XXL-Medizin für XXL-Patienten

Oktober 2007 | Medizin & Trends

Wenn sehr dicke Menschen zum Arzt gehen
 
Was im Straßenbild sichtbar ist, bestätigt der Blick in die Statistik: Hierzulande ist jeder zweite Mann, jede dritte Frau, jedes fünfte Kind zu dick, ein Viertel der Österreicher leidet sogar an Fettleibigkeit. Das hat auch Einfluss auf die Medizin, denn immer mehr Patientinnen und Patienten sind zu dick etwa für die MRT-Röhre, zu schwer etwa für den OP-Tisch. Jetzt rüsten auch in Österreich Ärztinnen und Ärzte auf – und schaffen für die XXL-Patienten XXL-Geräte an.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Wir sind nun in der Lage, auch Patientinnen und Patienten mit einem Körpergewicht bis zu 150 Kilogramm zu untersuchen“, freut sich Univ. Doz. Dr. Andreas Neuhold, Leiter des Instituts für bildgebende Diagnostik am Wiener Rudolfinerhaus darüber, dass für seine Abteilung ein neuer Magnetresonanztomograf angeschafft wurde. Anders als die üblichen Geräte besteht der spezielle Gerätetyp nicht aus einer engen Röhre, in die die Patienten für die Untersuchung hineingeschoben werden, sondern ist rundherum offen und bietet ausreichend Platz für viel Körperfülle. Sogar Bewegungen und Veränderungen der Position, wie sie bei Untersuchungen im Magnetresonanztomografen oft notwendig sind, um den Ärzten ein wirklich aussagekräftiges Bild vom Zustand von Kniegelenken, Knorpeln oder der Wirbelsäule zu bieten, können so auch von XXL-Patienten problemlos durchgeführt werden.
Zum Kauf des XXL-Modells entschloss sich das Privatspital Rudolfinerhaus nach einer Marktanalyse, bei der man rasch zu dem unanzweifelbaren Ergebnis kam, dass Bedarf besteht: „Inzwischen“, sagt Dr. Neuhold, „haben wir schon Kapazitätsprobleme, weil uns die Kollegen aus ganz Wien ihre dicken Patienten schicken.“

„Gewichtige“ Folgen
Ein Blick auf Österreichs Straßen und die Daten im ersten Österreichischen Adipositasbericht von 2006 machen deutlich, dass die internationale Fett-Welle längst auf unser Land übergeschwappt ist. Jeder zweite Mann hat zu viele Kilos auf den Rippen, jede dritte Frau und jedes fünfte Kind sind zu dick.
Ein Viertel der Österreicher hat sogar so starkes Übergewicht, dass man von Fettleibigkeit oder Adipositas spricht, die krankhaft ist und erwiesenermaßen über kurz oder lang krank macht. Denn Übergewicht belastet den gesamten Körper, das Skelett, die Lunge, das Herz, das Herz- und Kreislaufsystem und die Stoffwechselprozesse. Man weiß, dass 80 Prozent der Übergewichtigen Diabetes haben, 25 Prozent an Bluthochdruck leiden und ein erhöhtes Risiko haben, einen Herzinfarkt und/ oder Schlaganfall zu bekommen.
Bei Übergewichtigen finden sich außerdem überdurchschnittlich oft entzündungsfördernde Botenstoffe im Blut, was unter anderem die Wahrscheinlichkeit erhöht, an Krebs zu erkranken. Andere Probleme, die Dicke besonders oft treffen: Depressionen, Unfruchtbarkeit und verschiedene Erkrankungen der Atemwege.

Zu dick für die Operation
Als er noch 190 Kilogramm wog, hatte auch der Deutsche Klaus Heisterkamp Atemprobleme: „Ich konnte nicht mehr schlafen, weil ich an Atemnot litt. Mein Hausarzt meldete mich zu einer Operation an der Nasenscheidewand an. Doch im Krankenhaus wurde mir diese Operation verweigert, weil ich zu dick sei, zu schwer für den Operationstisch“, schilderte der Mann deutschen Medien und beschwerte sich somit öffentlich. Das hatte Wirkung, Heisterkamp wurde doch operiert. Man führte den Eingriff an der Nase und auch gleich eine Magenverkleinerung durch, weshalb der Mann inzwischen abgenommen hat. Das Spital hatte eigens für ihn einen XXL-Operationstisch ausgeliehen.
Auf dem Markt erhältlich sind auch Computertomografie-Geräte und Röntgensysteme für Menschen mit starkem Übergewicht, und zwar samt Software-Programmen, die für die Bilddarstellung das Fett im Gewebe sozusagen wegrechnen. Von Untersuchungstischen, die mehr als 150 Kilogramm tragen und breiter als die bisher üblichen 75 Zentimeter sind, werden heute sogar schon mehr als doppelt so viele bestellt als noch vor drei Jahren.
Im US-Bundesstaat Washington bietet eine Firma auch XXL-Apparate für Mammografien an, hat Blutdruckmesser im Programm, die um besonders dicke Oberarme passen, extralange Nadeln, die bei Injektionen große Fettschichten durchdringen sowie XXL-Equipment für Operationen wie große Klemmen oder Wundhaken.

