Krank durch Kränkung

Oktober 2007 | Leben & Arbeiten

Beleidigungen im Job schaden der Gesundheit
 
Was kränkt, macht krank, sagt der Volksmund und hat Recht. Kränkungen im Job sind besonders heimtückisch, weil man sie etwa aus Angst um den Arbeitsplatz oft viel zu lange erduldet. Für MEDIZIN populär gibt die Arbeitsmedizinerin Dr. Michaela Schnider Tipps, wie Sie das Problem bewältigen können.
 
Von Mag. Wolfgang Bauer

Kein „Guten Morgen“, nur ein schroffes: „Auch schon da?!“ – mehr hat der Chef für seine Mitarbeiterin an jenem Tag nicht übrig. Dabei ist doch vereinbart, dass sie ihre Arbeit eine Viertelstunde später beginnen darf, damit sie vorher noch ihr Kind in der Schule absetzen kann. Damit nicht genug. Als Draufgabe gibt es einen Vorwurf, einen völlig ungerechtfertigten noch dazu: „Warum ist das immer noch nicht erledigt?“ Dabei hatte Frau P. ihren Vorgesetzten informiert, dass die Verzögerungen außerhalb ihres Bereiches liegen, sie sich aber bis zu einem vereinbarten Termin um alles Nötige kümmern würde. Das kann er doch nicht vergessen haben? Und jetzt gibt er ihr nicht einmal Gelegenheit, ihm noch einmal alles zu erklären, er geht ab und schlägt wortlos die Tür hinter sich zu.
Wie kann er sie so behandeln? Noch dazu vor den Augen der Kolleginnen und Kollegen? Frau P. versteht die Welt nicht mehr. Sie verschanzt sich hinter ihrem Bildschirm. Der Chef hat sie zutiefst gekränkt: „Nichts kann ich ihm recht machen. Was hat er bloß gegen mich? Wa­rum nimmt er mich nicht richtig wahr?“

Selbstwertgefühl wird angegriffen
„Kränkungen sind deshalb so schlimm, weil sie gegen das Selbstwertgefühl einer Person gerichtet sind. Der oder die Gekränkte fühlt sich benachteiligt, abgelehnt oder weniger wert“, sagt Dr. Michaela Schnider, Allgemein- und Arbeitsmedizinerin sowie Psychotherapeutin in ­Wien. Kränkungen entstehen also nicht, weil ein bestimmtes Verhalten einer Person – wie das spätere Erscheinen im Büro – bemängelt oder kritisiert wird: „Auch schon da!?“ Mit Kränkungen hat man es dann zu tun, wenn sich eine Person in ihrer Gesamtheit in Frage gestellt fühlt: „Wie kann er vergessen, was wir besprochen haben, warum nimmt er mich nicht richtig wahr?“
Auslöser für Kränkungen im Job gibt es viele. So kann es kränken, wenn man von Vorgesetzten und Mitarbeitern nicht gegrüßt, nicht beachtet oder wenn man lächerlich gemacht wird. Mangelnde Anerkennung, ständige ironische Bemerkungen, Respektlosigkeiten, unberechtigte Kritik sind ein ebenso guter Nährboden für Kränkungsgefühle. Auch wenn das persönliche Wertesystem verletzt wird, kann das als Kränkung erlebt werden. Wer Offenheit und Ehrlichkeit auf seine Fahnen geheftet hat, am Arbeitsplatz jedoch mit Intrigen und Lügen konfrontiert wird, kann ebenfalls gekränkt reagieren. Nicht eingehaltene Vereinbarungen wiederum erschüttern das Vertrauen in die Person, mit der die Abmachung getroffen wurde. „Meiner Erfahrung nach geschieht dies bereits ab dem ersten Verstoß, dadurch entsteht eine zweifelnde und unsichere Grundhaltung dieser Person gegenüber – ein idealer Nährboden für neue negative Situationen“, so Schnider.

Am wunden Punkt getroffen
Das Charakteristische an der Kränkung: Die gekränkte Person trägt selbst wesentlich zur Entstehung des Kränkungsgefühls bei. Nämlich durch die eigene Bewertung, die Verhaltensweisen oder Bemerkungen von anderen als Kränkung auffasst: „Was hat er bloß gegen mich?“ Während die Bemerkung des Chefs: „Auch schon da!?“ von dem einen kaum oder höchstens mit einem Achselzucken registriert wird, sieht ein anderer darin einen Angriff gegen seine Person. „Jemand reagiert dann gekränkt, wenn er oder sie an einem wunden Punkt erwischt wurde. Dort ist man dann aufgrund negativer Erfahrungen oder Erlebnisse besonders verletzlich. Diese Erfahrungen können lange zurückliegen, sie können zum Beispiel aus der Kindheit stammen“, sagt Dr. Schnider.

