Mama mit 50, Papa mit 70: Die Chancen und Risiken später Elternschaft

Mai 2012 | Psyche & Beziehung

Gianna Nannini, Wolfgang Ambros, Niki Lauda – sie alle wurden in reifen Jahren (nochmals) Mutter bzw. Vater. Die späte Elternschaft liegt aber nicht nur bei den Prominenten im Trend: Immer mehr Frauen und Männer entscheiden sich im fortgeschrittenen Alter für ein Baby – eine Entwicklung, die neben Chancen auch Risiken birgt. MEDIZIN populär informiert.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Der fünfjährige Fabian hat’s gut: Jeden Nachmittag geht sein Papa mit ihm in den Park zum Toben und Fußballspielen. Fabians Vater Max ist seit fünf Jahren in Pension und hat viel Zeit – und die nimmt er sich auch. Schließlich möchte er das Aufwachsen seines Kindes „so richtig miterleben“, wie er betont. Auch Antonia (5) und Franziska (3) haben einen „späten“ Papa: Alfons ist 65 und genießt die Zeit mit den beiden Mädchen ganz bewusst. Ihre 48-jährige Mutter Angelika wiederum freut es, dass sie ihre Töchter heute besser fördern kann, als das beim ersten Kind vor 20 Jahren möglich war (siehe Interview: „Wir sind bewusster, aber auch besorgter“ unten).

Engagierte Mütter, bewusste Väter

Dass die späte Elternschaft sowohl für die reifen Mütter und Väter als auch für deren Sprösslinge Vorteile mit sich bringt, bestätigt der Wiener Entwicklungspsychologe Ass. Prof. Dr. Harald Werneck, der in einer wissenschaftlichen Untersuchung jüngere mit älteren Eltern verglichen hat. „Wir haben herausgefunden, dass ältere Mütter – also jene, die bei der Geburt des Kindes über 35 Jahre alt waren – im Vergleich zu jüngeren Müttern empathischer und konsequenter in der Erziehung sind“, sagt er. „Es hat sich gezeigt, dass sie ihre Kinder emotional und intellektuell besser fördern.“
Das Engagement von Max und Alfons wiederum sei bezeichnend für die „neuen alten Väter“: „Wir wissen aus den Studien, dass sich ältere Väter mehr Zeit nehmen“, berichtet Werneck. „Diese Väter, die vielleicht aus anderen Beziehungen schon erwachsene Kinder haben, gehen das Projekt Familiengründung ganz bewusst an und wollen – zum ersten Mal vielleicht – die Vaterrolle ausleben.“ Dass die späten Väter sich durch den Nachwuchs wieder jung fühlen oder ihre Männlichkeit beweisen wollen, „mag vielleicht mitspielen“, räumt der Psychologe ein, sei aber „sicher nicht ausschlaggebend für den Trend.“ Für die „Senioren-Papas“ stellen die Kinder vor allem eine „echte Bereicherung ihrer Lebensqualität“ dar.

Erstes Kind immer später

Angelika, Alfons und Max sind keine Ausnahmen: Aus verschiedenen Gründen entschließen sich Paare heute immer öfter, in der zweiten Lebenshälfte (noch) ein Kind zu bekommen. Hat eine 40-Jährige früher vielleicht noch einen „Nachzügler“ geboren, nimmt die Zahl jener, die mit 40 Jahren und mehr ein Kind, auch das erste, zur Welt bringen, weiter zu: Im Jahr 2003 wurden laut Statistik Austria rund 2000 Kinder von einer Mutter ab 40 geboren, 2010 waren es bereits knapp 3000 Kinder. Auch die Väter werden älter: Hatten im Jahr 2003 noch 6500 Babys einen über 40-jährigen Vater, waren es 2010 schon 8300. Auch das Durchschnittsalter, in dem Frauen und Männer zum ersten Mal Eltern werden, steigt: Waren Mütter in den 1980-er Jahren beim ersten Kind rund 24 Jahre alt, lag der Durchschnitt 2010 bei knapp 29 Jahren. „Werdende Väter sind durchschnittlich 31 Jahre alt“, so Werneck.

