Arbeitslos – und jetzt?

Oktober 2017 | Leben & Arbeiten

Das hilft Menschen ohne Job durch die Krisenzeit
 
Es ist der Albtraum eines jeden Berufstätigen: Die Arbeitsstelle wird gekündigt, plötzlich ist man ohne Job! Das hat nicht nur wirtschaftliche, sondern auch gesundheitliche Folgen: Studien belegen, dass Arbeitslose deutlich öfter als Berufstätige krank sind. Besonders oft kommt es zu psychosomatischen und psychischen Beschwerden – von Rückenschmerz bis Depression.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Florian S. hat es eiskalt erwischt: Dem 40-jährigen Betriebswirt aus Kärnten wurde überraschend gekündigt, seit wenigen Wochen ist er ohne Job. Nachdem ihn der Schock anfänglich lähmte, ist er jetzt intensiv auf Arbeitssuche. „Am schlimmsten ist, dass jeder Tag wie der andere ist“, klagt der Single-Mann. Wenn kein Bewerbungsgespräch oder Termin beim AMS ansteht, gebe es eigentlich keinen Grund, das Bett zu verlassen. Eigentlich. „Ich versuche mir dennoch für jeden Tag etwas vorzunehmen“, erklärt er. Montags und mittwochs geht er laufen, am Donnerstag – trotz anfänglicher Widerstände – zum Kicken mit den ehemaligen Arbeitskollegen. Zuerst fühlte er sich ausgeschlossen, wenn die anderen über die Arbeit redeten oder den Chef  lästerten. Dann entschied er, seine Arbeitssuche zu seinem Projekt zu machen, das genauso wichtig und spannend ist wie die Arbeit der anderen. Seit Kurzem lässt er sich zudem von einem Coach unterstützen.
Florian S. macht sehr vieles richtig, betont Dr. Artur Wechselberger, Arbeitsmediziner und Präsident der Ärztekammer für Tirol. Indem der Kärntner seine Zeit strukturiert, verschafft er sich zumindest für den Tag Perspektiven. „Der Verlust von Perspektiven ist neben wirtschaftlichen und sozialen Problemen die größte Herausforderung bei Arbeitslosigkeit“, betont Wechselberger. Mit den Perspektiven geht früher oder später das Gefühl der Sinnhaftigkeit verloren – man hängt quasi in der Luft. Aus diesem Grund sollte es laut Arbeitsmediziner oberstes Ziel sein, „möglichst rasch wieder in den Arbeitsprozess zu kommen, weil das Perspektiven eröffnet.“

Ohne Struktur und Sinn

Jede Menge Freizeit ist vielleicht ein Tagtraum, dem Berufstätige – kurzfristig – nachhängen. Für Arbeitslose wird die viele freie Zeit rasch zum Albtraum: Eine endlose Reihe unstrukturierter Tage, in denen man keine Aufgaben, aber viel Zeit zum Grübeln hat. Untätig sein zu müssen, ist nicht dasselbe wie Freizeit zu haben. Während Menschen mit Job ihre wohlverdiente Auszeit genießen, am Wochenende oder im Urlaub, versagen sich arbeitslose Menschen diese oft. Manche haben den Eindruck, Erholung gar nicht zu verdienen. In unserer Leistungsgesellschaft wird der Jobverlust oft mit Versagen gleichgesetzt. Das Gefühl, wertvoll zu sein, ist mehr denn je mit beruflichem Erfolg verknüpft.
Arbeitslosigkeit wird umso bedrohlicher erlebt, je zentraler die Rolle der Arbeit im Leben des Betroffenen ist. Man fragt sich: Was bin ich überhaupt ohne Arbeit? Den Job zu verlieren, ist – für Männer tendenziell mehr als für Frauen – eine narzisstische Kränkung, die am Selbstwert nagt.

