Bauchweh vom Essen?

September 2017 | Medizin & Trends

Dass es hie und da im Bauch zwickt – wer kennt das nicht? Immer mehr Menschen klagen allerdings regelmäßig nach dem Essen über Blähungen, Krämpfe, Bauchweh oder Durchfall. Zwei Experten erläutern, woran das liegen kann.
 
Von Mag. Alexandra Wimmer

Die Planung des Geburtstagsessens anlässlich ihres „30ers” hat sich Anna K. einfacher vorgestellt. Ihre Bitte, sie bezüglich etwaiger Lebensmittelunverträglichkeiten zu informieren, stieß bei den Gästen auf enorme Resonanz: „Ich hab nicht damit gerechnet, dass jeder Zweite etwas nicht verträgt“, sagt sie. Auf der „schwarzen Liste“ stehen Eier, Nüsse, Milchprodukte, Gluten. Anna nimmt es mit Humor: „Bleibt mir halt mehr von meinem Tiramisu“, meint sie augenzwinkernd.
Dass immer mehr Menschen bestimmte Nahrungsmittel nicht zu vertragen scheinen, beobachten auch Fachärzte wie Univ. Prof. Dr. Kurt Widhalm, Präsident des Österreichischen Akademischen Instituts für Ernährungsmedizin. „Es ist heute geradezu en vogue zu sagen, dass man dieses oder jenes nicht verträgt“, sagt er. Vor 20 Jahren sei das nicht der Fall gewesen, ergänzt Univ. Doz. Dr. Felix Wantke. Der Allgemeinmediziner und Facharzt für Lungenheilkunde leitet das Floridsdorfer Allergiezentrum in Wien. „Heute klagen sehr viele Patienten über Beschwerden wie Bauchschmerzen, Durchfälle, Blähungen oder einen Blähbauch.“ Für die Beschwerden ist oft eine Nahrungsmittelunverträglichkeit verantwortlich: Verschiedene Mechanismen im Körper führen dazu, dass Nahrungsbestandteile von Milch, Getreide oder Obst nicht vertragen werden.    
    
Is(s)t weniger mehr?

Weil sie nach dem Essen Beschwerden haben, lassen immer mehr Menschen auf Verdacht bestimmte Nahrungsmittel oder ganze Nahrungsmittelgruppen weg. Wer an keiner Unverträglichkeit oder Allergie leidet, tut sich mit dem Verzicht keinen Gefallen. Im Gegenteil: Mit der einseitigen Kost steigt das Risiko für einen Nährstoffmangel. In einer aktuellen Studie konnte zudem nachgewiesen werden, dass der Verzicht auf Gluten das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht, weil der Anteil an Vollkornprodukten abnimmt. Wer befürchtet, an einer Unverträglichkeit zu leiden, sollte sich an einen Spezialisten wenden. Was besonders oft schlecht vertragen wird:

Fruktose, Sorbit & Co:
Süße Krankmacher

Zwischen zehn und 20 Prozent der Österreicher vertragen Fruchtzucker (Fruktose) schlecht. Die häufigste Ursache einer Fruktoseunverträglichkeit (Fruktosemalabsorption) ist eine Störung des „Transporter“-Enzyms „GLUT-5“, weshalb im Dünndarm nicht genügend Fruchtzucker abtransportiert werden kann. Der Fruchtzucker landet im Dickdarm, wo er von Bakterien verstoffwechselt wird – mit Blähungen, Bauchgrummeln, Bauchschmerzen und Durchfall als unangenehme Begleiterscheinungen. Dass wir immer intoleranter gegen Fruchtzucker werden, könnte auch damit zu tun haben, dass dieser in vielen industriell erzeugten Produkten –von Fruchtjoghurts bis Fertiggerichten – zugesetzt wird, was den Darm überfordert. Meist wird allerdings eine bestimmte Menge Fruktose vertragen, die Toleranzgrenze ist individuell verschieden.
Viel seltener ist die angeborene Fruktoseintoleranz: Hier fehlt ein Enzym, welches Fruktose in der Leber aufspaltet. „Wird Fruktose zugeführt, kann es zu schwerwiegenden, sogar tödlichen, Nebenwirkungen kommen“, warnt Widhalm.
Neben Fruchtzucker können andere Zuckerarten wie Saccharose (Haushaltszucker) oder Galctose (Schleimzucker) Beschwerden machen. Manche leiden an einer Unverträglichkeit des Zuckeralkohols Sorbit, der nicht nur in Obst, sondern auch in Produkten wie Kaugummis oder Softdrinks steckt. Meist entwickeln die Betroffenen nach und nach ein Gespür dafür, wie viel der jeweiligen Zuckerart ihnen (noch) bekommt.