Ich entscheide, ob ich gekränkt bin!
Der wunde Punkt ist Gefahr und Chance zugleich. Die Gefahr liegt darin, dass andere oft nicht wissen können, ob und warum jemand gekränkt reagiert, wo sich der wunde Punkt einer Person befindet. Oft genügt ein geringer Auffassungsunterschied zwischen zwei Bürokollegen, und schon zieht sich einer gekränkt zurück und spielt die beleidigte Leberwurst. Das heißt: selbst wenn man an einem Arbeitsplatz äußerst respektvoll miteinander umgeht, kann es vorkommen, dass sich jemand beleidigt und verletzt fühlt.

Die Chance, die der wunde Punkt birgt: Ob sie sich verletzt fühlen und eingeschnappt reagieren, können die Gekränkten zu einem großen Teil selbst entscheiden. Sie sind es ja, die Dinge allzu persönlich und gegen sich gerichtet wahrnehmen und die Schuld für das eigene Wohlergehen häufig anderen in die Schuhe schieben. Wenn sie also analysieren, wo ihre wunden Punkte liegen, woher sie kommen und warum sie immer wieder Kränkungen auslösen, so kann dies bereits der Beginn einer Lösung ihres Problems sein. Das gilt natürlich nur für Beleidigungen, Missachtungen & Co, die unbedacht und unabsichtlich geschehen. Vorsätzlich und systematisch gesetzte Kränkungen, die in die Kategorie Mobbing fallen, stehen auf einem anderen Blatt und bedürfen anderer Maßnahmen: Dann sollte man den Weg zum Betriebsrat einschlagen oder zu einer der zahlreichen Mobbing-Beratungsstellen gehen.

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Ich leide an Beleidigung!
Die Folgen von Kränkungen im Job
Kehrt man Kränkungen unter den Tisch, dann drohen erhebliche negative Folgen. Dr. Michaela Schnider, Allgemein- und Arbeitsmedizinerin sowie Psychotherapeutin in Wien listet sie auf: „Gekränkte Personen reagieren mit Rückzug, ihre Arbeitsleistung nimmt ab, viele kündigen innerlich. Kränkung bedeutet für die betroffene Person Stress, sie reagiert darauf mit Schlafstörungen, Depressionen, erhöhtem Alkoholkonsum. Mit einem Wort: Was kränkt, kann auf Dauer krank machen!“
Vielfach ist zu beobachten, dass negative Emotionen aus der Arbeitswelt auch das Freizeitverhalten negativ beeinträchtigen, sagt die Arbeitsmedizinerin. Das bekommen dann vor allem die Familie und der Freundeskreis zu spüren. „Was derzeit so gut wie gar nicht öffentlich thematisiert wird, sind die volkswirtschaftlichen Auswirkungen. Werden Kränkungen am Arbeitsplatz nicht beseitigt, so kann sich das bis zum Ausscheiden eines Arbeitnehmers bzw. einer Arbeitnehmerin hochschaukeln. In ganz argen Fällen kann es sogar zu Frühpensionierungen führen.“

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Kränkungskiller im Dienst:
Tipps für ein gutes Betriebsklima

Für Mitarbeiter
Setzen Sie negativen Gefühlen möglichst rasch Grenzen, damit sie sich nicht aufschaukeln können. „Wenn Sie sich durch das Verhalten oder den Umgangston eines anderen gekränkt fühlen, so sollten Sie das ansprechen. Sagen Sie klar und deutlich, aber ohne aggressiven oder vorwurfsvollen Ton, was Sie kränkt. Sprechen Sie auch aus, welche Umgangsformen Sie lieber hätten!“
Ist diese direkte Aussprache nicht möglich, weil das Gegenüber die Dialogbereitschaft verweigert, sollte man eine dritte Person zu Rate ziehen, den Vorgesetzten zum Beispiel, den Betriebsrat, eine Vertrauensperson. In vielen Fällen wird ein Experte von außen – Coach, Supervisor, Arbeitspsychologe – hilfreich sein.

Für Vorgesetzte
Vorgesetzten legt die Arbeitsmedizinerin nahe, für ein Betriebsklima zu sorgen, das ein Ansprechen und Bereinigen von Konflikten ermöglicht. „Führungskräfte sollten nicht wegschauen, wenn es zwischen Mitarbeitern kriselt. Wenn sie frühzeitig einschreiten, sind Kränkungskonflikte schnell wieder vom Tisch“, sagt Dr. Schnider.

Buchtipp:                                                                                                     
Bärbel Wardetzki,
Kränkung am Arbeitsplatz.
Strategien gegen Missachtung, Gerede und Mobbing. Verlag Kösel, € 16,40, ISBN 978-3-466-30702-9
    

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