Einsamkeit und Existenzängste

Die Kränkung führt dazu, dass viele sich zunehmend zurückziehen und isolieren. Die sozialen Kontakte, die durch das Berufsleben zustande gekommen sind, gehen ebenfalls verloren. „Damit verliert man zusätzlich Informations- und Inspirationsquellen“, ergänzt der Mediziner. Hinzu kommen massive Existenzängste. Tatsächlich ist bei längerer Arbeitslosigkeit jeder Zweite armutsgefährdet: Das durchschnittliche monatliche Arbeitslosen- bzw. Notstandsgeld von 890 Euro bzw. 720 Euro liegt deutlich unter der Armutsgefährdungsschwelle von rund 1.100 Euro.
Dennoch starten viele die Arbeitssuche wie Florian S. engagiert, ja enthusiastisch. Häufen sich mit den Wochen jedoch die Absagen, kann dies dramatisch am Selbstwertgefühl nagen, das Gefühl des Kontrollverlusts stärken und Zukunftsängste schüren – ein Teufelskreis.  

Ältere auf dem Abstellgleis
Alter, eine niedrige Ausbildung und gesundheitliche Probleme zählen zu den häufigsten Gründen für Arbeitslosigkeit: Im Juni 2015 hatte knapp die Hälfte der Arbeitslosen maximal einen Pflichtschulabschluss, jeder Fünfte hatte gesundheitliche Einschränkungen und jeder Vierte war älter als 45 Jahre.
Gerade älteren Arbeitnehmern wünscht Wechselberger, auch die Chance in der Bedrohung zu sehen. „Es gibt Arbeitsplätze, die gerade für ältere Menschen mit ihren besonderen Qualitäten ideal sind“, betont er. Fragen Sie sich: Wo liegen Kompetenzen, die vielleicht bisher brachlagen? Muss ich unbedingt das, was ich 20 Jahre gemacht habe, auch die nächsten 20 Jahre machen? Fassen Sie Mut und orientieren Sie sich neu!
Jugendliche mit nicht mehr als einem Pflichtschulabschluss sind ebenfalls stark betroffen. Von 100 Personen mit maximal einem Pflichtschulabschluss sind in Wien derzeit 40 arbeitslos. Von 100 Personen mit Lehrabschluss sind lediglich zwischen zwölf und 13 Personen ohne Job. Diese haben zudem das Erfolgserlebnis einer abgeschlossenen Lehre und finden in der Regel schnell wieder Arbeit.

Vom Krankenbett zum AMS

Keine guten Karten auf dem Arbeitsmarkt haben außerdem Menschen, die oft und lange krank sind. Sie sind besonders gefährdet, gekündigt und arbeitslos zu werden. Dabei ist die Ursache für den Krankenstand oft die Arbeit selbst: Die Berufswelt wird immer schneller, fordernder, härter. Viele fühlen sich derart unter Druck, dass sie irgendwann ins Burn-out schlittern, depressiv werden oder körperlich erkranken. Gerade ihnen fällt es später besonders schwer, sich in den Arbeitsprozess zu integrieren.
Der Arbeitsmediziner empfiehlt, im Krankenstand Kontakt mit dem Arbeitgeber zu halten und ihn bezüglich der Genesung auf dem Laufenden zu halten – auch Chefs brauchen Perspektiven. „Man könnte mit dem Vorgesetzten Optionen besprechen, falls man die Tätigkeit nach dem Krankenstand nicht mehr ausüben kann“, erklärt Wechselberger. Etwa, wenn man nicht mehr auf den Kran oder das Dach steigen kann: Gibt es Alternativen im Betrieb? Und welche?
Um nach längerer Krankheit möglichst rasch wieder in den Arbeitsprozess zu finden, gibt es seit erstem Juli diesen Jahres die Möglichkeit einer Teilzeitbeschäftigung nach langer Krankheit. Das heißt, man kann wieder arbeiten, auch wenn man noch nicht voll leistungsfähig ist. „Damit wurde eine jahrelange Forderung der Ärzte zum Teil erfüllt“, freut sich Wechselberger. Die rasche Rückkehr in den Job ist Experten zufolge enorm wichtig: Man schätzt, dass die erfolgreiche Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess nach sechs Monaten Krankenstand bei 50 Prozent liegt, nach einem Jahr nur mehr bei 20 Prozent. Mit der schrittweisen Wiedereingliederung kann zudem einer Kündigung „vorgebeugt“ und der Genesungsprozess unterstützt werden.

