Beinverlängerung im OP

November 2008 | Gesellschaft & Familie

Beinbruch für die Schönheit im Trend
 
Aus dem russischen Kurgan kommt ein erschreckender neuer Trend: Dort lassen sich junge Frauen Knochen brechen und verlängern, denn lange Beine gelten bekanntlich als sexy. MEDIZIN populär beschreibt die Gefahren dieses Eingriffs und geht der Frage nach, aus welchen Gründen und mit welchen Methoden in Österreich Beine verlängert werden.
 
Von Mag. Sabine Stehrer

Ob Claudia Schiffer, Heidi Klum oder Naomi Campbell: Eigentlich braucht man sich nur Topmodels wie diese drei anzuschauen, um eines zu erkennen: Lange Beine gelten als schön und wirken sexy. Aber dafür gibt es sogar einen wissenschaftlichen Beweis in Form einer Studie, die kürzlich an der Universität Breslau in Polen durchgeführt wurde. Dort legte man 218 Versuchspersonen Bilder von Frauen und Männern vor, die gleich groß waren, aber unterschiedlich lange Beine hatten. Das Ergebnis: Wer Beine hatte, die um fünf Prozent länger waren als die Durchschnittsbeine, wurde als besonders attraktiv empfunden. Die Erklärung von Studienleiter Boguslaw Pawlowski: Lange Beine signalisieren dem Urmenschen in uns, dass man damit weiter gehen, schneller flüchten und daher auch besser und gesünder überleben kann. Und das sind doch recht große Vorteile, wenn es um die Partnerwahl für die Arterhaltung geht.

Auf diesen Urinstinkt bauen im Fernen Osten und in Asien immer mehr junge Frauen. Um in unserer Gesellschaft besser anzukommen, konkret, um mehr Glück in der Liebe und bessere Chancen im Beruf zu haben, lassen sich jedes Jahr 200 junge Russinnen in einer Klinik in Kurgan in Sibirien die Beine verlängern. Dabei werden ihnen die Unterschenkelknochen durchtrennt und in einer monatelangen Prozedur Millimeter für Millimeter auseinandergezogen. In dem Spalt bildet sich Knochenmasse nach, so wird der Unterschenkel immer länger. Mit bis zu 15 Zentimetern mehr Bein kehren die Frauen schließlich heim. „Beine aus Kurgan“ sind bereits zum fixen Begriff geworden, und zwar nicht nur in Russland. Auch in China und Japan erfreuen sich die Beinverlängerungen à la Kurgan steigender Beliebtheit.

NICHT UM DER SCHÖNHEIT WILLEN
Beinverlängerungen werden auch in Österreich durchgeführt, mit 80 pro Jahr die weitaus meisten, nämlich 90 Prozent, am Orthopädischen Spital Speising in Wien. Zwar gebe es immer wieder entsprechende Anfragen von Frauen, die längere Beine haben möchten, weil sie meinen, damit ihre Attraktivität zu steigern, doch rein um der Schönheit willen werde in Speising nicht operiert, sagt Oberarzt Dr. Rudolf Ganger. Selbst wenn es darum geht, durch eine Beinverlängerung Kleinwüchsigen zu mehr Größe zu verhelfen, schreiten der Facharzt für Orthopädie und seine Kollegen eher selten zur Tat. Einmal, erzählt Ganger, hätten sie einer Frau zu acht Zentimeter mehr Körpergröße verholfen. „Aber die war so klein, dass sie sogar Schwierigkeiten dabei hatte, eine öffentliche Toilette zu benützen.“ Ein anderes Mal sollte eine Beinverlängerung einen kleinen Mann von seinen Depressionen befreien: Er hatte ein psychologisches Gutachten vorgelegt, aus dem hervorging, dass ihm die Beinverlängerung helfen würde.
Hauptsächlich sind in Speising, aber auch am Wiener AKH sowie in Graz und Innsbruck, wo ebenfalls Beinverlängerungen durchgeführt werden, jene Menschen Kandidatinnen und Kandidaten für den Eingriff, die aufgrund von Geburtsfehlern, Erkrankungen oder Unfällen unterschiedlich lange Beine haben. Doch auch hier gibt es noch eine Beschränkung: Operiert wird erst ab einer Differenz von zweieinhalb Zentimetern. Ist der Unterschied zwischen rechtem und linkem Bein kleiner, könne er durch das Tragen von Spezialschuhen ganz gut ausgeglichen werden, sagt Ganger.

