Tinnitus: Was gegen den Krach im Ohr hilft

Dezember 2015 | Medizin & Trends

Wenn es im Ohr permanent pfeift oder zischt, brummt oder rauscht, kann das für Betroffene ziemlich belastend sein. In der Hoffnung, dass das Geräusch wieder verschwindet, probieren viele alles Mögliche aus, was als hilfreich angepriesen wird. Für MEDIZIN populär erklärt ein Experte, was wirklich gegen den Krach im Ohr hilft, welche Ursachen er haben kann und was davor schützt.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Ginkgo-Tabletten, Klangschalentherapien, Laser-Behandlungen, Kräuterextrakte, Tinnitus-Maskiergeräte und Tinnituskissen, aus denen Töne und Melodien erklingen, die das lästige Geräusch im Ohr erträglich bis unhörbar machen sollen: Die Liste der Mittel, die als hilfreich gegen Tinnitus angepriesen werden, ist lang – sie ließe sich noch um einiges ergänzen. Beiträgen Betroffener in verschiedenen Internet-Foren ist zu entnehmen: Auf Erfolg hoffend, probieren sie meist alles aus, was Hilfe verspricht und tauschen sich auch über die Wirkung des Angebotenen aus. Monika, die, wie sie schreibt, seit einigen Jahren einmal mehr, einmal weniger stark an Tinnitus leidet, hat beispielsweise die Erfahrung gemacht, „dass die Klangschalentherapie das Pfeifen im Ohr lindert, aber leider nicht ganz zum Verschwinden bringt“. Robert, ebenfalls schon länger ein Tinnitus-Patient, erscheint dank eines Maskiergeräts das Zischen im Ohr „erträglicher“.

Ginkgo, Kissen & Co „nicht das Wahre“

Solche und ähnliche Schilderungen kennt Prim. Univ. Prof. Dr. Gerd Rasp von der Universitätsklinik für HalsNasen-Ohrenkrankheiten am Landeskrankenhaus Salzburg auch von Patienten in der Tinnitus-Spezialambulanz. „Dass jemand mit solchen Mitteln eine nachhaltige Besserung oder sogar Heilung erreicht, ist wohl selten der Fall, und von der Häufigkeit her nur schwer von der Spontanheilung abzugrenzen“, sagt er und ergänzt: „Anders als von den Herstellern von Kissen, Maskiergeräten, Ginkgo-Präparaten und was es da sonst noch alles gibt, behauptet, sind diese Mittel nicht das Wahre.“ Ihre Wirkung gegen Tinnitus sei denn auch genauso wenig wissenschaftlich bewiesen, wie jene alternativmedizinischer Methoden wie der Akupunktur, der Homöopathie oder der Magnetfeldtherapie. Auch Retraining-Therapien und Musiktherapien, die darauf abzielen, das Geräusch sozusagen wieder zu verlernen sowie Aufenthalte in Druckkammern können laut dem Mediziner lediglich „im Einzelfall hilfreich sein“.

Akut-Patienten hilft Kortison

So wie Robert und Monika werden laut der Österreichischen Tinnitus-Liga (ÖTL), einer Selbsthilfeorganisation, bis zu eine Million Österreicher hin und wieder von Ohrgeräuschen gequält, die auf keine äußere Schallquelle zurückzuführen sind. 100.000 davon plagt das Pfeifen und Zischen, Brummen und Rauschen so sehr, dass dadurch ihre Lebensqualität beeinträchtigt ist. Das ist doch eine ganze Menge Menschen – welche Hilfen hat die Medizin für sie parat?
„Viele Betroffene warten wochenlang, bis sie wegen dem Ohrgeräusch zum Arzt gehen“, bedauert Rasp den Fehler, den das Gros der Tinnitus-Patienten macht und betont: „Wenn man sich rasch, also binnen ein bis zwei Tagen, nach dem ersten Wahrnehmen des Geräusches von einem HNO-Arzt untersuchen und behandeln lässt, werden die besten Therapieerfolge erzielt, dann hilft meistens eine Behandlung mit Kortison.“ Kortison hemmt Entzündungen im Ohr, die aufgrund von Infektionen oder Verletzungen wie einem Hörsturz, einem Lärmtrauma oder einer Gehirnerschütterung entstanden sein können. Rasp: „Auf solche Ohrentzündungen geht Tinnitus oft zurück, und auch auf Infektionen im Nahbereich der Ohren.“ Also zum Beispiel auf Entzündungen des Zahnhalteapparats, der Kiefergelenke, der Nasennebenhöhlen oder Mandeln. Meistens nichts mehr ausrichten lässt sich laut Rasp mit dem entzündungshemmenden Kortison, das über Tabletten eingenommen oder in Gel-Form direkt ins Ohr eingebracht wird, wenn der Krach im Ohr bereits chronisch geworden ist. Als chronisch gilt ein Tinnitus „nach drei bis sechs Wochen“, so Rasp.