OP-Tisch trägt bis zu 450 Kilo
Mit solchen Utensilien schon seit längerem ausgestattet ist das Krankenhaus Hallein im Salzburger Tennengau. „Wir haben darüber hinaus auch besondere Krankenhausbetten für extrem Übergewichtige, weil wir Patienten mit mehr als 150 Kilogramm nicht in normale Betten legen können, das wäre zu gefährlich“, sagt Primar Univ. Doz. Dr. Karl Miller, Vorstand der chirurgischen Abteilung. „Die Betten könnten zusammenbrechen, die Patienten könnten sich verletzen.“
Der Grund für die besondere Ausstattung ist die Spezialisierung von Primar Miller und seinem Team auf Magenband-, Magenbypassoperationen und Magenteilentfernungen für XXL-Frauen und XXL-Männer. Mehr als 200 solche Eingriffe hat er bisher gemacht. Auf dem XXL-Operationstisch, der übrigens den Markennamen „Titan“ trägt, können bis zu 450 Kilogramm schwere Menschen operieret werden – eine Höchstgrenze, die auch schon ausgenützt wurde. Allerdings nicht in Hallein, sondern anderswo: Im Jänner operierten die Halleiner Ärzte einen 452 Kilo schweren Mann im Emirat Katar am Persischen Golf.

Mit dem Lastwagen ins Spital
Ein XXL-Krankenwagen, der besonders breit ist, über eine besonders belastbare Innenausstattung verfügt und immer dann verwendet wird, wenn Patienten mit einem Gewicht ab 180 Kilogramm Hilfe brauchen, ist im kanadischen Calgary im Einsatz. „Wir wollen mit diesem Service das Verletzungsrisiko senken, das bei Transporten von schwergewichtigen Patienten in normalen Krankenwagen für die Patienten und für das Rettungspersonal besteht“, teilte der umsichtige Notdienst der Stadt zu der Neuanschaffung mit. Und: „Wir wollen so die Würde der Übergewichtigen besser wahren, als dies anderswo der Fall ist, wo sie in Lastwagen ins Spital geführt werden müssen.“
Wie unlängst in Dschiddah in Saudi-Arabien: Dort gelang es nur dank der Kranftanstrengung von zwölf Männern, einen rund 400 Kilo schweren Mann ins Krankenhaus zu befördern. Wie eine lokale Zeitung berichtete, musste der Rote Halbmond beim Krankentransport auf die Hilfe des Zivilschutzes zurückgreifen. Mit der Ankunft des Mannes im Spital taten sich neue Probleme auf: Erst nach großen Anstrengungen konnte ein Bett organisiert werden, das dem Gewicht des Mannes standhielt.

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Wann ist man zu dick?
Die Statistiken über die Zahl der Dicken und Fettleibigen in Österreich beruhen auf Berechnungen des so genannten Body Mass Index (BMI): Dieser ergibt sich aus dem Gewicht dividiert durch die Körpergröße in Metern zum Quadrat. Bei einem BMI unter 19,9 ist man untergewichtig, bei einem BMI von 20 bis 24,9 normal­gewichtig, bei einem BMI zwischen 25 und 30 zu dick, bei einem BMI über 30 krankhaft fettleibig, also adipös.

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So viele sind zu dick
Nach dem ersten österreichischen Adipositas-Bericht, der 2006 erstellt wurde, sind 41 Prozent der Österreicher zu dick, haben also einen BMI ab 25. Elf Prozent haben krankhaftes (und krankmachendes) Übergewicht, sind mit einem BMI ab 30 also fettleibig oder adipös. Nach einer aktuellen Studie der Vorsorge-Plattform Grünes Kreuz, die im Auftrag des Lebensmittelkonzerns Danone mit mehr als 114.000 sechs- bis 14-Jährigen gemacht wurde, sind 10,4 Prozent der Mädchen und 11,4 Prozent der Buben übergewichtig und zusätzlich 7,3 Prozent der Mädchen und 8,8 Prozent der Buben adipös. Weltweit sind eine Milliarde Menschen übergewichtig und 300 Millionen adipös, in Europa sind zehn bis 20 Prozent der Bevölkerung übergewichtig und sieben bis acht Prozent adipös.
        

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