Schluckstörungen: Was hilft?

Juni 2009 | Medizin & Trends

Zwischen 600 und 2000 Mal am Tag schlucken wir. Das wird einem erst bewusst, wenn der Vorgang Probleme macht – sei es, weil das Schlucken wehtut, man keine Nahrung mehr hinunterbringt oder beim Essen ständig husten muss.
Lesen Sie in MEDIZIN populär, welche Ursachen hinter einer Schluckstörung stecken können und wie man sie behandelt.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Wenn sich Johanna M. zum Abendessen setzt, dann nicht in Vorfreude auf ein leckeres Mahl, sondern in der Angst, ob und wie viel sie diesmal hinunterbekommt. Die 78-Jährige leidet an einer Schluckstörung (=Dysphagie). Das Essen bereitet ihr zunehmend Probleme, an manchen Tagen kann die Seniorin nur mehr breiige Kost zu sich nehmen. Mit dem Problem ist Johanna M. nicht allein, gerade bei Senioren sind Schluckstörungen keine Seltenheit: Rund 45 Prozent aller über 75-Jährigen haben ein Schluckproblem.

Probleme beim Transport

Von einer Schluckstörung spricht man, wenn der Schluckakt – aus welchem Grund auch immer – gestört ist. „Sie kann sich prinzipiell in zwei Formen äußern“, berichtet Univ. Prof. Dr. Gerhard Friedrich, Vorstand der HNO-Universitätsklinik Graz und Leiter der klinischen Abteilung für Phoniatrie. „In dem einen Fall ist der Nahrungstransport, wie bei Frau M., behindert. Die Patienten bekommen dann entweder gar nichts mehr hinunter oder das Schlucken geht nur erschwert, sodass sie keine feste, sondern nur mehr breiige oder flüssige Nahrung schlucken können. Die Folge sind Unterernährung und Gewichtsverlust“, erläutert der Facharzt. „Manche haben auch Schmerzen beim Schlucken, man nennt das Odynophagie.“

Nahrung in der Lunge

Bei der zweiten Form der Schluckstörung tritt Speichel oder Nahrung in die Lunge ein (=Aspiration). Der Grund? „Weil die Verschlussfunktion des Kehlkopfes nicht in Ordnung ist, dringt Nahrung in den Kehlkopf, in die Luftröhre und in die Lunge“, erklärt Friedrich. „Die Patienten merken das üblicherweise daran, dass sie bei der Nahrungsaufnahme husten.“

Noch problematischer ist eine „stille Aspiration“, bei der die Patienten keine Symptome wie Husten oder Räuspern zeigen. Friedrich: „Ist die Sensibilität im Kehlkopf herabgesetzt, was bei vielen Patienten der Fall ist, dann wird still aspiriert – und niemand bemerkt etwas. Die Betroffenen schlucken ständig eine gewisse Menge Nahrung in die Lunge und bekommen eine so genannte Aspirationspneumonie, also eine Lungenentzündung, und chronische Lungenveränderungen.“ Besonders bei alten Menschen ist das Problem weit verbreitet. „Man weiß, dass die stille Aspiration und in Folge die Aspirationspneumonie in Pflege- und Altersheimen eine sehr häufige Todesursache darstellt.“

Vielzahl möglicher Ursachen

Die möglichen Ursachen für eine Schluckstörung sind vielfältig. „Am häufigsten sind es organische Störungen, etwa Veränderungen im Bereich des Rachens, der Speiseröhre, der Mundhöhle, der Zunge, zum Beispiel nach einer Tumoroperation oder nach Bestrahlungen“, zählt Friedrich auf. Auch Verengungen (=Stenosen) etwa des Rachens z. B. nach einer Verätzung, einer Operation oder Bestrahlung können eine Schluckstörung hervorrufen.
„Die zweite große Gruppe sind die neurogenen Schluckstörungen, z. B. Rachen- oder Kehlkopflähmungen nach einem Schlaganfall“, erklärt Friedrich.

Im weitesten Sinn zu den neurogenen Schluckstörungen zählt auch die häufig auftretende Schluckstörung im Alter, die Presbyphagie, deren Ursache in einer gestörten Koordination liegt. „Wenn die neuromuskuläre Kontrolle im Alter nicht mehr so exakt ist, dann kommt es zur Schluckstörung“, so der Mediziner.
Schluckstörungen können weiters Frühsymptome von Rachen-, Speiseröhren- oder Kehlkopftumoren sein. Ein anderer möglicher Verursacher ist der Reflux, der Rückfluss von Magensäure in die Speiseröhre, der sich mitunter in Form von Sodbrennen äußert. „Wenn der Mageneingang nicht gut abgeschlossen ist und Mageninhalt hochkommt, kann das zu Schleimhautverätzungen, aber auch zu Krämpfen des oberen Speiseröhrenmuskels und in der Folge zu einer Schluckstörung führen“, erklärt Friedrich. Nicht zuletzt können psychische Ursachen eine Schluckstörung auslösen.

