Die Renaissance der Geschlechtskrankheiten

Februar 2010 | Medizin & Trends

Mit Besorgnis stellen Ärzte fest: Geschlechtskrankheiten wie Syphilis und Gonorrhö erleben eine Renaissance. Warum das so ist, wie sich die Krankheiten zeigen und wie man eine Ansteckung verhindern kann, erklärt Expertin Univ. Prof. Dr. Alexandra Geusau für MEDIZIN populär.
 
Von Bettina Benesch

Es gibt nur wenige Krankheiten, die es bis in die hohe Literatur geschafft haben. Syphilis ist eine davon: Shakespeare nützte sie für seine Dichtkunst, Grimmelshausen gab ihr im 17. Jahrhundert eine Rolle in seinem Simplicissimus, und auch Voltaire entdeckte sie für sich. Die Krankheit schwappte von der echten Welt über in die der Kunst – und blieb da wie dort treue Begleiterin der Menschen. Das änderte sich im 20. Jahrhundert mit der Entdeckung des Penicillins. Syphilis war erstmals heilbar; und so war sie eine Zeit lang so gut wie verschwunden. Nun ist sie zurück – und bringt eine Gefährtin mit: die Gonorrhö. Es sind hauptsächlich diese beiden Krankheiten, die Experten dazu bringen, von einer Renaissance der Geschlechtskrankheiten zu sprechen.

Renaissance auch in Österreich

Gefährdet sind vor allem Menschen, die ungeschützten Geschlechtsverkehr haben und ihre Sexualpartner häufig wechseln. Laut einer Schätzung der Weltgesundheitsorganisation WHO erkranken weltweit jährlich 250 Millionen Menschen an sexuell übertragbaren Infektionen, den „Sexually Transmitted Infections“, kurz STI. Zu diesen Infektionen gehören einerseits die in Österreich meldepflichtigen: Syphilis, Gonorrhö/Tripper, Ulcus molle, Lymphogranuloma venereum. Andererseits fallen unter den Begriff STI auch die nicht meldepflichtigen wie beispielsweise Herpes genitalis, Hepatitis B, Chlamydieninfektionen oder HIV. Eine HIV-Infektion selbst muss hierzulande nicht gemeldet werden, die Aids-Erkrankung dagegen schon. Die Meldungen erfolgen in der Regel anonymisiert, der Name des Erkrankten wird also nicht genannt (siehe Kästen).
250 Millionen Fälle: Das ist die dreifache Einwohnerzahl Deutschlands. Und diese Zahl ist vermutlich nur die Spitze des Eisbergs: Die Dunkelziffer liegt mit großer Wahrscheinlichkeit höher, da nicht alle Fälle weltweit zwangsläufig gemeldet werden. Zudem werden symptomlos verlaufende Infektionen üblicherweise nicht erfasst.

Risikoverhalten steigt

In Westeuropa und auch in Österreich steigt die Zahl der Syphilis-Neuinfektionen seit dem Jahr 2000: „Österreich erreichte im Jahr 2002 mit 420 Fällen einen Höhepunkt der gemeldeten Infektionen“, sagt Univ. Prof. Dr. Alexandra Geusau, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie an der Universitätsklinik für Dermatologie der Medizinischen Universität Wien. „Danach sanken die Fallzahlen bis 2005. Anschließend stieg die Zahl der gemeldeten Fälle wieder – und zwar bis 2008 um über 100 Prozent.“
Ähnlich verhält es sich laut der Expertin bei der Gonorrhö: Nach einem ersten Hoch im Jahr 2002 standen wir 2008 bei 820 gemeldeten Fällen. Verglichen mit dem Jahr 2005 ergibt sich eine Steigerung um 25 Prozent.
Im Vergleich zu der Situation etwa bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen scheinen diese Zahlen auf den ersten Blick kaum bedenklich, schließlich starben 2008 mehr als 32.000 Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Warum also die Aufregung? „Es ist richtig, dass in Österreich niemand an den Folgen von Geschlechtskrankheiten stirbt, Aids ist hier ein anderer Fall“, erklärt Geusau. „Die steigenden Zahlen zeigen aber, dass das Risikoverhalten steigt.“
Der Begriff „Safer Sex“ stammt aus der Zeit, als HIV und Aids die Menschen im Westen in Angst und Schrecken versetzten. Wer Safer Sex praktiziert, verhält sich so, dass die eigenen Körperflüssigkeiten vom Körper des Sexualpartners ferngehalten werden. Dafür gibt es verschiedene Maßnahmen, wie etwa das Verwenden eines Kondoms. Unattraktiv wird Safer Sex hauptsächlich deshalb, weil HIV und Aids heute als Randnotiz betrachtet werden und das Risiko, sich mit anderen STI zu infizieren, nicht wahrgenommen wird. Safer Sex ist außerdem kompliziert im Vergleich zum ungeschützten Liebesspiel: Er verlangt nach Kondomen, besonderer Vorsicht und setzt Nachdenken voraus, mitunter auch Planung.