Krank durch Nichtstun

Fällt der Job hingegen weg, löst dies Stress und Sinnkrisen und – nach einiger Zeit – unterschiedliche Beschwerden aus. Die Betroffenen sind zunehmend verunsichert, verzagt, resigniert, verstimmt. Sie werden reizbar, ja sogar aggressiv und feindselig. Hinzu kommen Konzentrationsstörungen, Entscheidungsunfähigkeit und Grübeln. „Die depressive Verstimmtheit führt oft zu körperlichen Beschwerden, speziell im Bewegungsapparat“, ergänzt Wechselberger. Die Betroffenen leiden unter Verspannungen, Rücken- und Kopfschmerzen. Vielen machen psychosomatische Beschwerden zu schaffen: Herz-Kreislauf-Probleme, Atembeschwerden, Magenschmerzen, Schlafstörungen, Bluthochdruck. Die An­fälligkeit für Infekte steigt, weil das Immunsystem durch die Belastung eingeschränkt ist. Nicht zuletzt steigt das Risiko für psychische Störungen. Am besten beugt man Beschwerden mit folgenden Maßnahmen vor:

Schaffen Sie sich Struktur!

Gerade, wenn keine Tagesstruktur vorgegeben ist, sollte man sich eine schaffen und möglichst im Rhythmus der (Arbeits-)Woche leben. Halten Sie sich die Wochenenden frei und gönnen Sie sich regelmäßige Auszeiten von der ­Arbeitssuche – auch Sie verdienen einen Urlaub! Isolieren Sie sich nicht, sondern treffen Sie sich weiterhin mit Freunden und Bekannten. Bleiben bzw. werden Sie sportlich aktiv – am besten an der frischen Luft.  
Finden Sie Ressourcen, die Ihnen Kraft geben: Sport, Hobbys, Familie, Freunde, Spiritualität können durch die schwierige Zeit helfen. „Es ist ganz wichtig, dass man nicht ins Nichts beziehungsweise ins Nichtstun fällt“, betont Wechselberger.
Fragen Sie sich: Gibt es Aufgaben, die ich schon immer erledigen wollte, für die aber nie Zeit war? Die Wohnung ­renovieren? Eine neue Sportart ausprobieren? Mehr Zeit mit den Kindern verbringen? Werden die Aufgaben, die jetzt warten, als sinnvoll erlebt, leidet man weniger unter der Situation.  

Planen Sie Ihre Zukunft!
Beschäftigen Sie sich außerdem bewusst mit Ihrer beruflichen Zukunft! Fragen Sie sich: Wie komme ich wieder  in den Arbeitsprozess? Wie kann ich mich besser qualifizieren? Vielleicht können Sie sich wie Florian S. ein Coaching gönnen? „Wer sich mit seiner Zukunft auf konstruktive Weise beschäftigt, ist optimistischer“, ist Wechselberger überzeugt. Auch verhindert die Beschäftigung, dass man sich von Institutionen abhängig oder hängen gelassen fühlt. Die Auskünfte und Vorschläge des Arbeitsamtes und die Weiterbildungsangebote sind oft sehr frustrierend, weil sie nicht den eigenen Vorstellungen entsprechen. Umso wichtiger, die Eigenverantwortlichkeit und Selbstwirksamkeit zu stärken.

Starten Sie neu durch!