Erst Karriere, dann Kind

Gründe für die Entwicklung sind u. a. die steigende Lebenserwartung, der bessere Gesundheitszustand auch in reiferen Jahren sowie berufsbedingte Überlegungen. Frauen wie Männer wollen vielfach erst die (durchschnittlich längere) Ausbildungs- und Etablierungsphase hinter sich bringen, ehe sie sich, ganz bewusst, für ein Kind entscheiden. Von der besseren beruflichen Position profitiert auch der Nachwuchs – nicht nur in materieller Hinsicht. „Oft führt der berufliche Status dazu, dass Eltern mit ihren Kindern anders umgehen. Wenn die Karriere der Väter besser abgesichert ist, haben die Männer oft mehr Zeit – und nehmen sich diese auch bewusst“, weiß Harald Werneck. Wer sich nicht im „Hamsterrad des Karriereaufbaus“ dreht, ist letztlich gelassener und souveräner.

Noch ein Baby mit dem neuen Partner

Der Trend zur späten Familiengründung hängt auch damit zusammen, dass Beziehungen heute kaum noch ein Leben lang halten. Viele gehen nach der Trennung wieder eine Partnerschaft ein und möchten mit dem neuen Partner nochmals ein Kind bekommen. „Wir haben immer öfter mit anderen Konstellationen als der klassischen Kernfamilie zu tun“, erklärt der Entwicklungspsychologe. Papas neue Frau bringt zwei Kinder in die Familie mit, Mama bekommt mit ihrem neuen Freund ein Baby: Ältere Eltern, Stief- und Halbgeschwister, dafür seltener Großeltern – wie kommen Kinder mit den Gegebenheiten zurecht? „Kinder sind generell sehr flexibel, was die verschiedenen Familienkonstellationen betrifft“, ist Werneck überzeugt.

Die Grenzen von Mutter Natur

Allerdings hat der späte Kinderwunsch auch seine Tücken – angefangen bei der sinkenden Fruchtbarkeit der Frauen ab dem 35. Lebensjahr. Der Gynäkologe und Stoffwechselexperte Univ. Prof. DDr. Johannes Huber erklärt den Grund: „Während die Keimzellen des Mannes, also die Hoden, sich außerhalb des Körpers befinden, sind bei der Frau die Eierstöcke im Körper selbst“, so der Mediziner.              
Der kleine Unterschied hat Folgen: „Aufgrund der höheren Temperatur geht der Alterungsprozess bei den Eizellen schneller voran als bei den Samenzellen.“ Sind es in der Pubertät noch etwa 400.000, stehen einer 35-Jährigen nur mehr rund 35.000 Eizellen zur Verfügung. Zwar werden immer wieder auch Frauen im Alter von 45 oder 50 Jahren spontan schwanger – die Chancen dafür liegen dem Experten zufolge allerdings „im Promillebereich“. Wie fruchtbar eine Frau (noch) ist, lässt sich mithilfe eines Bluttests feststellen: „Ein bestimmter Hormonwert, der AMH-Wert, gibt Aufschluss über die Aktivität der Eierstöcke“, berichtet der Gynäkologe.

Das Erbe später Eltern

Anders bei (gesunden) Männern, deren Zeugungsfähigkeit „bis ins hohe Alter gleichermaßen erhalten“ bleibe, erklärt der Salzburger Urologe Univ. Prof. Dr. Andreas Jungwirth: „Bei einem 50-jährigen gesunden Mann beispielsweise ist die Samenqualität meist noch sehr gut.“ Allerdings: „Bei Männern über 50 nehmen Erkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck oder die chronische Entzündung der Prostata stark zu – diese haben einen entscheidenden Einfluss auf die Fruchtbarkeit, weil dadurch die Anzahl und Qualität der Spermien abnimmt“, so der Urologe.
Was man bisher grob unterschätzte: Ab etwa dem 60. Lebensjahr birgt das väterliche Alter gesundheitliche Risiken für das Ungeborene: Studien zeigen, dass Kinder alter Väter häufiger an Autismus, Schizophrenie oder einer bipolaren Störung erkranken. „Auch weiß man mittlerweile, dass ältere Väter auch ein erhöhtes Risiko haben, Kinder mit Trisomie 21, also Down Syndrom, zu zeugen“, ergänzt Urologe Jungwirth.
Bereits wesentlich früher, ab dem 35. Lebensjahr, erhöht das Alter der Mutter das Risiko des Kindes für Trisomie 21. Neben dem Kind hat auch die ältere Schwangere mit zusätzlichen Risiken zu rechnen: „Mit Beginn der vierten Lebensdekade neigen Frauen vermehrt zu hohem Blutdruck“, berichtet der Gynäkologe. „Bei Erstgebärenden steigt zudem die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kaiserschnitt gemacht wird, weil bei ihnen das Gewebe weniger elastisch ist.“  

Verändert Trend die Evolution?

