Bandscheiben: Stoßdämpfer mit besonderer Wirkung

Mai 2019 | Fitness & Entspannung

Haben die Bandscheiben Schaden genommen, drohen abseits des Rückens Probleme von der Blase bis zum Darm.
 
– Von Wolfgang Kreuziger

Es ist das leidige Kreuz mit dem Kreuz: Der Rücken lahmt, das Zipperlein hat uns eisern im Griff, Hexenschuss und Muskelverspannungen zwingen uns zur Bettruhe. Jeder zweite Österreicher klagt fallweise über Rückenschmerzen, laut einer Grazer Studie hat sich die Zahl der Betroffenen in den vergangenen 50 Jahren mehr als verdoppelt und gemäß den Statistiken der Versicherungsanstalten sind Wirbelsäulenerkrankungen heute die weitaus häufigste Ursache für Frühpensionierungen und Massenauslöser von Krankenständen.

Krisenschauplatz Bandscheiben

Besonders dramatisch wird’s dann, wenn die Bandscheiben betroffen sind, denn sie sind quasi das Epizentrum unserer Rückengesundheit und haben ihren heikelsten Krisenschauplatz an der Lendenwirbelsäule. „Fast 85 Prozent aller Bandscheibenprobleme findet man im tiefen Rücken, nur 15 Prozent an der Halswirbelsäule“, erklärt Dr. Ronald J. Sabitzer, Neurochirurg, Orthopäde und Oberarzt im orthopädischen Zentrum des Otto-Wagner-Spitals in Wien. Er erklärt auch, was bei einem Bandscheibenvorfall hilft und warum nicht gleich operiert wird.

Spannung wie im Hochdruckreiniger

Geradezu ein Wunder, dass vorm ersten „Kracher“ im Rücken 1000 Mal nix passiert ist – trotz Bierkistenheben aus dem Kreuz und jahrlangem Bürositzen. Zum Glück hat Mutter Natur das menschliche „Fahrwerk“ mit 23 extrem stabilen Stoßdämpfern entlang der Wirbelsäule ausgelegt, um Stöße abzufedern, starke Drehungen zu verhindern und Verletzungen zu vermeiden. „Unsere Bandscheiben sind effektive Zug- und Druckpuffer“, erklärt Sabitzer. „Sie bestehen im Wesentlichen aus einem Kern mit gallertartiger Flüssigkeit und einem ihn umgebenden Faserring, der sich wieder in einen inneren und äußeren reifenartigen Teil aufgliedert.“ Im Inneren dieser aus fester Collagenfaser bestehenden kleinen „Polster“ baut sich unter Extrembelastung ein Druck von bis zu 230 Bar auf, das sind bereits die Werte eines Hochdruckreinigers. Kein Wunder, dass hier falsche Haltung und Fehlbelastungen nicht ohne Folgen bleiben, denn ein mit Rundrücken gehobener 50-Kilo-Sandsack erzeugt einen Druck auf die Bandscheiben, der 700 Kilo Gewicht gleichkommt. „Solche Belastungsspitzen verursachen zunächst kleine, dann größere Verletzungen“, so Sabitzer. Vernarben diese, wird die Bandscheibe härter und büßt an Elastizität ein, mit zunehmendem Alter trocknet sie vermehrt aus.

Ein folgenschwerer Vorfall

Kleine Ursache, große Wirkung: Die anfangs noch harmlosen Mikrorisse bringen uns irgendwann in die Bredouille, denn der vorgeschädigte Puffer wird immer störanfälliger. „Zu dünne Bandscheiben erhöhen den Druck auf die Wirbelkörper, woraus eine knöcherne, schmerzhafte Verengung der seitlichen Nervenaustrittskanäle, die Wirbelkanalstenose, ebenso resultieren kann, wie ein Wirbelgleiten, wobei sich die Wirbelkörper gegeneinander verschieben“, verrät Sabitzer. Auch kann eine zumeist noch unbedenkliche Bandscheibenprotrusion (eine Vorwölbung mit keinem oder nur teilweisem Riss des Faserrings) die Folge sein, bevor die schlimmste aller Auswirkungen droht, der Bandscheibenvorfall. „Dabei kommt es im Zuge eines großflächigen oder kompletten Risses im Faserring zum Austreten von Bandscheibengewebe in den Wirbelkanal, wo es die dort verlaufenden Nerven reizt und quetscht“, beschreibt der Experte. Selbst dies muss nicht immer ein Drama sein, viele Menschen erleiden etliche solcher Verletzungen, ohne sie zu bemerken. Doch vor allem ausgeprägte Bandscheibenvorfälle stürzen die Betroffenen mitunter in eine Abfolge von Schmerzsymptomen, oft können sie vor Rückenschmerzen kaum mehr stehen und gehen. Zu allem Übel sind häufig auch weit entfernte Regionen am Ende des tangierten Nervs betroffen.

