Tanzen als Therapie

Februar 2012 | Partnerschaft & Sexualität

Schwungvolle Kur für angeknackste Beziehungen
 
Paartherapeuten entdecken den Tanz als Mittel gegen Krisen in der Partnerschaft. Vor allem der feurige Tango kann helfen, die Liebe neu zu entfachen. Aber auch bei Foxtrott und Walzer können Paare lernen, einander wieder näher zu kommen. MEDIZIN populär über eine schwungvolle Kur für angeknackste Beziehungen.
 
Von Bettina Benesch

Stellen Sie sich vor, Ihr Lebenspartner umarmt Sie. Wie fühlt sich das an? Nach Geborgenheit? Nach Einschränkung? Freiheit? Und was um Himmels Willen hat diese Umarmung mit Tango Argentino zu tun – oder gar mit Paartherapie? Wer das wissen möchte, der setzt sich z. B. auf die Couch von Renate Falkner. Die Psycho- und Sexualtherapeutin betreut Paare und Einzelpersonen – und nebenbei ist sie das, was man in Argentinien „Tanguera“ nennt: Sie ist Tangotänzerin.
Was also hat es mit der Umarmung auf sich? „Paare in der Krise stehen unter Spannung und drücken das auch durch ihre Körperhaltung aus“, erklärt Renate Falkner. Durch Elemente des Tangos lernen Menschen, sich besser wahrzunehmen; sie lernen, sich differenzierter zu spüren. Ein solches Tangoelement ist … richtig: die Umarmung. Auch das Führen gehört dazu. Und Führen ist eine diffizile Angelegenheit, weil es da­rum geht, dem anderen zu zeigen, welche Richtung eingeschlagen werden soll – und zwar mit einer Mikrobewegung. Tango ist mitunter auch einfach nur Gehen im Raum. In der Therapie mit Tangoelementen geht es natürlich auch um Körperlichkeit und Sexualität. „Ich nutze Tangoelemente als Ergänzung zur herkömmlichen Paartherapie und als diagnostisches Instrument, um zu sehen, wo das Paar gerade steht“, sagt Falkner.

Ohne Worte kommunizieren

Wollen beide z. B. gleichzeitig führen, dann haben sie ein Problem. „Natürlich kann jeder der Partner führen – sie müssen sich nur abwechseln. Und das muss man kommunizieren können“, erklärt die Therapeutin. Tango ist ein Weg hin zu dieser Kommunikation. Für Falkner geht es darum, alle Möglichkeiten zu entdecken, die dabei helfen, sich auszudrücken und wahrgenommen zu werden. Bei Bedarf auch ohne Worte.
Neben aller Kommunikation kann Tango noch etwas: Er löst Trancezustände aus. „Trance heißt auch: Ich bin ganz im Moment und bei mir“, erklärt Falkner. Wer sich in diesem Sinne mit seiner Wahrnehmung beschäftigt, öffnet die Tür zum inneren Ressourcenraum, in dem die eigenen Gefühle und Bedürfnisse sitzen, die darauf warten, (wieder) entdeckt zu werden. In der Mitte des Raums stehen Genuss und Hingabe. Sie sind das Ziel, sie sind notwendig für erfüllte Sexualität. Bei Männern kann beispielsweise eine Erektionsstörung ein Zeichen für beeinträchtigte Hingabefähigkeit sein, sagt die Therapeutin. „Sie sind oft zu leistungsorientiert.“ Es ist die Genussfähigkeit, die ihnen fehlt. „Tango kann zwar nicht ‚machen‘, dass die Beziehung wieder so ist, wie vor 20 Jahren. Er kann aber etwas wiederbeleben, das verloren gegangen ist zwischen dem Hausbau und dem Aufziehen der drei Kinder.“
Könnte das nicht auch mit Walzer oder Rock ’n’ Roll funktionieren? Nein, sagt Falkner: „Damit Tango zu etwas Schönem und Einzigartigem wird, braucht es zwei Menschen, die sich auf Nähe einlassen und auf das Unvorhergesehene. Ich weiß nie, was als Nächstes kommt, lasse mich von meinem Partner inspirieren. Es geht darum, etwas auszudrücken, was das Paar verbindet.“ Gesellschaftstänze würden dagegen von erlernten Schritten leben. „Das ist ein großer Unterschied.“