Selbst in Zeiten des „erfolgreichen Alterns“, in denen 40-Jährige wie 25 aussehen und Senioren geradezu jugendlich anmuten, setzt die Natur dem Trend zur späten Schwangerschaft also (noch) Grenzen. Generell hätten „ungefähr 14 Prozent aller Paare Probleme mit der Fruchtbarkeit“, weiß Andreas Jungwirth. Dank medizinischer Möglichkeiten wie der künstlichen Befruchtung oder einer Eizellspende wird es leichter, sich (auch) im fortgeschrittenen Alter den Kinderwunsch zu erfüllen.
Außerdem sei es denkbar, dass sich die Gebärfähigkeit im Lauf der Zeit dem Trend zur späten Schwangerschaft anpasst, meint Stoffwechselexperte Huber. „Die zeitliche Verschiebung – die Menschen leben länger, sind länger fit, das erste Kind kommt später zur Welt – könnte auch eine Veränderung in der Evolution mit sich ziehen.“ Auch konnte in Einzelfällen z. B. beobachtet werden, „dass eine späte Schwangerschaft das Menopausenalter nach hinten verschiebt.“

Senile Eltern, pubertierende Teenager

Derzeit aber sind reife Mamas den jüngeren Müttern nicht nur hinsichtlich der Fruchtbarkeit, sondern auch punkto körperlicher Fitness „unterlegen“: „Ältere Mütter nehmen die körperliche Belastung stärker wahr: Sie sind schneller müde, erschöpft und ausgelaugt“, berichtet Psychologe Werneck. „Andererseits wissen sie sich eher Unterstützung zu holen – und tun das auch.“ Die Kraft werden Mütter wie Väter brauchen, wenn der Nachwuchs in die Pubertät kommt: So sehr Fabian die Zeit mit seinem Vater heute genießt – wie wird es für ihn als Teenager sein, wenn ihn beim Fußballmatch sein fast 80-jähriger Papa anfeuert? Oder für das pubertierende Mädchen, das mit der 60-jährigen Mama shoppen geht? Lassen Teenager ihre Eltern noch älter aussehen?
Zum Problem könnte das Alter der Eltern werden, wenn diese nicht (mehr) die nötige Kraft oder das Verständnis für die Heranwachsenden aufbringen, sagen die Experten. Allerdings: „Ob die Mütter und Väter 20, 40 oder 60 Jahre alt sind – Kinder brauchen vor allem eines: liebevolle und kompetente Eltern“, so der Psychologe Werneck.

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INTERVIEW

„Wir sind bewusster, aber auch besorgter“

Vor knapp sechs Jahren ging für das Wiener Ehepaar Angelika (48) und Alfons (65) Egger ein Wunsch in Erfüllung: Nachdem beide bereits erwachsene Kinder aus früheren Beziehungen haben, wurde Angelika mit 43 schwanger, knapp drei Jahre später kam das zweite gemeinsame Kind. In MEDIZIN populär spricht das Paar  über Ängste, Freuden und Herausforderungen des „jungen“ Familienlebens.

MEDIZIN populär
Frau Egger, Sie waren 43, als Sie nach zweijähriger Beziehung schwanger wurden. Ein geplantes Kind?
Angelika Egger: Ich habe mir schon sehr eine Familie mit meinem Mann gewünscht, aber eine Entscheidung in dem Sinn gab es nicht. Wir haben uns gesagt: Wenn es passiert, dann passiert es.

Und dann ist es passiert! Hatten Sie als späte Eltern eine besondere Sorge?
Alfons Egger: Es gab nur die eine Sorge, ob das Kind gesund ist….
Angelika Egger: Wir haben uns darüber unterhalten, was passieren soll, wenn das Kind nicht gesund ist. Deshalb habe ich verschiedene Untersuchungen, darunter eine Blut- und Ultraschalluntersuchung, durchführen lassen – die waren alle in Ordnung.

