Linz wird leiser

April 2009 | Gesellschaft & Familie

Wie die Kulturhauptstadt zur Hörstadt wird
 
In der heutigen Zeit wird kein anderer Sinn so sehr beansprucht wie der Gehörsinn. Verkehrslärm, Baulärm & Co machen ihm ebenso zu schaffen wie die ständige Berieselung in Geschäften und Gastronomiebetrieben. Der Dauer- und Zwangsbeschallung setzt Linz als Kulturhauptstadt Europas 2009 jetzt etwas entgegen: Das Projekt Hörstadt soll die oberösterreichische Landesmetropole leiser machen.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Nicht um Weihnachtsgeschenke einzukaufen, sondern um zu messen, wie laut „Stille Nacht, heilige Nacht“, „Ihr Kinderlein kommet“ & Co in Geschäften und Einkaufspassagen in der Linzer Innenstadt, im Haid-Center, im Uno-Shopping-Center und in der Plus City gespielt werden, hatten sich in der Vorweihnachtszeit 2008 die Betreiber des Projekts Hörstadt ins Getümmel geworfen. „Wir haben mit professionellen Messgeräten gearbeitet“, sagt Projektkoordinator Florian Sedmak. In gleich mehreren Shops sei der Lärmpegel unangenehm hoch gewesen, erinnert er sich. Zum völlig unerträglichen „Zwangsbeschaller des Jahres 2008“ wurde eine Filiale einer Textilkette gekürt. Durchschnittlich 77 Dezibel musste man dort aushalten, die Spitzenwerte lagen bei 87 Dezibel.

Ruhepol mitten in der Stadt

Bereits ab einer Lautstärke von 85 Dezibel müsste laut Gesetz Gehörschutz getragen werden, da die dauernde Einwirkung von so viel Lärm das Gehör nachweislich schädigt. Die Betreiber des zu lauten Ladens wurden mit einer Urkunde auf den Negativrekord aufmerksam gemacht. Was inzwischen geschah? Projekt-Koordinator Sedmak: „Immer wenn ich dort vorbeigehe, habe ich den Eindruck, dass die Musik nun leiser ist.“ Ein Erfolg also. Aber es kommt noch besser: Seit die Gemeinde im Jänner beschloss, Linz mittel- und langfristig zur akustischen Modellstadt Europas zu machen, haben sich 99 Unternehmen und Organisationen dem Projekt Hörstadt als Partner angeschlossen – und ihre öffentlich zugänglichen Räume komplett beschallungsfrei gemacht. „Da sind Geschäfte dabei, Institutionen wie die Arbeiterkammer und Gemeindeämter, aber auch Gasthöfe und Hotels“, sagt Sedmak. „Und es werden beinahe täglich mehr, die sich beteiligen.“ Um dem offenbar immer größer werdenden Ruhebedürfnis der Linzer Rechnung zu tragen, hat man mittlerweile auch einen allgemein zugänglichen Ruhepol geschaffen – im ehemaligen Central-Kino in der Innenstadt. Dort halten sich jeden Tag mehr als 100 Menschen auf – nur um sich in aller Stille ein wenig auszuruhen.

Keine Berieselung mehr

New York, Tokyo, Nagasaki und Buenos Aires – das sind laut Weltgesundheitsorganisation WHO die lautesten Städte der Welt – und ihre Bewohner die weltweit lärmgeplagtesten. Linz scheint in dieser Liste nicht auf. „So laut wie in den genannten Städten war und ist es hier bei uns auch sicher nicht“, sagt Dr. Reinhard Jäger, Leiter des Arbeitsmedizinischen Dienstes in Linz. „Doch wir haben die Erfahrung gemacht, dass auch eine moderate, andauernde Zwangsbeschallung, wie sie eben in den meisten Geschäften, in Restaurants und Hotels, und auch in den Wartebereichen von Versicherungen oder Banken herrscht, schlecht für die Gesundheit ist.“

Zu den krankhaften Symptomen, die ungewollt Beschallte plagen können, zählen, wie Jäger weiß, Bluthochdruck, Kopfschmerzen, Nervosität, gereiztes Verhalten, Stress. „Manche bekommen durch die Dauerbeschallung auch Probleme mit dem Hören, sie entwickeln einen Tinnitus, hören also Geräusche, die gar nicht vorhanden sind, und hören dadurch auch schlechter.“ Das alles müsse nicht sein, sagt Jäger und erhofft sich vom Projekt Hörstadt zwei Dinge: „Dass das Problem der zwanghaften Dauerbeschallung als solches wahrgenommen wird, und dass man sich dessen bewusst wird, dass die Ohren jeden Tag zumindest eine Zeit lang Ruhe brauchen, um gesund zu bleiben.“ So und durch die Abwicklung der noch anstehenden Projekte würde es bestimmt gelingen, das Projektziel zu erreichen. Und dieses lautet: Linz „leiser, lebenswerter und menschenwürdiger“ zu machen.

Zu jenen, die überzeugt davon sind, dass sich seit dem Projektstart diesbezüglich schon einiges getan hat, zählt der ehemalige Leiter des Linzer Instituts für Hör- und Sehbildung und Gründer des Vereins „vonOHRzuOHR“ Johann E. Marckhgott. „Wenn ich in die Geschäfte einkaufen gehe, die jetzt beschallungsfrei sind, höre ich immer wieder, wie zufrieden die Angestellten, aber auch die Kunden damit sind, dass die Berieselung endlich ein Ende hat.“

INFOTIPPS

*   Liste der beschallungsfreien Unternehmen und Organisationen in den Unterpunkten „beschallungsfrei“ – „bereits beschallungsfrei“ auf www.hoerstadt.at

*   Noch geplante Projekte: Klangumgebungen an verlärmten Orten, geführte Hörspaziergänge, kostenlose Hörtests, eine sozialmedizinische Studie zur Hörgesundheit von Kindern, das Aufstellen von „Polyphonen“, Kästen mit jeweils 1001 Läden, aus denen beim Öffnen ein Klang entströmt, Etablierung der Studienrichtung Akustik an der Linzer Universität.

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