Werden Insekten auch bei uns immer gefährlicher?

August 2010 | Medizin & Trends

Erste Folgen von Klimawandel und Globalisierung
 
Sie vermiesen gemütliche Picknicks, laue Sommernächte und erholsame Spaziergänge: die Stiche und Bisse von Gelsen, Bienen, Wespen, Zecken. Als Überträger von Krankheiten muss man in Österreich bislang vor allem Zecken fürchten. Doch Experten beobachten erste Anzeichen einer bedrohlichen Entwicklung: Die Erwärmung des Klimas und die stetig wachsende Mobilität der Menschen sorgen dafür, dass sich Insekten und Spinnentiere weiter ausbreiten und sich gefährliche Arten aus südlichen Gebieten auch bei uns ansiedeln können. Mit den neu eingewanderten oder eingeschleppten Tieren können dann auch neue Krankheiten ins Land kommen. Wie groß ist die Gefahr?
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Wir stehen zwar erst am Anfang des Klimawandels, doch wenn es um Vorkommen und Verbreitung von Insekten, Zecken und anderen Gliederfüßern geht, zeichnen sich bereits erste Veränderungen ab. „Bedingt durch die globale Erwärmung verbreiten sich beispielsweise die Zecken in höhere Lagen“, berichtet Univ. Prof. Dr. Horst Aspöck von der Abteilung für Medizinische Parasitologie am Institut für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin an der Medizinischen Universität Wien. „So ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass sie mittlerweile Gebiete im Alpenbereich besiedeln, die sie früher nicht besiedelt haben. In Vorarlberg gab es vor zwei Jahren mehrere Fälle von Frühsommer-Meningoenzephalitis, also von FSME, in über 1500 Meter. In dieser Höhe war ein Vorkommen vor Jahrzehnten undenkbar.“
Mit der zunehmenden Erwärmung wandern die Zecken nicht nur in höhere Lagen, sondern auch weiter Richtung Norden, z. B. in höhere Breiten in Skandinavien. Die bei uns am stärksten verbreitete Zecke, der gemeine Holzbock, überträgt neben FSME eine weitere Infektionskrankheit – die Borreliose.

Wärmeeffekt

Und die Experten warnen vor zusätzlichen Veränderungen: So müsse man sich aufgrund des Klimawandels einerseits darauf einstellen, dass Tiere, die derzeit nur in warmen Regionen im Süden, etwa im Mittelmeerraum, vorkommen, nach Norden vorstoßen, betont Aspöck. „Andererseits ist damit zu rechnen, dass verschiedene blutsaugende Insekten oder Zecken aufgrund ihrer hohen Feuchtigkeitsansprüche aus Gebieten, in denen sie jetzt vorkommen, verschwinden“, so der Parasitologe.  
Die Verbreitung „neuer“ Insekten oder Spinnentiere könne durchaus auch die Verbreitung neuer Krankheitserreger in ganz Europa und somit auch in Österreich mit sich bringen, gibt Univ. Prof. Mag. Dr. Franz Reinthaler, Leiter des Parasitologie-Labors am Hygiene-Institut der Medizinischen Universität Graz, zu bedenken. „Die Anzahl der Überträger der Infektionen, zum Beispiel Mücken- oder Zeckenarten, nimmt mit der Erwärmung zu, und mit den neu eingewanderten Insekten können auch Erreger von neuen Krankheiten eingeführt werden.“
Der Grund für diesen „Wärmeeffekt“: Insekten und Zecken haben als sogenannte ektotherme Lebewesen keine Möglichkeit der Temperaturregulation. „Kommt es nun außen zu einer Erwärmung, führt das in der Folge auch zu einer Beschleunigung der Vermehrung von Krankheitserregern in diesen Tieren“, erläutert Horst Aspöck. Und wie steht es mit anderen Plagegeistern? Besteht die Gefahr, dass sich bedingt
durch das wärmere Klima auch vermehrt Giftspinnen aus dem Mittelmeerraum,    z. B. die Schwarze Witwe oder die Braunspinne, hierzulande niederlassen? „Derzeit besteht in keiner Weise eine akute Gefahr, wenngleich manche Spinnen aus dem Mittelmeerraum oder gar aus tropischen Gebieten durch die vielen Facetten der Globalisierung verschleppt werden können“, erläutert Aspöck.