HIV, HPV, Chlamydien sind ebenso Thema

Syphilis oder Gonorrhö sind jedoch nicht die einzigen bedeutsamen Geschlechtskrankheiten in Westeuropa, sagt Geusau: „Unter den nicht meldepflichtigen Krankheiten ist die Infektion mit Humanen Papillomviren (HPV) die am häufigsten geschlechtlich übertragene Infektion. Ebenso bedeutsam sind die Chlamydieninfektion und der genitale Herpes.“
Auch HIV spielt immer noch eine Rolle: „In Österreich werden jeden Tag ein bis zwei Menschen mit einer HIV-Infektion diagnostiziert – nicht mit HIV infiziert, wie häufig berichtet, schließlich kann die Krankheit zum Zeitpunkt der Diagnose bereits mehrere Jahre bestanden haben“, erklärt Geusau. Etwa 67 Prozent der 2009 neu diagnostizierten HIV-Patienten besitzen einen österreichischen Pass, der Rest stammt überwiegend aus Ländern, in denen HIV sehr häufig vorkommt, wie etwa Afrika oder Südosteuropa. Insgesamt liegt die Zahl der neu diagnostizierten Fälle bei etwa 500 pro Jahr.
Eine steigende Tendenz von Neuinfektionen und neu gemeldeten Fällen beobachten Experten auch in Sachen Hepatitis B. „Was nicht meldepflichtige STI angeht, wie etwa die Chlamydieninfektion, Herpes genitalis oder die Infektion mit Humanen Papillomviren, gibt es keine aussagekräftigen Zahlen“, sagt Geusau, „daher ist es auch nicht möglich, eine Aussage über einen etwaigen Anstieg zu machen.“   
Eine genaue Aussage lässt sich jedoch treffen: Im Vergleich zu den siechen literarischen Figuren der vergangenen Jahrhunderte haben wir mit dem Kondom einen günstigen und überaus wirksamen Komplizen bei der Hand. Das Präservativ bietet einen sehr guten Schutz vor sexuell übertragbaren Erkrankungen. Das gilt auch und vor allem, wenn eine HIV-positive Person Sexualkontakte mit wechselnden Partnern hat, die selbst HIV-positiv sind: Geschlechtskrankheiten können bei geschwächtem Immunsystem rasch fortschreiten.

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Was ist Gonorrhö?
*  Gonorrhö wird durch das Bakterium Neisseria gonorrhoeae (Gonokokken) ausgelöst und verläuft üblicherweise mit Schmerzen beim Urinieren und eitrigem Ausfluss aus der Harnröhre oder dem Gebärmutterhals. Bei zehn Prozent der Männer und etwa 50 Prozent der Frauen bleibt die Erkrankung ohne spezifische Symptome, die Betroffenen sind aber trotzdem ansteckend.
*  Wird die Gonorrhö nicht behandelt, kann eine Infektion entstehen, die sich bei der Frau als Entzündung der Gebärmutterschleimhaut oder der Eileiter zeigt, beim Mann durch eine Prostataentzündung. Eine mögliche Spätfolge ist Unfruchtbarkeit.
*  Behandelt wird die Gonorrhö wie die Syphilis mit Antibiotika. Laut Gesetz muss der Erkrankte der Behandlung zustimmen; tut er dies nicht, wird er dem Hauptgesundheitsamt namentlich gemeldet.

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Was ist Syphilis?

*  Syphilis ist eine in mehreren Phasen verlaufende, chronische Infektion durch das Bakterium Treponema pallidum. Nach der Infektion kommt es an der Eintrittsstelle der Erreger innerhalb von Wochen zu einem schmerzlosen Geschwür, das auch ohne Behandlung abheilt (Primärstadium). In der Zwischenzeit können bereits Symptome des Sekundärstadiums auftreten, wie etwa ein fleckiger Ausschlag am ganzen Körper, Plaques im Genitalbereich oder an der Mundschleimhaut; mitunter kommt Fieber oder Abgeschlagenheit dazu. Bleibt die Krankheit unbehandelt, können innerhalb des ersten Jahres Symptome des Sekundärstadiums immer wieder aufflackern.  Danach folgt die Phase der Spätlatenz, in der die Syphilis ausschließlich durch eine Blutuntersuchung  nachweisbar ist.
*  Etwa ein Drittel der unbehandelten Patienten entwickelt im Laufe des Lebens Spätsymptome an der Haut, Komplikationen am Herzen oder an den Gefäßen oder eine Neurosyphilis, die unter anderem schwere Nervenschäden verursachen kann. Nach der frischen Infektion bleibt der Patient etwa ein halbes Jahr für den Partner ansteckend.
*  Behandelt wird die Syphilis mit einem Antibiotikum. Da die Syphilis eine meldepflichtige Erkrankung ist, besteht Behandlungs- und Nachkontrollpflicht für den Betroffenen. Falls der Patient dies verweigert, wird er dem Hauptgesundheitsamt namentlich gemeldet; ansonsten wird der Fall nur anonymisiert gemeldet.

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