Mein Chef macht mich krank!

November 2012 | Leben & Arbeiten

Die fatalen Folgen von schlechter Führung
 
Wissenschaftliche Untersuchungen, Analysen von Unternehmensberatern und nicht zuletzt leidvolle Erfahrungsberichte von Betroffenen zeigen: Schlechte Führung kann fatale Folgen für die Gesundheit der Mitarbeiter haben. Im Rahmen eines aktuellen EU-Projekts in Graz erhalten Chefinnen und Chefs jetzt Nachhilfeunterricht in „Gesundem Führen“.
 
Von Mag. Karin Kirschbichler

Beim ersten Augenaufschlag ist es wieder da, das allmorgendliche Bauchgrimmen vor dem kommenden Tag. Und selbst die ausgiebige heiße Dusche vermag ihre Angst und Arbeitsunlust nicht wegzuspülen. Kerstin K. leidet – wie so viele – unter ihrem Chef.
„Die Folgen schlechter, ungesunder Führung zeigen sich schleichend“, weiß Dr. Paulino Jiménez vom Institut für Psychologie an der Universität Graz. Zunächst ist es die Motivation, die darunter leidet. „Wenn der Selbstwert angeknackst ist, sich die Mitarbeiter nicht wertgeschätzt und wichtig fühlen, dann ist ihre Freude an der Arbeit dahin.“ Sind sie erst einmal demotiviert, werden sie weniger belastbar und reagieren schon bei scheinbar nichtigen Anlässen sensibel. „Im Job äußert sich das so, dass der Leistungswille nachlässt“, schildert der Arbeits- und Organisationspsychologe den Weg in die innere Kündigung.

WEG ZUR KRANKHEIT

Wenn zur Demotivation Überlastung kommt, ist die so wichtige Erholung in Gefahr: Werden Pausen durchgearbeitet oder vom Gefühl begleitet, dass man eigentlich keine Zeit dafür hat, dann bleibt Regeneration auf der Strecke. Wenn Körper und Geist nicht zur Ruhe kommen können, sind Schlafstörungen, aber auch Burnout nicht mehr weit. Und wenn von den seelischen Belastungen das Immunsystem Schaden nimmt, wird man schließlich anfälliger für körperliche Krankheiten.
Auch eine ganze Reihe von physischen Leiden können auf das Konto von schlechter Führung gehen: Herzkreislauf-Erkrankungen, Verdauungsprobleme, Verspannungen mit Rückenschmerzen – die Liste ist lang: „Seit Jahren schon stellt man Krankheiten wie diese auch in Zusammenhang zu großer Arbeitsmenge und dem berühmten Stress. Doch das ist zu kurz gegriffen“, sagt Jiménez. „Die Problemlage ist heute viel diffiziler.“ Denn Untersuchungen zeigen immer deutlicher, dass Stress und Arbeitsmenge Mitarbeiter vor allem dann krank machen, wenn die Führung des Unternehmens Defizite aufweist, und zwar in folgenden von Burn-out-Forschern und Psychologen definierten Bereichen:

Arbeitsbelastung:
Ein bisserl mehr geht immer

Überlastung hängt nicht nur mit großer Arbeitsmenge zusammen, sondern auch mit dem oft zu straffen zeitlichen Rahmen und vor allem mit der falschen Einteilung durch Führungskräfte. So werden z. B. oftmals Zielvorstellungen nicht klar vermittelt oder von heute auf morgen geändert. Wenn deswegen Arbeiten doppelt und dreifach gemacht werden müssen, sind Überforderung und Erschöpfung programmiert. „Schlecht für die Gesundheit der Mitarbeiter ist aber auch, ständig Aufgaben erledigen zu müssen, die nicht ihren Fähigkeiten entsprechen“, warnt Jiménez.

Handlungsspielraum:
Kontrolle ist besser

Ständig unter Kontrolle zu stehen, keinen Einfluss auf die Arbeitsgestaltung zu haben, ist ein weiterer Krankmacher im Job. Wenn Mitarbeitern die Möglichkeit genommen wird, selbst darüber zu entscheiden, wie sie sich die ihnen zugeteilten Aufgaben einteilen, leidet u. a. ihr Selbstwert – und in Folge oft auch ihre Gesundheit. Jiménez: „Die große Bedeutung von Eigenverantwortung wird heute mehr und mehr gesehen.“ Dennoch: Die Führungsmängel in diesem Bereich wiegen nach wie vor schwer.

Anerkennung:

Nicht geschimpft, ist auch gelobt

Ein Kardinalfehler auf der Chefetage ist, den Mitarbeitern Anerkennung vorzuenthalten. „Die Devise ,Nicht geschimpft, ist auch gelobt‘ hält sich leider hartnäckig“, weiß Jiménez auch aus seinen jüngsten Erhebungen unter steirischen Führungskräften. Lob für eine Leistung zu bekommen, ist ein menschliches Grundbedürfnis. Ehrliche, richtig dosierte Worte der Wertschätzung heben Selbstvertrauen, Motivation, Arbeitsfreude – und das Wohlbefinden der Mitarbeiter. Wer hingegen das Gefühl hat, dass seine Leistung nie gut genug ist, um positive Erwähnung zu finden, wird verzagt, frustriert – und früher oder später krank.    