Mit Hörgerät Tinnitus übertönen

Tinnitus wird aber nicht nur durch Verletzungen oder Infektionen ausgelöst: Oft macht sich ein von anderen nicht wahrnehmbares Geräusch bemerkbar, wenn sich das Hörvermögen verringert. Zu dieser Verringerung kann es wiederum durch Irritationen, eben Infektionen oder Verletzungen, der empfindlichen Sinneszellen im Ohr kommen – oder rein altersbedingt. Bei Schwerhörigkeit gepaart mit Tinnitus lassen sich nach Rasps Erfahrung sozusagen zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: „Wenn die Betroffenen ein Hörgerät tragen, hören sie besser, und der Tinnitus verschwindet.“ Die Erklärung dafür: Durch das Hörgerät werden die Umgebungsgeräusche lauter, das Ohrgeräusch wird übertönt. Oft hält die Wirkung auch noch einige Stunden bis Tage an, nachdem das Hörgerät abgelegt wurde. „Dieser Effekt tritt aufgrund einer veränderten zentralen Verschaltung ein und beruht auf der Hemmung bestimmter Nervenzellengruppen“, weiß Gerd Rasp.

Autogenes Training und Psychotherapie

Nicht immer ist das Ohr, an dem der Tinnitus auftritt, geschädigt. Manche Betroffene hören an einem völlig gesunden Ohr auf einmal ein Pfeifen, Zischen, Brummen oder Rauschen. Die Ursachen bleiben dann zwar oft unklar. Doch immer, also ob am geschädigten oder gesunden Ohr, kann der Krach im Ohr auch durch eine Schwachstelle ausgelöst werden, die sich woanders am Körper als am Kopf befindet. Rasp: „Muskelverspannungen im Bereich des Nackens oder Rückens, die durch zu langes Sitzen im Auto oder vor dem Computer entstehen, können ebenfalls zu Tinnitus führen.“ Zu solchen Muskelverspannungen kommt es nicht nur durch die genannten Zwangshaltungen, sondern oft auch durch psychische Belastungen. „Stress und depressive Verstimmungen verursachen Tinnitus oft mit oder sind der alleinige Grund dafür, dass das Ohr plötzlich Krach macht“, sagt Rasp und erklärt: „So wie die einen bei Stress Bauchweh oder Kopfschmerzen bekommen, hören die anderen eben das Ohrgeräusch.“ Als Hilfe – zur Linderung, in seltenen Fällen auch zur Heilung – haben sich laut dem Mediziner daher Maßnahmen bewährt, die der körperlichen und seelischen Entspannung dienen, wie beispielsweise Autogenes Training oder eine Verhaltenstherapie beim Psychologen, wo erlernt wird, besser mit Missstimmungen oder Stress umzugehen.

Neue Hoffnung für chronisch Betroffene

Da derart viele Menschen von Tinnitus betroffen sind, wird auch viel über neue Möglichkeiten der Linderung und Heilung geforscht. Für chronische Tinnitus-Patienten wie Robert und Monika gibt es nun eine neue Hoffnung: Sogar schon „in etwa ein bis zwei Jahren“, wie Gerd Rasp schätzt, könnte es „ein neues Medikament geben, das hilfreich ist“. Dies freilich unter der Voraussetzung, dass sich in den noch laufenden klinischen Studien die dort erprobte Substanz als wirksam erweist: Diese kann – eventuell – die Übertragung der störenden Geräusche an das Gehirn blockieren, ganz egal, wodurch der Krach im Ohr entstanden ist.

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Ursachen von Tinnitus

  • Infektionen, die zu Ohrentzündungen führen
  • Entzündungen der Kiefergelenke, Nasennebenhöhlen, Mandeln oder des Zahnhalte­apparats
  • Verletzungen der Ohrsinneszellen (Hörsturz, Lärmtrauma, Gehirnerschütterung)
  • Vergiftungen, die Ohrentzündungen nach sich ziehen (z.B. durch Medikamente)
  • Verringerung des Hörvermögens (altersbedingt oder bedingt durch Infektionen und Verletzungen)
  • Muskelverspannungen (v.a. im Bereich der Halswirbelsäule und des Kiefers)
  • Stress
  • Depressive Verstimmung

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Wie läuft die Diagnose ab?

  • Der HNO-Arzt fragt, wann das Geräusch erstmals aufgetreten ist, wie es sich anhört und wie laut es ist – wobei Vergleichswerte herangezogen werden: Die Angaben reichen von „so laut wie das Rascheln von Blättern“ bis hin zu „so laut wie ein Düsenflugzeug beim Starten“.
  • Der HNO-Arzt untersucht die Ohren und klärt gegebenenfalls auch durch eine Blutanalyse und bildgebende Verfahren ab, ob organische Erkrankungen hinter dem Tinnitus stecken.
  • Kann der HNO-Arzt organische Ursachen für das Leiden ausschließen, wird nach der psychischen Situation bzw. nach eventuell gegebenem Stress im Beruf oder Privatleben gefragt.

Webtipp:
Informationen über Tinnitus und Kontaktdaten von Selbsthilfegruppen finden sich im Internet auf der Website der Österreichischen Tinnitus-Liga (ÖTL): www.oetl.at

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Was schützt vor Tinnitus?

Prim. Univ. Prof. Dr. Gerd Rasp: „Grundsätzlich schützt alles, was dem Ohr gut tut, vor Tinnitus.“ Dazu zählen die Vermeidung von Lärmbelastungen genauso wie regelmäßige Bewegung, da diese die Durchblutung der Ohren ankurbelt, was ihrer Gesundheit dient. Ebenfalls gut: ausreichend trinken, da Flüssigkeitsmangel schlecht für die Ohren ist.

Stand 12/2015

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