Importierte Gefahr

Die Veränderungen in der heimischen Insektenfauna sind nämlich nicht allein auf die Klimaerwärmung zurückzuführen. Mit der stetig wachsenden Mobilität steigt zudem die Gefahr, dass exotische Tiere und Kleinstlebewesen importiert werden. Die Globalisierung spiele demnach eine – bislang womöglich unterschätzte – Rolle, meinen Experten: „Man hat lange angenommen, dass die Tigermücke, eine Stechmücke, die primär in Ostasien vorkommt, durch den Klimawandel bedingt nordwärts zieht“, nennt Aspöck ein Beispiel. „Mittlerweile weiß man, dass sie nach Europa eingeschleppt worden ist.“ Zu dem unfreiwilligen Import kam und kommt es via Frachtschiffe, die alte Autoreifen nach Europa transportieren. „Wenn ein Schiff im Hafen liegt und es regnet, sammelt sich in diesen Reifen Wasser, in das die Mücken ihre Eier legen. Die Reise ins 5000 Kilometer entfernte Europa überstehen die Larven problemlos und schlüpfen dann hier aus.“ Diese exotische Einfuhr ist problematisch, da die Tigermücke das Chikungunya-Fieber übertragen kann, eine schwere tropische Infektionskrankheit mit grippeähnlichen Symptomen. Während man in Österreich bislang keine dieser Mücken entdeckt hat, wurden sie bereits in Deutschland, Holland und Italien gesichtet. In Norditalien kam es schon 2007 zu einem schweren Ausbruch von Chikungunya-Fieber: 200 Menschen erkrankten daran.
Ein besonders unliebsames Urlaubsmitbringsel ist die Malaria, das Sumpffieber. Es wird durch weibliche Stechmücken bzw. Moskitos in den Subtropen übertragen, kann aber auch gelegentlich über den Flugverkehr eingeschleppt werden. „An verschiedenen europäischen Flughäfen kennt man das Problem der Airport-Malaria, bei der die Einschleppung der infizierten Moskitos über Flugzeug und Reisende zu Infektionen in der Umgebung des Flughafens führen kann“, veranschaulicht Reinthaler.

Klimawandel und Globalisierung

In einigen Fällen ist es die Verquickung von Klimawandel und Globalisierung, die dazu führt, dass neue Insekten und mit ihnen neue Krankheiten in unseren Breiten Fuß fassen. Das zeigt etwa das Beispiel der Sandmücken, die die Leishmaniose übertragen, eine Infektionskrankheit, die speziell für Kleinkinder und Menschen mit geschwächtem Immunsystem lebensbedrohlich sein kann. Lange Zeit nahm man an, dass es in Mitteleuropa keine Sandmücken gibt und die Leishmaniose von Urlaubern aus dem Mittelmeerraum eingeschleppt worden ist. „Heute geht man davon aus, dass es die Sandmücken vermutlich bereits seit rund 6500 Jahren im Mitteleuropa gibt, allerdings in kleinen Herden, die bislang übersehen worden sind“, erklärt Aspöck. „Erst durch die Erwärmung breiten sie sich jetzt aus.“ Die Folgen: „Seit dem Beginn dieses Jahrhunderts wurden in Mitteleuropa erstmals in Südwestdeutschland einige sogenannte autochthone Fälle nachgewiesen, also Fälle, in denen die Betroffenen die Leishmaniose nur durch eine Ansteckung in ihrer Heimat gekriegt haben können.“
Damit es zu einer Infektion kommen kann, braucht es neben dem Überträger aber auch einen Erreger – die Leishmanien. Wie gelangen diese nach Deutschland? „Hauptwirt der Leishmanien sind Hunde aus dem Mittelmeerraum, die sehr schwer an Leishmaniose erkranken“, berichtet der Parasitologe Aspöck. „Ihr Mitleid erweckender Zustand veranlasst Urlauber dazu, sie mit nach Hause zu nehmen. Man schätzt, dass in Deutschland mehr als 20.000 Hunde mit Leishmanien leben.“ Werden diese Hunde von Sandmücken gestochen, so nehmen die Sandmücken Leishmanien auf – und geben den Erreger durch einen Stich an den Menschen weiter.

