Patientenrechte: Selbstbestimmt bis zum Schluss

März 2014 | Gesellschaft & Familie

Es kann schneller gehen als man wahrhaben will: Ein Unfall oder eine schwere Krankheit – und plötzlich ist man in einer Situation, in der man nicht mehr ansprechbar und entscheidungsfähig ist. Eine Expertin erläutert, wie Patienten für den Fall der Fälle vorsorgen und bis zuletzt selbst­bestimmt bleiben können.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Viele Krankheiten oder Verletzungen, die früher tödlich waren, können dank moderner Medizin heute erfolgreich behandelt werden. Dennoch gibt es Fälle, in denen man die medizinischen Möglichkeiten nicht bis zum Letzten ausschöpfen möchte. Welche Behandlungen man z. B. bei einer schweren oder unheilbaren Erkrankung ablehnt, muss jeder einzelne für sich selbst entscheiden. Um sicherzugehen, dass die Entscheidungen im Ernstfall respektiert werden, kann man auf verschiedene Weise vorsorgen. Speziell das Recht auf Selbstbestimmung wurde in den letzten Jahren gesetzlich stärker verankert, berichtet die Juristin Dr. Maria Kletecka-Pulker vom Institut für Ethik und Recht in der Medizin in Wien.
„Patienten haben das sogenannte Recht auf Unvernunft – man nennt es auch das uneingeschränkte Vetorecht“, gibt Kletecka-Pulker ein Beispiel. „Das bedeutet, man kann jede medizinische Maßnahme aus welchem Grund auch immer ablehnen. Außerdem kann man eine medizinische Behandlung abbrechen oder gar nicht erst beginnen.“ Und auch für den Fall, dass man nicht mehr entscheidungsfähig ist, z. B. weil man dement oder nicht mehr ansprechbar ist, kann man vorsorgen.

Patientenverfügung

Das hierbei wohl bekannteste Instrument ist die Patientenverfügung: „Damit kann man bestimmte medizinische Maßnahmen ablehnen“, betont Kletecka-Pulker. Ein Beispiel: „Ein kranker Patient könnte im Vorhinein festhalten: Spätestens, wenn ich künstlich beatmet werden sollte, möchte ich keine medizinischen Maßnahmen mehr.“ Man könnte auch verfügen, dass im Fall einer tödlichen Erkrankung oder Verletzung auf künstliche, lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet wird und alle Möglichkeiten der Schmerzbekämpfung ausgeschöpft werden. „Die Angst vor Schmerzen war einer der Hauptgründe für die Einführung der Patientenverfügung im Jahr 2006“, so die Expertin.

Verbindlich oder beachtlich

Man unterscheidet zwischen einer verbindlichen und einer beachtlichen Patientenverfügung. „Für eine verbindliche Patientenverfügung gibt es strengere Errichtungsvorschriften“, erklärt die Juristin. Sie muss schriftlich mit Datumsangabe abgefasst werden und darf nicht älter als fünf Jahre sein; die abgelehnten Maßnahmen müssen darin konkret beschrieben werden. „Davor braucht es zwingend ein Aufklärungsgespräch durch seinen Arzt oder seine Ärztin“, betont Kletecka-Pulker. Es muss dokumentiert werden, dass man alle notwendigen medizinischen Informationen für diese Entscheidung(en) erhalten hat. „Eine verbindliche Patientenverfügung muss außerdem durch einen Rechtsanwalt, Notar oder Patientenanwalt formal errichtet werden.“ Außerdem empfehlenswert: Man sollte seine nächsten Angehörigen bzw. den Hausarzt, die Hausärztin darüber informieren, dass eine Patientenverfügung vorliegt. Im Gegensatz zum Organspendewiderspruch (siehe unten) sind Ärzte nämlich nicht verpflichtet zu recherchieren, ob eine Patientenverfügung errichtet wurde. „Sie haben keine gesetzliche Nachforschungspflicht. Der Patient hat daher dafür zu sorgen, dass sie im gegebenen Fall vorliegt“, so Maria Kletecka-Pulker.
Und was kostet eine verbindliche Patientenverfügung? „Erstens entstehen Kosten für das ärztliche Aufklärungsgespräch“, so die Expertin. Die Kosten variieren je nach Arzt; die Errichtung der Patientenverfügung übernimmt ein Patientenanwalt kostenlos, beim Notar oder Rechtsanwalt hängen die Kosten von den jeweiligen Honorarsätzen ab.
Wer heute die Möglichkeit einer verbindlichen Patientenverfügung vor allem nutzt? „Das sind zum einen chronisch Kranke, zum anderen Menschen, die etwa aus religiösen Gründen bestimmte Maßnahmen ablehnen. Die dritte Gruppe sind Menschen, die schon sehr alt sind und solche, die sich mit dem Thema Sterben beschäftigt haben“, so Kletecka-Pulker. „Einer Umfrage zufolge haben derzeit 1,4 Prozent der Österreicher, also rund 120.000 Menschen, eine verbindliche Patientenverfügung.“
Verfügungen, die nicht diesen strengen Kriterien entsprechen, nennt man beachtliche Patientenverfügungen. Sie sind unkomplizierter zu errichten und werden deshalb häufiger erwirkt – wie häufig, ist allerdings nicht bekannt. „Schon eine mündliche Willensäußerung oder eine informelle Notiz zählt dazu“, erklärt die Juristin. Beachtliche Patientenverfügungen sind für die Ärzte nicht verpflichtend, aber: „Sie sind sehr wichtig, weil sie den Patientenwillen darstellen und damit eine wesentliche Orientierungshilfe für die Ärztinnen und Ärzte hinsichtlich der Lebenseinstellung des Patienten sind“, erläutert die Expertin.