Mit Foxtrott zum Glück

Doch auch Gesellschaftstänze können Schwung in die Beziehung bringen, ist der Psychotherapeut Roland Bösel überzeugt. Gemeinsam mit seiner Frau Dr. Sabine Bösel bietet er u. a. das Seminar „Beziehungstanz“ an, in dem Jive, Foxtrott, Walzer und auch Tango die Schritte vorgeben. Zehn bis zwölf Paare treffen sich für einige Tage in einem Hotel, bearbeiten vormittags ihre Themen in der Paarpsychotherapie und gehen nachmittags zum Tanzkurs. Geführt wird der von einer professionellen Tanzlehrerin. Anders als bei Renate Falkner geht es hier ums Tanzenlernen, es gibt einen Kurs für Anfänger und einen für Fortgeschrittene. Voraussetzung für die Teilnahme am Seminar ist der Besuch eines Imago-Paarworkshops, den die Bösels extra anbieten.
„Der Tanz gibt uns die Themen zum Arbeiten“, sagt Roland Bösel. „Er lockt etwas heraus, das sonst vielleicht gar nicht herauszulocken wäre.“ Wenn das Paar beispielsweise beim Tanzen zu streiten anfängt, wird der wahre Grund des Streits in der Therapie bearbeitet. Die Art des Tanzes ist für die Bösels weniger wichtig als der Akt des Tanzens an sich: „Wir könnten auch Salsa tanzen. Wichtig ist die Auseinandersetzung im Tanz.“ Auf ihr baut die Paartherapie auf. Der Tanz an sich ist für Roland Bösel keine Psychotherapie. Aber: „Für uns ist das ganze Leben Therapie. Es ist toll, dass die Erfahrungen vom Tanzen auf die Psychotherapie und somit auf die Paartherapie wirken und umgekehrt.“

Da bewegt sich etwas

Das Konzept der Bösels passt offenbar auch für Männer, die allesamt landläufig als Tanzmuffel gelten: „Es ist ein Vorurteil, dass Männer nicht tanzen wollen. Wir haben uns nach langen Überlegungen 2010 getraut, ein solches Seminar anzubieten. Es war innerhalb einer Woche voll.“ Das Seminar für August 2012 ist schon jetzt fast zur Hälfte ausgebucht.
Was macht die „Tanztherapie“ so anziehend? Für Roland Bösel passen Bewegung und Therapie einfach gut zusammen: Die Bewegung tut vor allem nach dem Therapieblock am Vormittag gut, und wer sich Tanzformationen merken muss, der trainiert zusätzlich sein Gehirn. „Außerdem macht es Spaß“, sagt Bösel, der mit seiner Frau gerade selbst einen Goldstar-Tanzkurs besucht.
Am Ende des Seminars tanzen die Paare anders miteinander als zu Beginn. Sie haben sich entwickelt, sind sich emotional näher als zuvor. „Auch beim Thema Sexualität bewegt sich bei einigen Paaren etwas, weil sie innerhalb ihrer Beziehung eine viel tiefere Verbindung gefunden haben“, sagt Bösel. „Und Nähe ist die Voraussetzung für eine stimmige Sexualität, die sowohl mit dem Becken als auch mit dem Herzen gelebt wird.“

Tanzen, geniessen, sich hingeben

Auch Renate Falkner erzählt von Menschen, die mit Hilfe des Tangos wieder zu sich selbst finden – und damit auch zum Partner: Von dem Paar beispielsweise, das durch den Annäherungsübungen mit Tangoelementen zu einer genussvollen sexuellen Beziehung gefunden hat. Einst war der Mann beim Sex nur auf Leistung fixiert, sein Körper antwortete darauf u. a. mit Erektionsstörungen. Irgendwann verging seiner Frau die Lust, und einige Zeit später standen sie vor Falkners Tür. Die beiden nutzten den Tango für sich. Heute erlebt er, dass Sexualität nichts mit Leistung zu tun hat, sondern mit Genuss. Wenn er sich diesem Genuss hingibt, dann sind Erektionsstörungen heute kein Thema mehr. Und wenn er sich nicht gleich hingeben kann? Dann tanzen die beiden vielleicht erst einmal ein bisschen Tango…

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Kein Tangokurs in der Krise!

Für die Psychotherapeutin Renate Falkner ist ihre „Tangotherapie“ keinesfalls gleichzusetzen mit einem Tangokurs. Es geht nicht um Perfektion, nicht um Rhythmusgefühl oder schwierige Manöver, sondern um die Aufmerksamkeit füreinander. „Ein Paar in der Krise sollte keinen Tangokurs machen“, rät Falkner. Es wird die Probleme des Alltags mit in den Kurs nehmen: Sie wird vielleicht weiter nörgeln, er wird das Gefühl haben, ihr nichts recht machen zu können. Beide werden wieder enttäuscht sein. Sinnvoll ist es dagegen laut Falkner, Tangoelemente in einen Prozess einzubetten, der therapeutisch eng begleitet ist.
Auch die Umarmung ist in manchen Fällen kontraproduktiv. Beispielsweise dann, wenn das Paar innerhalb der Beziehung viele Verletzungen erlebt hat. „Ich frage die beiden dann: ‚Wie nahe könnt ihr einander kommen?‘ oder sage: ‚Schaut einander einmal nur in die Augen‘. Auch das ist ja oft schon schwierig“, sagt die Psychotherapeutin. Grundsätzlich müssten Therapeuten und Klienten mit allen therapeutischen Elementen umsichtig und gezielt umgehen.

Buchtipp:
Sabine und Roland Bösel, Leih mir dein Ohr und ich schenk dir mein Herz
Wege zu einer glücklichen Liebesbeziehung.
ISBN 978-3-7015-0529-6, 192 Seiten, € 19,90
Verlag Kremayr & Scheriau Orac, 2010

Stand 02/2012

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