Diagnose per Video

Zur Diagnose gelangt man – nach eingehender Patientenbefragung und gründlicher HNO-ärztlicher Untersuchung mit Hilfe zweier spezieller Untersuchungsmethoden: „Bei der Video-Schluckaktuntersuchung, der Videokinematographie, lässt man die Patienten unter einer Röntgenvideokamera Kontrastmittel in verschiedenen Konsistenzen – flüssig, breiig, fest – schlucken“, berichtet Gerhard Friedrich.

„Die Videoaufzeichnung, die man in Zeitlupe genau studiert, ermöglicht eine exakte Aussage über den Schluckaktvorgang, der ja in Sekundenbruchteilen abläuft.“ Auf den Bildern lässt sich etwa eine Aspiration erkennen, man kann sehen, ob die Schluckstörung zu Beginn des Schluckvorgangs, währenddessen oder danach auftritt. Ergänzt wird das Schluckaktröntgen durch die videoendoskopische Schluckdiagnostik, die der HNO-Arzt/Phoniater (die Phoniatrie ist ein Zusatzfach der HNO-Heilkunde, die sich mit Störungen der Stimme, des Sprechens und Schluckens beschäftigt) durchführt. Dabei wird mit Hilfe einer durch die Nase eingeführten, flexiblen, dünnen Optik der Schluckvorgang mit verschieden eingefärbten Konsistenzen auf Video aufgezeichnet und analysiert.

Die Schlucktherapie

Den Ursachen entsprechend gibt es unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten. „Die therapeutischen Möglichkeiten erstrecken sich von der chirurgischen Wiederherstellung des Schluckweges über medikamentöse Beeinflussung der Bewegungen und Druckverhältnisse in Rachen- und Speiseröhre bis hin zum funktionellen Schlucktraining“, zählt Friedrich auf. Verengungen etwa lassen sich chirurgisch beheben, z. B. indem man sie aufdehnt, auch die Aspiration neurologischer Patienten kann operativ verbessert werden. „Die Funktionsfähigkeit des Kehlkopfverschlusses lässt sich verbessern, indem man den Kehlkopf anhebt“, erklärt der Mediziner. Der primäre Ansatz bei neurogenen Störungen ist allerdings eine funktionelle Schlucktherapie. Ist die Schluckstörung psychogen bedingt, wird eine psychotherapeutische mit einer logopädischen Behandlung kombiniert. In einigen Fällen müssen die Patienten vorübergehend über eine Magensonde ernährt werden.

Vom Mund in den Magen: Was geschieht beim Schlucken?

Der Schluckakt ist einer der kompliziertesten neuromuskulären Vorgänge überhaupt – rund 100 Muskelgruppen werden dabei koordiniert. Beim Schlucken werden – bei zeitgleicher Sicherung der Atemwege – Speichel oder Nahrung aus der Mundhöhle über die Schlundmuskulatur in die Speiseröhre transportiert. Von der Speiseröhre (=Ösophagus), einem 25 Zentimeter langen, elastischen Muskelschlauch, wird die Nahrung durch Kontraktion ihrer Muskulatur in den Magen gebracht. Die Speiseröhre ist durchschnittlich zwei Zentimeter weit, kann sich aber auf bis zu 3,5 Zentimeter ausdehnen.

„Knödel im Hals“: Auch das eine Schluckstörung?

Er spürt sich zwar so an – bei einem Knödel im Hals, dem Globusgefühl, handelt es sich dennoch um keine Schluckstörung, wie der HNO-Facharzt Univ. Prof. Dr. Gerhard Friedrich betont. „Ein Globusgefühl bedeutet ein Fremdkörpergefühl im Hals zu haben ohne begleitende Schluckstörung“, erklärt er. „Es tritt vor allem beim Leerschlucken auf, man hat das Gefühl, etwas im Hals zu haben, einen Knödel, ein Verschleimungs- oder Trockenheitsgefühl. Die Nahrung geht jedoch problemlos hinunter, das Schlucken schmerzt nicht und es gibt keine Aspiration.“ Die möglichen Ursachen sind auch hier vielfältig. „Die Ursache kann ein Reflux sein, der nicht zu einer organischen Schluckstörung, sondern nur zu einer Reizung führt“, erklärt Friedrich. „Sie kann in der Halswirbelsäule oder der Schilddrüse liegen sowie in funktionellen Stimmstörungen, die zu Muskelverspannungen führen. Der Knödel im Hals kann weiters Frühsymptom eines Tumors sein oder psychogene Ursachen haben.“ Wie die Schluckstörung muss das Globusgefühl HNO-ärztlich abgeklärt werden.

 

Interdisziplinäre „Schluckgruppe“

Weil die möglichen Ursachen für eine Schluckstörung derart vielfältig sind – organisch, strukturell, neurogen, psychogen – hat es sich bewährt, diese interdisziplinär, also mit Experten aus verschiedenen Fachbereichen, zu betrachten und behandeln. Auch an der HNO-Universitätsklinik in Graz trifft sich eine interdisziplinäre „Schluckgruppe“, die sich aus zu HNO-Ärzten, Phoniatern, Neurologen, Psychologen und Psychotherapeuten, Logopäden, Diätassistenten, Gastroenterologen und Thoraxchirugen ausgebildeten Männern und Frauen zusammensetzt.

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