für dauernde Konflikte oder Krisen ist das Fehlen friedfertiger Kommunikationsmodelle“, erklärt die Expertin. „Beide Teile kommen mit ihren Aggressionen nicht zurecht. Es wird zuviel ausagiert, zuviel verdrängt, statt an der eigenen Beziehungskompetenz zu arbeiten.“ Zeichen einer produktiven Kommunikation ist, „sich selbst und anderen achtsam und wertschätzend zu begegnen und zielorientierte Gespräche zu führen.“

Gemeinsame Entscheidung

In einer funktionierenden, lebendigen Partnerschaft werden schließlich auch die verschiedenen Herausforderungen bewältigt: Altersbedingte Beschwerden oder Probleme – seien es körperliche oder sexuelle – können ihr dann wenig anhaben. „Wenn die Beziehung vorher funktioniert hat, funktioniert sie auch unter Veränderungen oder Belastungen wie Krankheit“, ist die Expertin überzeugt. Wenn beide an einem Strang ziehen, könnte sich selbst eine schwierige Beziehung, eine spannungsgeladene Ehe zum Positiven entwickeln. „Es liegt immer daran, ob sich beide dafür entscheiden, die Krisen zusammen zu bewältigen oder nur einer –  oder keiner.“

Gradmesser Lebendigkeit

Einem Paar, das sich ernsthaft für einen Weg zu zweit in Richtung 100 entscheidet und daran arbeitet, attestiert die Expertin gute Chancen: „Wo ein Wille, da ein Weg“, sagt Rotraud Perner. „Es braucht allerdings Zeit, Wohlwollen, Achtsamkeit – und eine fördernde Umwelt.“
Fazit: Eine Faustregel dafür, ob man sich verstärkt um die Beziehung bemühen soll oder sich besser trennt, gebe es nicht, so die Psychotherapeutin. Aber: „Solange eine Beziehung lebendig ist, kann man sie reparieren. Wenn keine Energie mehr drinnen ist, wenn sie also tot ist, dann sollte man sie in Ehren bestatten.“

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