Und wenn die Untersuchungen ergeben hätten, dass das Kind womöglich krank ist?
Angelika Egger: Dann hätten wir uns schon überlegt, ob wir einen Abbruch durchführen lassen würden. Schließlich sind wir beide schon in einem gewissen Alter und möchten kein krankes Kind hinterlassen.

Wie haben Sie als älterer werdender Vater die Zeit erlebt?
Alfons Egger: Abgesehen von der Sorge um die Gesundheit habe ich mich riesig gefreut. Den ersten Ultraschall zu sehen, das war unglaublich – das große Foto davon hängt immer noch in meinem Büro! Das war ein viel intensiveres Miterleben als vor 40 Jahren bei meinen ersten beiden Töchtern.

Zwei Jahre später wurden Sie nochmals – ungeplant – schwanger?
Angelika Egger: Ja. Diese Schwangerschaft mit 45 war körperlich schon sehr anstrengend. Ich hatte alle möglichen Beschwerden – von Kreuzweh über Sodbrennen bis zu Verstopfung. Nach der Geburt habe ich mir dann, um nicht mehr schwanger zu werden, die Eileiter unterbinden lassen.

Wenn Sie an die Zukunft denken, was geht Ihnen da durch den Kopf?
Alfons Egger: Ich habe mich schon gefragt, wie es sein wird, wenn die Kinder in die Pubertät kommen und ich selbst 80 bin: Wie viel Schwung hat man dann noch, und wie viel Verständnis bringt man auf?  
Angelika Egger: Ich habe gar keine Zeit, über mein Alter nachzudenken. Ich mache mit meinen Kindern alles, was andere genauso machen.

Sie haben ja beide bereits inzwischen erwachsenen Kinder aus früheren Beziehungen. Sind Sie heute als Eltern anders als damals?
Angelika Egger: Ich gehe jetzt viel mehr auf die Kinder ein, als ich das als 26-Jährige bei meinem Sohn gemacht habe. Ich achte viel mehr darauf: Wo sind ihre Talente? Wie könnte ich sie noch fördern? Mein Sohn ist damals quasi mitgelaufen, weil ich arbeiten musste. Jetzt sind die Kinder der wichtigste Punkt in meinem Leben.
Alfons Egger: Und ich muss auch sagen, dass du sehr ehrgeizig in Bezug auf die Kinder geworden bist…
Angelika Egger: Stimmt. Wenn ich ein Potenzial erkenne, fördere ich das spielerisch. Ich widme mich den Kindern jetzt viel intensiver, das ist sicherlich ein Vorteil.

Gibt es auch Nachteile?
Angelika Egger: Ein Nachteil ist, dass ich wesentlich mehr Ängste als früher habe. Da ich in den letzten 20 Jahren gesehen habe, was alles passieren kann, bin ich viel besorgter. Darum bin ich sehr froh, dass ich zur Unterstützung ein Kindermädchen habe. Die Kinder sind ja extrem aktiv und hüpfen die ganze Zeit herum…
Alfons Egger: …und klettern überall hinauf. Ich schätze das Gefahrenpotenzial allerdings nicht so hoch ein, habe da viel mehr Vertrauen und unterstützte ihre Bewegungsfreude sogar.

Das heißt, Sie sind im Alter gelassener geworden?
Alfons Egger: Naja (lacht), auch wenn ich schon Erfahrung habe – es ist dennoch alles wie völliges Neuland für mich.

Achten Sie der Kinder wegen jetzt besonders auf Ihre Gesundheit und Fitness?
Angelika Egger: Ich bemühe mich natürlich, mich fit zu halten – aber das würde ich auch ohne Kinder machen.
Alfons Egger: Ich finde es unsinnig, ins Fitnessstudio zu gehen, damit die Kinder einen jugendlichen Vater haben – es geht schließlich nicht um die Optik. Wenn man, so wie ich, im Leben steht, hält einen das automatisch fit: Ich fahre täglich mit dem Rad zur Arbeit, bin im Job geistig gefordert, hinzu kommt die Freude an den Kindern – all das hält mich jung.

Stand 05/2012

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