Laktose:
Blähbauch von der Milch

Etwas weniger Österreicher – zwischen fünf und 20 Prozent – haben eine Unverträglichkeit gegen Laktose, den Milchzucker. Weltweit dürfte hingegen die große Mehrheit – wenigstens drei Viertel der Weltbevölkerung – laktoseintolerant sein, in Asien sind es sogar 90 Prozent: Aufgrund eines Mangels an dem Enzym Laktase kann Milchzucker im Darm nicht in Glukose und Galaktose gespalten werden, er wird von Darmbakterien vergoren, zu Milchsäure und Gasen abgebaut, was zu den typischen Symptomen führt: Völlegefühl, Blähungen, Schmerzen oder Durchfall. Meist genügt eine laktosearme Ernährung, um beschwerdefrei zu leben. Viele Betroffene vertragen eine bestimmte Menge, rund zwölf Gramm, Laktose am Tag. Das ist immerhin ein Kaffeehäferl voll Milch. Bei einem kompletten Mangel an Laktase – dieser ist bei uns sehr selten – muss hingegen komplett auf Milchzucker verzichtet werden.

Histamin:
Kopfweh vom Käse

Rund ein Prozent der Bevölkerung hat eine Histaminintoleranz; der Großteil davon, 80 Prozent, sind Frauen. Histamin ist eine körpereigene Substanz. Es ist als wichtiges Gewebehormon an verschiedenen Funktionen des Organismus beteiligt und wird bei allergischen Reaktionen produziert. Beim Verzehr histaminhaltiger Nahrung steigt die Konzentration von Histamin im Körper an. Fehlt es an dem Enzym Diaminoxidase (DAO), das für den Histaminabbau zuständig ist, kommt es aufgrund einer hohen Histaminkonzentration zu Kopfschmerzen, Blähungen, Durchfall, Verstopfung, Bauchschmerzen, Sodbrennen. Auch Atembeschwerden, Juckreiz, Schlafstörungen und sogar depressive Verstimmungen können auftreten. Besonders histaminreich sind Lebensmittel, die durch Reifeprozesse haltbar gemacht wurden: Wurst, Fisch, Hartkäse, Sauergemüse, Rotwein.

Gluten:
Gefahr durch Getreide

Bei der Glutenunverträglichkeit (Zöliakie) kommt es nach der Aufnahme bestimmter Getreidebestandteile, Gluten, zu Entzündungsreaktionen in den Zellen der Dünndarmschleimhaut, welche für die Aufnahme und Weiterverarbeitung vorverdauter Nahrungsbestandteile zuständig ist. In der Folge werden diese nicht mehr optimal verwertet. Um nun den Körper vor dem vermeintlich schädlichen Gluten zu schützen, produziert das Immunsystem Antikörper. Im Gegensatz zur Fruktose- oder Laktoseintoleranz ist die einzig wirksame Therapie bei Zöliakie eine konsequent glutenfreie Ernährung.

Komplexe Diagnostik

„Erste Anlaufstelle sollten Ärzte mit einem Diplom für Ernährungsmedizin sein“, betont Widhalm. Neben einem ausführlichen Anamnesegespräch kann das Führen eines Ernährungstagebuchs bei der „Spurensuche“ helfen. Besteht der Verdacht auf eine Allergie, werden eine Blutuntersuchung und ein Hauttest („Prick-Test”) durchgeführt. Ob man gegen Laktose, Fruktose oder Sorbit intolerant ist, lässt sich unter anderem mittels Wasserstoff (H2)-Atemtest feststellen: Übersteigt nach Gabe des jeweiligen Stoffs das ausgeatmete H2 einen bestimmten Wert, gilt dies als Diagnose für eine Unverträglichkeit. Laboruntersuchungen liefern weitere Hinweise.