Das Leben hat eine glückliche Wendung genommen und Sie haben wieder Arbeit gefunden? Um den Wiedereinstieg optimal vorzubereiten, sollte man sich vorab überlegen: Welche neuen Aufgaben kommen auf mich zu? Habe ich Defizite? Kann ich diese noch ausbessern? Am Arbeitsplatz darf man ruhig offen sein und zeigen, dass man sich auf die Arbeit freut. Auch könnte man die Neo-Kollegen um Tipps punkto Firmenkultur ersuchen – wenn man sich an interne No-Gos hält, eckt man weniger an. Ein gelungener Start motiviert: Man arbeitet besser und erfolgreicher – eine positive Spirale kommt in Gang.

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Herzinfarkt, Depression, Suizid:
Arbeitslosigkeit macht krank

Arbeitslose Menschen erkranken öfter als Menschen mit Job. Vielen geht der Jobverlust  buchstäblich zu Herzen: Eine US-amerikanische Studie, in der man zehn Jahre lang einige Tausend Über-50-Jährige untersuchte, ergab, dass sich in Folge von Arbeitslosigkeit das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall verdoppelt.
Weiters führt Arbeitslosigkeit zu psychischen Problemen: zu geringem Selbstwertgefühl, Angststörungen und Depressionen. Das zeigt eine umfangreiche Metaanalyse zweier Forscher der Universität Erlangen­Nürnberg, die 323 Studien mit 450 000 Teilnehmern auswerteten. Jugendliche (im Vergleich zu Erwachsenen), Langzeitarbeitslose (im Vergleich zu Kurzzeitarbeitslosen), Männer (im Vergleich zu Frauen) und Arbeiter (im Vergleich zu Angestellten) sind besonders stark betroffen.
Das Risiko für eine Depression ist bei Arbeitslosen doppelt so hoch wie bei Menschen mit Job. Auch jeder fünfte Suizid steht in Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit: Das ist das Ergebnis einer Untersuchung von Experten der Universitätsklinik Zürich, die Daten aus 63 Ländern, darunter auch aus Österreich, aus den Jahren 2000 bis 2011 untersuchten.

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Kommen Sie gut durch die Krise!
Das hilft kurz- und langfristig:

  • Verlieren Sie nicht den Glauben an sich selbst!
  • Bleiben Sie beharrlich und werden Sie aktiv!
  • Ziehen Sie sich nicht zurück, pflegen Sie Ihre Freundschaften!
  • Vermeiden Sie „Selbstbehandlung“ durch Schmerz- und Schlafmittel oder Alkohol!
  • Werden Sie körperlich aktiv, am besten in frischer Luft!
  • Überlegen Sie sich konkret, was Sie sich für den zukünftigen Arbeitsplatz wünschen!

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Britische Studie:
Besser kein als ein schlechter Job?

Ein schlechter Job ist für die Gesundheit nicht immer besser als kein Job: Das ist das Ergebnis einer aktuellen britischen Studie. Die Forscher der University of Manchester untersuchten verschiedene Werte wie Blutfette, Blutdruck, Cholesterin von Briten, die während der Finanzkrise 2009 arbeitslos wurden.
2010 und 2012 wurden sie noch einmal untersucht. Das Ergebnis: Jene, die mittlerweile einen gut bezahlten, relativ sicheren Arbeitsplatz hatten, hatten bessere Blutwerte als die immer noch Arbeitslosen. Wer hingegen einen schlecht bezahlten oder unsicheren Job gefunden hatte, hatte sogar deutlich schlechtere Blutwerte als jene ohne Job.

Buchtipp:

Wechselberger, Koth, John-Reiter, Schunder-Tatzber
Gesund länger arbeiten.
Die Bedeutung der Arbeitsmedizin für die Erhaltung von Gesundheit und Leistungsfähigkeit

ISBN 978-3-99052-127-4
112 Seiten, € 19,90
Verlagshaus der Ärzte

Stand 10/2017

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