KNOCHEN WIRD DURCHTRENNT
Die strenge Auswahl in Speising hat gute Gründe, genauso wie die Tatsache, dass das Gesundheitsministerium in Peking mittlerweile gegen Mediziner vorgehen will, die Beine nur zum Zweck der Attraktivitätssteigerung verlängern. Die Eingriffe sind nicht ohne. Sie sind mühsam und schmerzhaft für die Betroffenen, langwierig und nicht frei von Risiken.
Operiert wird nach zwei Methoden. Die erste und ältere wurde zu Sowjetzeiten von dem russischen Orthopäden Gawril Ilisarow in Kurgan entwickelt, um Geburtsfehler zu beseitigen und Kriegsverletzten zu helfen. Sie wird heute noch bei vielen Patientinnen und Patienten eingesetzt. Hierbei wird der Ober- oder Unterschenkelknochen durchtrennt, anschließend wird um das Bein eine Metallkonstruktion montiert, der Ringfixateur. In Speising verwendet man eine Weiterentwicklung, den so genannten Taylor spatial frame.

EIN MILLIMETER MEHR PRO TAG
An dieser Konstruktion werden sechs Stäbe befestigt, die in den Knochen ragen und dort mit Bohrdrähten und Schrauben fixiert werden. Eine Woche nach der Durchtrennung des Knochens kann mit der Verlängerung begonnen werden. Ganger: „Das Verlängern funktioniert, indem der Patient selber die Stäbe verstellt.“ So wird der Knochen auseinandergedehnt, in dem Spalt wächst Knochenmasse nach. Pro Tag ist ein Millimeter an Länge zu gewinnen, für fünf Zentimeter braucht man 150 bis 200 Tage, inklusive der Zeit, die es dauert, bis sich der Knochen verfestigt hat. Die Verlängerung des Knochens an sich sei nicht schmerzhaft, weiß Experte Ganger. „Weh tun oft die Löcher in der Haut, durch die die Stäbe in den Knochen führen und auch die ständige Spannung am Bein.“ Diese entsteht, weil abgesehen von den Knochen bei der Beinverlängerung auch die Haut, Muskeln, Sehnen und Nerven mitwachsen müssen. Um die Prozedur besser aushalten zu können und das Bein beweglich zu halten, bekommen die Patienten während der Beinverlängerung eine Physiotherapie. Nach dem Abbau des Fixateurs dauert es eine Weile, bis das Bein wieder normal belastet werden kann. Ganger: „Insgesamt ist damit zu rechnen, dass man ein Jahr mit der Beinverlängerung beschäftigt ist.“

MARKNAGEL MIT MOTOR
Bis zu ein Jahr dauert die Prozedur auch dann, wenn die Beinverlängerung nach der neueren Methode mit dem so genannten Verlängerungsmarknagel durchgeführt wird. Bei dieser Methode, die in Deutschland entwickelt wurde, kommt man ohne Fixateur oder eine andere außen montierte Konstruktion aus, der Wundschmerz an den Löchern durch die Haut fällt weg. Ganger: „Der Marknagel wird in den Knochen gesetzt, im Nagel befindet sich ein Motor und unter der Haut ein Empfänger. Über einen Computer mit Sender wird in regelmäßigen Abständen der Befehl gegeben, den Nagel so zu verstellen, dass der Knochen kontinuierlich auseinandergezogen wird.“ Der Rest funktioniert wie bei Methode Nummer eins, im Spalt wächst Knochenmasse nach, das Bein wird nach und nach länger, allerdings auch nur um maximal einen Millimeter pro Tag. Insgesamt ist eine Verlängerung um acht Zentimeter möglich.

DIE MÖGLICHEN GEFAHREN
Das Hauptrisiko, das die Operation mit sich bringt, sind (beim außen montierten Fixateur) Entzündungen durch die Bohrdrähte und Schrauben. Der Eingriff kann aber auch Fehlstellungen der Knochen und Bewegungseinschränkungen an den Gelenken nach sich ziehen. Trotz dieser Risiken würde Ganger Menschen ab einer Beinlängendifferenz von fünf Zentimetern auf jeden Fall zu einer Beinverlängerung raten. „Denn wenn der Unterschied so groß ist, kann er durch Schuhe nicht mehr ausgeglichen werden, und der gesamte Bewegungsapparat wird so stark asymmetrisch belastet, dass massive und schmerzhafte Folgeschäden wie Arthrosen in den Gelenken wahrscheinlich sind.“
Für eine Beinverlängerung ist es übrigens nie zu spät: Ganger und seine Kollegen haben bereits einen 72-Jährigen erfolgreich behandelt, der nach einem Motorradunfall ein kürzeres Bein mit einer Fehlstellung hatte. Nach unten ist die Altersgrenze allerdings nicht offen. Angeborene Fehler können erst operiert werden, wenn die Betroffenen etwa drei Jahre alt sind. Manchmal muss auch auf das Ende des Wachstums gewartet werden.
   

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