Frage der Toleranz

Wie viel ein „Intoleranter“ von dem Nahrungsmittel problemlos essen kann, ist individuell verschieden. Auch die Tagesverfassung und die Darmflora, die sich immer ein wenig verändert, führen dazu, dass man das problematische Lebensmittel manchmal besser, manchmal schlechter verträgt. Eine „Unterlage“ kann die Beschwerden puffern: Das heißt, der Nahrungsbestandteil wird oft besser vertragen wird, wenn man davor etwas anderes gegessen hat. „Um einen individuell angepassten Ernährungsplan erstellen zu können, ist die Beratung und Begleitung durch Diätologinnen und Diätologen unverzichtbar“, betont Wantke.

Psyche und Essverhalten

Längst nicht immer steckt eine Unverträglichkeit oder Allergie hinter den Beschwerden. Auch eine funktionelle Störung wie das Reiz-Darm-Syndrom, kann schuld daran sein: Als mögliche Ursachen kommen Umweltfaktoren, Ernährungs­fehler und Stress in Frage. Überhaupt spielen die Psyche und seelische Belastungen bei Verdauungsbeschwerden eine große Rolle. Dass es im Bauch zwickt, kann nicht zuletzt banale Gründe haben: Vielleicht hat man einfach zu viel, zu spät oder zu hastig gegessen?

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Die Gemeinsamkeiten, die Unterschiede:
Intoleranz, Allergie, Kreuzallergie

Zwar sind einige Symptome ähnlich, daneben gibt es viele Unterschiede zwischen einer Intoleranz und einer Allergie: „Intolerante“ reagieren üblicherweise erst ab einer bestimmten Menge der Substanz mit Beschwerden, bei einer Allergie genügen schon geringe Mengen des Allergens. Die Beschwerden treten bei Allergikern meist sehr rasch, innerhalb weniger Minuten, auf. Bei einer Intoleranz kann es 20 Minuten bis zu einigen Stunden dauern.
Intoleranzen liegen verschiedene Mechanismen (z. B. ein Enzymmangel) zugrunde. Bei einer Allergie kommt es zu einer Überreaktion des Immunsystems auf normalerweise harmlose Stoffe wie bestimmte Eiweißbestandteile in Lebensmitteln. „Diese immunologische Reaktion kann harmlos, aber auch lebensbedrohlich sein“, betont Ernährungsmediziner Univ. Prof. Dr. Kurt Widhalm. Nahrungsmittelallergien sind deutlich seltener als Unverträglichkeiten – zwei bis vier Prozent der Weltbevölkerung sind betroffen. Zu den häufigsten zählen jene gegen Milcheiweiß, Hühner- und Fischeiweiß. „Betroffen sind meist Säuglinge, die zum Beispiel auf Milch, Ei oder Soja allergisch reagieren“, informiert der Allergieexperte Univ. Doz. Dr. Felix Wantke.
Bei Erwachsenen zählen Getreide, Ei, Fisch, Nüsse, Milch sowie Gewürze zu den häufigsten Auslösern. „Ist die Diagnose gestellt, muss man jene Nahrungsmittel, gegen die man allergisch ist, komplett vom Speiseplan streichen“, betont Widhalm.
Deutlich öfter als von einer „echten“ Lebensmittelallergie sind Erwachsene von Kreuzallergien betroffen: Rund drei Viertel der Birkenpollenallergiker reagieren allergisch auf Lebensmittel wie Äpfel. Alte Apfelsorten wie zum Beispiel Boskop verursachen erfahrungsgemäß weniger Beschwerden, da sie weniger potenzielle Allergene enthalten.

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Allergene & Co:
EU-weite Kennzeichnungspflicht

Laut EU-Lebensmittelkennzeichnungsverordnung müssen häufige Auslöser von Allergien und Unverträglichkeiten auf Lebensmitteln ausgewiesen werden. Dazu gehören u.a. glutenhaltiges Getreide, Milch, Eier, Fische, Nüsse, Soja, Sellerie, Sulfite. Zusätzlich gibt es freiwillige Hinweise für Allergiker: Wenn Bestandteile wie Nüsse unabsichtlich in das Lebensmittel gelangt sein könnten, heißt es beispielsweise: „Kann Spuren von Nüssen enthalten.“

Buchtipp:
Wolzt, Feffer-Holik, Ring
Gesund essen & trotzdem krank
Gluten-, Laktose-, Fruktose-, Histaminintoleranz
ISBN 978-3-99052-066-6, 152 Seiten, € 14,90
Verlagshaus der Ärzte

Webtipp:
Das Österreichische Akademische Institut für Ernährungsmedizin listet Ärzte mit ÖÄK-Diplom für Ernährungsmedizin: https://www.oeaie.org/service

Stand 09/2017

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