Kreuz und quer verkabelt

Kaum zu glauben: Kriselt es im Rücken bei der Bandscheibe des untersten Lendenwirbels, genannt „L5“, versagt als Folge häufig die Fußmuskulatur, speziell der Fußhebermuskel, und wir stolpern. Schwächelt die Bandscheibe zwei „Etagen“ höher, werden die Knie kraftlos. „Jede Bandscheibe hängt mit andereren speziellen Körper- und auch Hautregionen zusammen, die durch den Nerv in Mitleidenschaft gezogen werden“, so Sabitzer über diese Kollateralschäden. „Die resultierenden Folgebeschwerden sind vielfältig und reichen von Kopfschmerzen, in Arme und Beine ausstrahlende Schmerzen, Taubheit und Lähmungserscheinungen in den Extremitäten, ja sogar bis Blasenschwäche und Darmproblemen.“ Ein Bandscheibenvorfall ist auf dem Röntgenbild nicht eindeutig erkennbar, dazu bedarf es einer Magnetresonanztomografie. Eines verblüfft Ronald Sabitzer immer wieder: „Es gibt kaum einen Zusammenhang zwischen einem dort sichtbar gewordenen Bandscheibenvorfall und den Folgebeschwerden. Manche Menschen spüren die kleinste Vorwölbung, andere wieder haben selbst bei massiven Vorfällen keine Schmerzen.“

Operationen immer seltener sinnvoll

Physiotherapeut Markus Schwarz ist seit Jahren Spezialist für Bandscheibenprobleme. „Im Akutfall ist zumeist Kälte gut, langfristig hingegen Wärme“, kennt der Experte aus dem Wiener Otto-Wagner-Spital die Erstmaßnahmen. Seiner Erfahrung nach bringt Liegen mit angewinkelten Beinen Linderung, Sitzen belastet mehr als Stehen. „Schmerzmittel sind anfangs oft unumgänglich, viel Wasser zu trinken ratsam“, versichert Schwarz. Nach ein bis zwei Tagen Bettruhe sollte bald wieder leichtes Spazierengehen oder Gymnastik angestrebt werden, denn nur Bewegung regt die Bandscheibe zur Regeneration an.
„Danach können konservative Behandlungsformen wie Infrarot-Licht, Elektrotherapie, Ultraschall oder manuelle Therapien eine gute Wirkung erzielen.“ Immer seltener hingegen, etwa 8000-mal pro Jahr, landen Bandscheibenvorfälle im OP, Tendenz sinkend. „Studien haben gezeigt, dass Patienten mit und ohne Operation nach zwei Jahren gesundheitlich auf demselben Stand sind“, kennt Sabitzer die Gründe, denn unser Körper kann die vorgefallenen Bandscheibenteile selbst auflösen, vorausgesetzt wir geben ihm Zeit. Operiert wird also nur noch, wenn konservativ nicht beherrschbare Schmerzen oder neurologische Ausfallserscheinungen wie Lähmungen oder im schlimmsten Fall Inkontinenz eine dringende Abhilfe nötig machen.