Gemeinschaft:
Gegeneinander statt miteinander

Teamfähigkeit zählt zwar heute zu den Standardanforderungen an Mitarbeiter, bei den Chefs hapert es aber in diesem Punkt nach wie vor gewaltig. Und so kommt es, dass z. B. Mobbing heute in zwei von zehn Büros in Österreich an der Tagesordnung steht. „Eine Führungskraft trägt sehr viel dazu bei, ob am Arbeitsplatz Gemeinschaft erlebt wird oder nicht. Wenn sie etwa schlechtes Konkurrenzverhalten fördert, dann wird im Team gegeneinander statt miteinander gearbeitet“, erklärt Jiménez. Und in einem vergifteten Umfeld kann das Rudeltier Mensch weder gute Leistung bringen, noch auf Dauer gesund bleiben.

Gerechtigkeit:
Manche sind gleicher

Führungskräfte, die Arbeit ungerecht verteilen, die ihre Mitarbeiter ungleich behandeln oder wesentliche Entscheidungen über ihre Köpfe hinweg treffen, müssen mit Konsequenzen rechnen: Mitarbeiter, deren Gerechtigkeitsempfinden über die Maßen gestört wird, werden entweder krank – oder kündigen innerlich bzw. tatsächlich.

Werte:
Außen hui, innen pfui

Ungesund ist ein Führungsstil auch dann, wenn er Konflikte zwischen den äußeren Werten des Unternehmens und den inneren Überzeugungen der Mitarbeiter heraufbeschwört. Jiménez gibt ein Beispiel: „Eine Firma hat sich den Leitsatz ,Der Kunde ist König‘ auf die Fahnen geheftet, der Chef verlangt aber von seinen Mitarbeitern, dass für ein Kundengespräch nicht mehr als zwei Minuten ,vergeudet‘ werden dürfen. Nun kommen jene in die Bredouille, denen Kundenbetreuung persönlich wichtig ist. Um den Anweisungen des Vorgesetzten Folge zu leisten, müssen sie sich regelrecht verbiegen – und das ist sehr ungesund.“

Gesundheitseinstellung:
Das Obstkörberl muss genügen

Immer mehr Unternehmer erkennen, dass die Gesundheit ihrer Mitarbeiter eine Investition wert ist und bieten entsprechende Maßnahmen. „Leider sind das oftmals reine Lippenbekenntnisse“, kritisiert Jiménez. Das gesunde Obst im Körberl bringt gar nichts, wenn Mitarbeiter gleichzeitig so unter Druck gesetzt werden, dass sie der Reihe nach ausbrennen. „Und es nützt auch nichts, wenn der Chef selbst Tag für Tag bis spät in die Nacht arbeitet und das so insgeheim auch von seinem Team verlangt“, so Jiménez. „Führungskräfte haben eine Vorbildfunktion, auch was ihre Einstellung zur Gesundheit angeht.“

Reflexion & Feedback:
Alles neumodischer Mist

Wenn es im Unternehmen an der Gesprächskultur krankt, kündigen oder erkranken nach und nach auch die Mitarbeiter. Wer Arbeit leistet, braucht Rückmeldung – wenn es sein muss, auch negative. Haarig wird’s, wenn nur Kritik geübt wird, und wenn diese Kritik Wertschätzung vermissen lässt. „Führungskräften mangelt es leider oft an der Fähigkeit zur Selbstreflexion“, bedauert Jiménez. „Doch beim Feedback an die Mitarbeiter sollten sie sich immer selbst einbeziehen.“ Sätze wie: „Kann es sein, dass meine Anweisungen nicht klar genug waren?“ schaffen die Basis für ein respektvolles Gespräch. „Das ist kein neumodischer Mist, wie leider immer noch manche sagen, sondern eine wesentliche Voraussetzung für gesundes Zusammenarbeiten.“

FÜR MENSCH UND WIRTSCHAFT

Die meisten Führungsfehler orten Experten wie Jiménez in den Bereichen Anerkennung, Arbeitsbelastung und Handlungsspielraum: „Die Arbeit so aufzuteilen, dass Mitarbeiter die richtige Menge mit den richtigen Zielvorgaben in der richtigen Zeit und dem richtigen Maß an Eigenverantwortung machen können, ist keine triviale Angelegenheit. Dazu braucht es freilich auch eine Gesprächskultur: Wenn Arbeitnehmer ihrem Vorgesetzten nicht sagen können, dass sie etwa mit ihrem Pensum nicht zurechtkommen, ist die Situation bereits sehr kritisch.“
Um fatale Fehler wie diese zu vermeiden, bekommen rund 80 Führungskräfte in Graz derzeit einzigartigen Nachhilfeunterricht im „Gesunden Führen“. Die von Jiménez und weiteren Experten geleitete Seminarreihe findet im Rahmen des EU-Projekts „Chance 4 Change“ statt, das zur Förderung der Gesundheit am Arbeitsplatz ins Leben gerufen wurde – und letztlich auch zur Förderung der Wirtschaft, denn: „Fast alles, was die Arbeitsorganisationspsychologie als dem Menschen dienlich erachtet, dient auch dem Erfolg eines Unternehmens“, weiß Jiménez, der den zuletzt propagierten Slogan „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ umdrehen würde: „Vielmehr lautet die Zauberformel: Geht’s dem Menschen gut, geht’s der Wirtschaft gut!“

Webtipps:

Weitere Infos zum EU-Projekt „Chance 4 Change“ unter chance4change.eu

Führungskräfte, die ihre Fähigkeiten in gesundem Führen überprüfen möchten, und Mitarbeiter, die die Führungskultur im Betrieb einschätzen wollen, können im Rahmen von „Chance 4 Change“ an einer anonymen Befragung teilnehmen und Feedback einholen: ww3.unipark.de/uc/gesundfuehren/

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