Multiple Sklerose

März 2010 | Medizin & Trends

Die Krankheit der 1000 Gesichter
 
8500 Menschen in Österreich leiden an Multipler Sklerose, einer Nervenerkrankung, die meistens zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr ausbricht. MS verläuft bei jedem Betroffenen anders und ist bis heute nicht heilbar. Über die Ursachen gibt es bislang nur Vermutungen, an besseren Behandlungsformen wird intensiv geforscht.
MEDIZIN populär über den aktuellen Stand.
 
von Mag. Sabine Stehrer

Der Name der Nervenerkrankung Multiple Sklerose, kurz MS, leitet sich von „multiplex“, vielfach, und „skleros“, hart, ab. Der Grund dafür ist, dass MS viele Gesichter zeigt und eine schwere und derzeit noch unheilbare Erkrankung ist. Das Leiden trifft Frauen um ein Vielfaches häufiger als Männer und tritt meistens zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr auf.

Warum mehr Frauen an MS erkranken, und warum es überhaupt zur Erkrankung kommt, wisse man noch nicht genau, sagt Univ. Prof. Dr. Karl Vass von der Universitätsklinik für Neurologie am Wiener AKH, der auch Präsident der Wiener MS-Gesellschaft ist. „Wir vermuten aber, dass die weiblichen Hormone und erbliche Faktoren eine Rolle spielen, sowie auch manche Infektionen im Kindesalter und ein Mangel an Vitamin D, der wiederum auf einen Mangel an Sonneneinstrahlung zurückzuführen ist.“ Hinter diesen Vermutungen steckt, dass MS in sonnigeren Ländern der Welt seltener vorkommt, und dass mehr Menschen daran erkranken,
die bestimmte Infektionserkrankungen hatten.

Ein genetisches Risiko wird aufgrund von Zwillingsbeobachtungen vermutet: Erkrankt von eineiigen Zwillingen einer an Multipler Sklerose, so erkrankt der Zweite mit einer Wahrscheinlichkeit von 25 Prozent auch. Warum der Hormonhaushalt der Frau MS wie beinahe alle Autoimmunerkrankungen begünstigt, kann man sich nach wie vor nicht erklären.

Die ersten Anzeichen

Wie zeigt sich das Leiden? Vass: „Die ersten Symptome sind meistens Sehstörungen, die Betroffenen sehen dann wie durch einen Schleier und haben Schmerzen, wenn sie die Augen bewegen.“ Die Beschwerden halten zunächst nur ein, zwei Tage, später auch einige Wochen an, verschwinden wieder und treten typischerweise nach einem Dreivierteljahr oder auch erst nach zwei Jahren wieder auf. „Oft kommen dann zu den Sehstörungen noch Gefühls- oder Bewegungsstörungen in den Armen und Beinen dazu, oder es kommt zu Blasenfunktionsstörungen, das heißt, es bildet sich eine Reizblase“, sagt Vass.

Bei 80 bis 85 Prozent der MS-Patienten treten diese Symptome entweder gleichzeitig oder im Wechsel schubweise auf, bei zehn bis 15 Prozent werden die Beschwerden langsam fortschreitend schlimmer. Bei etwa der Hälfte der Patienten halten die Schübe dann länger an, und schließlich werden die Seh-, Gefühls-, Blasenfunktionsstörungen etc. chronisch. Zu den unliebsamen Begleiterscheinungen der Krankheit zählen Aufmerksamkeitsdefizite, Müdigkeit und Depressionen. Vass: „Alles zusammen genommen kann zu schwerwiegenden Behinderungen führen, doch die Gefahr, sich irgendwann nur noch im Rollstuhl bewegen zu können, ist bei jemandem, der in der heutigen Zeit erkrankt, dank der modernen Therapien nicht mehr so groß.“

Die modernen Therapien

Wie wird therapiert? Vass: „Das Therapieziel ist, den Status der Erkrankung zu stabilisieren, die Zahl der Schübe zu reduzieren und die Beschwerden zu verringern.“  Die Schübe treten meistens ohne Anlass auf, manchmal aber auch, wenn die Erkrankten unter psychischer und/oder physischer Belastung stehen. Die Immunzellen des Körpers, die eigentlich dazu da wären, Bakterien, Viren und andere Krankheitskeime abzuwehren, starten dann einen Angriff auf die Hüllen der körpereigenen Nervenfasern im Zentralnervensystem. Das führt zu Entzündungsprozessen im Bereich des Gehirns und des Rückenmarks. Geholfen wird den Erkrankten mit verschiedenen Therapien, die auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt sind.

1. Tritt ein Schub auf, bekommen die meisten Patienten Infusionen mit Cortison, das die Entzündungsprozesse stoppt.

2. In der Zeit zwischen den Schüben wird in vielen Fällen dauerhaft Interferon gegeben, ein Mittel, das das Immunsystem moduliert und die Gefahr reduziert, dass die Immunzellen die Nerven angreifen und eine Entzündung ausbricht. Die Patienten müssen sich das Mittel zweimal in der Woche selbst injizieren. Mögliche Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Muskelschmerzen, erhöhte Temperatur und Hautreizungen an den Einstichstellen. Anderen Erkrankten wird dauerhaft ein Medikament gegeben, das einen speziellen Antikörper enthält, der beginnende Entzündungsprozesse stoppt. Dieses Medikament muss täglich selbst injiziert werden. Die Nebenwirkungen beschränken sich auf Hautreizungen durch die Injektionen.

3. Die Therapie ergänzen entsprechende Medikamente gegen die Begleiterkrankungen: So lassen sich Blasenfunktionsstörungen, Depressionen und Müdigkeit ganz gut in den Griff kriegen. Treten Muskelverkrampfungen auf, wird neben Tabletten manchmal auch das Nervengift Botulinum Toxin zur Behandlung eingesetzt.

4. Die Angebotspalette der Ärzte beinhaltet schließlich auch eine Physiotherapie und/oder eine Ergotherapie, die gegen die krankheitstypischen Muskelbeschwerden hilft.

Neue Medikamente in Erprobung

„Die Therapieerfolge sind umso größer, je früher die Diagnose erstellt wird und die Behandlung einsetzt“, sagt Vass. Diagnostiziert wird MS über eine umfassende Untersuchung beim Neurologen, die auch eine Kernspintomographie beinhaltet. „Das Problem ist, dass viele Neuerkrankte die frühen Anzeichen der Erkrankung wie zum Beispiel die Sehstörungen oder Gefühlsstörungen in den Armen oder Beinen ignorieren und leider nicht gleich zum Arzt gehen.“ Würden sie sich anders verhalten, könnten die Beschwerden eher auf dem Niveau des Anfangsstadiums gehalten werden.

Der Experte über die Hoffnung der Mediziner für die Zukunft der MS-Therapie: „Derzeit laufen verschiedene klinische Studien mit Tabletten, die noch besser dabei helfen sollen, die Anzahl der Schübe zu reduzieren, die Beschwerden erträglicher und die Therapie einfacher zu machen.“ Unter anderem werde eine Substanz geprüft, die die Entzündungszellen fängt. Eine weitere Tablette zielt darauf ab, das Immunsystem dazu zu bringen, die körpereigenen Nerven in Ruhe zu lassen. „Wir nehmen an, dass die Behandlung der MS mit den neuen Tabletten in etwa fünf Jahren möglich sein wird“, sagt Vass.

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