Prothesen als extreme Möglichkeit 

Demgegenüber im Aufwind sind allerdings mit 6000 Fällen pro Jahr und steigenden Operationszahlen die Stabilisierung betroffener Wirbel oder das Einsetzen beweglicher Bandscheibenprothesen aus Metall. „Bei diesen Maßnahmen wurde leider der Stein der Weisen noch nicht entdeckt, oft verschiebt sich danach die Problematik auf ein benachbartes Wirbelsegment“, rät Sabitzer zur Vorsicht. Einig sind sich die Experten freilich darin, dass vielen Bandscheibenproblemen schon in der Entstehung vorgebeugt werden könnte. „Alleine die richtige ergonomische Haltung im Alltag würde das Schlimmste verhindern“, nennt Physiotherapeut Markus Schwarz das korrekte Heben oder Sitzen als Schlüssel zur Rückengesundheit. Dazu gehört für ihn auch ein gut eingestellter Arbeitsplatz mit rechten Winkeln von Rücken, Ober- und Unterschenkel zueinander oder etwa ein beim Blick auf den Bildschirm nur leicht gesenkter Kopf. „Dazu kann jeder Mensch selbst beitragen und sich in speziellen Haltungskursen im Detail darüber informieren, wie’s geht“, so Schwarz.


Schnell wieder fit durch Bewegung

Physiotherapeutische Übungen gegen Bandscheibenleiden

Alle Übungen zwei Mal mit je 15 Wiederholungen machen.

Sind die Bandscheiben erst einmal so richtig beleidigt, dann hilft Bewegung in beinahe jeder Phase der Erkrankung. „Angepasst daran wie akut das Problem ist, gibt es verschiedene Übungen, den ärgsten Schmerz zu lindern, Verkrampfungen zu lösen und die Muskulatur rund um die Bandscheibe wieder zu stärken“, weiß Physiotherapeut Markus Schwarz. „Das dazu erforderliche Übungsprogramm muss individuell je nach Situation des Patienten von einem Physiotherapeuten zusammengestellt werden.“

1. Akute Erkrankung, großer Schmerz

„In der Anfangsphase gravierender Bandscheibenprobleme geht es vor allem darum, die Schmerzen zu lindern und die verhärtete Muskulatur zu lockern“, verrät Schwarz und beschreibt als Beispiel eine klassische Entspannungsübung. Man startet dabei in Rückenlage und angewinkelten Knien auf einer weichen Matte, die Hände ruhen auf dem Bauch.
Nun werden beide Beine in dieselbe Richtung geneigt, bis das Becken auf der Gegenseite abhebt, dann die Beine zurückgeführt. Die Übung spiegelverkehrt durchführen.  

2. Abklingende Erkrankung, leichter Schmerz

„Ist der Schmerz schon etwas zurückgegangen, können bereits die ersten leichten Kräftigungsübungen gemacht werden, auch Koordinationstraining auf einer wackeligen Unterlage ist nun zu empfehlen“, so Schwarz. „Vom Schmerzfaktor her darf ein leichtes ,Zwacken’ verspürt, aber niemals in den tiefen Schmerz ,hineintrainiert’ werden.“
Eine typische Übung für diese Phase ist der „Vierfüßler“. In der Ausgangsstellung werden Knie und Hände wie in „Hundehaltung“ gebracht. Kopf, Brustkorb und Becken verlaufen in einer geraden Linie. Nun heben gleichzeitig  das rechte Bein und der linke Arm vom Boden ab und werden ausgestreckt, Bauch und gerader Rücken bleiben angespannt. Danach die Übung gegengleich jeweils so oft durchführen, wie die Wirbelsäule stabil gehalten werden kann. 

3. Abgeklungene Erkrankung, schmerzfrei     

„In dieser Phase kann die tiefe Muskulatur rund um die Bandscheiben gezielt aufgebaut und das Dehnen verkürzter Muskeln in Angriff genommen werden, um künftige Probleme zu verhindern“, erklärt Schwarz.
Zur Gruppe der Kräftigungsübungen gehört der „Deadlift“. Anfangs hängen die Hände dabei locker herab und halten das Gewicht – eine Hantel oder gefüllte Wasserflasche – an der Vorderseite der Oberschenkel. Die Hände zeigen dabei in Richtung Füße, die Knie sind leicht gebeugt und die Füße hüftbreit plaziert. Nun neigt sich der Oberkörper mit geradem Rücken nach vorne, das Becken wandert rückwärts, die Arme hängen locker herab, die Knie beugen sich. Passiert das Gewicht die Knie, geht es langsam wieder aufwärts.  

 

Stand 05/2019

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