Widerruf jederzeit möglich

Was kann man nun tun, wenn man es sich anders überlegt? „Eine Patientenverfügung kann jederzeit formlos widerrufen werden“, betont die Expertin. „Selbst bei einer verbindlichen Patientenverfügung genügt es, mündlich kundzutun, dass man sich anders entschieden hat. So lange man ansprechbar ist, gilt immer, was man aktuell sagt.“
Eine Patientenverfügung gilt außerdem als widerrufen, wenn sich der Stand der Wissenschaft geändert hat, ergänzt Kletecka-Pulker: „Es könnte sein, dass jemand eine medizinische Maßnahme aus Angst vor den Nebenwirkungen abgelehnt hat. Gibt es nun ein neues Verfahren, das diese Nebenwirkungen nicht verursacht, und hat man den Eindruck, der Patient hätte diesem zugestimmt, dann gilt die Patientenverfügung nicht.“

Vorsorgevollmacht

Ein weiteres, bislang wenig bekanntes und kaum genutztes Instrument ist die Vorsorgevollmacht. Damit lässt sich festlegen, dass eine Person seines Vertrauens – der Partner, die beste Freundin, das erwachsene Kind – bestimmte Entscheidungen treffen darf, ob es sich dabei um medizinische oder andere Belange (z. B. Wohnungsfragen, Finanzielles) handelt. Soll die Person auch in weitreichende, schwere medizinische Maßnahmen einwilligen können, muss die Vorsorgevollmacht vor einem Notar, Rechtsanwalt oder bei Gericht errichtet werden. „Auch eine Vorsorgevollmacht muss man – wie eine Patientenverfügung – erteilen, so lange man noch ansprechbar und entscheidungsfähig ist“, betont die Juristin.
Ihr Rat: „Idealerweise wird eine Patientenverfügung mit einer Vorsorgevollmacht kombiniert.“ Schließlich unterstützt die Patientenverfügung den bevollmächtigten Angehörigen, der die Willensäußerungen gegenüber der Umwelt vertreten oder argumentieren muss. „Wird eine konkrete Behandlung abgelehnt, kann der Vorsorgebevollmächtigte dokumentieren: Ich entspreche damit tatsächlich dem Willen des Patienten“, so Maria Kletecka-Pulker. „Das bedeutet auch eine Entlastung für denjenigen, der entscheiden muss und damit eine große Verantwortung trägt.“

Sachwalter, Vertretungsbefugnis

Was passiert aber, wenn eine Person keine rechtliche Vorsorge getroffen hat? Wer entscheidet dann? „Hat man diesbezüglich nicht vorgesorgt, muss bei Gericht ein Sachwalter oder eine Sachwalterin bestellt werden. Dieser oder diese übernimmt dann die gesetzliche Vertretung des Betreffenden“, sagt Kletecka-Pulker.
Im Fall einer psychischen Erkrankung bzw. geistigen Behinderung gibt es für die nächsten Angehörigen die Möglichkeit einer sogenannten Vertretungsbefugnis: „Ist der Patient nicht mehr einwilligungsfähig und hat rechtlich nicht vorgesorgt, können nächste Angehörige zum Notar gehen, sich registrieren lassen und in der Folge auch in kleineren medizinischen Angelegenheiten entscheiden“, erklärt die Juristin. „Es bedarf in diesem Fall keiner Einwilligung des Patienten, da er ja nicht mehr entscheidungsfähig ist. Diese Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger ist gesetzlich festgelegt.“ Dank der Befugnis kann eine Vertrauensperson beispielsweise Pflegeleistungen organisieren oder bestimmte Leistungen wie Pflegegeld oder Sozialhilfe für den Patienten beantragen.  

Organspendewiderspruch
Das Recht auf Selbstbestimmung über den menschlichen Körper nach dem Tod ist sehr eingeschränkt. Lediglich über eine mögliche Organentnahme kann der Patient entscheiden. „Man hat die Möglichkeit zu widersprechen, dass man Organspender ist“, erklärt Kletecka-Pulker. Indem man sich kostenlos beim Österreichischen Bundesinstitut für Gesundheitswesen (ÖBIG) im Widerspruchsregister einträgt, kann man festhalten, dass man nicht möchte, dass im Todesfall ein Organ, Organteil oder Gewebe entnommen wird. Jeder Organspendewiderspruch ist in dem Widerspruchsregister dokumentiert – Ärzte sind vor einer Organentnahme verpflichtet zu überprüfen, ob ein Eintrag existiert.      

Webtipp:
Weitere Infos und Formulare unter: www.help.gv.at

Stand 02/2014

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