Giftigkeit und Allergien

Müssen wir neben der verstärkten Verbreitung bekannter und exotischer Tierchen mit weiteren Konsequenzen rechnen? Führen Klimawandel und Globalisierung womöglich auch dazu, dass Insekten und Spinnentiere immer giftiger werden?  Nein, beruhigt Reinthaler. „Auf die Giftigkeit von diesen Lebewesen hat das Klima keine Auswirkung.“ Auch bezüglich der Ängste, dass Insekten oder Zecken gefährliche Krankheiten wie Tetanus oder sogar AIDS übertragen, gibt der Experte Entwarnung. Reinthaler: „An diesen Gerüchten ist absolut nichts dran.“
Selbst Insektengiftallergien, wie sie hauptsächlich gegen Bienen- und Wespengifte bestehen, seien – im Gegensatz zu Pollen- oder Hausstaubmilbenallergien – nicht im Zunehmen begriffen. „Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass Insektengiftallergien heute häufiger auftreten als beispielsweise vor 20 Jahren“, betont Aspöck.

Starker Gelsensommer?

Wie groß die Insektenplage im Sommer jeweils sein wird, lässt sich zwar im Voraus nicht eindeutig prognostizieren, es gebe aber bestimmte Anzeichen, die Rückschlüsse auf die Verbreitung z. B. von Stechmücken – bei uns Gelsen genannt – erlauben. So lassen etwa intensive Regenfälle im Frühsommer einen „starken“ Gelsensommer befürchten: „Eine Stechmückenplage hängt immer mit dem Wasserstand der Flüsse im Sommer zusammen“, sagt Aspöck. „Bei Hochwasser werden alle Vertiefungen im Boden der Auen überschwemmt, und das Wasser ist der Anreiz dafür, dass Stechmückenlarven schlüpfen.“
Auch der vorangegangene Winter könne Hinweise für die Verbreitung der kleinen Quälgeister liefern. „Viele Insekten und Spinnentiere sind frostempfindlich, daher begrenzt ein kalter Winter ihre Ausbreitung, während in einem warmen Winter bedeutend mehr überleben“, gibt Reinthaler ein Beispiel. Allerdings sei die Verbreitung oft vom Zusammenspiel verschiedener Faktoren abhängig, wie Reinthaler am Beispiel der Zecken verdeutlicht. „Den Zecken bekommen zwar mildere Winter gut, sie vertragen aber keine heißen und trockenen Sommer“, so der Experte. „Zudem entwickeln und vermehren sich in einem warmen Sommer auch die Gegenspieler wie Räuber und Krankheitserreger schneller, und diese können das Populationswachstum von Insekten eindämmen.“  
Generell gilt, dass Insekten und Spinnentiere in wärmeren Perioden aktiver und mobiler sind und sich schneller fortpflanzen. „So führt etwa eine überdurchschnittlich warme Vegetationsperiode mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer starken Ausbreitung und Massenvermehrung des Eichenprozessionsspinners“, berichtet Reinthaler. Die Raupen haben Brennhaare, bei deren Kontakt es zu Reizungen der Haut und der Schleimhäute der Atemwege und Augen kommt.

Blick in die Zukunft

Wie „stark“ dieser Insektensommer auch wird: Vor der Verbreitung von weiteren gefährlichen exotischen Quälgeistern müssen wir uns zumindest in naher Zukunft nicht fürchten. Aspöck: „Voraussichtlich wird die Klimaerwärmung sich insbesondere in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts so stark bemerkbar machen, dass das auch gravierende Auswirkungen auf die Zusammensetzung der Fauna und auf die Ausbreitung von Infektionskrankheiten haben wird.“    

Stand 07/2010

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